Neufundland
Neufundland
Vor der Ostküste Kanadas liegt die seeumschlungene Insel Neufundland. Sie ist die sechzehntgrößte Insel der Welt und ist etwa halb so groß wie Großbritannien. 530 000 Menschen leben dort. Mit seiner urwüchsigen, wilden Schönheit und seiner 10 000 Kilometer langen, reich gegliederten Küste, seinen steilen Felsen, vom Sturm zerrissenen Klippen und der gefährlichen Brandung ist dies ein herrliches Fleckchen Erde. Seine Einwohner — hauptsächlich Fischer, Holzhauer und früher auch Fallensteller — sind abgehärtete, ausdauernde Menschen englischer, schottischer und irischer Herkunft. Der See und dem felsigen Boden den Lebensunterhalt abzuringen war eine wirkliche Geduldsprobe. Obwohl die Neufundländer so lange von den Geistlichen verschiedener Sekten der Christenheit beherrscht wurden, haben sie dennoch eine unbändige Freiheitsliebe und große Achtung vor Gott und seinem geschriebenen Wort — gewiß ein geeigneter Boden für Jehovas neuzeitliche Zeugen, um die Botschaft der Wahrheit auszusäen.
Eine treue Dienerin Jehovas, Edith Mason, eine vierzigjährige freundliche Frau, predigte im Jahre 1914 eifrig die Königreichsbotschaft in der kanadischen Festlandprovinz Neuschottland. Nur 145 Kilometer trennten sie von Neufundland, und daher dachte sie über die Menschen dort oft nach. „Auch sie brauchen die Botschaft! Wie glücklich würden sie doch dadurch werden!“ Sie machte den Brüdern
am Ort den Vorschlag, mit dem wunderbaren Photo-Drama der Schöpfung nach Neufundland zu gehen. Sie war überzeugt, daß die Lichtbilder, Filme und Schallplatten des Photo-Dramas, das Gottes Vorsatz von der Schöpfung an bis zum Ende der Tausendjahrherrschaft Christi umriß, den Neufundländern von großem Nutzen sein würden. Die Zeit schien für diesen Schritt zwar noch nicht reif zu sein, doch sie dachte weiter darüber nach.Dann entschloß sie sich eines Nachts in einem stillen Gebet, allein als Pionier dorthin zu gehen. Dieser Entschluß sollte weitreichende Folgen haben. Jehova würde diese mutige Frau gebrauchen, um den Wahrheitshunger so mancher aufrichtigen Person auf Neufundland zu stillen. Zuerst konnte sie keinen finden, der das, was sie zu sagen hatte, schätzte. Doch immer, wenn sie ein paar Pennies übrig hatte, zog es sie zu Skipper Gibbons Haus auf Carter’s Hill. Hier erzählt sie nun selbst ihre Geschichte:
„Dieser alte Schonerkapitän besaß eine Pension, und er liebte es, mit den Männern aus dem Norden zu ,klönen‘, wenn sie im Hafen waren. Viele Kapitäne und Händler, die von den ,Außenhäfen‘ in die Hauptstadt kamen, übernachteten in diesem Haus. Bald stellte ich fest, daß es sich lohnte, sonntags in Skipper Gibbons Pension zum Mittagessen zu gehen, denn dann waren viele dieser Männer ... um seinen Kamin versammelt. Gewöhnlich ... herrschte eine Atmosphäre der Frömmigkeit, und so fing ich dann an, mit ihnen über das Königreich zu sprechen.“ Zwei dieser Männer, junge Fischer aus Cat Harbour oder Lumsden, einem kleinen Dorf an der öden Nordostküste, waren Eli Parsons und Wesley Howell. Sie waren von dem, was sie hörten, beeindruckt, nahmen die Schriftstudien entgegen und nahmen sie mit nach Hause.
Es traf sich, daß Wesley Howell Laienleser der Methodistenkirche am Nordrand der Gemeinde war, und Edgar Gibbons, ein anderer aus der Gruppe, der von Schwester Mason Literatur erhielt, war Laienleser der Kirche am Südrand. Sie beide fanden, daß sie nun wirklich etwas hatten, was sie predigen konnten. Aber eines Tages stattete der Geistliche Wesley in seinem Büro einen Besuch ab und erklärte ihm erbittert: „Sie können gern wieder zur Kanzel zurückkehren, aber lassen Sie Ihre neue Religion aus dem Spiel!“ Wesley lehnte rundweg ab. Der erzürnte Prediger erwiderte scharf: „Ihre Familie wird Sie dafür noch verfluchen“ und stapfte wütend hinaus.
Etwa um die gleiche Zeit hörte die Präsidentin der anglikanischen Frauenhilfe zufällig den letzten Teil eines Vortrages von Bruder A. H. Macmillan aus dem Hauptbüro der Watch Tower Society in Brooklyn (New York), der über ein Thema sprach, mit dem sie gut hätte vertraut sein sollen, nämlich über das Vaterunser. Ein paar Tage bevor sie im Dezember 1970 im Alter von 91 Jahren starb, erzählte sie noch einmal von jenem Abend vor so vielen Jahren: „Die Orange Hall war bis zum Bersten voll, aber Wesley Howell gelang
es, Sitze für uns zu finden. Bruder Macmillan erklärte gerade die Bedeutung des Vaterunsers, und obwohl ich in einer streng anglikanischen Familie groß geworden bin, hatte ich es nie verstanden. Es war mir, als sei ich das ganze Leben in einem finsteren Verlies gewesen, und Bruder Macmillan habe in diesen wenigen Augenblicken das Licht eingeschaltet. Ich hatte die Wahrheit allein aus einem Teil seiner letzten Ansprache erkannt.“ Diese frühere Präsidentin der anglikanischen Frauenhilfe wurde Schwester Mary Goodyear.DIE WAHRHEIT FASST FUSS
Zu dieser Zeit organisierte Bruder Macmillan die erste Versammlung des Volkes Jehovas in Cat Harbour (Lumsden). Das war im Jahre 1916. Die Bibelstudiengruppe wuchs auf über ein Dutzend Personen an, und einige Teilnehmer hatten viele Kilometer zurückzulegen, über den Sandstrand oder an der felsigen Küste entlang, auch bei stürmischem Wetter.
Schwester Mason, die in der Hauptstadt St. John’s allein war, plante immer noch und betete darum, daß das Photo-Drama nach Neufundland gebracht würde, wo noch so viele Menschen der Bibel treu waren. Mit Hilfe von Geldmitteln, die Freunde aus ihrem früheren Kolporteurgebiet beisteuerten, und mit Hilfe einer privaten Spende von Charles T. Russell, dem Präsidenten der Watch Tower Society, konnte sie es schließlich einrichten, daß Bruder Black aus Neuschottland mit den Lichtbildern der Gesellschaft und mit dem Projektor nach Neufundland kam. Und so begann am 5. Mai 1916 eine dreiwöchige Vorführung des Photo-Dramas in St. John’s. So viele Einwohner und so viele Fischer und Händler von den Außenhäfen und aus Labrador kamen, um es zu sehen, daß nie genug Platz für die Menschenmengen war. Insgesamt besuchten 10 825 Personen die eine oder andere der 14 Abend- und 15 Nachmittagsvorstellungen.
Nachdem die Brüder in ihre eigenen Zuteilungen nach Kanada oder an andere Orte zurückgekehrt waren, beschloß Schwester Mason, die kleine Gruppe in Lumsden zu besuchen. Sie nahm die Gelegenheit wahr, um eine feste Grundlage für diese abgelegene kleine Versammlung zu legen. Eine ganze Menge von denen, die später aktive Verkündiger waren, lernten in dieser Zeit zum erstenmal Gottes Vorsätze kennen.
