Zurück zum Inhalt

Zum Inhaltsverzeichnis springen

Frankreich

Frankreich

Frankreich

Frankreich ist über 550 000 Quadratkilometer groß; mit Ausnahme der Sowjetunion ist es das größte Land Europas. Die Franzosen bezeichnen ihr Land gern als das „Hexagon“ (Sechseck). Den Grund dafür wirst du erkennen, wenn du dir die Karte von Frankreich ansiehst. Das Land ist mit schönen Stränden gesegnet, und zwar am Ärmelkanal, an der Atlantik- und der Mittelmeerküste, sowie mit den majestätischen, schneebedeckten Bergen der Alpen und der Pyrenäen.

Frankreich ist eine Republik, die in 96 Departements oder Verwaltungsbezirke eingeteilt ist, einschließlich der Mittelmeerinsel Korsika. Die französische Bevölkerung von 53 Millionen Menschen ist eine Mischung verschiedener Typen, die ein Spiegelbild ihrer fernen Vorfahren sind: Angehörige der Mittelmeerrasse, Kelten, Germanen und Latiner. Französisch wird heute von allen Franzosen gesprochen, obwohl im früheren Elsaß-Lothringen die älteren Einwohner noch Deutsch oder einen örtlichen deutschen Dialekt sprechen. Polnisch wird von vielen der Bergarbeiter gesprochen, die nach dem Ersten Weltkrieg aus Polen nach Frankreich kamen. Es leben auch viele Italiener und Algerier im Land. In den letzten Jahren sind Tausende von spanischen und portugiesischen Arbeitern nach Frankreich gekommen, und so sind ihre Sprachen im ganzen Land oft zu hören.

Insgesamt gesehen, ist Frankreich ein katholisches Land. Die französischen Protestanten sind durch die Verfolgung im 16. und 17. Jahrhundert stark dezimiert worden. Über die religiöse Situation in Frankreich heißt es jedoch in der Encyclopædia Britannica:

„Ein Phänomen, das in allen westlichen Ländern zu beobachten, aber in Frankreich besonders auffällig ist, ist die Abkehr der Masse des Volkes von den religiösen Gruppen. Das hängt mit der zunehmenden Industrialisierung und Verstädterung zusammen. Während die ländlichen Gemeinden im allgemeinen mehr mit dem traditionellen Glauben verbunden bleiben, befinden sich die Städter, besonders in den Vorstadtbezirken, in einem Prozeß der Entchristianisierung.“

RUSSELL LEGT DIE GRUNDLAGE

Die Tätigkeit der Zeugen Jehovas in Frankreich geht bis auf das Ende des 19. Jahrhunderts zurück. Im Jahre 1891 kam Charles T. Russell, der damalige Präsident der Watch Tower Society, nach Paris. Er schilderte seine Eindrücke über das französische Gebiet in Zions Wacht-Turm (engl.) vom November 1891: „Die Franzosen wenden sich schnell dem offenen Unglauben zu, obwohl noch immer viele vom römischen Aberglauben verblendet sind.“

Dieser ungünstige Eindruck hielt Bruder Russell jedoch nicht davon ab, die Schriftstudien ins Französische übersetzen zu lassen. Er traf auch Vorkehrungen, verschiedene Traktate und Flugschriften ins Französische zu übersetzen, und legte auf diese Weise die Grundlage für das spätere Predigen der guten Botschaft in Frankreich.

EIN UNAUFFÄLLIGER SCHWEIZER HOLZFÄLLER

In den 1890er Jahren reiste ein unauffälliger Schweizer Holzfäller namens Adolphe Weber in die Vereinigten Staaten. Dort, in Pittsburgh, arbeitete er für Bruder Russell als Gärtner und erlangte durch ihn eine gründliche Bibelkenntnis. Nach einiger Zeit bot er sich an, nach Europa zurückzukehren und die französischsprachigen Länder zu evangelisieren. Bruder Russell nahm schließlich sein Angebot an und erklärte sich bereit, das Predigtwerk im französischsprachigen Europa zu finanzieren.

Adolphe Weber war ein einfacher, bäurischer Mann, aber er war ein ergebener, reifer Christ, der Englisch, Französisch und Deutsch beherrschte. In die Schweiz zurückgekehrt, gab er in französischsprachigen religiösen Zeitungen und Zeitschriften Inserate für den ersten Band der Schriftstudien und für Broschüren auf, die Bruder Russell geschrieben hatte.

ERSTE ANZEICHEN VON INTERESSE

Am 12. August 1900 antwortete ein Franzose namens Elie Thérond, der in Beauvène, einem kleinen Ort in Mittelfrankreich, lebte, auf die Anzeige und bestellte biblische Literatur. Elie erkannte den Klang der Wahrheit und begann bald selbst, die Botschaft zu verbreiten. Später, im Jahre 1905, wurde sein Haus das erste Literaturdepot, in dem Bestellungen für Wachtturm-Schriften in Frankreich entgegengenommen und ausgeführt wurden.

Im Jahre 1901 las Jean-Baptiste Thilmant, ein Lebensmittelhändler aus einem belgischen Bergarbeiterdorf in der Nähe von Charleroi, ebenfalls eine der Anzeigen von Bruder Weber und bestellte biblische Literatur. 1902 organisierte er bei sich zu Hause eine kleine Gruppe von Bibelforschern. Diese Gruppe verbreitete die Wahrheit später nach Nordfrankreich, wie wir bald sehen werden.

Im Jahre 1903 kam Bruder Russell ein weiteres Mal nach Europa und traf mit Bruder Weber Vereinbarungen, eine französische Ausgabe von Zions Wacht-Turm herauszugeben. Sie begann als eine 8seitige vierteljährliche Ausgabe, und die erste Nummer trug das Datum vom Oktober 1903. Ab Januar 1904 kam die Zeitschrift monatlich heraus.

DER FRANZÖSISCHE BODEN WIRD „KULTIVIERT“

Aufgrund von Bruder Webers Werbekampagne in der Presse bestellten und studierten immer mehr Menschen die biblischen Schriften der Gesellschaft. Den Sommer über arbeitete Bruder Weber in der Schweiz als Holzfäller und Gärtner und predigte und verbreitete Traktate unter der französischsprachigen Bevölkerung der Schweiz. Dann begab er sich auf ausgedehnte Reisen nach Frankreich und Belgien, wo er die Menschen besuchte, die Literatur bestellt oder den Wacht-Turm abonniert hatten. Auf seinen Reisen arbeitete er zeitweise als Gärtner und führte Gelegenheitsarbeiten durch, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Aufgrund seines hingebungsvollen Dienstes verbreitete sich die Wahrheit allmählich in verschiedenen Teilen Frankreichs.

Im Jahre 1904 besuchte Bruder Weber die Familie Thilmant, die in der Nähe von Charleroi (Belgien) lebte. Er erklärte ihnen, wie sie vor protestantischen Kirchen Traktate verbreiten konnten, und ermunterte sie, ihre Tätigkeit nach Nordfrankreich auszudehnen. Und so machten sich im August 1904 Thilmant und seine kleine Tochter Josephine mit dem Zug nach Denain auf, einer Stadt in der Bergbauregion von Nordfrankreich, wo sie vor der Baptistenkirche Traktate und den Wacht-Turm verbreiteten. Einige Mitglieder dieser Kirche lasen die Schriften mit Interesse und abonnierten den Wacht-Turm. Diese Familien begannen bald, ihrem Geistlichen peinliche Fragen zu stellen, und dieser forderte sie schließlich auf, nicht mehr in seine Kirche zu kommen. Sie beschlossen, in der Wohnung von Jules Lequime in Haveluy (in der Nähe von Denain) zum Bibelstudium zusammenzukommen. Übrigens sind die Kinder und die Enkel dieser Familien in Denain — die Lequimes, die Vaucamps und die Polards — immer noch aktive Zeugen; zwei der Enkelsöhne dienen in Frankreich gegenwärtig als Kreisaufseher.

Im Jahre 1906 besuchte Bruder Weber diese Gruppe in Denain und half ihr, sich zu organisieren. Die Versammlung in Denain begann bald, vor der protestantischen Kirche in der nahe gelegenen Stadt Sin-le-Noble Traktate zu verbreiten. Mit der Zeit interessierten sich mehrere Familien für die Wahrheit, darunter die Familie Palmaert. Bruder Weber organisierte sie zu einer Gruppe, die im Haus von Victor Jupin zusammenkam, der am 15. November 1969 starb, nachdem er Jehova 60 Jahre treu gedient hatte.

Der Baptistenprediger in Denain hoffte immer noch, daß diejenigen, die Bibelforscher geworden waren, schließlich in die baptistische Herde zurückkehren würden. Er dachte bei sich: „Warte nur, bis einer von ihnen stirbt oder heiraten möchte! Dann werden sie zu mir gelaufen kommen, damit ich den Gottesdienst abhalte.“ Seine Hoffnungen zerschlugen sich jedoch im Jahre 1906, als ein Bruder starb, und im Jahre 1907, als zwei der Lequime-Töchter heirateten. Brüder aus der Ortsversammlung der Bibelforscher hielten die Beerdigungs- und die Hochzeitsansprache.

Unterdessen ging auch das Werk weiter im Süden stets voran. Im Jahre 1907 verbreitete ein Lehrer in der Nähe von Rennes den ersten Band der Schriftstudien sowie den Wacht-Turm in der katholischen Bretagne. Bis dahin gab es bereits drei Literaturdepots in Frankreich, und Abonnementsbestellungen für den französischen Wacht-Turm konnten an irgendeine dieser drei Adressen geschickt werden. Gegen Ende 1907 erschien im französischen Wacht-Turm ein „Aufruf an Freiwillige“.

1908 und 1909 predigten die Versammlungen Denain und Sin-le-Noble in der weiteren Umgebung und begannen, in anderen Städten Nordfrankreichs Studiengruppen zu gründen, zum Beispiel in Lens und Auchel im Departement Pas-de-Calais.

ERSTE PILGERBESUCHE

Vom Dezember 1908 bis zum Februar 1909 machte Bruder Weber Pilgerbesuche bei Gruppen und einzelnen Brüdern in 20 Departements in ganz Frankreich, darunter in großen Städten wie Besançon, Grenoble, Valence, Bordeaux, Nantes, Rennes, Angers, Paris und Nancy. Damals begann die Wahrheit auch in die deutschsprachige Region Elsaß-Lothringen vorzudringen. Ein Bruder Schutz war in Sainte-Marie-aux-Mines tätig, und andere Bibelforscher in der kleinen Stadt Petersbach verbreiteten die Publikation Speise für denkende Christen in deutscher Sprache.

Im Dezember 1909 und im Januar 1910 besuchten drei Pilgerbrüder, A. Meyer, S. Seguier und Adolphe Weber, 34 Städte in Frankreich und hielten viele Zusammenkünfte ab, darunter in Roubaix, einer großen nordfranzösischen Stadt mit Textilindustrie. Dort wurde auch eine Versammlung organisiert. Der längste Aufenthalt war in Paris, vom 18. bis 20. Dezember 1903. Daraus kann man schließen, daß in der französischen Hauptstadt damals Interesse geweckt wurde. Im gleichen Jahr wurde der Name des französischen Wacht-Turms von Le Phare de la Tour de Sion (buchstäblich: Der Leuchtturm von Zions Turm) auf La Tour de Garde (Der Wacht-Turm) geändert, und unter diesem Namen ist er heute noch bekannt.

Im Jahre 1910 wurde die erste französische Ausgabe der Volkskanzel-Traktate veröffentlicht. Der französische Wacht-Turm vom April 1910 enthielt einen weiteren „Aufruf an Freiwillige“. Darin hieß es: „Wir haben jetzt einen großen Vorrat an Volkskanzel-Traktaten. 100 000 Exemplare des ersten Traktats sind gerade gedruckt worden. Dies ist eine Sonderausgabe, die jedem gegeben werden kann.“

Das Jahr 1910 ging mit einer weiteren Pilgerreise zu Ende, die Bruder Weber durch ganz Frankreich machte. Er begann seine Reise am 22. Dezember 1910 und besuchte 30 Gruppen der Bibelforscher in Frankreich. Am 28. Januar 1911 ging seine Reise zu Ende. Unmittelbar vor seiner Reise, am 4. und 5. Dezember 1910, fand in Lens, in Nordfrankreich, eine Hauptversammlung der Bibelforscher statt.

RUSSELL KOMMT ZWEI WEITERE MALE NACH FRANKREICH

Das große Ereignis des Jahres 1911 war ein Besuch des Präsidenten der Gesellschaft, Charles T. Russell. Am 14. April sprach er zu einer Gruppe von über 100 Anwesenden auf einem Kongreß in Denain und am folgenden Tag zu 70 Personen in Lens. Bei diesen Kongressen waren auch Bibelforscher aus Belgien anwesend. Bruder Weber und Alexandre Freytag, ein weiterer Schweizer Bruder, der in der Leitung des Werkes in den französischsprachigen Ländern eine bedeutende Rolle spielen sollte, assistierten Bruder Russell bei diesen Gelegenheiten.

Vom Dezember 1911 bis zum März 1912 unternahm Bruder Russell eine Weltreise. In den Souvenir Notes, einem Bericht über diese Reise, hieß es: „Von Rom aus reiste er weiter nach Paris, und hier kam er mit der kleinen Klasse der Internationalen Bibelforscher dieser großen Stadt zusammen.“ Auf dieser Reise traf Bruder Russell unter anderem Vereinbarungen für das sogenannte „französische Büro“ in Genf (Schweiz), das im Juni 1912 eröffnet wurde. Es war für die Leitung des Werkes in Frankreich, Belgien und der französischsprachigen Schweiz verantwortlich. Bruder Russell übertrug Emile Lanz, einem Schweizer Zahnarzt aus Mülhausen (Elsaß), die Verantwortung für das Zweigbüro. Lanz nahm die Dienste von Alexandre Freytag in Anspruch, der beim Übersetzen des französischen Wacht-Turms half.

So trat Adolphe Weber, der das Werk im französischsprachigen Europa von Anfang an treu beaufsichtigt hatte, zugunsten der gebildeteren Brüder Lanz und Alexandre Freytag zurück. Bruder Weber behielt jedoch einen guten Geist und setzte seine jährlichen Pilgerbesuche in den Versammlungen und bei einzelnen Brüdern in den französischsprachigen Gebieten fort. Im Dezember 1912 begab er sich auf eine lange Reise durch Frankreich, auf der er 42 Städte und Dörfer besuchte.

EIN BRIEF VOM PRÄSIDENTEN

Im französischen Wacht-Turm vom März 1913 wurde ein Brief veröffentlicht, den Bruder Russell an die französisch sprechenden Brüder gerichtet hatte. Darin hieß es auszugsweise:

„Ich habe mich sehr gefreut, als ich kürzlich von dem wachsenden Interesse erfuhr, das die Brüder in Frankreich, der Schweiz, Belgien und Italien bekunden. Ich bin darüber sehr glücklich. ... Ich muß ein paar Worte über die Vorteile des Werkes der freiwilligen Verbreiter sagen, die frei und klug Traktate an all diejenigen aushändigen, die sie wirklich lesen werden. Diese Tätigkeit muß zweifellos hauptsächlich in protestantischen Gebieten verrichtet werden, und zwar in Übereinstimmung mit den Richtlinien, die Ihr vom Genfer Büro erhalten werdet. ... Ich hoffe, daß dieses Jahr in Frankreich große Anstrengungen unternommen werden und alle Freiwilligen, die sich am Erntewerk beteiligen, entsprechend gesegnet werden. Es scheint, daß das Kolporteurwerk in Frankreich nicht so erfolgreich ist wie anderswo. Wir bedauern dies, aber wir müssen es hinnehmen.“

In diesem Vorkriegsjahr fanden in Frankreich mehrere Kongresse statt. Im März wurde ein 2tägiger Kongreß in Lens, im Norden, abgehalten, und im Sommer fand ein weiterer 2tägiger Kongreß in der gleichen Region, in Denain, statt, wo 260 Personen zugegen waren.

RUSSELL UND RUTHERFORD IN PARIS

Am 31. August 1913 machte Bruder Russell wieder in Paris halt und hielt eine Zusammenkunft im Salle de l’Exposition d’Agriculture, rue d’Athènes, in der Nähe des Bahnhofs Saint-Lazare, ab. Rund 70 Brüder waren anwesend. Einige von ihnen waren aus Belgien, der Schweiz und Deutschland gekommen.

Ein paar Wochen später, am 19. September 1913, hielt auch Joseph F. Rutherford einen öffentlichen Vortrag in Paris. Am darauffolgenden Tag hielt er in Nordfrankreich im Großen Theater von Denain vor 1 000 Anwesenden einen öffentlichen Vortrag!

TÄTIGKEIT IN DER ZEIT VOR DEM ERSTEN WELTKRIEG

Über die Tätigkeit, die 1913 in Frankreich und in der französischsprachigen Schweiz verrichtet wurde, schrieb Bruder Emile Lanz an Bruder Russell:

„Wir haben beschlossen, unsere Bemühungen besonders auf diejenigen Teile des Landes zu konzentrieren, In denen die protestantischen Nachkommen der Hugenotten und Mitglieder anderer protestantischer Sekten ansässig sind. Wir führen in diesen Gegenden öffentliche Zusammenkünfte durch und sammeln die Adressen derer, die Interesse bekunden. ... Der ,Tour de Garde‘ [der französische „Wacht-Turm“] hat 800 Abonnenten. ... Der Dienst der Pilgerbrüder ist auf die französische Schweiz, Nordfrankreich und Belgien beschränkt, wo es Versammlungen gibt.“

In der Zeit von der Jahrhundertwende bis 1913 wurde somit hauptsächlich unter den französischen Protestanten gearbeitet, die nur 1,5 Prozent der Bevölkerung ausmachen, und es wurden noch nicht einmal alle von ihnen erreicht, da man sich besonders auf Nordfrankreich konzentrierte.

Das Jahr 1914 brachte eine Ausdehnung des Werkes im Elsaß mit sich. Am 20. Februar veranstalteten die Brüder aus Mülhausen die erste öffentliche Zusammenkunft in Straßburg. Bruder Lanz hielt vor einer großen Zuhörerschaft den Vortrag „Wo sind die Toten?“ 350 der Anwesenden ließen ihren Namen und ihre Anschrift zurück. Um diese Interessierten kümmerte sich ein Kolporteur-Bruder aus Deutschland, und so wurde in Straßburg eine kleine Gruppe der Bibelforscher gegründet. Im Juli wurden sieben neue Brüder getauft.

SCHWIERIGE ZEITEN IN FRANKREICH

Der französische Wacht-Turm vom August 1914 hatte für den 15. und 16. August eine Hauptversammlung in Denain angekündigt. Doch am 3. August 1914 erklärte Deutschland Frankreich den Krieg, und der Kongreß mußte abgesagt werden. Anfang August fielen die Deutschen in Belgien und in Nordfrankreich ein. Einige der Bruder zogen sich nach Paris zurück, wo sie sich mit der bereits bestehenden Versammlung vorhanden. Andere Brüder blieben hinter der Front und predigten weiter. Obwohl das Gebiet von den Deutschen besetzt war, konnten die Brüder in und um Denain jeden Sonntag Zusammenkünfte abhalten. Sie erhielten handgeschriebene Abschriften des Wacht-Turms von ihren Brüdern aus Charleroi (Belgien).

Bruder Theophile Lequime, der Denain verlassen hatte und nun weiter südlich, in der Gegend von Paris, lebte, übersetzte Artikel aus dem Wacht-Turm und vervielfältigte sie für die Brüder. Auf diese Weise erhielten die Brüder geistige Speise, ob sie nun vor oder hinter der deutschen Front lebten. Unter einigen gesalbten Christen griff jedoch eine wachsende Enttäuschung um sich; sogar Emile Lanz war davon betroffen. Er sah, wie das Jahr 1914 zu Ende ging, ohne daß die Christen nach ihrem Verständnis von 1. Thessalonicher 4:17 „entrückt“ wurden, „zur Begegnung mit dem Herrn in der Luft“. Das Werk in den französischsprachigen Ländern trat offensichtlich in eine schwierige Zeitperiode ein.

In dem Bericht an Bruder Russell über das Dienstjahr 1915 schrieb Lanz einen langen Text, in dem er die Tätigkeit des Genfer Büros rechtfertigte. Er schrieb jedoch kein Wort über die Anstrengungen, die unternommen worden waren und durch die das Werk so gewachsen war, daß das Genfer Büro nötig wurde. Die Art und Weise, wie Lanz die Dinge handhabte, kam Bruder Russell verdächtig vor, und so sandte er im Jahre 1916 Conrad Binkele, einen Amerikaner deutscher Herkunft, von Brooklyn in die Schweiz, um die Situation zu untersuchen. Lanz war verärgert, verhielt sich rebellisch und wandte sich schließlich gegen die Gesellschaft. So übernahm Bruder Binkele die Verantwortung für das zentrale Schweizer Büro in Zürich, und Alexandre Freytag hatte die Aufsicht über das „französische Büro“ in Genf. Diese Krise war vorüber.

EINE GRÖSSERE KRISE

Bruder Freytag, der die Schriften der Gesellschaft ins Französische übersetzte, begann, sich Freiheiten herauszunehmen, indem er in den Wacht-Turm eigene Ideen einfügte. Bruder Weber merkte diese Änderungen und unterrichtete Brooklyn. Bruder Russell, der Freytag erst kurz zuvor als Leiter des Genfer Büros eingesetzt hatte, schrieb Bruder Weber: „Wenn er [Freytag] ein böser Knecht ist, wird sich dies offenbaren.“

Am 31. Oktober 1916 starb Bruder Russell, und das brachte für die Brüder weitere Zweifel und Prüfungen mit sich, während sie auf die Nachricht warteten, wer sein Nachfolger sein würde. Schließlich, im Januar 1917, wurde Bruder Rutherford als Präsident der Gesellschaft gewählt.

In einem Brief an Freytag ermunterte Bruder Rutherford die französischen Brüder später, sich „an das festgelegte Programm für die Beröer-Fragen zu halten“. Dieser Ausdruck bezog sich auf die Fragen, die für das Gruppenstudium des Wacht-Turms geliefert wurden. Anscheinend wurden 1917 diese Beröer-Studien von den französischsprachigen Versammlungen vernachlässigt, so daß Bruder Rutherford einen Brief diesbezüglich schrieb.

Bruder Rutherford bestand jedoch noch aus einem anderen Grund darauf, daß die Brüder von den Beröer-Fragen Gebrauch machten. Er wollte ihnen nämlich helfen, sich an die von der Gesellschaft veröffentlichten Wahrheiten zu halten. Sehr wahrscheinlich war Bruder Rutherford davon informiert worden, daß Freytag beim Übersetzen seine eigenen Ideen in den Wacht-Turm einfügte. Als Freytag für die französisch sprechenden Brüder einen Kongreß in Genf organisierte, der vom 6. bis 8. Oktober 1917 stattfinden sollte, schrieb Bruder Rutherford bedeutsamerweise einen Brief, der den Anwesenden vorgelesen werden sollte. Auszugsweise hieß es darin:

„Ich möchte diese Gelegenheit wahrnehmen, Euch in der Liebe Christi zu grüßen und Euch meiner tiefen Anteilnahme an Eurem geistigen und irdischen Glück zu versichern. ... Die feurigen Prüfungen, die gegenwärtig zugelassen werden, werden zeigen, wer für Gott annehmbar ist und wer nicht. ... All diejenigen, die in ihrem Herzen Stolz und Ehrgeiz hegen, sind in großer Gefahr, da die gefallenen Engel ihre Schwächen ausnutzen und sie besiegen werden, wenn sie nicht entschieden gegen diese Neigungen ankämpfen. Jede tiefsitzende Bitterkeit in ihrem Herzen bietet dem Bösen eine Gelegenheit einzudringen. ... Laßt uns Boten und Diener der Wahrheit, nicht des Irrtums sein! ... Vermeiden wir sinnlose Diskussionen, und wenden wir uns von jeder Verleumdung und jedem Geschwätz ab! ... Gott liebt Treue und Loyalität, und das bedeutet, daß wir loyal zu Gott, loyal zum Herrn, loyal zu seiner Sache und zu den Methoden stehen sollten, mit denen er die Verbreitung der Königreichsbotschaft organisiert hat.“

Obwohl Bruder Rutherford zu seinen Mitverbundenen herzlich und großzügig war, konnte er auch sehr offen und direkt sein. Personen, die sich bei ihm anscheinend lieb Kind machen wollten, erregten seinen Argwohn. Freytag dagegen war ein Mann, der sehr großen Wert auf Charakterentwicklung legte, und es gefiel ihm, die Aufmerksamkeit anderer auf sich zu lenken und Bewunderer um sich zu scharen, besonders unter den Schwestern. Freytag war daher einer von denen, die an Bruder Rutherford Anstoß nehmen mußten.

In einem Bericht über das französische Werk, der im französischen Wacht-Turm vom Dezember 1918 erschien, kritisierte Freytag offen das „Hauptbüro“, weil es ihm mitgeteilt hatte, das Genfer Büro solle von nun an in finanzieller Hinsicht auf eigenen Füßen stehen. Man erinnere sich daran, daß damals Bruder Rutherford und sieben andere Brüder aus dem Hauptbüro ungerechtfertigterweise in Atlanta (Georgia, USA) in Gefängnishaft waren. Freytag schlußfolgerte anscheinend: „Russell ist tot. Seine Mitarbeiter sitzen im Gefängnis. Nach Offenbarung 3:15-21 sind also sie die neuzeitlichen Laodicener, die Gott aus seinem Mund ausgespien hat. Ich bin der Bote des Herrn. Gott hat mich erwählt, die neue Erde zu gründen und somit sein Volk zu leiten.“

VERSAMMLUNG PARIS UNTERRICHTET PITTSBURGH

Angesichts dieser Situation sandte die Versammlung Paris am 19. Januar 1919 einen Brief an das Genfer Büro und eine Abschrift an das Hauptbüro der Gesellschaft, das vorübergehend nach Pittsburgh (Pennsylvanien) verlegt worden war. In diesem Brief war von den „fehlerhaften“ Übersetzungen der Bücher, Broschüren und Zeitschriften in die französische Sprache die Rede. Es hieß darin, sie enthielten „so viele Übersetzungsfehler, daß die Brüder zögern, mehrere Publikationen zu verkaufen oder zu verbreiten“. Weiter hieß es in dem Brief, man bedauere „die Methoden, die von einem der für das Genfer Büro Verantwortlichen angewandt“ würden. Der Brief war im Namen des Ältestenkomitees der Versammlung Paris von Bruder H. Roussel, dem Schriftführer, unterzeichnet.

Noch im gleichen Monat, im Januar 1919, bildete die Versammlung Paris das sogenannte „Zentralisierende Komitee“, das das Genfer Büro ersetzen sollte. Sie tat dies, weil sie den Eindruck hatte, daß die Führung des Genfer Büros nicht mehr der Führung des Herrn entsprach.

FREYTAG BEREITET EINE ÜBERNAHME VOR

Beginnend mit der Ausgabe vom April 1919, bezeichnete sich Freytag auf der zweiten Seite jedes französischen Wacht-Turms nicht mehr als „Leiter“ des Genfer Büros, sondern als „Herausgeber“ des Wacht-Turms. Da die offizielle französische Ausgabe des Wacht-Turms immer weniger der englischen Ausgabe entsprach, gingen einige Brüder in der Schweiz dazu über, selbst eine genauere Übersetzung des englischsprachigen Wacht-Turms herauszugeben. So waren eine Zeitlang zwei französische Ausgaben des Wacht-Turms unter den Brüdern im Umlauf!

Im August 1919 verlagerte Freytag einen Teil des Literaturvorrats der Gesellschaft und anderes Eigentum in seine Wohnung. Er wußte, daß die Versammlung Paris im Januar Pittsburgh über das unterrichtet hatte, was vor sich ging, und daß Bruder Rutherford am 25. März 1919 aus dem Gefängnis freigelassen worden war. Er konnte sich daher denken, daß die Gesellschaft mit Sicherheit bald gegen ihn vorgehen würde. So begann er, das Eigentum an sich zu nehmen, das er für sich behalten wollte.

Schließlich veröffentlichte Freytag in der französischen Ausgabe des Wacht-Turms vom September 1919 einen Artikel, in dem er behauptete, Gottes Wahrheit sei nun durch ihn in Genf zu finden.

EIN BÖSER KNECHT WIRD ENTLASSEN

Schon die nächste Ausgabe des Wacht-Turms enthielt einen Brief Bruder Rutherfords an alle französischen Leser(deutsch: Oktober/November 1919). Darin hieß es:

„Liebe Brüder in Christo!

... Als des Herrn Gesandter handelnd, gründete Br. Russell vor mehreren Jahren in Genf (Schweiz) eine Filiale der Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft und setzte Bruder A. Freytag als Lokal-Vertreter derselben ein. Br. Freytags Stellung war lediglich die eines Angestellten der Gesellschaft und eines Dieners des Herrn. ... N i e m a l s ... war er zur Herausgabe einer Schrift, eines Traktates etc. berechtigt, deren Autor nicht Pastor Russell war. ... Sein Fall ist um so bedauerlicher, da er behauptet, der Herr habe ihn nun zum besonderen Engel bestellt, um das Werk des Herrn für die Kirche zu vollenden.

Infolge seines unrichtigen Handelns hat ihn die Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft des Amtes entsetzt und übergab sämtliche Geschäftsangelegenheiten Bruder C. C. Binkele in Zürich. Bruder Binkele ist von mir aus bevollmächtigt, einen französischen Bruder für das französische Werk zu bestimmen, und zwar unter seiner Oberaufsicht.“

FREYTAG VOR GERICHT

Obwohl Freytag als Beauftragter der Watch Tower Bible and Tract Society rechtlich seines Amtes enthoben war, war die Angelegenheit damit noch nicht zu Ende. Die Mitarbeiter im Büro bezogen auf seiner Seite Stellung, und er weigerte sich, die Räumlichkeiten der Gesellschaft in Genf, 7, rue de la Tour-Maîtresse aufzugeben. Er wollte auch das Verzeichnis der Wacht-Turm-Abonnenten, den Literaturvorrat und die sehr kostspielige Ausrüstung für die Vorführung des Photo-Dramas der Schöpfung für sich behalten. Außerdem brachte er weiterhin eine Zeitschrift mit dem Titel Der Wacht-Turm heraus.

Man gab sich alle Mühe, Freytag zu überreden, das Eigentum der Gesellschaft freizugeben, doch ohne Erfolg. Schließlich wurde der Fall vor Gericht gebracht, und Freytag wurde gezwungen, das Eigentum, das er der Gesellschaft gestohlen hatte, zurückzugeben. Das Genfer Büro der Gesellschaft wurde offiziell geschlossen und seine Tätigkeit nach Bern verlegt.

Natürlich waren diese Vorgänge eine große Prüfung für die Brüder in Frankreich, Belgien und der französischsprachigen Schweiz. Eine Anzahl, hauptsächlich in der Schweiz, folgte Freytag, der eine Sekte gründete und sich als der „Bote des Herrn“ bezeichnete. Mit der finanziellen Unterstützung seiner Anhänger kaufte Freytag später ein großes Landhaus in der Nähe von Genf, von wo aus er seine Sekte leitete. Sie besteht in Frankreich heute noch unter dem Namen „Die Menschenfreunde“.

DER FRIEDE WIEDERHERGESTELLT, FORTSCHRITTE FOLGEN

Das Werk im französischsprachigen Bereich nahm einen neuen Anfang. Nachdem der Fall Freytag erledigt worden war, hielten die französischen Brüder am 28. September 1919 in Paris einen kleinen Kongreß ab, auf dem ein ausgezeichneter Geist der Einheit und des Friedens offenbar wurde. Die Brüder beschlossen, das Werk in Übereinstimmung mit den vom Präsidenten der Gesellschaft ernannten Brüdern fortzusetzen. Das „Zentralisierende Komitee“ wurde aufgelöst, da es nur eine „Schutzmaßnahme“ gegen die Aktionen des Genfer Büros war, bis die Watch Tower Bible and Tract Society das Werk reorganisierte.