Im Laufe der Jahre kamen viele verschiedene Brüder nach Lumsden, um die wachsende Gruppe zu ernähren und zu stärken. Jeder erinnert sich noch an die Zeit, als Bruder Clifford Roberts vom „Festland“ zu Besuch kam. Ein älterer Mann aus der Siedlung, der an Herzbeschwerden litt, konnte nicht den weiten Weg zur Orange Hall gehen, um sich dort den Vortrag des Besuchers anzuhören. Zur Überraschung aller richtete es dieser ältere Herr ein, daß der Vortrag
in der örtlichen Kirche gehalten wurde; und dort sprach Bruder Roberts zu einer Zuhörerschaft von mehreren Hundert. Mitten im Vortrag wurde er plötzlich von einem Mann unterbrochen, der auf einmal hinten in der Kirche auftauchte und schrie: „Diese Gruppe hat meine Kirche übernommen!“ Am Ende erzählte der ältere Herr, er habe immer gehofft, er würde noch lange genug leben, um in der Kirche die Wahrheit zu hören; an jenem Tag sei seine Hoffnung in Erfüllung gegangen.Schwester Josephene Parsons, die von dort stammt, erinnert sich noch an den Besuch von Bruder John Cutforth im Jahre 1927. Er war einer der „Pilgerbrüder“, wie die reisenden Vertreter der Gesellschaft damals genannt wurden. Sie amüsiert sich heute noch, wenn sie folgenden Vorfall erzählt: „Wir fragen uns oft, wie John wohl empfunden hat, als er den Mann in der Pension nach einem Bett fragte und dieser antwortete: ,Ich glaube nicht, daß ich eins in Ihrer Größe habe.‘ Bruder Cutforth war nämlich über 1,80 m groß.“
Erinnerst du dich noch an die Vorhersage des Geistlichen, daß Wesley Howell von seiner Familie verflucht würde, weil er sich von den Lehren der Christenheit abgewandt habe? Statt dessen wurde er reich gesegnet. Heute sind unter den Pionieren auf Neufundland eine ganze Reihe Kinder, Enkel und Urenkel von denen, die damals als erste an die Wahrheit der Bibel glaubten.
Im Jahre 1945 wurde eine Versammlung in Lumsden-Süd gegründet, zu der ein Dutzend aktive Zeugen gehörten. Im gleichen Jahr wandelte die Versammlung Lumsden-Nord die zweite Etage einer Böttcherei in einen Königreichssaal um. Im Jahre 1947 wurde dann der erste Königreichssaal in Lumsden-Süd gebaut. Etwas weiter am Straight Shore (Gerader Strand; so genannt, weil es dort keine Möglichkeit gibt, Häfen anzulegen) sind die Versammlungen Musgrave Harbour und Aspen Cove. Diese Versammlungen bestehen aus den natürlichen Nachkommen und auch zum großen Teil aus den geistigen Nachkommen der ursprünglichen Zeugen in Cat Harbour oder Lumsden.
DAS PREDIGEN IN DER ANFANGSZEIT
Die Predigttätigkeit in jenen Anfangsjahren zeugt von der Liebe, dem Mut und der Beharrlichkeit der Prediger der guten Botschaft. Damals gab es noch keine Straßen und nur ein paar schmale Wege. In den 1930er und den 1940er Jahren mußte so manche Reise mit dem Schiff bei rauher See und stürmischem Wetter gemacht werden. Oft waren die Zeugen seekrank. Eine von Wesley Howells Töchtern erzählt folgende Erfahrung: „Nach einer 25 Kilometer weiten Bootsfahrt nach Wesleyville mußten wir noch 8 Kilometer bis Templeman laufen. Das war gar nicht so einfach, denn wir mußten über Felsen klettern und uns durch die feuchten, wasserreichen Sümpfe kämpfen, beladen mit einem Koffer [Literatur] in der einen Hand und mit
einem Phonographen in der anderen. Oft benutzten wir unseren Phonographen als Trittstein und schleppten uns dann erschöpft mit unseren Koffern durch den Sumpf. ... In vielen Gegenden folgten uns ganze Scharen spottender Jungen, während wir von Haus zu Haus gingen, um die Vorträge vorzuspielen. Einer dieser früher spottenden Burschen wurde ein Aufseher in Lumsden. Seine betagten Eltern sowie seine Frau und seine Familie sind Zeugen Jehovas. Zwei seiner Kinder stehen im Vollzeitdienst.“Was hatten Schwester Edith Mason und ihre Gefährtin, Schwester Whitmore, in der Zwischenzeit getan? Im Jahre 1918 nutzte die Geistlichkeit der Christenheit die Kriegshysterie aus, um sich, wie sie dachte, dieser lästigen Bibelforscher ein für allemal zu entledigen. Wir erhalten eine gewisse Vorstellung davon, welcher lächerlichen Methoden sie sich bediente, wenn wir die Berichte dieser harmlosen Missionarinnen lesen: „Neufundland war der letzte Punkt des nordamerikanischen Kontinents, und von hier aus bediente Marconis Transatlantik-Sender die Alliierten im Atlantik und in Übersee. Dann versuchte jemand, den Funker zu erschießen. Einige Monate lang waren wir schon als Spione bezeichnet worden. Schwester Whitmore und ich wurden oft beschuldigt, deutsche Geheimagenten zu sein und Waffen unter unseren Kleidern zu tragen. Die Leute waren argwöhnisch und voller Furcht. Dann, am 1. September 1918, wurden wir als Verdächtige im Fall Marconi abgeschoben.“ Natürlich waren die Schwestern völlig unschuldig.
In den Jahren 1919 bis 1923 wuchsen die Versammlungen langsam weiter: Es gab eine kleine Gruppe in Port Union, 5 Personen in St. John’s und die Gruppe in Lumsden. In dem zuletzt genannten Gebiet war es schon so weit gekommen, daß sich die Geistlichkeit dort nicht mehr sehen ließ; ihre Herden waren ohne Hirten. Im Jahre 1924 kehrte die ausdauernde Schwester Mason nach St. John’s zurück, diesmal entschlossen, die ganze Insel mit Hilfe der Eisenbahn, „Newfie Bullet“ genannt, oder mit Hilfe der Boote, die regelmäßig zu den Außenhäfen fuhren, durchzuarbeiten.
Darüber erzählt sie selbst: „Im Sommer 1924 und bis in das Jahr 1925 hinein reiste ich ziemlich viel durchs Land. Manchmal fuhr ich mit den Postbooten der Regierung, der Susa, der Prospect, der Clyde oder der Portia. Jedesmal wurde ich schrecklich seekrank. Andere Male fuhr ich mit einem Schoner von Hafen zu Hafen. Man setzte mich zu jeder Nachtzeit an einem trostlosen Kai ab, und nur ein einsames Nebelhorn leistete mir Gesellschaft. Ich transportierte meine Bücher in Mehl- und Zuckerfässern, und daher verbrachte ich oft die Nacht damit, sie neu zu verpacken und neu zu sortieren, damit ich die Bucht durcharbeiten und dann zur nächsten weiterfahren konnte. ... Oftmals mußte ich schon morgens früh um 4 Uhr aufstehen, um jemand zu finden, der mich mit dem Boot mitnahm.“
Zusammen mit einer anderen Partnerin, diesmal Schwester Ann Dowden aus Halifax, arbeitete Schwester Mason den Sommer und den Winter des Jahres 1926 hindurch, fuhr die Küste von Neufundland ab und predigte bei jeder Gelegenheit das Königreich. Dann, im Jahre 1926, verließ sie die Insel für immer. Viele Jahre später, als sie an grünem Star erblindet war, erzählte sie: „Man hat mich gefragt, warum es mir dort so gut gefiel. Ich weiß es eigentlich selbst nicht recht. Ich nehme an, der Grund ist, daß ich die Freude der Menschen sah, deren geistige Augen für die Wahrheit geöffnet wurden. ... Ich spürte immer, daß Jehovas Segen auf meiner Arbeit ruhte, und ich bin wirklich glücklich, daß ich einen Anteil an der Rechtfertigung seines teuren Namens haben durfte.“ Viel von dem „Samen“, den sie gesät hat, ist aufgegangen, und zum Ruhme Jehovas sind gesunde Pflanzen herangewachsen.
EIN EINHEIMISCHER SOHN KEHRT ZURÜCK
Man schrieb den 29. August 1929. Der Ort? Ein kleines Fischerdorf an der äußersten Ostspitze der Halbinsel Avalon, unmittelbar am stürmischen Atlantik. Einer der einheimischen Söhne aus Bay de Verde, Jack Keats, war gerade in seinen Heimatort zurückgekehrt, nachdem er einige Zeit auf dem „Festland“ gelebt hatte. Zur Verwunderung seiner Familie und seiner Freunde fing er an, ihnen zu predigen — Glaubenslehren, die den Ohren der konservativen Einwohner ganz fremd klangen.