So gab es wieder nur einen französischen Wacht-Turm, und Bruder Adolphe Weber war wieder im Übersetzungskomitee. Bruder Rutherford schrieb an die französisch sprechenden Brüder einen Brief, der im französischen Wacht-Turm vom November 1919 erschien. Er brachte zunächst sein Bedauern über die Sache mit Freytag zum Ausdruck und erklärte, daß nun Bruder Ernest Zaugg in Bern für das französischsprachige Werk verantwortlich sei. Dann schrieb er:

„Wir hoffen nun, daß es dem Herrn passend erscheint, unter den französisch sprechenden Freunden Einheit und Harmonie herrschen zu lassen. ... Unter günstigeren Umständen wäre ich gern zu Euch gekommen, aber in der gegenwärtigen großen Bedrängnis, in der sich einzelne und ganze Nationen befinden, scheint dies unmöglich zu sein. Falls sich jedoch durch die Vorsehung des Herrn nächstes Jahr der Weg öffnen sollte, hoffe ich, zu Euch zu kommen.“

Die Leitung des Werkes in Frankreich war nun von Bruder Rutherford wie folgt organisiert worden: Conrad Binkele, dessen Büro sich in Zürich befand, sollte die allgemeine Aufsicht führen. Ernest Zaugg, der ein Büro in seiner Wohnung in Bern hatte, war der Leiter des sogenannten „französischen Werkes“ unter der Aufsicht von Bruder Binkele. Bruder Zaugg hatte zwei „Gehilfen und Berater“, nämlich Joseph Lefèvre in Paris und Emile Delannoy in Le Havre. Lefèvre war Zauggs Assistent bei der Veröffentlichung der französischen Literatur, und Delannoy sollte ihm helfen, sich der Bedürfnisse der französischen Versammlungen anzunehmen. Außerdem wurde Bruder Henri Roussel die Verantwortung für ein Literaturdepot übertragen, das sich in seiner Wohnung in Paris, 11, rue du Rhin befand.

Am 27. August 1919 wurde die französische Internationale Bibelforscher-Vereinigung mit Sitz in Paris, 11, rue du Rhin gegründet. Natürlich unterstand das Werk in Frankreich immer noch der Leitung des Schweizer Zweigbüros, doch durch diese nationale Vereinigung bekam die französische Organisation eine solide rechtliche Grundlage.

Anfang 1920 unternahm Bruder Zaugg eine lange Reise, um die Brüder in Frankreich (einschließlich Elsaß-Lothringens) und Belgien zu besuchen. Wieder in Bern angelangt, schrieb er einen Brief an die Brüder, in dem es hieß:

„Wir waren tief gerührt, den Eifer der Brüder und Schwestern zu sehen, die tatendurstig Anweisungen von der Gesellschaft sowie die Ausrüstung erwarten, die sie benötigen, um das Werk zur Ausdehnung der Ernte zu beginnen. Überall erhielt ich das sichere Gefühl, daß die schrecklichen Prüfungen der letzten Jahre unter unseren geliebten Brüdern in Frankreich, Belgien und im Elsaß Frucht getragen haben, und wir sind überzeugt, daß der oberste Meister die Seinen so vorbereitet hat, so daß sie mit Hilfe seiner Werkzeuge das Werk vollenden können, das in den französischsprachigen Gebieten noch zu tun ist.“

Die Brüder verbesserten ihre Lehrfähigkeit, als sie die sogenannten „V.D.M. Fragen“ (V.D.M. = Diener des Wortes Gottes) benutzten. Es handelte sich dabei um eine vierseitige schriftliche Wiederholung mit 22 Fragen über biblische Themen. Die französischen Brüder schickten die ausgefüllten Fragebogen nach Bern, um sie bewerten zu lassen. Wer mindestens 85 Prozent der Fragen richtig beantwortete, wurde als ein befähigter Diener des Wortes Gottes angesehen.

Im Jahre 1920 wurden in Frankreich einheimische Pilgerbrüder ernannt. Der erste war Bruder Alfred Durieu aus Roubaix, der bereits im Kolporteurwerk tätig gewesen war. Im August begann auch Bruder Joseph Lefèvre aus Paris, als Pilgerbruder zu dienen, und er besuchte einzelne Brüder in Mittelfrankreich, einem Gebiet, das lange Zeit vernachlässigt worden war, als das französische Werk noch von Lanz und Freytag geleitet wurde. Im Dezember 1920 wurde dann Bruder Emile Delannoy zum Pilgerbruder für Frankreich ernannt und Bruder Werner Giger für Elsaß-Lothringen und das Saargebiet.

Nach dem Ersten Weltkrieg gab Deutschland Elsaß-Lothringen an Frankreich zurück. Die Bergwerke des Saargebiets wurden als Kriegsentschädigung Frankreich zugesprochen, wenn auch das Saargebiet selbst für 15 Jahre dem Völkerbund unterstellt wurde. Beide Gebiete jedoch wurden wieder vom Berner Büro der Gesellschaft beaufsichtigt.

RUTHERFORD KOMMT — NEUE ORGANISATION

Wie erhofft, kam Bruder Rutherford im September 1920 nach Paris. Am 19. September traf er mit etwa 120 Brüdern zusammen, von denen fast 40 aus Belgien und dem Elsaß gekommen waren. Bruder Alfred Durieu übersetzte für ihn. Am Abend hielt Bruder Rutherford einen öffentlichen Vortrag im Saal der Sociétés Savantes vor etwa 1 000 Zuhörern. 300 von ihnen ließen ihren Namen und ihre Anschrift zurück, damit man sie besuchen konnte.

Gegen Ende 1920 wurde die Gründung des „Zentraleuropäischen Büros“ angekündigt. Dieses in Zürich eingerichtete Büro (bis dahin „Deutscher Zweig in der Schweiz“ genannt) sollte nun die Aufsicht über das Werk in der Schweiz, Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Deutschland, Österreich und Italien haben. Bruder Binkele wurde als Hauptleiter eingesetzt und Bruder Zaugg mit seinem Büro in Bern als Leiter des „französischen Werkes“ bestätigt

DAS PHOTO-DRAMA ERZIELT GUTE ERGEBNISSE

Das Photo-Drama der Schöpfung wurde im Jahre 1920 in Frankreich ausgiebig vorgeführt. In Denain, in Nordfrankreich, wurde es zum Beispiel 900 Personen gezeigt. Noch bessere Ergebnisse wurden in Elsaß-Lothringen und im Saargebiet erzielt. Der französische Wacht-Turm vom April 1921 berichtete darüber:

„Das Photo-Drama ist in verschiedenen Teilen Elsaß-Lothringens und des Saargebiets ein voller Erfolg gewesen. Den größten Erfolg erzielte es in Saarbrücken, Völklingen und Straßburg. ... Obwohl der Saal (in Saarbrücken) 3 000 Plätze hat, mußten jeden Abend viele interessierte Personen abgewiesen werden ... In Völklingen, wo die Vorführungen um 20 Uhr beginnen sollten, mußten wir schon um 18.30 Uhr beginnen, und die Ladenbesitzer schlossen ihre Geschäfte früher, um sich das Photo-Drama ansehen zu können. In Straßburg hörten bei der 4. Vorführung 2 000 Anwesende mit ungewöhnlichem Interesse und großem Respekt bis 23.30 Uhr zu, während ihnen die wunderbare Aufrichtung von Gottes Königreich erklärt wurde. Wir beten darum, daß unser gütiger himmlischer Vater es diesem Samen ermöglichen möge, viel Frucht zu tragen.“

Zweifellos hat Jehova diese Bemühungen, seinen Namen und sein Königreich in diesem Gebiet bekanntzumachen, sehr gesegnet. In dem Bericht des Schweizer Pilgerbruders Werner Giger, der im französischen Wacht-Turm vom August 1921 veröffentlicht wurde, hieß es:

„In Straßburg werden die Zusammenkünfte immer noch sehr gut besucht. Selbst am Sonntag kamen hundert Personen zu den Beröer-Studien des 7. Bandes, während es früher nur 50 waren. In Brumath ist eine Gruppe von 30 interessierten Personen entstanden. Sie versäumen keine Zusammenkunft und nehmen offensichtlich an Erkenntnis zu. ... Hier in Straßburg haben sich 10 Brüder und Schwestern für das Kolporteurwerk gemeldet. In Saarbrücken gibt es jetzt eine Gruppe von 150 interessierten Personen, die regelmäßig zusammenkommen. ... In dieser Region [dem Saargebiet] möchten sich mehrere Freunde taufen lassen.“

Dem großen Interesse, das im Elsaß und im Saargebiet gezeigt wurde, gingen die wenigen dort ansässigen Brüder sowie einige Brüder aus der Schweiz nach. Das Berner Büro übertrug Fred Germann die Verantwortung für das Werk in Elsaß-Lothringen und im Saargebiet, und er diente dort treu, bis er im Jahre 1926 versetzt wurde. Henri Geiger, der Aufseher der Versammlung Straßburg, unterstützte ihn eifrig bei seiner Tätigkeit. Somit war das Werk in Elsaß-Lothringen und im Saargebiet von 1921 an gut organisiert.

TROTZ PRÜFUNGEN GEHT DAS WERK VORAN

Auch im übrigen Teil Frankreichs ging das Werk gut voran. Anfang 1921 wurden in Denain und Bruay-en-Artois, in Nordfrankreich, und auch in Paris Taufen durchgeführt. Der Gedächtnismahlbericht für jenes Jahr zeigte, daß in 16 verschiedenen Orten Frankreichs insgesamt 422 Personen anwesend waren, darunter 81 in Denain und 68 in Paris.

Im französischen Wacht-Turm vom Oktober 1921 wurde ein Aufruf nach Kolporteuren veröffentlicht. Das Predigtwerk wurde hauptsächlich in Form der Verbreitung des Buches Millionen jetzt Lebender werden nie sterben! durchgeführt. Die Gesellschaft druckte einen besonderen Brief, den die Brüder benutzen sollten, um das Buch ihren Verwandten und Bekannten anzubieten.

Auch das Pilgerwerk wurde 1921 in Frankreich verstärkt durchgeführt. Bruder Delannoy und Bruder Durieu besuchten Versammlungen und einzelne Gruppen nördlich und südlich der Loire, und Bruder Adolphe Weber besuchte Versammlungen in Ost und Nordfrankreich sowie in Paris und in der Normandie, und er beendete seine Reise im Elsaß.

Man wird sich erinnern, daß, nachdem Alexandre Freytag im Jahre 1919 die Wahrheit aufgegeben hatte, die Brüder Delannoy, Lefèvre und Roussel als Gehilfen für Bruder Zaugg in Frankreich ernannt worden waren. Roussel war der Bruder, der als Sekretär der Versammlung Paris den Brief unterzeichnet hatte, der im Januar 1919 nach Genf und nach Pittsburgh gesandt worden war und in dem gegen die Illoyalität Freytags protestiert und Loyalität gegenüber der Gesellschaft zum Ausdruck gebracht worden war. Nun, im Laufe der Zeit wurden sowohl Bruder Lefèvre als auch Bruder Roussel unzufrieden und erwiesen sich als böse Knechte.

Die zweite Prüfung, die über das französische Gebiet kam, war in Wirklichkeit ein Nachspiel der Rebellion, die sich 1917 in Amerika ereignet hatte. In jenem Jahr hatten P. S. L. Johnson und vier Mitglieder des Vorstandes der Gesellschaft versucht, dem neugewählten Präsidenten, Bruder Rutherford, die Kontrolle zu entreißen. Als ihre Pläne vereitelt wurden, begannen sie, ihren Widerstand außerhalb des Bethels fortzusetzen, indem sie in den Vereinigten Staaten, in Kanada und Europa eine umfangreiche Vortrags und Briefkampagne durchführten.

1920 besuchte Johnson die ältesten Versammlungen in Nordfrankreich, z. B. die Versammlung Sin-le-Noble. Er wollte eine Spaltung verursachen und die Brüder von der Organisation Jehovas wegziehen, und das gelang ihm schließlich auch. Im September 1922 ließ eine Gruppe französischer Brüder, darunter Roussel und Lefèvre in Paris, eine 16seitige Erklärung mit dem Titel „Eine notwendige neue Ordnung“ drucken, in der sie Bruder Rutherford kritisierten. Sie verbreiteten diese Erklärung unter den französisch sprechenden Brüdern und lösten damit Verwirrung und Spaltungen aus.

Im Jahre 1922 wurde in Denain eine Hauptversammlung abgehalten, und der Pilgerbruder Adolphe Weber wurde von der Schweiz dorthin gesandt, um die Angelegenheit zu klären. Schwester Rachel Beugin und Bruder Samuel Nongaillard beschrieben, was geschah:

„Nach Ansicht der Unzufriedenen war Bruder Russell der treue und kluge Knecht, und nach seinem Tode im Jahre 1916 sollte das Werk genauso bleiben, wie er es zurückgelassen hatte. Es sollte kein weiteres Licht mehr erscheinen. ... Für die Unzufriedenen war das Predigen von Tür zu Tür unannehmbar. Ihrer Ansicht nach sollten wir einfach warten, bis Gott in Harmagedon eingreifen würde. Anhand der Bibel bewies ihnen Bruder Weber, daß die Organisation im Recht war. ... Es wurde dann abgestimmt, und es kam zu einer knappen Entscheidung: 39 waren gegen den Standpunkt der Gesellschaft und 42 dafür. Die 39 ,Rebellen‘ gingen weg und nahmen ihre Stühle mit. Sie gründeten die ,Vereinigung der Bibelforscher in Denain‘.“

Obwohl 1922 einige die Wahrheit aufgaben und böse Knechte wurden, blieben die meisten Brüder treu Bruder Rutherford kam im Juni jenes Jahres nach Paris und stärkte die Brüder. Im Jahre 1922 begann die Tätigkeit von Tür zu Tür mit dem Buch Millionen jetzt Lebender werden nie sterben! Auch wurden zum ersten Mal in den Versammlungen Wacht-Turm-Studien organisiert. Und das Pilgerwerk wurde während jenes Jahres ebenfalls sehr gefördert.

Trotz der schweren Prüfungen, die über die französischen Brüder gekommen waren, war es also den Treuen möglich, einen großen Anteil an der wichtigen Königreichsverkündigung zu haben.

ZEUGNISGEBEN IN ELSASS-LOTHRINGEN

Mit zunehmender Verbreitung der Zeitschrift Das Goldene Zeitalter (in Deutsch) gründete die Watch Tower Society in Straßburg ein Büro und ein Literaturdepot für Elsaß-Lothringen, und Bruder Henri Geiger wurde die Verantwortung dafür übertragen. Das Goldene Zeitalter kam in Form von Sammelsendungen aus Bern und wurde dann im Straßburger Büro einzeln verpackt und an die Abonnenten versandt. Die Schwestern gingen in die vielen Restaurants von Straßburg und boten den Menschen, die dort aßen, von Tisch zu Tisch die Zeitschriften an. Oft gaben sie an einem einzigen Abend bis zu 90 Zeitschriften ab. Schwester Lydia Geiger war darin besonders erfolgreich: Sie gab manchmal 2 000 Zeitschriften im Monat ab.

1923 wurde Bruder Franz Zürcher vom Berner Büro beauftragt, das Photo-Drama in Elsaß-Lothringen und im Saargebiet zu zeigen. Dieser Schweizer Bruder war bis zum Jahre 1925 an der Vorführung des Photo-Dramas in Frankreich und im Saargebiet beteiligt. Dann wurde er ins Berner Bethel gerufen. Im Jahre 1923 waren mit der Versammlung Mülhausen (Elsaß) etwa 50 Personen verbunden. Doch zum Gedächtnismahl in jenem Jahr kamen 110 Personen. In Straßburg waren es ebenso viele.

EINE GESTÄRKTE ORGANISATION

In organisatorischer Hinsicht nahm das Werk im Jahre 1923 einen guten Anfang. In jeder Versammlung setzte die Gesellschaft einen „Dienstleiter“ ein. Er hatte zwei Gehilfen; einer sollte sich um die Konten kümmern und der andere um den Literaturvorrat. Diese drei Brüder bildeten ein „Dienstkomitee“. Es war der Anfang der zentralisierten theokratischen Leitung des Werkes im französischsprachigen Gebiet. Während des ganzen Jahres 1923 organisierte die Gesellschaft durch die Dienstleiter Zeugnistage. Am 26. August 1923 nahmen die französischen Brüder an dem „weltweiten Zeugnis“ teil, das vom Brooklyner Büro organisiert worden war.

Ein weiterer Meilenstein in der Entwicklung des Werkes im französischsprachigen Gebiet war die Veröffentlichung des Buches Die Harfe Gottes in Französisch. Dieses Buch gab dem Lehrwerk in Frankreich einen gewaltigen Auftrieb. Auch wurde am 2. und 3. September 1923 für die französisch sprechenden Brüder eine Hauptversammlung in Denain abgehalten. Bruder Zaugg und Bruder Weber aus der Schweiz waren anwesend, und sie hielten zusammen mit dem französischen Pilgerbruder Emile Delannoy die Hauptvorträge. Ein großes Banner mit den Worten „Verkündet den König und sein Königreich“ wurde vor den Anwesenden entfaltet, genauso wie es auch Bruder Rutherford ein Jahr zuvor in Cedar Point in Amerika getan hatte. Die Brüder waren begeistert, und alle Anwesenden nahmen einstimmig eine Resolution an. In einem Überblick über das französische Werk im Jahre 1923 schrieb Bruder Rutherford:

„Im ganzen Werk bemerken wir eine wirkliche Zunahme des Eifers unter den Brüdern. Wir haben eine große Wertschätzung für das große Vorrecht, das uns jetzt gegeben ist, die frohe Kunde des Königreiches zu verbreiten. Mancherorts gehen die Brüder in Gruppen von fünf oder sechs aus zum Kolportieren, und sie verkaufen sonntags morgens über 250 Bände und Broschüren.“

Im Jahre 1924 wurden die ersten Ausgaben des Goldenen Zeitalters in Französisch veröffentlicht. 1925 wurde es zweimal monatlich herausgegeben, doch auf Anweisung von Bruder Rutherford wurde seine Herausgabe 1926 eingestellt. Es erschien dann wieder im Oktober 1932, und von da an wurde es regelmäßig monatlich veröffentlicht.

Im Mai 1924 machte Bruder Rutherford einen kurzen Besuch in Frankreich und hielt Vorträge in Paris und Nordfrankreich. Er stellte fest: „Das französische Volk kommt in gewisser Weise zum Erwachen und gewinnt in gewissem Maße einige Klarheit über die Wahrheit, aber es gibt in Frankreich noch viel zu tun.“ Im Juli fand dann für die französisch sprechenden Brüder eine Hauptversammlung in Haveluy, in der Nähe von Denain, in Nordfrankreich, statt, und Bruder Zaugg und mehrere andere Glieder der Berner Bethelfamilie hatten einen Anteil am Programm.

HOFFNUNGEN DER BRÜDER

1924 waren in Frankreich beim Gedächtnismahl insgesamt 557 Brüder anwesend, darunter 300 in Elsaß-Lothringen. Über die Hoffnungen vieler Brüder erzählte Schwester Suzanne Beugin: „Die Glieder des Überrests erwarteten, noch vor Ende 1924 in den Himmel zu kommen. Bruder Delannoy, der uns in Denain besuchte, tröstete diejenigen von uns, die zur großen Schar gehörten. Er sagte, wir würden nicht im Stich gelassen werden. Trotzdem war ich erleichtert, daß meine Eltern noch auf der Erde waren, als das Jahr 1924 zu Ende ging.“ Diese Situation war jedoch ein Vorzeichen für weitere Prüfungen und Sichtungen, die im folgenden Jahr kommen sollten.

1925 — EIN KRITISCHES JAHR

Das Jahr 1925 nahm einen guten Anfang; der französische Wacht-Turm wurde von 12 auf 16 Seiten erweitert. Auch wurde in Frankreich das Traktat Anklage gegen die Geistlichkeit verbreitet, oft direkt vor den Kirchen. Im gesamten französischsprachigen Gebiet wurden über 2 000 000 dieser Traktate verteilt!

Im Mai 1925 kam Bruder Rutherford noch einmal nach Frankreich. Er sollte in dem großen Trocadero-Palast, an der Seine gegenüber dem Eiffelturm gelegen den Vortrag „Die Trügereien der Geistlichkeit an den Tag gebracht“ halten. Brüder aus Nordfrankreich waren eine Woche vorher nach Paris gekommen, um den Brüdern bei der Ankündigung zu helfen. Doch die großen Handzettel gelangten schnell in die Hände der katholischen Geistlichkeit, die auf die Polizei Druck ausübte, um der auf den Straßen durchgeführten Ankündigung Einhalt zu gebieten. Einige Brüder wurden daraufhin verhaftet.

Etwa 2 000 Personen leisteten der Einladung Folge und kamen zum Vortrag. Bruder Rutherford begann mit seiner Rede, als plötzlich 50 Priester und Mitglieder der Katholischen Aktion, mit Stöcken bewaffnet, in den Saal stürmten und die Marseillaise (die französische Nationalhymne) sangen. Dreimal verließ Bruder Rutherford die Bühne und betrat sie dann wieder. Die Gegner schrieen: „Wenn er ein Richter ist, soll er doch die Amerikaner richten!“ Der Wacht-Turm vom 1 September 1925 berichtete:

„Während eine größere Masse der Zuhörerschaft der Geistlichkeit feindlich gesinnt war, so geschah es doch, daß sie ... Scherz und Spott miteinander trieben und dem Redner keine Beachtung schenkten, und es war unmöglich, sie anzusprechen. ... Es [wurde] absolut notwendig ..., die Versammlung aufzugeben.“

Im gleichen Jahr wurden größere Schwierigkeiten innerhalb der Organisation ausgelöst. Das Buch Millionen jetzt Lebender werden nie sterben! war im französischen Gebiet seit 1921 ausgiebig gebraucht worden, und aufgrund seines Inhalts setzte man auf das Jahr 1925 große Erwartungen. Doch als 1925 kam und vorüberging, ohne daß die erwarteten Ereignisse eingetreten waren, machten sich die Außenstehenden, die das Buch gelesen hatten, über die Brüder lustig. Bruder Jules Anache in Sin-le-Noble schrieb: „Unsere Feinde verspotteten uns, indem sie Artikel schrieben, von denen einer betitelt war ,Millionen jetzt Lebender werden nie sterben, wenn sie rosa Pillen nehmen‘. Sie bezogen sich dabei auf ein Heilmittel, das damals gerade populär war.“

Noch schlimmer war, daß der Glaube einiger Brüder erschüttert wurde. Einige hatten erwartet, in jenem Jahr in den Himmel zu kommen. Das führte in den Versammlungen zu Sichtungen, besonders im Elsaß. Schwester Anna Zimmermann schrieb: „Ungerechtfertigte Hoffnungen brachten große Prüfungen mit sich. Viele gaben auf.“

Ein Anzeichen für diese Prüfung war eine Fragestunde, die Bruder Rutherford auf einem Kongreß in Basel abhielt, der vom 1. bis 3. Mai 1926 stattfand. In dem Bericht über diesen Kongreß hieß es:

„Frage: Sind die Alttestamentlichen Überwinder schon auferstanden?

Antwort: Sicherlich sind sie noch nicht auferstanden. Niemand hat sie gesehen. Es wäre töricht, eine gegenteilige Behauptung aufzustellen. Im Millionen- und Trostbüchlein wurde gesagt, daß man sie vernünftigerweise kurz nach 1925 erwarten dürfe. Aber dies wurde nur als Meinung ausgesprochen.“

Man hatte einen Fehler gemacht, doch wie Bruder Rutherford erklärte, war dies kein Grund, aufzuhören, dem Herrn zu dienen. Einige taten dies dennoch, und so gab es in dieser Zeit weitere Sichtungen im französischen Gebiet. Die im französischen Wacht-Turm veröffentlichten Zahlen zeigen, daß 1925 beim Gedächtnismahl in Mülhausen im Elsaß 93 Personen anwesend waren, während im Jahre 1927 die Zahl auf 23 sank.

WEITERE PRÜFUNGEN FÜR DIE FRANZÖSISCHEN BRÜDER

Im Juli 1925 wurde Bruder Binkele, der Leiter des „Zentraleuropäischen Büros“, aus gesundheitlichen Gründen von Bruder Zaugg abgelöst. Im darauffolgenden Jahr wandte sich Binkele gegen die Gesellschaft und gründete eine eigene Sekte, die er „Die freien Bibelforscher“ nannte. 1926 wurde Bruder Zaugg von Bruder Martin Harbeck abgelöst, den Bruder Rutherford aus Brooklyn schickte. Bruder Zaugg gab den Vollzeitdienst auf und verließ schließlich die Wahrheit.

So wurde innerhalb von zwei Jahren zweimal ein Leiter des französischen Werkes unter dramatischen Umständen entlassen. Die Brüder in Frankreich erfuhren davon, und das machte die Sache nicht besser. So ging für die Brüder im französischsprachigen Gebiet eine lange Zeitspanne kriegsbedingter Prüfungen und Nachkriegssichtungen zu Ende.

AUSDEHNUNG UNTER DEN POLEN

Aus verschiedenen politischen und wirtschaftlichen Gründen ermöglichte es die französische Regierung nach dem Ersten Weltkrieg vielen Polen, als Bergarbeiter nach Frankreich zu kommen. Bald entstanden Bergbaugemeinden, in denen nur die polnische Sprache zu hören war. Den Bergarbeitern folgten bald polnische Bäcker, Metzger, Lebensmittelhändler und katholische Priester. 1923 lebten in Nordfrankreich bereits 100 000 Polen, und täglich trafen weitere ein.

Die französischen Versammlungen in Nordfrankreich predigten unter diesen polnischen Bergarbeitern und ihren Familien, und viele von ihnen interessierten sich für die Wahrheit. 1923 wurde die erste polnische Versammlung gegründet, und im darauffolgenden Jahr schickte Bruder Rutherford polnisch sprechende amerikanische Pilgerbrüder aus Brooklyn, die das Photo-Drama unter den Polen vorführen sollten. Diese Pilgerbesuche waren für die Brüder eine große Ermunterung und stärkten ihre Verbundenheit mit dem Hauptbüro.

Das Wachstum des Königreichswerkes unter den Polen war erstaunlich. Von den 1 138 Personen, die 1926 in Frankreich beim Gedächtnismahl anwesend waren, stammten 518 aus der polnischen Bevölkerung. Und von den 34 Versammlungen, die es in jenem Jahr in Frankreich gab, waren 12 deutschsprachig (in Elsaß-Lothringen), 12 polnischsprachig und 10 französischsprachig Diese polnischen Versammlungen wurden von polnisch sprechenden amerikanischen Pilgerbrüdern besucht, die aus Brooklyn geschickt wurden, zum Beispiel von Bruder Krett, Bruder Ludwig Kuzma und Bruder Rycombel. 1926 fand in Sin-le-Noble eine Hauptversammlung statt. 300 Personen waren beim französischen Programm und 1 000 beim polnischen Programm anwesend. Bruder Albert Kosmalski, der von 1928, bis 1936 unter den polnischen Versammlungen als Pilgerbruder tätig war, berichtete folgendes:

„Als Bruder Rutherford nach Bruay-en-Artois kam [1924], sagte er den Polen, Jehova habe sie aus ihrem Land herausgebracht, damit sie in Frankreich die Wahrheit kennenlernten und damit sie und ihre Kinder auch den Franzosen helfen könnten, die Wahrheit kennenzulernen. Er fügte hinzu, daß noch ein großes Predigtwerk zu tun sei und daß Jehova Verkündiger für dieses Werk erwecken werde.“

Diese Worte Bruder Rutherfords bewahrheiteten sich. Das Jahrbuch für 1929 berichtete:

„Die polnischen Geschwister sind sehr eifrig; sie geben sich nicht damit zufrieden, in ihrer Nachbarschaft zu arbeiten, sondern eine ganze Anzahl Versammlungen hatten es auf sich genommen, entferntere Gegenden aufzusuchen. Um ihre Landsleute zu suchen, fahren viele der Geschwister über hundert Kilometer mit dem Fahrrad. Sie finden die Polen nicht nur in den Bergwerken, sondern auch auf vielen Gütern und verkündigen ihnen die Botschaft vom Königreich. Einige der polnischen Geschwister haben es auch unternommen, unter den Franzosen zu arbeiten, und hatten großen Erfolg mit der französischen Freiheitsbroschüre. Die polnischen Geschwister beginnen die Einheit des Werkes des Herrn zu erkennen und die Notwendigkeit, dieses Werk nach der Methode und mit der Organisation des Herrn hinauszuführen. Während dieses Jahres sind 332 polnische Geschwister getauft worden.“

DIE TREUEN MACHEN WEITER

Trotz Prüfungen setzten die französischen Brüder in Nordfrankreich das Predigtwerk fort. 1927 begann man in Frankreich, sonntags mit Büchern und Broschüren von Haus zu Haus zu predigen. Bruder Weber besuchte weiterhin die Versammlungen und die einzelnen Gruppen. Neue kamen hinzu. Eine Familie aus Lyon lernte durch einen Verwandten aus Deutschland die Wahrheit kennen. Die drei Töchter dieser Familie Rocque kamen schließlich alle in die Wahrheit. Später heirateten sie und hießen dann Fenouil, Boiteux und Blanck. Diese Familien bildeten den Kern der künftigen Versammlung Lyon. 1927 befand sich das einzige Büro für das Werk in Frankreich in Straßburg, und das unterstand der Leitung des Berner Büros.

Zu dieser Zeit wurden in Frankreich auch Italiener mit der Königreichsbotschaft erreicht. Im Jahrbuch für 1929 hieß es diesbezüglich: „So ist das Photodrama dort auch den Italienern vorgeführt worden. ... Mussolini vertreibt gute Italiener aus seiner Herrschaft, und siehe da, der Herr schenkt ihnen in Frankreich die Wahrheit!“ 1928 erreichte Frankreich eine Höchstzahl von 447 Verkündigern. Davon waren sieben Kolporteure, wie die Pioniere damals genannt wurden. Es gab 45 Versammlungen.

EIN BÜRO IN PARIS ERÖFFNET

1929 wurde das Straßburger Büro in Räumlichkeiten verlegt, die die Gesellschaft in Paris 18, 105, rue des Poissonniers gemietet hatte. Ein Bruder aus dem Elsaß, Gustave Zopfer, wurde als Leiter dieses neuen Pariser Büros eingesetzt. Das Büro unterstand natürlich noch der Aufsicht des Schweizer Zweigbüros in Bern, wo Bruder Harbeck der Hauptleiter war.

In Groß-Paris lebten 1929 etwa 40 Verkündiger. Im Herbst wurde in Nordfrankreich, in Lens, ein Kongreß abgehalten, auf dem 1 200 Personen anwesend waren. Etwa 600 nahmen am Predigtdienst teil, und sie gaben über 5 000 Bücher und Broschüren ab. Natürlich waren die meisten von ihnen polnische Brüder.