Glücklicherweise hörte Jack Keats’ Familie auf das, was er zu sagen hatte, und nahm es dankbar an. Dann gab er seinem Vetter William Zeugnis, besser bekannt als „Billy Jim“ Keats, einem eifrigen Kirchgänger, der aktives Mitglied der Orangeloge, Chorsänger und ein hochgeachteter Familienvater war. Billy Jim hörte aufmerksam zu, aber nahm nicht gleich alles an. Er wollte Beweise, und die erhielt er. Die Höllenfeuerlehre seiner Kirche war eines der Hauptgesprächsthemen. Nicht, daß er wirklich an einen Ort ewiger Qual glauben wollte. Aber wenn diese Lehre falsch war, was war dann mit seiner Kirche? Wo stand sie? Die Unterhaltungen halfen ihm, den wahren Sachverhalt zu erkennen. Während der geschäftigen Fischereizeit im Jahre 1930 ging Billy Jim nicht regelmäßig zur Kirche. Er nahm sich die Zeit, um sich auszuruhen. Aber der wahre Grund war, daß in seinem Sinn Änderungen vor sich gingen. Der Same der Wahrheit war auf vortrefflichen Boden gefallen (Mark. 4:8, 20). Kurz danach brach Billy Jim alle Verbindungen zu Babylon der Großen ab.
Unterdessen wurde Jack Keats’ Bruder Isaac, der bereitwillig die Königreichslehren angenommen hatte, schwer krank. Vor seinem Tod erklärte er nachdrücklich, kein Geistlicher solle seine Beerdigungsansprache halten und er wolle nicht auf dem anglikanischen Friedhof beerdigt werden. Die Familie wählte zu diesem Zweck ein kleines Landstück
oberhalb des Dorfes aus. Diese Entscheidung erregte den Zorn der Geistlichkeit und ihrer Anhänger. Das war ja noch nicht einmal „geweihter Boden“! Der Pfarrer weigerte sich glattweg, einen Totenschein auszustellen. Trotz allem hielt Bruder Earle aus St. John’s die Beerdigungsansprache, und der Leichnam wurde auf dem „ungeweihten“ Landstück beigesetzt.Der Geistliche beschwerte sich wegen der Grabstätte auf dem offenen Feld beim Gesundheitsamt unter dem Vorwand, er sei um das Wohl der Gemeinde besorgt. Ein Polizist und ein Friedensrichter sprachen bei der Familie vor, um die Sache zu untersuchen, aber man gab ihnen Zeugnis, und es wurde ihnen versichert, daß alles in Ordnung sei. Schon vorher hatte der Geistliche veranlaßt, daß die Kinder aller Zeugen Jehovas und aller anderen, die bei der Beerdigung auf dem „ungeweihten“ Boden geholfen hatten, aus den Schulen, von denen die meisten Konfessionsschulen waren, ausgeschlossen werden sollten. Nur die Kinder der Eltern, die sich bei ihm entschuldigen würden, sollten die Erlaubnis erhalten, die Schule wieder zu besuchen und am Unterricht teilzunehmen. Die Brüder trugen den Fall dem Schulamt in St. John’s vor, und der Geistliche wurde angewiesen, alle Kinder wieder zur Schule gehen zu lassen, und das, ohne daß sich die Eltern entschuldigen mußten. Die Kinder der Zeugen wurden von ihren Klassenkameraden ignoriert und verspottet, und der Lehrer kümmerte sich so wenig um sie, wie es das Gesetz zuließ, aber der Pfarrer war aus seiner Position als unangefochtener Herr der Gemeinde gestürzt worden.
Jack Keats zog bald weiter landeinwärts, um die gute Botschaft in vielen anderen Teilen Neufundlands zu predigen. Manchmal reiste er mit Pony und Wagen, manchmal mit dem Zug und andere Male mit dem Fischerboot. Um weiter als „Menschenfischer“ tätig sein zu können, kehrte er von Zeit zu Zeit zurück, um Fische zu fangen (Matth. 4:19). Im Jahre 1939 wurde er schwer krank und mußte praktisch 2 Jahre in einem Sanatorium in St. John’s zubringen, doch danach kehrte er nach Deer Lake zurück, wo er sich niederließ.
Jacks Vetter Billy Jim machte später dort weiter, wo Jack aufgehört hatte, in der Gegend von Bay de Verde. Zusammen mit seiner Frau reiste er mit einem Einspänner umher, spielte für jeden, der zuhörte, Bibelpredigten auf seinem Phonographen ab, und die meisten Leute hörten in jener Zeit tatsächlich zu. Es gab keine Hotels und Restaurants. Aber die Menschen waren gastfreundlich, und wenn es Essenszeit war, nahmen die Verkündiger die großzügige Einladung an, mit dem Wohnungsinhaber zusammen das Essen zu teilen. Am Ende eines langen Tages im Predigtdienst, wenn die Dunkelheit die See tiefschwarz färbte und die Öllampen in den Fenstern der einfachen Häuser zu flackern begannen, nahmen sie das freundliche Angebot an: „Bringen Sie Ihr Pferd in den Stall, und bleiben Sie ein bißchen bei uns.“ Während das Pferd dann für die Nacht mit Stroh versorgt
wurde, unterhielten sich Billy Jim und seine Frau mit ihren Gastgebern bis in die frühen Morgenstunden, und dann legten sie sich ein wenig nieder, bevor sie wieder ans Tagewerk gingen.Außer Billy Jim und seiner Frau wuchsen auch noch andere geistig. Woher wissen wir das? Nun, als an einem Sommertag im Jahre 1939 ein Bruder aus St. John’s eintraf, um eine Taufe durchzuführen, fanden sich 6 aufgeregte Taufbewerber ein. Sie gingen zusammen über die zerklüfteten Hügel zu einem 5 Kilometer entfernten Teich, und dort ließen sie sich als Zeichen ihrer Hingabe an Gott taufen. Darauf folgten viele Jahre des Ausharrens im Königreichswerk angesichts der Gleichgültigkeit und Apathie der Bevölkerung von Bay de Verde. Im Jahre 1965 wurden 2 Sonderpioniere dorthin geschickt, um der Versammlung zu helfen, und so wurden die Verkündiger geschult, und die Zusammenkünfte liefen jetzt nach einem festen Programm ab, das jedem einzelnen half, seinen Predigtdienst zu verbessern. Im Jahre 1971 stellte die Versammlung einen schönen Königreichssaal fertig.
DIE GUTE BOTSCHAFT PER SCHIFF PREDIGEN
Dennoch war das verfügbare Gebiet von Neufundland kaum berührt worden. Auf dem etwas mehr als 100 000 Quadratkilometer großen Gebiet gab es nur 5 Gemeinden mit einer Bevölkerung von über 5 000. Selbst in der Hauptstadt St. John’s gab es gegen Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr als 55 000 Einwohner. Das bedeutete, daß der größte Teil der Bevölkerung in Hunderten von kleinen Dörfern und Siedlungen entlang der 9 500 Kilometer langen Küste wohnte. Die Zeugen erkannten, daß man diese Menschen am besten über die See erreichen konnte.