AUSLÄNDISCHE KOLPORTEURE

1929 kamen zwei englische Kolporteure (jetzt Pioniere genannt) über den Ärmelkanal und arbeiteten in Dünkirchen und Umgebung, und viele weitere folgten bald. Bruder Harbeck, der Leiter des Berner Büros, schrieb:

„Wir beteten darum, daß der Herr Kolporteure nach Frankreich senden möge, und unser Gebet wurde erhört. Die meisten Kolporteure kamen aus England und aus anderen Ländern, und ohne die Sprache zu kennen benutzen sie die [Zeugnis]Karten und haben wunderbaren Erfolg. 1930 wurde in Frankreich von den Klassen achtmal soviel Literatur verbreitet wie 1928.“

Im Jahre 1930 stieg die Zahl der Kolporteure auf 27. Das Werk dieser Vollzeitprediger bestand hauptsächlich darin, große Teile des Gebiets durchzuarbeiten und Literatur zu verbreiten. Auf diese Weise gelangte die Königreichsbotschaft in Gegenden, in denen sie noch nie zuvor zu hören war. Ein weiterer Beweis dafür, daß das Werk voranging, war, daß 1930 ein französisches Zweigbüro der Watch Tower Society eröffnet wurde. Im Pariser Büro gab es damals bereits fünf Mitarbeiter. Einer von ihnen war der Landesleiter, Bruder Zopfer, der unter der Leitung von Bruder Harbeck aus Bern tätig war.

INTERNATIONALER KONGRESS IN PARIS

Der erste große Kongreß in Paris fand vom 23. bis 26. Mai 1931 im Pleyel-Saal statt; er kennzeichnete einen Wendepunkt in der Geschichte der Zeugen Jehovas in Frankreich. Der Wacht-Turm vom 15. August 1931 berichtete darüber:

„Nach der genauesten Zählung, die gemacht werden konnte, nahmen an der Versammlung etwa 1450 Deutsche, 778 Engländer, 551 Polen, 200 Franzosen und kleinere Gruppen von vielen anderen Ländern teil. Durch Nachforschen unter den Versammelten stellte sich heraus, daß dreiundzwanzig Nationalitäten vertreten waren, fast alle aber verstanden eine der folgenden Sprachen: Englisch, Polnisch, Französisch oder Deutsch. Die Vorträge wurden in diesen Sprachen gehalten, wobei öfters zu gleicher Zeit drei Dolmetscher auf der Rednertribüne waren. ... Der Präsident der Gesellschaft hielt mehrere Ansprachen, und diese wurden nacheinander in die französische, deutsche und polnische Sprache übersetzt. ...

Eine begeisterte Stimmung durchzog den Kongreß der Bibelforscher während der ganzen Dauer der Versammlung, und zum Schluß hörte man einen jeden sagen: ,Das war gewiß die beste Versammlung, die je abgehalten worden ist. Ohne Frage war es die beste, die je in Paris abgehalten wurde, und wahrscheinlich ist nirgendwo eine bessere abgehalten worden. Die Zeit für die Ausdehnung des Werkes in Frankreich scheint jetzt bestimmt gekommen zu sein. ...

Für das Büro ist eine bessere Lage gefunden worden, wo auch mehr Raum und besseres Licht vorhanden ist. Außerdem hat der Herr Fürsorge getroffen für eine Wohnung, wo die Büroarbeiter zu mäßigen Preisen und bequem als eine Familie zusammen leben können; und der Herr hat für einige Missionsarbeiter, die dauernd in der Stadt Paris sein werden, auch Obdach besorgt.“

Der Predigtdienst war ein wichtiger Bestandteil des Kongresses. Alles war gut geplant, und jeder Verkündiger erhielt Richtlinien und Beistand. Wie der Messenger vom 25. Juli ]931 berichtete, war der Dienst ein voller Erfolg:

„Jede Gruppe hatte einige Dolmetscher bei sich, die dem Gruppenleiter halfen, seine Arbeiter einzusetzen. Einige Gruppen fuhren mit großen Touristenbussen ins Gebiet, die für diesen Zweck gemietet worden waren und vor dem Saal auf sie warteten. Andere, denen in der Nähe gelegenes Gebiet zugeteilt worden war, fuhren mit der Straßenbahn, mit dem Taxi oder gingen zu Fuß. Praktisch alle Kongreßteilnehmer beteiligten sich am Dienst. Allein an jenem Vormittag des Dienstes gaben die Arbeiter 1 329 Bücher und 14 557 Broschüren ab. Während des gesamten Kongresses in Paris wurden insgesamt 16 776 Bücher und Broschüren abgegeben.“

EIN RUF NACH KOLPORTEUREN

Auf dem Kongreß in Paris erging ein Ruf nach mehr Kolporteuren. Dies und die offensichtliche Kundgebung des Geistes Gottes bewog viele dazu, den Vollzeitdienst aufzunehmen. John Cooke, der damals erst ein Jugendlicher war, später aber als Missionar in Spanien diente und gegenwärtig in Südafrika dient, schrieb:

„Welch ein Kongreß! Ich werde ihn nie vergessen. Für einen jungen Bruder, der an eine kleine Versammlung gewöhnt war, war es begeisternd, mit einigen hundert Brüdern von London nach Paris zu reisen. Und noch begeisternder war es, die größere Abordnung aus Deutschland und Brüder aus mehreren anderen Ländern zu sehen. Wie überschwenglich und enthusiastisch erschienen uns gesetzten Engländern doch diese Brüder vom Festland! ... Alles schien so gut organisiert, so dynamisch zu sein, und jeder sah so glücklich aus.

Damals traf ich die große Entscheidung, die mein Leben änderte. Ich hatte bereits viel über den Pionierdienst nachgedacht, und ich wollte ihn gern aufnehmen, doch der Widerstand meines Vaters hielt mich zurück. Gleich am ersten Kongreßtag jedoch sagte eine Schwester, mit der ich mich unterhielt: ,Ein junger Bruder wie du sollte Kolporteur sein. Warum bist du es denn nicht?‘ Solche Bemerkungen wurden mehrmals gemacht. Bruder Rutherford sagte auf seine nachdrückliche Weise: ,Nichts unter der Sonne sollte euch junge Leute davon abhalten, den Kolporteurdienst aufzunehmen.‘ “

Ein anderer englischer Bruder, Eric Wilkinson, erzählte, daß „jeder beliebige aus jedem beliebigen Land eingeladen wurde, nach Frankreich zu kommen und sich an dem Werk zu beteiligen“. Eric und ein Freund aus seiner Versammlung in Lancaster (England) befolgten den Ruf und predigten bald die gute Botschaft in Frankreich als Vollzeitverkündiger. Auf diese Weise stieg die Zahl der Pioniere in Frankreich von 27 im Jahre 1930 auf 104 im Jahre 1931.

KOLPORTEURDIENST IN FRANKREICH

Bruder Wilkinson erzählte über das Kolporteurwerk in Frankreich:

„Wir wurden beauftragt, im Elendsviertel von Paris zu arbeiten. Die Hausmeister [Concierges] waren genauso entschlossen, uns nicht in ihren Gebäuden arbeiten zu lassen, wie wir entschlossen waren, dort zu arbeiten. Oft wurde die Polizei gerufen, und wir wurden zum Commissaire gebracht, der gewöhnlich verständnisvoll war und uns wieder gehenließ. Schließlich fertigten wir uns eine Art Rückenschürze mit fünf Taschen an, deren Träger uns über die Schulter gingen. Wir trugen sie unter unserer Jacke, und darin war für so viel Literatur Platz, wie wir für ein Gebäude brauchten. Damit konnten wir dann an den Hausmeistern (die in ihren verglasten Räumen saßen) vorbeigehen. Den Rest unserer Literatur ließen wir in einer Tasche beim Fahrrad. Wir arbeiteten natürlich mit einer Zeugniskarte, aber mein Freund (der Französisch sprach) war sehr überrascht, als er feststellte, daß ich entgegen seinen Erwartungen mehr Literatur abgab als er. Er erzählte den Leuten zuviel, so daß ihre Wißbegier befriedigt war, wenn er zu Ende geredet hatte.

In Paris zu arbeiten war eine große Belastung, besonders für jemanden, der auf dem Land groß geworden ist. Noch schlimmer war, daß wir in dem Bezirk, in dem wir arbeiteten, oft feststellten, daß es nur eine Toilette für 4 bis 6 Wohnungen gab. Diese Toilette war in einer Ecke des Treppenhauses installiert, und sie hatte keine Wasserspülung, sondern nur ein gerades Rohr. Man kann sich vorstellen, wie das in der Hitze des Sommers roch! Wir sehnten uns nach den grünen Feldern, und als in den Provinzen mehr Pioniere benötigt wurden, meldeten wir uns dafür freiwillig.“

Samuel Nongaillard, ein französischer Bruder, der damals in der Nähe von Paris lebte, erzählte eine amüsante Erfahrung von zwei Verkündigern, die noch nicht viel Französisch gelernt hatten:

„In Paris bestand die größte Schwierigkeit darin, an den Concierges [Hausmeistern] vorbeizukommen, die richtige Wachhunde waren. Zwei englische Schwestern arbeiteten einmal gerade in einem Apartmenthaus in Paris, als der Concierge die Treppen hochkam und sie fragte, was sie da täten und zu wem sie wollten. Dieser Concierge war sehr aggressiv, und so mußten die Schwestern schnell eine Antwort finden. Eine der Schwestern sah an einer Tür ein Emailleschildchen mit einer Aufschrift. Sie dachte, es sei der Name des Wohnungsinhabers, und antwortete mit einem strahlenden Lächeln: ,Wir wollen zu Madame Tournez le bouton [Bitte den Knopf drehen].‘ “

VORBILDLICHER EIFER UND AUSHARREN

Diese ersten Pioniere waren in ihrem Eifer und in ihrem Ausharren vorbildlich. Sie verzichteten auf physische Annehmlichkeiten, aber sie verspürten viele reiche geistige Segnungen. Mona Brzoska, eine englische Schwester, schrieb über die Erfahrungen, die sie 1931 und in den folgenden Jahren in ihrem Pionierdienst in Frankreich machte:

„Unsere Unterkunft war im allgemeinen sehr primitiv, und eines der größten Probleme war das Heizen im Winter. Oft waren wir gezwungen, uns; mit einem eiskalten Zimmer zufriedenzugeben, wo wir morgens erst einmal die Eisschicht im Wasserkrug aufbrechen mußten, bevor wir uns waschen konnten. Auf einem kleinen Ölofen konnten wir einfache Gerichte kochen. Damals gab es noch keine Campingausrüstung, wie es sie heute gibt. Unsere Ausrüstung war daher sehr primitiv, und unser Lebensstil war ziemlich spartanisch.

Wir bekamen nie andere Bibelforscher zu sehen; wir waren völlig isoliert. Das war die größte Veränderung gegenüber dem Leben in unserem eigenen Land, wo wir immer mit den Brüdern in Verbindung gewesen waren. Wir mußten gegen diese Isolation ankämpfen, indem wir regelmäßig gemeinsam die Schriften der Gesellschaft studierten. Da wir in jener Zeit keine Rückbesuche oder Heimbibelstudien durchführten, hatten wir abends Zeit, an unsere Angehörigen und besonders an andere Pioniere zu schreiben, ihnen unsere Erfahrungen mitzuteilen und einander zu ermutigen. Einige Jahre lang mußten wir sogar das Abendmahl zu zweit feiern.

Unsere Arbeitstage waren lang. Jeden Tag fuhren wir mit dem Fahrrad 50 bis 60 Kilometer weit. Wir mußten frühmorgens beginnen, besonders im Winter, um die Tagesstunden gut zu nutzen.“

Zwar waren die meisten der ersten Pioniere Engländer, doch auch andere Nationalitäten waren vertreten, darunter Deutsche, Schweizer, Polen und Franzosen. Diese Pioniere hatten oft sehr wenig ZU essen. Ein französischer Bruder erzählte, daß er einmal ausländische Pioniere in Lyon besuchte, die ihm dann folgendes Rezept verrieten:

„Man füllt abends Weizen in eine Thermosflasche und gießt kochendes Wasser darüber. Am nächsten Morgen wird der Inhalt ausgeschüttet und mit Zucker gesüßt. Das Resultat war eßbar und zweifellos auch nahrhaft, aber nicht sehr appetitanregend.“ Zumindest nicht für einen Franzosen!

MISSIONARE AUSGEWIESEN, DOCH IHRE ARBEIT TRÄGT FRUCHT

Im Jahre 1934 gab das Innenministerium der Polizei den Auftrag, alle ausländischen Missionare, die für die Watch Tower Society arbeiteten, auszuweisen. Diese Anordnung wurde von dem französischen Politiker Pierre Laval ausgefertigt, der später, während des Zweiten Weltkrieges, ein Verräter wurde und nach einem Prozeß erschossen wurde. Die meisten ausländischen Kolporteure mußten somit 1934 und 1935 Frankreich verlassen.

Dennoch war ihre Tätigkeit von Erfolg gekrönt. 1935 schrieb Bruder Zopfer, der Leiter des Pariser Büros: „Die Arbeit, die diese besonders in den Jahren 1930 bis 1934 verrichten durften, war eine wunderbare Saat, die jetzt aufgeht. Aus allen Gegenden Frankreichs laufen beständig Briefe von Freunden ein, die ihre Freude darüber bekunden, daß sie von Jehovas Zeugen besucht wurden und so die Wahrheit fanden.“

Ja, nicht wenige Personen, die für Jehova Stellung bezogen haben, hatten in jenen Vorkriegsjahren Literatur von den Kolporteuren entgegengenommen. Zum Beispiel schrieb vor ein paar Jahren Bruder Daniel-Oviez an das Zweigbüro der Gesellschaft: „Hier in Narbonne bekunden jetzt einige Personen Interesse, die bereits vor dem Krieg Publikationen von den englischen Pionieren erhalten haben.“ Eine Schwester schrieb: „Hin und wieder trifft man ältere Brüder und Schwestern, die damals zum erstenmal Schriften der Gesellschaft erhielten. Zur Zeit studiere ich mit einer Dame, die in den 30er Jahren das Buch Schöpfung bekam.“

All die eifrigen Pioniere, die vor dem Krieg in Frankreich arbeiteten, können davon überzeugt sein, daß ihre französischen Brüder heute den großen Wert ihrer Tätigkeit anerkennen. Sie waren echte Pioniere — ein wunderbares Beispiel für die jungen Glieder der Versammlungen von heute.

RUNDFUNKSENDUNGEN

Am 15. Februar 1930 war es der Gesellschaft möglich mit der Pariser Rundfunkstation VITUS einen Vertrag zu schließen, und bis zum Sommer 1931 hatte diese Station 140 französische, 35 englische und 9 polnische biblische Vorträge gesendet. Der öffentliche Vortrag, den Bruder Rutherford 1931 auf dem Kongreß in Paris hielt, wurde von dieser Station ausgestrahlt. Der folgende Brief eines Parisers gibt eine Vorstellung davon, wie gut sich diese Sendungen auswirkten:

„Ich habe dem Vortrag, der gestern von der Radiostation VITUS gesendet wurde, aufmerksam zugehört; erlauben Sie mir, meine Wertschätzung für den Redner zum Ausdruck zu bringen, an dessen Namen ich mich nicht erinnern kann. Die Radiostation VITUS wird eines Tages stolz darauf sein, für einen solch wunderbaren Zweck gebraucht worden zu sein, und das zu einer Zeit. In der Religion und Wissenschaft trotz allen Fortschritts so unvereinbar sind. Ein Hurra für VITUS!“

Das Jahrbuch für 1932 berichtete: „Tausende von Menschen in Paris und Umgebung [hören] die Botschaft. Viele davon haben uns im Pariser Büro aufgesucht, das jetzt zentraler gelegen ist, und sich von dort die Literatur beschafft.“

Unter denen, die durch die Radiosendungen in die Wahrheit kamen, war die Familie Queyroi. Sie lebte in Saint-Ouen, einem Vorort im Norden von Paris. Mehrere Glieder der Familie nahmen schließlich das Vollzeitpredigtwerk auf. Einer der Söhne, Jean Queyroi, ging später nach Gilead und dient heute noch im Raum Paris treu im Vollzeitdienst.

Die Rundfunksendungen hatten aber noch einen weiteren Nutzen, wie Schwester Mona Brzoska, eine der ausländischen Pionierinnen, erklärte: „Schon allein die Bemerkung, daß solche Programme gesendet wurden, bewirkte, daß uns die Menschen zuhörten. Sie wollten nicht gern zugeben, daß sie nicht auf dem laufenden waren.

Im Laufe der Jahre strahlten außer dem Sender VITUS auch andere französische Radiostationen unsere biblischen Vorträge aus. Außerdem wurden Direktsendungen aus Amerika in Frankreich empfangen. Am Sonntag, dem 13. Januar 1935, machten Radiostationen in Schenectady und Pittsburgh Versuchssendungen. Bruder Rutherfords Vortrag „Universeller Krieg nahe“ wurde auf Kurzwelle gesendet und in Frankreich empfangen Der erfolgreiche Verlauf dieses Experiments führte zu einer Sendung am 2. Juni 1935: Bruder Rutherfords Vortrag „Regierung“, den er während eines Kongresses in Washington hielt, wurde von Radio Philadelphia ausgestrahlt und in Paris auf einem Kongreß im Pleyel-Saal empfangen.

ADRESSÄNDERUNG

Im April 1931 wurde das Pariser Büro der Gesellschaft aus den etwas düsteren und überfüllten Räumlichkeiten in der rue des Poissonniers 105, Paris 18 in die günstigeren und besser gelegenen Räumlichkeiten verlegt, die in der rue du Faubourg Poissonniére 129, Paris 9 gemietet worden waren. Im gleichen Jahr kaufte die Gesellschaft eine Villa in Enghien-les-Bains, einem Vorort nördlich von Paris, die das erste wirkliche Bethelheim in Frankreich wurde. Hier wohnten die Brüder und ins Büro zur Arbeit fuhren sie dann jeden Tag mit dem Zug nach Paris. Bruder Gustave Zopfer war verantwortlich, und seine Frau blieb in Enghien, um sich dort um das Bethelheim zu kümmern.

Alice Berner, die jetzt im Wiesbadener Bethel arbeitet, wohnte Anfang der 1930er Jahre eine Zeitlang im französischen Bethel. Sie erzählte:

„Es war ein schönes Haus mit einem großen Garten. Das bedeutete für uns natürlich auch Arbeit. An den Wochenenden verwandten wir Mädchen vom Büro daher einige Stunden darauf, im Garten Unkraut zu jäten und auch beim Bügeln zu helfen.

Morgens, nach dem Tagestext und dem Frühstück, liefen wir zum Zug, der uns zum Bahnhof Paris-Nord brachte. Es war ein komfortabler Zug, und die Leute lasen gewöhnlich ihre Morgenzeitung. Manchmal hatten wir auch Gelegenheit, Zeugnis zu geben.

Die Räumlichkeiten in der rue du Fauboura Poissonniére 129 dienten vielen Zwecken. Dort war unser Büro, und dort stand auch ein großer Tisch mit Literatur für diejenigen, die zu uns kamen, um Bücher oder Zeitschriften zu holen. Der übrige Raum diente als Lager, und etwas versteckt war eine kleine Küchenecke, denn wir fuhren zum Mittagessen nicht nach Hause, sondern nahmen es im Büro ein. Wir waren damals sieben Personen, doch ab und zu kamen Brüder und Schwestern, um uns bei eiligen Sendungen zu helfen. So waren wir manchmal 10 bis 12 Personen beim Mittagessen in glücklicher Gemeinschaft.“

1931 — DER NEUE NAME

Im Jahre 1931 wurde der neue Name „Jehovas Zeugen“ angenommen, und viele der älteren französischen Brüder erwähnen, daß ihnen dies einen großen Auftrieb gab. Im französischen Bulletin (Königreichsdienst) vom Oktober 1931 (deutsch: Sept. 31) hieß es unter der Überschrift „Ein neuer Name“: „Welch eine Genugtuung ist es, wenn jemand auf die Frage: ,Was sind Sie denn, oder wie nennen Sie sich?‘ antworten kann: ,Ich bin Jehovas Zeuge!‘ “

HILFSMITTEL FÜR DAS PREDIGTWERK

Im Januar 1932 wurde ein französisches Exemplar der neuen Broschüre Das Königreich, die Hoffnung der Welt an den Präsidenten der Französischen Republik, an Minister, Senatoren, Abgeordnete, Magistraten, Offiziere und an Geistliche gesandt, angefangen von den Kardinälen bis hinab zum Gemeindepriester. Die Broschüre wurde auch von Haus zu Haus weit verbreitet.

Im Oktober des gleichen Jahres wurde die Zeitschrift Das Goldene Zeitalter wieder in Französisch veröffentlicht. Sie wurde dem französischen Geschmack angepaßt und enthielt regelmäßig die Radiovorträge von Bruder Rutherford Die Zeitschrift wurde in Paris herausgegeben — die Brüder Gustave Zopfer, Abel Degueldre und Emile Delannoy bildeten das Herausgeberkomitee — und von einer weltlichen Druckerei in Paris gedruckt. Im folgenden Jahr wurde der französische Wachtturm als 16seitige halbmonatliche Zeitschrift herausgegeben; bis dahin war er nur monatlich erschienen.

DAS LAND DURCHGEARBEITET

Im Jahre 1932 gab es in Frankreich 85 Pioniere und insgesamt 796 Verkündiger. Sie benutzten 100 Motorräder, vier Autos und zwei große Busse, um die Königreichsbotschaft weit und breit zu verkündigen. 1932 wurde zum erstenmal berichtet, daß ganz Frankreich von Königreichsverkündigern durchgearbeitet worden war; 965 808 Bücher und Broschüren waren dabei abgegeben worden.

BEGINN DER AUSWEISUNGEN

Bereits 1932 begann Frankreich, einige ausländische Verkündiger zu zwingen, das Land zu verlassen. Unter ihnen befanden sich eine Anzahl polnische Brüder sowie Bruder Alfred Rütimann und seine Frau aus der Schweiz. Bruder Rütimann übersetzte ins Französische, und er setzte diese Tätigkeit fort, nachdem er in die Schweiz zurückgekehrt war. Nach vielen Jahren treuen Dienstes starb er im Jahre 1959 als Glied der Berner Bethelfamilie. Am 21. Januar 1971 schrieb Schwester Rütimann in einem Brief an das französische Zweigbüro: „Alfred arbeitete mit großer Liebe für die französisch sprechenden Brüder. Er scheute keine Mühe, um beim Übersetzen ins Französische zu helfen; er hatte einen brennenden Eifer, und wir beten darum, daß unsere Bemühungen ein wenig zu der großartigen Zunahme beigetragen haben mögen, die wir heute sehen.“

BÜCHER DER GESELLSCHAFT GEWINNEN GOLDMEDAILLEN

Im September 1933 wurden die französischen Brüder eingeladen, die Schriften der Gesellschaft auf einer Ausstellung in Paris auszustellen. Zwei Wochen später erhielten die Brüder vom Ausstellungskomitee ein Diplom mit einer Goldmedaille für religiöse Schriften. Das ermutigte sie, ein paar Monate später an einer weiteren Ausstellung teilzunehmen, und diesmal wurde der Gesellschaft ein Ehrendiplom mit goldener Medaille und Kreuz der Stadt Paris zuerkannt. Das Ausstellungskomitee erklärte dazu in einem Brief:

„Die Diplome, die Ihnen anläßlich der Ausstellungen im September und Dezember zuerkannt wurden, stellen eine Belohnung für den hohen moralischen Wert Ihres Werkes dar, ferner für die unzweifelhafte Ehrlichkeit, die Ihrer Einrichtung zugrunde liegt. ... Die Literatur der Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft ist ein Symbol für Ehrlichkeit und Rechtschaffenheit, für Mut und Treue.“

TELEGRAMME AN HITLER

Inzwischen wurden Jehovas Zeugen jenseits der Grenze, in Deutschland, heftig verfolgt. Am 7. Oktober 1934 sandten daher alle französischen Versammlungen wie auch die Brüder im übrigen Teil der Welt Protesttelegramme an Hitler und seine Regierung wegen der Verfolgung der Zeugen Jehovas. Einige französische Postämter lehnten es ab, das Telegramm zu befördern, aber die meisten taten es, wenn die Brüder darauf bestanden.

WIDERSTAND DER GEISTLICHKEIT UND MASSENAUSWEISUNGEN

Während das Werk der Zeugen Jehovas in Frankreich gut voranging, begann die Geistlichkeit, eine große „Gefahr“ für „ihre“ Herden zu erkennen. In Paris hielten gewisse polnische Geistliche eine Konferenz ab und kamen überein, alles zu tun, um unsere Tätigkeit unter den Polen zu unterbinden. Sie ließen unsere Literatur vor den Kirchentüren öffentlich verbrennen. An anderen Orten stellten sie an den Kirchentüren und vor Schulen Schilder auf, auf denen vor dem Kauf unserer Schriften gewarnt wurde.

Dann, im Februar 1934, gab das französische Innenministerium ein Rundschreiben heraus, in dem unsere Schriften als „umstürzlerisch“ bezeichnet wurden und die Polizei angewiesen wurde, alle ausländischen Missionare aus Frankreich auszuweisen. Diese Anordnung betraf auch einige unserer polnischen Brüder, die die Wahrheit in Frankreich kennengelernt hatten. In einigen Orten wurden ganze Scharen dieser ergebenen Christen aufgefordert, Frankreich innerhalb von 48 Stunden zu verlassen. So kam es, daß einige Versammlungen, die völlig aus polnischen Brüdern bestanden, nicht nur in Nordfrankreich, sondern auch in den Bergarbeiterstädten und -dörfern Mittelfrankreichs, über Nacht verschwanden. Im Jahrbuch 1935 der Zeugen Jehovas hieß es darüber:

„Manchen [polnischen Brüdern] wurde die Arbeit entzogen, und ohne Unterstützung und ohne Geld war es ihnen überlassen, in ihr Geburtsland zurückzukehren. So sahen sie sich großen Schwierigkeiten gegenüber. Auch deutsche und englische Bürger, die in Frankreich im Pionierdienst standen, wurden des Landes verwiesen. Es war deshalb schwierig, die Arbeit so erfolgreich durchzuführen, wie man gehofft hatte.“

Etwa 280 polnische Brüder kehrten 1935 nach Polen zurück, und einige von denen, die in Frankreich blieben, wurden durch die Schwierigkeiten entmutigt und gaben ihren Glauben auf. Somit sank die Gesamtzahl der Verkündiger in Frankreich von 1 054 im Jahre 1934 auf 889 im Jahre 1935, und die Zahl der Pioniere sank von 62 auf 41.

VERWENDUNG DES GRAMMOPHONS

In den Jahren 1934 und 1935 wurde ein neues Mittel angewandt, um die Königreichsbotschaft zu verbreiten: In den Wohnungen interessierter Personen wurden auf Schallplatten aufgenommene biblische Vorträge abgespielt. Etwa 100 tragbare Grammophone wurden 1935 in Frankreich benutzt. Aus Berichten geht hervor, daß 1936 in Frankreich 12 709 Personen den Schallplattenaufnahmen der Gesellschaft zuhörten. Einige Brüder, die in den Bergwerken arbeiteten, verwandten ihre Grammophone, um die Königreichsbotschaft ihren Arbeitskollegen zu verkündigen. In einem Bergwerk wurde für mehrere Tage eine „Sprechmaschine“ (Grammophon mit elektrischem Verstärker) aufgestellt, und den Bergleuten wurden alle Schallplatten vorgespielt.

Im Jahre 1937 wurde es uns unmöglich gemacht, in Frankreich das Radio zu benutzen, denn es gelang der Geistlichkeit, die Besitzer der Rundfunkstationen einzuschüchtern, so daß sie es ablehnten, unsere Botschaft auszustrahlen, wenn sie nicht zuerst einer Art Zensur unterzogen würde. Daher machten wir vermehrt vom Grammophon Gebrauch, und die Brüder begannen, das Grammophon auch im Haus-zu-Haus-Dienst zu verwenden. Man setzte auch häufig Lautsprecherwagen ein. Bruder Samuel Nongaillard erzählte:

„Wenn wir in einem Dorf oder in einer Stadt eintrafen, zogen wir zuerst die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf uns, indem wir eine Musikschallplatte abspielten, gewöhnlich einen Marsch, dann spielten wir Schallplatten ab wie ,Wo sind die Toten?‘, und danach teilten wir der Öffentlichkeit mit, daß Jehovas Zeugen an den Türen vorsprechen würden.“

Bruder Jules Anache aus der Versammlung Sin-le-Noble erzählte uns folgende amüsante Erfahrung:

„In Picardy, einem Dorf im Departement Somme, erzeugten wir einen besonderen Schalleffekt. Wir stellten unseren Wagen, ausgerüstet mit Lautsprechern, oben auf einem Hügel ab, von dem aus man das Dorf überblicken konnte, doch versteckt hinter einer Gruppe von Bäumen. Dann drehten wir den Ton auf volle Lautstärke. Die Einwohner hörten zuerst die Musik und dann den Vortrag und fragten sich, ob die Botschaft wohl vom Himmel kam! In diesem Dorf ließen wir viel Literatur zurück.“

ÄNDERUNGEN IM PARISER BÜRO, UM PIONIEREN ZU HELFEN

Wegen des Wegzugs von so vielen ausländischen Brüdern ging die Verkündigerzahl im Jahre 1936 von 889 auf 822 zurück. Es waren jedoch immer noch 40 Pioniere in Frankreich, die meisten davon Ausländer. Eine Zeitlang hatten sie wenig oder gar keine Hilfe aus dem Pariser Büro erhalten.

Auf einem Kongreß, der im September in Luzern (Schweiz) stattfand, kam die Sache zur Entscheidung, als die Pioniere mit Bruder Rutherford sprachen. Das Jahrbuch 1937 der Zeugen Jehovas berichtete darüber: „Es ist außerordentlich bedauerlich, hier sagen zu müssen, daß der dortige Vertreter der Gesellschaft nicht mit den Pionieren zusammengearbeitet hat, wie er sollte. Diese Angelegenheit ist jedoch beigelegt, und es ist zu hoffen, daß sich die Verhältnisse, soweit sie diese Sache betreffen, nun bessern werden.“

Das oben zitierte Jahrbuch war übrigens das erste, das in Französisch erschien. Auch 1938 und 1939 wurde eine französische Ausgabe veröffentlicht, doch dann kam der Krieg, und das Jahrbuch wurde dann erst 1971 wieder in Französisch herausgegeben.

Bruder Zopfer wurde 1936 als Leiter des Pariser Büros von Fred Gabler ersetzt, einem englischen Bruder, der schon jahrelang im Vollzeitdienst tätig war, und Emile Delannoy wurde als sein Gehilfe eingesetzt. Gustave Zopfer gab später die Wahrheit auf und kollaborierte während des Krieges sogar mit den Nazis.

ZWEITER INTERNATIONALER KONGRESS IN PARIS

Vom 21. bis 23. August 1937 fand in Paris zum zweiten Mal ein internationaler Kongreß der Zeugen Jehovas statt, und zwar im Maison de la Mutualité. Dieses Gebäude hat einige der größten und geeignetsten Säle, die für eine solche Veranstaltung gemietet werden könnten. Der Redner sprach zu dem Publikum im Hauptsaal in Englisch, und die anderen Säle waren durch Kabel miteinander verbunden. In jedem dieser Säle übersetzte ein Dolmetscher den Vortrag in die Sprache der Zuhörer. Auf diese Weise hörten alle Kongreßteilnehmer denselben Vortrag gleichzeitig, jede Gruppe in ihrer eigenen Sprache. Über 3 500 Personen waren anwesend. Zum Hauptvortrag kamen zusätzlich noch 1 000 Personen in die Säle geströmt.

Damals wurden die Zusammenkünfte in Paris von nur etwa 100 Personen besucht. Wie glücklich waren sie doch, Delegierte aus allen Teilen der Welt zu Besuch zu haben! Zwei Züge kamen aus England, und einer kam aus der Schweiz. Der erste internationale Kongreß in Paris im Jahre 1931 war ein großer Erfolg gewesen, aber zweifellos war der Kongreß im Jahre 1937 ausgezeichnet organisiert, und er gab schon einen kleinen Vorgeschmack von den heutigen Kongressen der Zeugen Jehovas.