Im Laufe der Jahre stellte die Watch Tower Society Geldmittel für den Kauf von 4 verschiedenen Booten zur Verfügung, die für dieses Werk gebraucht werden sollten. Das erste dieser Boote, die „Morton“, war ein schnittiges Küstenmotorschiff, das vom Kai aus einen schönen Anblick bot. F. J. Franske, dem die Gesellschaft die Verantwortung für das Boot übertrug, erzählt eine Erfahrung, die er zusammen mit einem anderen Bruder machte:
„Anfang Mai 1929 wurden Jimmy James und ich von Kanada aus nach Neufundland geschickt, um das Küstenmotorschiff der Gesellschaft, die ,Morton‘, zu übernehmen. ... Die Neufundländer sind ein herzliches und freundliches Volk, und ihre Gastfreundschaft ist eine hervorragende Eigenschaft. Selbst wenn sie uns nicht zustimmten, hörten sie uns aufmerksam zu und behandelten uns höflich. Etwas, was uns zuerst verblüffte, war ihre Gewohnheit, die Tür nicht zu öffnen, wenn wir klopften. Manchmal saßen sie am Fenster und beobachteten uns, während wir an ihrer Tür standen, aber sie selbst kamen nicht an die Tür. ... Es schien, daß die Leute aufgrund ihrer Isolation so untereinander verschwägert waren, daß keiner als Fremder angesehen wurde,
und jeder konnte im Haus eines anderen einfach ein und aus gehen, als gehöre er zur Familie. ... Anscheinend hatte jede Familie die traurige Erfahrung gemacht, daß einer ihrer Angehörigen zur See gefahren und nicht wieder zurückgekehrt war. Wir sprachen mit vielen dieser Hinterbliebenen und trösteten sie mit der klaren Wahrheit aus Gottes heiligem Wort, der Bibel.“Die Wirtschaftskrise traf Neufundland schwer. Viele waren mittellos. Die Altersrente betrug nur 50 Dollar im Jahr. Neunzig Prozent der Bevölkerung arbeiteten im Fischereigewerbe — eine harte Arbeit mit sehr geringem Einkommen. Ein Zentner Fisch brachte nur 5.50 Dollar oder noch weniger ein. Mühsale waren so sicher zu erwarten wie der Tod und die Steuern. Die Menschen boten als Bezahlung für biblische Schriften selbstgenähte Kleider, Fausthandschuhe, Socken, Pullover, Lederwaren aus Robbenfell, Felle, Schmuckstücke aus Fischbein und aus Elfenbein sowie getrockneten Fisch an. Natürlich war das Erscheinen der „Morton“ in so manch einer Bucht unerwünscht, besonders bei den Geistlichen. Diese brachten die Zeugen in Verruf, bezeichneten sie als falsche Propheten und verboten ihren Gemeindemitgliedern, Wachtturm-Schriften zu lesen oder gar die Zeugen in ihr Haus aufzunehmen. Diese Erlebnisse werden wieder lebendig, wenn wir im Tagebuch von Bruder Franske lesen:
„Wir versuchten erfolglos, Presque, Bonah, St. Kyrans und Paradise zu bearbeiten. Alle waren vom ,Vater‘ [vom Geistlichen] gewarnt worden, der keine Unruhe unter seinen Schäfchen haben wollte. Unser Besuch in Flat Islands glich das alles wieder aus. Die Einfahrt in den Hafen ist sehr felsig, und ein Fischer kam uns in einem Dory [ein in dieser Gegend übliches Ruderboot] entgegen und lotste uns in den Hafen. Männer und Frauen kamen in Scharen an Bord der ,Morton‘. ... Wir hatten noch nie eine solche Aufnahme gefunden. Wir spielten ihnen etwas Musik vor und hielten einen Vortrag. Sie blieben bis Mitternacht. Diese Menschen hungerten nach der Wahrheit. Am nächsten Tag überschütteten sie uns mit Blumen. ... Obwohl sie arm waren, gaben wir viele Bücher ab, und wir beantworteten viele biblische Fragen.“
In der nächsten Saison, im Jahre 1930, fuhr die „Morton“ wieder aus, und diesmal hatte Bruder Franske einen neuen Partner, Philip Parsons, einen Fischer aus Rose Blanche, der sich mit Schiffen gut auskannte und auch unter schwierigen Bedingungen steuern konnte. Es war nur gut so, denn wir sollten diesmal in Richtung Norden reisen und alle Inseln und die Küste in der Gegend von Notre Dame und White Bay bearbeiten. Im Juni kann eine solche Reise ein aufregendes Erlebnis sein. Die Eisschollen treiben dann mit voller Kraft. Eisberge glitzern in der Sonne wie riesige Schlösser. Es gibt sie in allen möglichen Formen und Größen. Einige sehen aus wie quadratische Blöcke, andere wie Kathedralen mit hohen Turmspitzen. Dann gibt es auch
scheinbar endlose Felder von gebrochenem Treibeis, das für die Schiffahrt sehr gefährlich ist. Um nicht zermalmt zu werden, mußte die Mannschaft der „Morton“ ständig mit langen Stangen größere Eisblöcke fernhalten. Die Gefahren der Reise wurden aber durch die Freude am Predigen der Botschaft reichlich wiedergutgemacht. Die Menschen hatten die Botschaft nie zuvor gehört. Es konnten Tausende von Schriften abgegeben werden.DAS WACHSTUM HÄLT AN
Die Gruppe in St. John’s wuchs zahlenmäßig und wurde oft von reisenden Beauftragten der Gesellschaft besucht. Zum Beispiel kam M. A. Howlett im Jahre 1927 herüber. Später war Bruder Cutforth hier. Die Radioprogramme der Gesellschaft waren regelmäßig über eine Radiostation in Neuschottland zu hören. Es war jedoch kein richtiger Mut vorhanden, die Königreichsbotschaft zu verkündigen. Es schien, daß irgend etwas in der Versammlung den Fluß des Geistes Jehovas behinderte. Als im Jahre 1931 der Name „Jehovas Zeugen“ angenommen wurde, wurde eine Spaltung offenbar. Einige bevorzugten die harmlose Bezeichnung „Bibelforscher“. Es gelang ihnen, den größeren Teil der Versammlung zu beeinflussen, und nur ein paar standen fest und treu für das weltweite Werk der Watch Tower Society ein. Durch die Wachtturm-Ausgaben vom 15. August und 1. September 1932 (engl.) mit ihren Artikeln über „Jehovas Organisation“ wurden die übrigen Schwachen veranlaßt fortzugehen. Danach erlangten einige der früheren „Wahlältesten“ der Versammlung und einige ihrer Anhänger in der Bürgerschaft Prominenz, und einige fanden sogar die Gunst der Geistlichkeit. Die wenigen Treuen hatten nun den Vorteil, daß sie jetzt nicht mehr dem Einfluß der Furchtsamen und Halbherzigen ausgesetzt waren.
Wenden wir uns nun der zweitgrößten Gemeinde Neufundlands zu: Corner Brook an der Westküste. Schwester Mason war hier im Jahre 1923 gewesen, aber danach waren keine wirklichen Anstrengungen unternommen worden, um nach schafähnlichen Menschen zu suchen. Dann, im Jahre 1933, arbeitete Earl Senior, ein Gott hingegebener neufundländischer Bruder, beim Straßenbauamt, und im Rahmen seiner Arbeit kam er nach Corner Brook. Während seines Aufenthaltes dort begann er die Broschüre Wo sind die Toten? zu verbreiten. In einer kleinen Holzverarbeitungswerkstatt, in der Alfred Johnson und Reuben Barnes zusammen arbeiteten, fand er hörende Ohren. Diese Broschüre genügte, um ihnen die Augen zu öffnen.
Bald war eine neue Studiengruppe gegründet, und später, als Lloyd Stewart vom kanadischen Zweigbüro der Gesellschaft dorthin gesandt wurde, organisierte er eine kleine Versammlung, deren Kern die Familien Barnes und Johnson bildeten. Die kleine Reta Johnson und der junge Gus Barnes waren bei jenen ersten Zusammenkünften anwesend.
Später wurden beide Missionare der Gileadschule, und sie hatten einen guten Anteil an der Entwicklung des Königreichswerkes auf Neufundland.Jack Keats schloß sich später den Familien Barnes und Johnson in Corner Brook an, und ein lebhafter Feldzug der Verkündigung der guten Botschaft vom Königreich begann. Sie ließen sich keine Gelegenheit zum Predigen entgehen. In Holzfällerlagern, in Fischerdörfern, bei Holzflößern, nachts in der Eisenbahn — überall wurden die Schallplattenpredigten vorgespielt und wurde über die Wahrheit der Bibel gesprochen. Das von der Geistlichkeit beherrschte Corner Brook befand sich in einem wahren Aufruhr!
Wieder kam die Streitfrage auf, ob man jemand auf ungeweihtem Grund beerdigen könnte. Wieder war die Dorfbevölkerung und die Geistlichkeit schockiert, als die Brüder ihre Verstorbenen auf ihrem eigenen „ungeweihten“ Land beisetzten. In der heutigen Zeit, in der religiöse Führer und ihre Bräuche nicht mehr so ernst genommen werden, kann man die volle Bedeutung dieser Vorfälle vielleicht nicht richtig erfassen; aber in jenen Tagen war das Wort des Geistlichen Gesetz, und jedes Abweichen von den kirchlichen Traditionen war Frevel.