Nach dem Kongreß wurde Bruder Gabler nach Brüssel versetzt, um das Werk in Belgien zu beaufsichtigen, und Bruder Charles Knecht, ein Bruder aus dem Elsaß, der eine Zeitlang das Werk in Belgien beaufsichtigt hatte, wurde im Pariser Büro eingesetzt. Unter der Leitung von Bruder Knecht ging das Königreichswerk gut voran. Damals arbeiteten 10 Personen im Bethel in Enghien und im Pariser Büro. Das Grammophonwerk breitete sich schnell aus; 236 Grammophone waren in Betrieb, und die Zahl derer, die sich die Schallplatten der Gesellschaft anhörten, stieg von 28 412 im Jahre 1937 auf 103 801 im Jahre 1938.

WER SOLL DARAN TEILNEHMEN?

Diese Frage war ein Untertitel im französischen Wachtturm vom 1. April 1938. In dieser Zeitschrift wurden die „anderen Schafe“, die damals oft als „Jonadabe“ bezeichnet wurden, zum ersten Mal direkt zum Gedächtnismahl eingeladen. Die Frage, wer von den Gedächtnismahlsymbolen nehmen sollte, war für viele Brüder verwirrend. Doch eine Ansprache von Bruder Harbeck, dem Leiter des „Zentraleuropäischen Büros“ in der Schweiz, trug dazu bei, die Sache klarzustellen. Bruder Louis Piéchota erzählte über Bruder Harbecks Vortrag in Sin-le-Noble:

„Vor Beginn seiner Ansprache fragte er die Zuhörer, wer von ihnen glaube, die himmlische Berufung zu haben. Die meisten Anwesenden hoben die Hand. Dann entwickelte Bruder Harbeck sein Thema und beschrieb die vielen Segnungen, die den Menschen im wiederhergestellten Paradies zuteil werden. Am Ende seiner Ansprache fragte er die Zuhörer: ,Wer von euch möchte gern in diesem Paradies leben?‘ Viele hoben die Hand. Er fügte hinzu: ,Wenn eure ganze Hoffnung sich um das Leben auf einer paradiesischen Erde dreht, dann habt ihr keine himmlische Berufung empfangen.‘ “

Bedeutsamerweise nahm die Zahl derer, die von den Symbolen nahmen, ab, während die Zahl der Anwesenden wuchs. Beim Gedächtnismahl im Jahre 1939 waren in Frankreich 1 510 Personen anwesend, und nur 631 nahmen von den Symbolen.

GESTEIGERTE TÄTIGKEIT, WÄHREND DER KRIEG NAHT

In Europa ballten sich Kriegswolken zusammen, und Bruder Knecht sah voraus, daß das, was unseren Brüdern in Deutschland widerfuhr, sehr gut bald Jehovas Zeugen in anderen Teilen Europas, auch in Frankreich, widerfahren könnte. Er besuchte daher die Zonenkongresse und die Versammlungen in Frankreich und warnte die Brüder, damit sie sich auf die bevorstehenden Schwierigkeiten vorbereiten konnten.

Im Jahre 1938 veröffentlichte Bruder Franz Zürcher aus dem Berner Bethel das Buch „Kreuzzug gegen das Christentum“, das einen ausführlichen Bericht über die Verfolgung der Zeugen Jehovas im nationalsozialistischen Deutschland enthielt. Im darauffolgenden Jahr wurde das Buch in Französisch veröffentlicht. Bruder Zürcher kam nach Mülhausen im Elsaß und sprach über dieses Thema im Gebäude der Börse vor 600 Zuhörern.

Bis 1939 bestand die Tätigkeit der Zeugen Jehovas hauptsächlich darin, biblische Schriften zu verbreiten. Das änderte sich jetzt jedoch; 1939 wurden 8 739 Rückbesuche bei interessierten Personen berichtet. Diese Änderung in der Durchführung des Werkes war sehr günstig, denn die Brüder sammelten dadurch Erfahrungen in einem Dienstzweig, in dem sie in den Kriegsjahren, in denen nur sehr wenig Literatur vorhanden war, ausgiebig tätig sein würden.

Am 14. Juli 1939, dem französischen Nationalfeiertag, übergab Bruder Knecht den ersten Königreichssaal in Paris seiner Bestimmung. Das Gebäude war vorher eine Schmiede gewesen, doch nach einigen Wochen harter Arbeit hatten es die Brüder in eine schöne Versammlungsstätte verwandelt, in der 375 Personen Platz hatten. Leider kamen die Brüder in Paris nur ein paar Monate dort zusammen. Dann, am 3. September 1939 erklärte Frankreich Deutschland den Krieg, und das Werk mußte bald darauf im Untergrund durchgeführt werden.

Als diese Vorkriegsjahre zu Ende gingen, gab es in Frankreich 84 Versammlungen. 13 davon waren deutschsprachig (in Elsaß-Lothringen), 32 waren polnischsprachig (die meisten davon in Nordfrankreich), und 39 waren französischsprachig. Insgesamt gab es 1 004 Verkündiger, eine 19prozentige Zunahme gegenüber dem Vorjahr.

Interessanterweise wurden in den 12 Jahren vor dem Krieg 503 801 Bücher, 1 451 523 Zeitschriften und 5 798 603 Broschüren unter der französischen Bevölkerung verbreitet, also insgesamt 7 753 927 Schriften! Wäre das Werk damals zu Ende gewesen, so hätte das französische Volk niemals sagen können, es sei kein Prophet ‘in seiner Mitte’ gewesen (Hes. 2:5). Doch das Werk war in Frankreich bei weitem nicht vollendet, trotz der bevorstehenden schweren Zeiten.

DIE ORGANISATION VERBOTEN

Mitte Oktober 1939, etwa sechs Wochen nach Kriegsausbruch, wurde die Organisation der Zeugen Jehovas in Frankreich verboten. Bruder Knecht hatte diese Möglichkeit jedoch vorausgesehen und die Brüder gewarnt. So hatten die meisten Versammlungen Zeit, ihre Literaturvorräte sicher unterzubringen, wie man dies auch kurz vor der Beschlagnahme des Pariser Büros der Gesellschaft getan hatte. Auch das Bethelheim in Enghien-les-Bains wurde durchsucht, doch Bruder Knecht hatte bereits die Adreßplättchen mit den Anschriften aller Abonnenten der Zeitschriften Der Wachtturm und Trost sowie alle anderen wichtigen Unterlagen beiseite geschafft.

Zu dieser Zeit war Bruder Knecht bereits schwer krank. Er hatte Lungenentzündung. Der letzte Brief, den er als Aufseher des Werkes in Frankreich an alle französischen Versammlungen sandte, war vom 24. Oktober 1939 datiert. Er lautete:

„Liebe Brüder!

Hiermit teile ich Euch mit, daß auf Anordnung des Innenministeriums die Vereinigung ,La Tour de Garde‘ und eine Vereinigung der Zeugen Jehovas in Frankreich nicht mehr befugt sind, ihre Tätigkeit auszuüben, und daß infolgedessen das Büro der Watch Tower Society in Paris, 129, rue du Faubourg Poissonniére geschlossen worden ist und das Gebäude geräumt werden muß.

Wir werden alles in unseren Kräften Stehende tun, um unsere Sache und unser Werk zu verteidigen und um die Tätigkeit der Zeugen Jehovas zu rechtfertigen, besonders in Anbetracht des gegenwärtigen Trends, uns als Kommunisten anzusehen.

Diese beiden Vereinigungen existieren künftig nicht mehr. Von nun an muß jeder Zeuge Jehovas seine eigene Verantwortung vor Gott und Menschen tragen. Es wird Euch zweifellos ermutigen und trösten, daß diese Verfolgung in Übereinstimmung mit den Worten des Herrn aus Matthäus 24:9 über uns kommt, die sich erfüllen müssen, bevor alle in der biblischen Prophezeiung vorhergesagten Ereignisse geschehen.

Brüder, seid guten Mutes!

Mit herzlichen Grüßen und mit Jesaja 43:12, 2. Chronika 20:15 und Matthäus 10:28

[gezeichnet] Charles Knecht“

Ein paar Tage später, am 2. November 1939, starb Bruder Knecht im Alter von 41 Jahren. Er hatte Jehova jahrelang im Vollzeitdienst treu gedient. Die Brüder in Frankreich liebten ihn sehr, und das um so mehr, als praktisch alle, die bis dahin für das Werk in Frankreich verantwortlich gewesen waren (Lanz, Freytag, Binkele, Zaugg und Zopfer), sich als untreu erwiesen hatten. Wenn man aus der Geschichte des Werkes in Frankreich irgendeine allgemeine Lehre ziehen kann, so ist es bestimmt die, daß Jehovas Werk nicht von einem einzelnen Menschen abhängt.

Bruder Charles Zutter wurde aus der Schweiz gesandt, um sich der Interessen der Gesellschaft in Frankreich anzunehmen. Auch wurde Fred Gabler, der kurz vor dem Krieg von Belgien nach England gegangen war, nach Paris entsandt.

DIE ZEIT DES „SITZKRIEGS“

Während dieser ersten Kriegsmonate, vom September 1939 bis Mai 1940, gab es zwischen den Franzosen und den Deutschen kaum militärische Aktionen. Es war die Zeit des „Sitzkriegs“, und es war der Anfang einer Zeit echter Prüfungen für die Brüder. Viele, besonders in Nordfrankreich und auch im Elsaß, wurden ins Gefängnis gesteckt.

Louis Piéchota, der nach dem Krieg als Kreis und Bezirksdiener tätig war, wurde zusammen mit fünf anderen Brüdern eingesperrt. Sie wurden 24 Tage lang im Gefängnis festgehalten. Da sich dies ereignete, kurz bevor Bruder Knecht krank wurde, besuchte dieser die Brüder im Gefängnis in Dieppe. Bruder Piéchota schreibt: „Er ermahnte uns, auszuharren wie Paulus. Er hatte Tränen in den Augen, als er wegging, und wir auch.“

Während jener ersten Kriegsjahre gab es zahlreiche Beispiele für Jehovas Schutz. Bruder Georges Dellemme, Versammlungsdiener in Wattrelos, einem Ort an der französisch-belgischen Grenze, erzählt:

„Eines Tages wurde ich von einem Zollbeamten angehalten, der mich sehr gründlich durchsuchte. Er fand in meiner Tasche einen ,Wachtturm‘ und sagte: ,Und das, was ist das?‘

Ich antwortete: ,Das ist die Zeitschrift „Der Wachtturm“.‘ Ich hielt die Zeitschrift in meiner Hand, während ich mit erhobenen Armen dastand und er mich weiter durchsuchte. Als er sich bückte, um meine Schuhe zu untersuchen, steckte ich den ,Wachtturm‘ wieder in meine Tasche.

Als er aufstand sagte er: ,In Ordnung, sie können gehen.‘ Welch eine Überraschung! Absichtlich oder unabsichtlich hatte er die verbotene Zeitschrift vergessen.“

Bruder Zutter und Bruder Gabler hatten den Auftrag, ihr möglichstes zu tun, um das Eigentum der Gesellschaft in Paris zu schützen. Da waren die Werkstatt, in der die Schallplatten hergestellt wurden und in der sich teure Geräte befanden, das Pariser Büro in der rue du Faubourg Poissonniére und das Bethelheim in Enghien-les-Bains. Das Gebäude, in dem sich das Pariser Büro befand, war gemietet worden, und so gab es dort kein wirkliches Problem. Das Bethelheim in Enghien war klugerweise auf Hugo Riemer, einen amerikanischen Staatsbürger, überschrieben worden, und so war es sicher und konnte während des ganzen Krieges von den Brüdern benutzt werden.

Als einziges wurden schließlich von den Behörden ein kleines Auto und einige Möbel beschlagnahmt. Nachdem Bruder Zutter und Bruder Gabler ihren Auftrag erledigt hatten, kehrten sie in die Schweiz und nach England zurück, kurz bevor die Deutschen im Mai 1940 in Frankreich einfielen. Kurz zuvor hatte Bruder Harbeck, der Leiter des Berner Büros der Gesellschaft, darum gebeten, daß Bruder Henri Geiger nach Paris ging, um dort zu helfen, das Büro der Gesellschaft aufzulösen und das Werk im Untergrund zu organisieren. Wie man sich erinnern mag, hatte Bruder Geiger lange Zeit eine führende Rolle in dem Werk in Straßburg und im ganzen Elsaß gespielt. Bruder Emile Delannoy wurde als sein Gehilfe ernannt.

FRANKREICH GERADE RECHTZEITIG VERLASSEN

Im Frühjahr 1940 änderte sich das Kriegsgeschehen und nahm für Frankreich einen tragischen Verlauf. Nachdem Hitlers Panzerdivisionen Polen erfolgreich überrannt hatten, machten sie plötzlich eine Kehrtwendung, und schon war der Blitzkrieg gegen Westeuropa im Gange. Die Schnelligkeit ihres Vorrückens war erstaunlich! John Cooke war mit stoischer Ruhe in Frankreich geblieben. Er war noch als einziger englischer Pionier im Land. Er zögerte, die neue Gruppe Interessierter, denen er in der Gegend von Bordeaux geholfen hatte, sich selbst zu überlassen. Doch der britische Konsul forderte alle britischen Staatsbürger auf, unverzüglich das Land zu verlassen. John erklärte:

„Ich erkannte, daß mein Bleiben für mich wahrscheinlich das Konzentrationslager bedeuten würde, wo ich nichts tun konnte. Als ich das nächste Mal am Konsulat vorbeikam, war es verlassen, und eine Notiz an der Tür besagte, daß jeder, der zurückgeblieben sei, sich nach Bayonne, einer südlicher gelegenen Hafenstadt, begeben solle, wo ein Schiff zur Verfügung stehe. Nach letzten Meldungen war die Vorhut der Nazis nur 50 Kilometer entfernt. Es war inzwischen Juni 1940, und Dünkirchen wurde gerade evakuiert. Ich kam daher zu dem Schluß, das es besser war zu gehen.

Ich verbrachte den letzten Tag damit, meine Angelegenheiten zu regeln und zu vereinbaren, daß Joseph, der Schweizer Bruder, die Studien und die Zusammenkünfte fortsetzte. Als ich zum Bahnhof ging, um eine Fahrkarte nach Bayonne zu lösen sah ich überall Scharen von Menschen sitzen oder schlafen, die auf einen Zug warteten. Ich beschloß daher, mein Fahrrad zu nehmen, und machte mich auf den Weg. Ich konnte praktisch nichts mitnehmen.

Später hörte ich, daß die deutschen Panzereinheiten schon am nächsten Tag in die Stadt einfuhren. Die 175 Kilometer weite Fahrt nach Bayonne verlief ohne Zwischenfälle. Die Hauptflüchtlingswelle war vor mir den Weg entlanggerollt, offensichtlich in einem Zustand der Verwirrung, denn hin und wieder sah man verlassene Autos im Straßengraben. Als ich in Bayonne eintraf, war es unmöglich, eine Unterkunft oder Nahrung zu beschaffen, und so legte ich mich in einem halbfertigen Gebäude zum Schlafen nieder, ohne gegessen zu haben. Am nächsten Tag bildete sich eine riesige Menschenmenge im Hafen, wo ein Schiff vor Anker lag, das nach England fahren sollte. Ich kam jedoch nicht an Bord. Nach einer Weile hieß es: ,Nur Frauen und Kinder.‘ Das Schiff war schwer beladen, als es auslief. Laut Gerüchten wurde es von einem deutschen U-Boot versenkt, bevor es England erreichte.