EINZUG IN DIE HAUPTSTADT
Während sich diese Ereignisse in Corner Brook abspielten, schickte das Zweigbüro der Gesellschaft in Kanada ein sehr ergebenes Ehepaar nach St. John’s, damit es sich der Interessen des Königreiches auf Neufundland annehme. Es waren Ray und Betty Gillespie. Ein Literaturdepot wurde gebaut, und ein Lautsprecherwagen wurde in dieser Gegend eingesetzt, so daß überall große Menschenmengen die kräftige Stimme von J. F. Rutherford, dem damaligen Präsidenten der Watch Tower Society, hören konnten. Aus dieser aufregenden Zeit, in der die wütende Geistlichkeit zur Gewalttätigkeit gegen die Zeugen aufhetzte, wird ein interessanter Vorfall erzählt:
„Als Bruder Gillespie einmal auf Bell Island eine Schallplatte in seinem Lautsprecherwagen abspielen ließ, fing eine Menschenmenge an, ihn mit Steinen zu bewerfen. Ein Junge wurde aufgehetzt, ebenfalls Steine zu werfen. Sein Stein traf den Apparat so, daß er stehenblieb. An jenem Abend ging der Junge traurig und niedergeschlagen nach Hause. Diese Sache ging ihm noch lange nach. Eines Tages, viele Jahre später, sprach ein Pionier bei diesem Jungen vor, der nun ein erwachsener Mann geworden war, und richtete bei ihm ein Bibelstudium ein. Nach dem Studium wollte er sich erleichtern und gestand, was so viele Jahre sein Gewissen bedrückt hatte. Er erzählte von seiner Schuld und seinem Kummer und bat um Vergebung. Dieser Mann wurde später ein Zeuge.“
Die 1930er Jahre waren für Jehovas Diener auf Neufundland eine schwere Zeit, besonders für diejenigen in St. John’s, wo sich die Gemüter
oft erhitzten, wo Sprechchöre auftraten und wo die Brüder nicht selten mit Steinen beworfen und zum Kampf herausgefordert wurden. In diese Atmosphäre kamen Bruder Ernest Ellis und seine Frau, die schon in den Vereinigten Staaten Pöbelgewalttaten erlebt hatten. Sie hatten mancherlei Prüfungen zu bestehen. Zum Beispiel arbeitete Bruder Ellis eines Morgens am Ostende der Stadt, und plötzlich griffen ihn einige von Priestern aufgehetzte Frauen zusammen mit ihren Familien an und zerrissen seine Bibeln und seine Bücher. Ernest behauptete seine Stellung und rührte sich nicht vom Fleck, bis er die Polizei holen konnte. Er brachte den Vorfall vor Gericht, und ein fairer Richter verhängte zur großen Überraschung der Bürger empfindliche Strafen über die Angreifer. Bruder Ellis kehrte darauf immer wieder furchtlos in das gleiche Gebiet zurück, um die Botschaft des Friedens und Trostes auszurichten.In St. John’s hatte Ernest einen Nachbarn, der ein Verbindungsmann für die Männer war, die von dem Außenhafen Princeton in St. John’s eintrafen. Nachdem diese Männer Ernest besucht hatten, kehrten sie als Zeugen Jehovas nach Princeton zurück. Das Interesse, das in jenem Teil Neufundlands geweckt worden war, war sehr stark. Später gingen aus dieser Gegend mehrere Missionare, Absolventen der Gileadschule, hervor.
Bruder Ellis bemühte sich auch um die gesetzliche Anerkennung des Werkes und gründete die International Bible Students Association of Newfoundland Limited. Das war Anfang 1940.
Inzwischen hatten die Behörden genug von Ernest Ellis. Man unternahm Schritte, um ihn als einen Ausländer, der eine ausländische Religion predigte, des Landes zu verweisen. Aber Ernest rüttelte die Brüder auf, und plötzlich wurden die Behörden mit einer starken Delegation einheimischer Neufundländer konfrontiert, die sich erfolgreich durchsetzen konnten, so daß Ernest blieb. Zu diesem Ausgang trug wesentlich eine Petition bei, die eine erstaunliche Anzahl von Unterschriften trug. Sogar einige „Feinde“ unterschrieben die Petition, weil sie den Kampfgeist dieses kleinen Mannes bewunderten. Als später der Zweite Weltkrieg drohte und es schien, daß ein weiterer Versuch, ihn auszuweisen, Erfolg haben würde, berief ihn die Watch Tower Society in die Vereinigten Staaten zurück. Den Gegnern wurde somit nie die Genugtuung zuteil, ihn aus dem Land zu verjagen, wie sie es geplant hatten.
1939 brach der Zweite Weltkrieg aus. Wegen der strengen Zensur war es fast unmöglich, den Wachtturm durch die Post zu erhalten. Jedoch interessierte sich ein amerikanischer Soldat, der in Fort Pepperrell am Stadtrand von St. John’s stationiert war, für die Wahrheit und abonnierte die Zeitschrift. Seine Post kam ohne Schwierigkeiten durch, und so konnten die Brüder schließlich mit seinem Exemplar rechnen. Sie kauften ein Vervielfältigungsgerät, und auf diese Weise konnten
sie die 100 Abonnenten auf Neufundland mit Zeitschriften versorgen. Aber die Schwierigkeiten nahmen weiter zu. Alle eifrigen Kämpfer für die Gerechtigkeit, die keine Einheimischen waren, wurden gezwungen, die Insel zu verlassen, wenn sie nicht gleich des Landes verwiesen wurden. Was sollte nun geschehen?In Corner Brook war inzwischen der Junge Gus Barnes herangewachsen. Sein Vater Reuben war immer freundlich, trat fest für die Wahrheit ein und verbreitete eifrig die gute Botschaft. Oft sprach er mit Gus über die großen Streitfragen und über die Notwendigkeit, alle Brüder und Interessierten auf Neufundland eng zusammenzubringen und die Organisation auf das ganze Land auszudehnen. „Ich wollte, ich wäre noch jung und könnte dieses Werk tun“, sagte er immer.
Daher war es für den alten Reuben ein glücklicher Tag, als ihm sein Sohn mitteilte, er habe sich entschlossen, den Rest seines Lebens im Pionierdienst zu verbringen. Gus sparte in jenem Winter genügend Geld, um sich eine Fahrkarte nach St. John’s zu kaufen und sich einige Ausrüstungsgegenstände zu besorgen. Er teilte seine Pläne einem anderen jungen Mann in Pasadena (Neufundland) mit, und dieser beschloß, ihn zu begleiten. Und so trafen Gus Barnes und Herbert Dawe im Frühjahr 1940 in der Hauptstadt ein. Gus hatte nur 5.27 Dollar in der Tasche, aber in den nächsten 10 Jahren hatte er trotz vieler Probleme und Schwierigkeiten nie weniger.
IN SCHWIERIGEN ZEITEN
Am Literaturdepot trafen Bruder Barnes und Bruder Dawe Dougal McCrae, einen kanadischen Pionier, der gerade ausgewiesen werden sollte. Er sagte ihnen, die Regierung sei im Begriff, sämtliche Schriften der Gesellschaft zu verbieten, und es bestehe daher Gefahr, daß die Schallplatten und Bücher im Depot beschlagnahmt würden.
Die Brüder schmiedeten einen Plan. Sie verluden den größten Teil der Bücher und Schallplatten auf Bruder Howells Schoner, der sie nach Lumsden bringen sollte. Ein anderer Teil wurde nach Princeton geschickt sowie an andere kleine Orte. Als die Behörden in dem Depot eine Razzia machen wollten, war es bereits zu spät — die Regale waren praktisch leer.
Unterdessen erkannten Bruder Barnes und Bruder Dawe, daß es während des Krieges am besten sei, die Königreichstätigkeit auf die entfernten Außenhäfen entlang der wilden Küste zu beschränken. „Ich war kein Seemann“, gab Gus Barnes zu, „denn ich hatte von den Gezeiten und den Stürmen, von den Seekarten und dem Kompaß, von den Brechern und den Gefahren der ewig stürmischen See keine blasse Ahnung.“
Es erforderte eine Menge Findigkeit und Entschlußkraft, das 9,50 m lange Motorboot der Gesellschaft neu auszurüsten, das sie mit hohen Erwartungen hinsichtlich der Zukunft „Königreichsboot Nr. 1“ nannten.
Die Brüder in Princeton waren ihnen eine große Hilfe. Dort schloß sich Bob Moss der Mannschaft an und half ihr, in ihrer Zuversicht hinsichtlich ihrer bevorstehenden Aufgabe gestärkt zu werden. Bruder Barnes erzählt: „Der erste Tag unseres Dienstes auf See war sehr rauh, und unser kleines Boot bohrte sich auf furchterregende Weise in die Wellen. In dem ersten Hafen, in dem wir anlegten, trafen wir eifrige Anhänger der anglikanischen Kirche. Das Ergebnis: Bald wurden wir mit Steinen beworfen und als deutsche Spione aus dem Hafen gejagt. Einer im Dorf teilte sogar der Polizei mit, wir hätten eine Schallplatte mit dem Titel ,Hitler kann nicht verlieren‘ abgespielt. Wir zogen uns taktvoll zurück und arbeiteten in einer ruhigeren Bucht, obwohl wir den ganzen Tag über hörten, daß die Polizei hinter uns her sei. Wenn wir an Land gingen, trennten wir uns, Bob und ich; er ging in die eine Richtung und ich in die andere, nachdem wir vereinbart hatten, daß wir uns später am Tag wieder treffen würden.Schließlich traf ich viele Stunden nach der vereinbarten Zeit wieder mit ihm zusammen. Als ich an einem einsamen Teil der Straße um eine Ecke bog, sah ich plötzlich, wie Bob einem großen Polizisten, der ihn an Länge weit überragte, eine Schallplatte vorspielte. Die Schallplatte war gerade an der Stelle, wo Bruder Rutherford all die aufzählte, die in Harmagedon auf der Seite des Teufels stehen würden. ,Auf der Seite des Teufels‘, dröhnte die kräftige Stimme, ,werden in Harmagedon die Heere und Flotten aller Nationen stehen, die Polizeimacht, die Polizeimacht, die Polizeimacht ...‘ An dieser Stelle hatte die Platte einen Sprung und wiederholte immer wieder die gleichen Worte. Bob wurde rot wie eine Tomate, und da ich das Schlimmste befürchtete, fragte ich mich schon, ob es nicht besser sei davonzulaufen. Doch plötzlich mußte der Polizist, der die Komik der Situation erkannte, laut lachen. Ja, er wurde später sogar einer unserer guten Freunde.“
Gus Barnes erzählt dann weiter: „Es war ein Tag mit starker Dünung, als sich eine nervöse, von der See verängstigte Mannschaft der gefährlichen Küste von Cat Harbour (jetzt Lumsden) näherte, das am Eingang der Dead Man’s Bay liegt. Kein Fremder könnte je in diese heimtückische Bucht eindringen. Wie erleichtert waren wir daher, nachdem wir dort draußen zwischen den Felsen umhergeirrt waren, als wir sahen, daß ein Fischerboot auf uns zusteuerte! Der herzliche stattliche Fischer, der uns willkommen hieß, war Elmore Howell, der uns später wie ein Vater werden sollte. Hier in Lumsden gaben uns die Freunde etwas zu essen, ermunterten uns, ersetzten abgenutzte Teile unserer Ausrüstung, rüsteten unser Boot mit Proviant aus und schickten uns dann zu den Buchten im Norden. Sie erzählten von Schwester Mason, von Bruder Macmillan sowie von den Brüdern Howell und Parsons, die seit 1915 in der Wahrheit waren.“
Als der Winter hereinbrach, war es unpraktisch, den Dienst mit dem Boot fortzusetzen. Die einzige andere Möglichkeit war, sich mit
einem Schlitten auf den Weg zu begeben, der mit dem Phonographen, mit Bibeln und Literatur beladen wurde. Gus Barnes erzählt, daß er manchmal 500 Bücher im Monat abgeben konnte. Es kam aber auch vor, daß sie als „Spione“ beschuldigt wurden. Bei mindestens einer Gelegenheit bedeutete das, daß er draußen schlafen mußte. Er lag dann zusammengerollt auf dem Schlitten und beobachtete das Nordlicht. In dieser einen Nacht, die Gus draußen verbrachte, wendete sich das Blatt, denn die Einwohner der Gemeinde bekamen nun großes Interesse und waren überzeugt davon, daß er kein „deutscher Spion“ war.Zu dieser Zeit hatten die Behörden begonnen, verschiedene Häuser von Zeugen zu durchsuchen, wo sie verbotene Literatur zu beschlagnahmen hofften. Aber die Literatur war gut versteckt, und wenige hatten Zugang dazu, und so war es möglich, daß Versammlungen und Pioniere ihren Vorrat von Zeit zu Zeit ergänzen und das Königreichswerk fortsetzen konnten. Wenn sie dann das erstemal in einer Gegend an den Türen vorsprachen, verwendeten sie nur die Bibel.
Im Jahre 1941 kehrten Gus Barnes und Bob Moss zu Beginn des Frühlings nach Princeton zurück, um dort einige Wochen zu verbringen und das Boot für weitere Fahrten im Sommer herzurichten. Das gab ihnen Gelegenheit, der Gruppe dort zu helfen, regelmäßig zum Wachtturm-Studium und zum wöchentlichen Buchstudium (man studierte das Buch Rettung) zusammenzukommen. „In jenem Frühling“, berichtet Gus, „unterhielt ich mich oft mit Ford und Bill Prince, zwei jungen Burschen, die außerordentliches Interesse für unsere Tätigkeit zeigten. Wir ahnten damals nicht, daß beide Jungen durch die Vorträge, die wir damals veranstalteten, den Anstoß erhielten, Pionier zu werden und später die Gileadschule zu absolvieren, um als Missionare ausgesandt zu werden.“
Die zweite Sommerreise des guten „Königreichsbootes Nr. 1“ war ein aufregendes Erlebnis, und das ist noch gelinde ausgedrückt. In Lumsden wurden Bruder Moss und Bruder Barnes getauft, die nun schon einige Jahre lang gepredigt hatten. Dann machten sie sich auf den Weg nach Lewisporte. Gus Barnes erzählt uns, was dort geschah: „Das Boot leckte, und so fuhren wir in eine kleine Bucht, einige Meilen von Lewisporte entfernt. Wir beschlossen, das Leck dort abzudichten, und daher schleppten wir unsere Literatur und unsere Vorräte in den Wald und deckten sie mit einer Zeltplane zu, um sie vor Regen zu schützen. Doch die Nachricht von unserer Anwesenheit verbreitete sich wie ein Lauffeuer: ,Ein fremdes Boot mit Lautsprechern auf dem Dach, vielleicht deutsche Spione!‘ Plötzlich sahen wir uns von einer Gruppe kanadischer Soldaten umringt. Sie nahmen uns ins Schlepptau und brachten uns nach Lewisporte, wo die ganze Stadt auf den Beinen war, um diese verzweifelten Gefangenen zu sehen. ... Ich verlangte den verantwortlichen Offizier zu sprechen. Als dies abgelehnt
wurde, erklärte ich dem Kapitän, in Anbetracht des Vertrages zwischen der kanadischen Armee und dem unabhängigen Staat Neufundland sei das Vorgehen seiner Männer eine Behinderung von Zivilpersonen und ein Übergriff auf die Zuständigkeit der Ortspolizei. Darauf verlangte ich, zur neufundländischen Polizei gebracht zu werden. Bald war die Polizei zufriedengestellt, und wir waren wieder unterwegs. Wir machten nur kurz halt, um unsere Literatur wieder aufzuladen, und fuhren dann zu der weiter nördlich gelegenen Halbinsel. Wir wurden später oft von der Polizei und von Zollbeamten besucht, aber viele von ihnen hatten noch nicht einmal eine Mitteilung über das Verbot erhalten, und daher ließen sie uns in Ruhe. Im Herbst trafen wir wieder in Corner Brook ein, nachdem wir einen aufregenden Sommer erlebt und Tausende von Schriften verbreitet hatten.“Gegen Ende des Jahres 1941 kehrten Gus Barnes und sein Gefährte nach St. John’s zurück, wohnten im Literaturdepot und bemühten sich, die Studiengruppe wiederaufzubauen, die sehr klein geworden war. Durch Materialismus und Furcht war bei vielen die Liebe erkaltet. Einige sagten sogar: „Vielleicht ist das Werk schon abgeschlossen.“ Bei einigen war zweifellos der Wunsch der Vater des Gedankens. Dann traf die Nachricht ein, daß Bruder Rutherford am 8. Januar 1942 gestorben war. Was nun?
KONTAKT MIT DEM HAUPTBÜRO IN BROOKLYN
Bruder Barnes erzählt uns, wie die Verkündiger die Antwort auf diese wichtige Frage erhielten: „Jehova kannte unsere Bedürfnisse, und fast wie durch ein Wunder gelangte der Wachtturm vom 1. Februar 1942 [engl.] in meine Hände. Er war genau das richtige zur richtigen Zeit. Der Artikel ,Schlußversammlung‘ zeigte, daß Jehova vorhatte, ein großes Werk des ,Fischens und Jagens‘ verrichten zu lassen. Die Brüder von Neufundland kannten sich im buchstäblichen Fischen und Jagen aus, und dieser Artikel bereitete sie auf das bevorstehende Werk vor. Die Brüder wußten, daß es noch viel zu tun gab, und sie waren dazu bereit, aber sie brauchten Hilfe und Anleitung von der Gesellschaft. Doch wie war das in Anbetracht der Zensur und anderer durch das Verbot entstandener Schwierigkeiten möglich?“
Ford Prince meldete sich als Freiwilliger. Bald wurde er auf einem Passagierdampfer als Matrose angeheuert. Er ließ sich nicht durch die Tatsache einschüchtern, daß viele Schiffe durch deutsche U-Boote versenkt wurden. Er kannte seinen Auftrag. Die Brüder auf Neufundland brauchten Hilfe in Form eines guten, seetüchtigen Schiffes, von Literatur und anderer Ausrüstung für die Förderung des Königreichswerkes. In Brooklyn erklärte er die Lage Milton Henschel, der im Büro des Präsidenten der Gesellschaft, N. H. Knorr, arbeitete, und es wurde ihm versichert, daß man sich aller Probleme sogleich annehmen werde.
Da Ford Pflichten an Bord des Schiffes hatte, konnte er nicht zum Mittagessen bleiben, aber er kehrte am nächsten Tag zurück. Und siehe da, es lag ein Paket mit Literatur und Schallplatten für ihn bereit. Das war nur die erste vieler wichtiger Reisen, die er unternehmen sollte, um kostbare Fracht für seine Brüder mit nach Hause zu nehmen. Durch einen Brief von Bruder Knorr erfuhr Gus Barnes, daß Geldmittel für den Kauf eines besseren Bootes bereitgestellt würden. Für nur 600 Dollar kaufte Bruder Barnes eine schöne 13 Meter lange Jacht. Es dauerte nicht lange, und ein neues Königreichsboot, das „Hope“ (Hoffnung) genannt wurde, wurde zur Ausbreitung der guten Botschaft eingesetzt.
Man hatte geplant, die Südküste von Port-aux-Basques an bis Placentia Bay zu bearbeiten. In Burgeo, einem Einreisehafen, kamen die Zollbeamten und die berittene Polizei an Bord der „Hope“. Sie waren von dem Verbot der Literatur unterrichtet und wollten etwas unternehmen, aber sie zögerten und beschlossen, erst einmal Anweisungen aus St. John’s abzuwarten. Einer von der Mannschaft der „Hope“ erzählt:
„Als in der Nacht der Nebel kam und die Küste in Finsternis eingehüllt war, entschlossen wir uns, es zu riskieren: all unsere Literatur, die Schallplatten und Ausrüstungsgegenstände mit unserem kleinen Dory fortzuschaffen und alles in einer einsamen Bucht zu verstecken. Man hatte keinen Wachtposten aufgestellt. Dann geschah etwas Wunderbares! Um Mitternacht hörten wir das Horn des Küstendampfers, der im Begriff war, wegen des Nebels draußen vor dem Hafen vor Anker zu gehen. Wir holten schnell unseren Kompaß und unsere Karten und ruderten durch den Nebel, bis wir die Positionslampen des Dampfers erblickten. Wir kletterten die Strickleiter hinauf und gingen an Deck. Es gelang uns, den Zahlmeister aufzustöbern, und wir erzählten ihm, wir hätten etwas zu verschiffen. Er war bereit, die Sendung anzunehmen, und in Null Komma nichts hatten wir unser Dory leer, und unsere gesamte theokratische Ausrüstung wurde 110 Kilometer weit die Küste entlang verfrachtet. Wie wir erwartet hatten, tauchten am nächsten Morgen die Beamten auf, um alles, was wir hatten, mitzunehmen. Sie fanden nichts. Sie wollten uns zwar für unbestimmte Zeit im Hafen festhalten, aber wir protestierten bei der Regierung, und sie wurden angewiesen, uns freizulassen.
Einige Wochen später trafen wir in dem Hafen ein, zu dem wir unsere Literatur mehr oder weniger blindlings gesandt hatten. Der dort ansässige Kaufherr hatte aus Neugier einen der Kartons geöffnet und las gerade mit großer Begeisterung das Buch Feinde, als wir eintrafen. Ja, er stellte uns sogar einen Raum zur Verfügung, wo wir die Literatur einpacken und an all die Interessierten versenden konnten, deren Namen und Anschrift wir notiert hatten. Als derselbe Küstendampfer wieder zurückfuhr, hatte er Hunderte kleiner Päckchen mit Büchern
und Broschüren geladen, die an Personen in den verschiedensten Orten bis Burgeo hinauf adressiert waren.“Dann kam der Herbst mit heftigen Stürmen und peitschender See. Die „Hope“ befand sich an der Küste der Halbinsel Burin, einer der südlichen Spitzen Neufundlands. Auf dem Weg nach Epworth ereignete sich ein Vorfall, der wesentlich dazu beitrug, unseren Ruf, „Spione“ und „Schmuggler“ zu sein, der der „Hope“ wie Kletten anhing, auszumerzen. Gus Barnes schrieb in sein Logbuch: „Wir fuhren auf stürmischer See an einer trostlosen Küste vorbei, als wir plötzlich Schüsse von jemandem hörten, der in Not geraten war. Wir manövrierten zu der Stelle hin und konnten schließlich das treibende Boot ausmachen, das 13 Personen, meist Frauen und Kinder, an Bord hatte. Sie waren vom Land abgetrieben worden, und es bestand große Gefahr, daß sie in den eisigen Ozean hinausgeschwemmt wurden. Sie hatten schon viele Stunden nach Hilfe geschrien. Es gelang uns, sie wieder zu beleben, indem wir ihnen etwas Heißes zu trinken gaben, und dann nahmen wir sie ins Schlepptau und brachten sie in ihren Heimathafen nach Corbin. Hier ist die ganze Stadt katholisch, aber diese Leute waren jetzt unsere Freunde, und wir konnten mit ihnen über die Königreichsbotschaft sprechen.“
FREIHEIT ERMÖGLICHT AUSDEHNUNG
Das Verbot der Einfuhr und der Verbreitung von Wachtturm-Schriften wurde im März 1945 aufgehoben. Jetzt war die Zeit für eine große Ausdehnung der Königreichsinteressen auf Neufundland gekommen. Im Hauptbüro in Brooklyn wurde eine Sendung von 75 000 Schriften bestellt. Außerdem wurde im früheren Literaturdepot ein Zweigbüro eingerichtet, und Absolventen der Wachtturm-Bibelschule Gilead wurden in die größeren Städte gesandt, und Kreis- und Bezirksaufseher wurden eingesetzt, um die Versammlungen zu besuchen und erbauende halbjährliche Kongresse zu organisieren. Auf diese Weise wuchs die Organisation enger zusammen.
Bald waren die Räumlichkeiten des Zweigbüros zu klein geworden, und so wurden am 6. Juni 1946 in St. John’s, Pennywell Road 239 größere Räumlichkeiten gemietet. Charles Clemons, einer der neu eingetroffenen Missionare, wurde als Zweigaufseher eingesetzt. Es war vorgesehen, daß sich die Missionare auf die beiden größten Gemeinden, St. John’s und Corner Brook, konzentrierten. Die „Hope“ trug die Königreichsbotschaft weiterhin zu den abgelegenen Küstendörfern. Aber im Laufe der Jahre wurde die Insel von Straßen durchzogen. Andere Erleichterungen folgten, und dadurch verlor das Boot als Überbringer der Botschaft an Bedeutung. Praktisch alle Siedlungen, mit Ausnahme an der Südküste und an den Küsten von Labrador, konnten bald auf dem Landweg erreicht werden.
Doch damals, in den 1940er Jahren, erlebten die Kreisaufseher immer noch Schwierigkeiten auf ihren Reisen. George Stover erzählt zum
Beispiel von einer gefährlichen Reise: „Die Rückreise war nicht einfach. Im Land herrschte tiefer Winter, und während ich die 53 Kilometer weite Strecke zu Fuß ging, fiel die Temperatur auf −29 °C. Die erste Nacht verbrachte ich bei einigen Männern in einem Holzfällerlager, und ich nahm die Gelegenheit wahr, mit ihnen zu sprechen. Am nächsten Tag trat ich den letzten Teil meiner Reise an. Zunächst mußte ich einen zugefrorenen See überqueren. Doch bevor ich das andere Ufer erreichte, kam ein Sturm auf und verwehte den Pfad, so daß ich nicht mehr sehen konnte, wohin ich ging. Ich stellte meine Aktentasche in den Schnee, setzte mich darauf und begann um Hilfe zu beten. Mit erneuter Zuversicht hob ich dann meine Tasche auf, und nach ein paar Schritten sah ich plötzlich frische Spuren im Schnee, die aus einer anderen Richtung kamen. Meine einzige Hoffnung war, daß diese Spur mich in die richtige Richtung führen würde. Langsam wurde es dunkel. Bald würde ich die Spur nicht mehr sehen können. Doch als ich dann aufblickte und nach vorn sah, erblickte ich zu meiner Freude die Lichter der Stadt. Wie dankbar war ich doch Jehova für seine Fürsorge und seinen Schutz!“Im Jahre 1946 wurden Gus Barnes und Ford Prince eingeladen, die erste internationale Klasse der Missionarschule Gilead zu besuchen. Beide kehrten später nach Neufundland zurück. Bruder Barnes sollte im Kreisdienst tätig bleiben und Bruder Prince die Einsätze der „Hope“ beaufsichtigen. Das Boot hatte noch viel im Dienst des Königreiches zu tun, bevor es im Dezember 1955 aus dem Dienst gezogen wurde. Eine große Zahl abgelegen wohnender Menschen ist im Laufe der Jahre mit seiner Hilfe erreicht worden, und viele von ihnen sind selbst aktive Königreichsverkündiger geworden und haben sich mit einer der vielen Versammlungen verbunden, die inzwischen gegründet worden sind.
Das Dienstjahr 1946/47 war für die Brüder auf Neufundland ein hervorragendes Jahr. Acht Pioniere und 38 Verkündiger gaben insgesamt 25 000 Schriften ab. Aber den Höhepunkt des Jahres 1947 bildete der Kongreß im Sommer, als Bruder Knorr und Bruder Henschel als besonders herzlich willkommene Besucher kamen. Das war das erstemal, daß ein Präsident der Watch Tower Society die Insel besuchte. „Der bleibende Herrscher aller Nationen“ war das Thema des weithin angekündigten Vortrages, den er bei dieser Gelegenheit hielt. Bruder Knorr selbst hatte die Freude, sich an der Bekanntmachung zu beteiligen, als er an Bord der „Hope“ ging und mit Hilfe ihrer Lautsprecheranlage seinen eigenen Vortrag überall im Hafen von St. John’s ankündigte.
Charles und Eva Barney, unter Neufundländern besser als Barney und Eva bekannt, wurden als Missionare nach Corner Brook zugeteilt — ein weit verstreutes Gebiet. Bei ihrer Ankunft stellten sie fest, daß die ursprüngliche Gruppe fortgezogen war und nur ein paar
interessierte Familien zurückgeblieben waren. Es wurde überhaupt keine Predigttätigkeit an das Zweigbüro berichtet. Aber in den folgenden 6 Jahren, in denen die Missionare unermüdlich hügelauf und hügelab zogen und die ganze Umgebung bearbeiteten, trat ein großer Wechsel ein. Als die Barneys von dort weggingen, ließen sie in Corner Brook eine blühende Versammlung zurück, die Jehova lobte und pries.Walter und Grace Kienitz, ein anderes Missionarehepaar, kamen mit der ersten Gruppe, die im Herbst 1945 Neufundland zugeteilt wurde, und sie sind jetzt schon 30 Jahre auf der Insel. Im Jahre 1962 erhielten sie den Auftrag, Argentia und die umliegenden Siedlungen zu bearbeiten. In diesem Gebiet war viel Personal der US-Marine stationiert, und so predigten sie auch dort. Besonders eine ganze Anzahl Ehefrauen nahmen die Botschaft vom Königreich an und zogen dann früher oder später in die Vereinigten Staaten zurück.
Im Jahre 1952 waren 21 Versammlungen mit 315 Verkündigern auf Neufundland tätig. In diesem Jahr wurde M. F. Latyn zum Zweigaufseher ernannt.
Jahr für Jahr entstanden neue Versammlungen, und diese strengten sich ebenfalls an, die Königreichsbotschaft zu verbreiten. Im Jahre 1952 wurde aufgrund der mühevollen Arbeit der Gileadabsolventen Bernard und Elizabeth Mahler eine neue Versammlung in Bonavista gegründet. Eine andere Versammlung entstand im Jahre 1953 in Joe Batt’s Arm. Weitere Versammlungen wurden 1955 in Stephenville, Musgrave Harbour und Mount Pearl gegründet — 1957 in Port-aux-Basques und Epworth infolge der Tätigkeit von Gileadabsolventen und 1958 eine in Norris Point. In den darauffolgenden Jahren wurden weitere Versammlungen in Lewisporte, Happy Valley, Bay Roberts und Weybridge gegründet. Auch in St. John’s hatte sich Großes getan; die Versammlung war so gewachsen, daß im Jahre 1963 mehrere Gruppen gebildet wurden.
Dadurch, daß Familien in Gebiete zogen, in denen Hilfe dringender benötigt wurde, wurden auf Neufundland gute Ergebnisse erzielt. Auf diese Weise war es möglich, im Jahre 1964 eine neue Versammlung in Labrador City zu gründen, eine weitere Versammlung in Carbonear im Jahre 1967 und noch eine andere in Shoal Harbour im Jahre 1968. Durch die fleißigen Anstrengungen von Sonderpionieren entstanden im Jahre 1969 weitere neue Versammlungen in Springdale und Baie Verte. Seitdem ist das Werk ständig von theokratischen Fortschritten gekennzeichnet.
Wenn wir die Geschichte der Diener Jehovas auf Neufundland verfolgen, wird unser Herz wirklich mit Dankbarkeit Jehova gegenüber erfüllt. Von der Zeit an, in der Bruder Macmillan die erste Versammlung im Jahre 1916 gründete, bis zum Jahre 1974 zeigen die Aufzeichnungen, daß über 3 600 000 Schriften in den Städten, Weilern und Außenhäfen Neufundlands verbreitet wurden. Über 3 Millionen Stunden
sind für dieses Werk aufgewandt worden. Um das Interesse zu mehren, sind über eine Million Rückbesuche gemacht worden. Mit welchem Ergebnis? Nun, allein in den letzten 25 Jahren haben sich über 1 180 Personen Gott hingegeben und haben dies durch die Wassertaufe symbolisiert. Im Mai 1975 berichtete eine Höchstzahl von 1 131 Verkündigern über ihre Tätigkeit. Doch es fühlen sich noch viele weitere Menschen zu Jehovas Organisation hingezogen, denn am 27. März 1975 waren 2 041 Personen bei der Feier des Abendmahls des Herrn zugegen.Wenn man sieht, wie die einfachen, abgelegen lebenden Menschen hier erreicht worden sind und wie sie wiederum anderen gepredigt haben, kann man deutlich Jehovas lenkende Hand erkennen. (Vergleiche Apostelgeschichte 11:19-21.) Die gute Botschaft ist bis in entfernte Gegenden verbreitet worden. Es ist begeisternd zu sehen, daß es unserem Gott immer noch wohlgefällt, die Brüder auf Neufundland in seinem großartigen Werk der Verkündigung des Königreiches zu gebrauchen. Und sie wiederum sind glücklich, Empfänger dieser wunderbaren Gunst zu sein!