Die übrigen von uns wurden mit dem Zug in das Fischerdorf Saint-Jean-de-Luz gebracht, in die Nähe der spanischen Grenze, und dort fuhr man uns im Schutz der Nacht bei völliger Dunkelheit — man befürchtete einen Luftangriff — mit Fischerbooten zu Schiffen, die vor der Küste ankerten. Flüchtlinge aus ganz Südfrankreich strömten dorthin. Die Menschen hatten ihre Wohnung, ihr Geschäft, ja alles verlassen, um vor den Nazis zu fliehen. Nach einigen Tagen des Wartens machte sich der Flüchtlingskonvoi im Zickzackkurs auf den Weg nach Plymouth (England). Ich begab mich sofort ins Londoner Bethel, wo man mich herzlich willkommen hieß und mit Kleidung versorgte, da ich all meine Habe verloren hatte.“

FRANKREICH GETEILT

Als die deutschen Panzerdivisionen in Frankreich vorrückten, waren die Straßen zum Süden mit Flüchtlingen gesäumt, die vor den Invasionstruppen flohen. Einige der Brüder blieben, wo sie waren, andere aber flohen in den Süden. Bruder Geiger verließ Paris und kehrte zu seiner Frau und seinem Sohn in das Departement Dordogne, im Südwesten Mittelfrankreichs, zurück. Am 22. Juni 1940 unterzeichnete der katholische Marschall Pétain einen Waffenstillstand mit Deutschland.

Frankreich wurde in zwei Zonen geteilt. Die nördliche Hälfte und ein Streifen entlang der Westküste waren von den deutschen Heeren besetzt und wurden von ihnen verwaltet, während der übrige Teil Frankreichs unbesetzt war, aber von der deutschfreundlichen Vichy-Regierung mit Marschall Pétain als Staatsoberhaupt und Pierre Laval als Regierungschef regiert wurde.

Über diese Situation hieß es in einem Bericht, den das „Zentraleuropäische Büro“ in Bern nach Brooklyn sandte:

„Seitdem Frankreich von den Deutschen unterworfen wurde, haben wir sämtliche Verbindungen zu den Geschwistern in Paris und in dem besetzten Gebiet im allgemeinen verloren. Nicht ein einziger Brief oder eine Karte noch ein anderes Lebenszeichen hat uns erreicht.

Was das unbesetzte französische Gebiet betrifft, so führen wir einen mehr oder weniger regelmäßigen Briefwechsel mit dem Bruder [Henri Geiger], der früher die Gesellschaft im Elsaß vertrat. Auch er berichtet, daß er von den Brüdern, die früher in Paris arbeiteten und in dem Haus in Enghien lebten, keinerlei Nachricht habe.

Auch ist es für die Schweizer Geschwister völlig unmöglich, ein Visum zu bekommen, weder für den besetzten noch für den unbesetzten Teil Frankreichs.“

ORGANISIERUNG DES WERKES NACH DEM WAFFENSTILLSTAND

Nach der Unterzeichnung des Waffenstillstands im Juni kehrten viele französische Zivilisten, die vor Hitlers Armeen geflohen waren, nach Hause zurück. Bruder Geiger ging wieder nach Paris. Er lebte mit seiner Frau und seinem Sohn in einem Apartment und arbeitete tagsüber bei einer elsässischen Ingenieurfirma. Abends und an den Wochenenden organisierte er das Zeugniswerk und besuchte die Brüder. Über die Organisierung des Untergrundwerkes in Nordfrankreich im September 1940 schrieb Bruder Geiger:

„Alle Briefe wurden von der Gestapo geöffnet. Es war daher nötig, jede Gruppe und jeden isoliert lebenden Bruder persönlich zu besuchen. Die Brüder kamen in kleinen Gruppen zum ,Wachtturm‘-Studium und zur Dienstzusammenkunft zusammen. Sie predigten weiter die gute Botschaft von Haus zu Haus und benutzten dabei nur die Bibel. Wenn sie interessierte Personen fanden, nahmen sie beim nächsten Besuch Schriften mit und führten Studien durch.“

In Paris waren zur Zeit des Verbots die Literaturvorräte in Sicherheit gebracht und in verschiedenen Wohnungen versteckt worden. Bruder Delannoy organisierte die Verbreitung der Literatur unter den Brüdern und besuchte auch die verschiedenen Gruppen, um sie zu ermutigen. Schwester Renée Gendreau und Schwester Hilda Knecht blieben im Bethelheim, doch dann starb Schwester Knecht, etwa ein Jahr nach dem Tod ihres Mannes. Dort im Bethel, den Deutschen direkt vor der Nase, schrieb Schwester Gendreau die Wachtturm-Manuskripte in Französisch sowie Matrizen zum Vervielfältigen der Wachtturm-Artikel.

Doch wie gelang es den Brüdern, sich Exemplare des Wachtturms zu beschaffen, um sie ins Französische, ins Deutsche und ins Polnische übersetzen zu können? Und wenn sie einmal übersetzt und geschrieben waren, wie wurden dann die vervielfältigten Exemplare von einer Zone in die andere gebracht? Frankreich war damals nämlich nicht nur in eine besetzte und eine unbesetzte Zone geteilt, sondern die Zonen waren wiederum unterteilt, und man konnte nicht ohne weiteres von einem Gebiet in das andere reisen.

MUTIGE AUSTEILUNG DER GEISTIGEN SPEISE

Schwester Marthe Ebener, die ein Glied der Bethelfamilie in Enghien-les-Bains gewesen war, war zu ihrem Bruder nach Clermont-Ferrand, in eine Stadt in Mittelfrankreich, gezogen. Sie hatte den englischen Wachtturm abonniert. Nach der deutschen Invasion in Frankreich befand sich Clermont-Ferrand in der unbesetzten Zone unter der Vichy-Regierung. Glücklicherweise erhielt Schwester Ebener den englischen Wachtturm aus Brooklyn bis zum November 1942, als die Deutschen ganz Frankreich besetzten. Doch wie wurde diese englische Zeitschrift zu Bruder Geiger und Bruder Delannoy nach Paris geschmuggelt?

Jehova benutzte dazu einen demütigen, bescheidenen Bruder, Henri Germouty. Er erzählt:

„Die Stadt Moulins befand sich an der Demarkationslinie zwischen der besetzten und der unbesetzten Zone. Diese Demarkationslinie war von deutschen Posten bewacht, die auf jeden schossen, der ohne Befugnis versuchte, auf die andere Seite zu gelangen. Doch die Demarkationslinie ging an dieser Stelle mitten durch die Stadt, in der eine deutsch sprechende polnische Schwester lebte. Ich besuchte sie in ihrer Wohnung, und sie verließ dann das Haus vor mir und lenkte den Wachtposten ab, während ich über die Linie ging.

Dann fuhr ich mit dem Zug weiter. Doch bevor er in Paris eintraf, wurden immer alle Passagiere durchsucht, die Männer von Männern und die Frauen von Frauen. Ich wußte aber, wo sie immer mit dieser Durchsuchung anfingen, und bevor wir dort eintrafen, sprang ich dann an einer Stelle vom Zug, an der er langsam fuhr. Ich fuhr immer nachts, und wenn ich vom Zug abgesprungen war, versteckte ich mich bis zum Tagesanbruch und ging dann den Rest des Weges zu Fuß.“

Wenn Der Wachtturm dann in Paris angelangt war, wurde er übersetzt, und Schwester Gendreau schrieb die Matrizen, damit das Manuskript vervielfältigt werden konnte. Darauf wurden die vervielfältigten Exemplare zu den Brüdern in die Provinzen gebracht. Bruder Samuel Nongaillard erzählt, wie die Zeitschrift nach Nordfrankreich geschmuggelt wurde:

„Wenn möglich, fuhr ein Bruder von Paris mit dem Zug bis Péronne, einem Ort, durch den die Demarkationslinie zwischen zwei deutschen Militärzonen ging. Ein anderer Bruder fuhr aus dem Norden in diese Stadt, und die Zeitschriften wurden dann auf dem Bahnsteig des Bahnhofs von Péronne weitergereicht.“

Da die Papiervorräte begrenzt waren und es gefährlich war, mit anderen Verbindung aufzunehmen, war es natürlich nicht möglich, für jeden Verkündiger ein Exemplar des Wachtturms zu vervielfältigen und zu versenden. Die Brüder, die unter Lebensgefahr als Kuriere tätig waren, konnten nur ein oder zwei Exemplare am Körper verbergen. Wenn daher ein Exemplar eines Wachtturm-Artikels in eine bestimmte Gegend gelangte, mußten viele Abschriften angefertigt werden, damit jede kleine Verkündigergruppe mindestens ein Exemplar mit der wichtigen geistigen Speise hatte. Schwester Dina Fenouil, die damals in der Nähe von Lyon lebte, erklärt:

„Ich sollte jeweils 10 Exemplare des ,Wachtturms‘ tippen. Ich konnte jeweils 5 Exemplare auf einmal schreiben, und das bedeutete, daß ich jeden ,Wachtturm‘ zweimal schreiben mußte. Da jede Ausgabe etwa 14 Seiten, einzeilig geschrieben, ergab, mußte ich jedesmal 28 Seiten schreiben. Kaum war ich mit einer Ausgabe fertig, als die nächste eintraf. So ging das den ganzen Krieg hindurch. Jede Gruppe hatte ein Exemplar der ,Wachtturm‘-Artikel.“

Wie gefährlich es oft war, diese Manuskripte zu den Brüdern zu bringen, veranschaulicht die Erfahrung von Bruder Stanis Sikora, der für eine Gruppe polnisch sprechender Brüder in Saint-Denis, einem Vorort nördlich von Paris, verantwortlich war. Er erzählt:

„Eines Morgens war ich gerade auf dem Weg, eine handgeschriebene Abschrift des ,Wachtturms‘ zu einer anderen Gruppe zu bringen, als ich vor mir eine Gruppe deutscher Soldaten sah, die jeden anhielten und durchsuchten. Ich blieb auf dem Fahrrad und beschloß, langsam weiterzufahren. Ich erreichte schließlich die erste Gruppe Soldaten, und sie unternahmen nichts, um mich anzuhalten. Ich fuhr sehr langsam weiter, und die Soldaten an der Barriere ließen mich durch. Ich fuhr mit der gleichen langsamen Geschwindigkeit weiter, bis ich in eine Seitenstraße einbiegen konnte, und dann legte ich einen Zahn zu! Jehova schützt sein Werk.“

ANDERE VERTEILERKANÄLE

Als die Deutschen im November 1942 den Rest Frankreichs besetzten, gelangte der englische Wachtturm nicht mehr nach Frankreich und auch nicht mehr in die Schweiz. Dem Schweizer Zweigbüro gelang es jedoch, jeweils ein Exemplar des Wachtturms in Schwedisch zu beschaffen. Schwester Alice Berner lernte bald genug Schwedisch, um die Wachtturm-Artikel ins Deutsche übersetzen zu können. Diese deutschen Übersetzungen wurden dann nach Frankreich eingeführt und ins Französische übersetzt.

Während der Kriegsjahre war Bruder Frédéric Hartstang für das Werk in Belgien verantwortlich und organisierte ein System zur Beförderung der geistigen Speise zwischen Belgien und Frankreich. Die Grenzen waren zwar geschlossen, doch Brüder, die für die Eisenbahn arbeiteten und deren Arbeit es erforderte, daß sie zwischen den beiden Ländern hin und her reisten, beförderten diese kostbaren Publikationen. Auf diese Weise war die geistige Speise während des ganzen Krieges im Umlauf.

NACH UND AUS ELSASS-LOTHRINGEN

Nachdem Pétain im Jahre 1940 den Waffenstillstand mit Deutschland unterzeichnet hatte, wurde Elsaß-Lothringen von Deutschland annektiert. Es wurde nicht als „besetztes Gebiet“ angesehen, sondern vielmehr als ein Bestandteil des Deutschen Reiches. Das bedeutete, daß zwischen Elsaß-Lothringen und dem übrigen Teil Frankreichs eine richtige Grenze errichtet wurde. Die Brüder in Elsaß-Lothringen waren somit völlig von dem im Untergrund tätigen Büro in Paris abgeschnitten. Wie wurden sie während des Krieges mit geistiger Speise versorgt?

Als die Deutschen das Elsaß besetzten, beschafften sich die Brüder dort Exemplare des Wachtturms in den Vogesen, die Frankreich von Elsaß-Lothringen trennen. Wie aber bekamen sie die Zeitschriften in den Bergen? Nun, Bruder Zinglé aus Mülhausen, ein ausgezeichneter Bergsteiger, zog nach Saint-Maurice im besetzten Teil Frankreichs Er erhielt den französischen Wachtturm, den er an jedem 1. Sonntag im Monat auf einen Gebirgspaß mitnahm. Er ging eine sehr steile und felsige Route, um keine Grenzposten zu treffen. Auf der anderen Seite, im Elsaß, zogen sich Brüder Wanderkleidung an und gingen in die Berge hinauf, um den Wachtturm entgegenzunehmen. Die Zeitschrift wurde dann von einheimischen Brüdern unter größter Geheimhaltung aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt. Danach wurde sie von Bruder Marcel Graff für die Brüder im Elsaß vervielfältigt, und einige Exemplare gelangten schließlich sogar in die deutschen Konzentrationslager.

Obwohl auf dieser Bergroute Der Wachtturm gewöhnlich von Frankreich in das Elsaß gebracht wurde gingen später Publikationen, die die französischen Brüder nicht hatten, auf dem gleichen Weg von Deutschland nach Frankreich. Natürlich geschah manchmal auch etwas Unvorhergesehenes. Bruder Marcel Graff erzählt:

„Eines Tages brachen wir bei Sonnenaufgang mit unseren Frauen in die Berge auf. Das Wetter war herrlich. Doch als wir oben anlangten, nicht weit von der Grenze entfernt, hörten wir plötzlich den Ruf ,Heil Hitler!‘ Es war ein deutscher Grenzposten, der fragte: ,Wo wollen Sie denn hin?‘

Ich erwiderte: ,Wir wandern hier in den Bergen.‘

Er blickte uns argwöhnisch an und sagte: ,Wissen Sie nicht, daß Sie in der Nähe der Grenze sind?‘

,Ach, wirklich?‘ erwiderten wir unschuldig.

Er fügte schnell hinzu: ,Falls Sie die Absicht haben, nach Frankreich hinüberzugehen, warne ich Sie. Unsere Gewehre sind mit richtigen Kugeln geladen!‘

Wir gingen in Richtung des gewählten Treffpunkts weiter. Wir waren gerade aus dem Blickfeld des Grenzpostens, als wir Bruder Zinglé und seine Frau fanden, die auf uns warteten. Wir begrüßten uns freudig und tauschten einige Worte und auch die Publikationen, die wir bei uns hatten, aus. Dann, nach einem Gebet, trennten wir uns.“

Mit erst 13 Jahren wurde Schwester Simone Arnold eingesetzt, kostbare Manuskripte weiterzuleiten, die sie in ihrem Strumpfhaltergürtel versteckte. Einmal, als sie Bruder Adolphe Koehl begleitete, hatte sie ein gefährliches Erlebnis. Simone erzählt:

„Ein Zollposten hielt uns an und forderte uns auf, ihm zum nächsten Bauernhaus zu folgen. Ich hatte solche Angst, daß ich buchstäblich eine Kolik bekam. Dieser Kolik habe ich es zu verdanken, daß ich im Bauernhaus etwas Heißes zu trinken bekam und mich dann ins Heu legen durfte Meinen ,Wachtturm‘ hatte ich immer noch bei mir. Bruder Koehl und meine Mutter wurden durchsucht, aber sie hatten nichts bei sich, und so wurden wir einfach zur nächsten Eisenbahnstation begleitet.“

Bestimmt bewiesen diese Brüder und Schwestern, die als Kuriere dienten, großen Mut und große Liebe zu Jehova. Das gleiche kann auch von denen gesagt werden, die mithalfen, die Literatur zu vervielfältigen, damit sie an die Brüder weitergeleitet werden konnte. Unter welchen Umständen wurde dies getan?

DIE LITERATUR ZUR VERBREITUNG VORBEREITET

Bruder Adolphe Koehl hatte in der Hauptstraße von Mülhausen (Elsaß), in der Nähe des Hauptbahnhofs, einen Friseursalon. Das Geschäft befand sich im Erdgeschoß eines fünfstöckigen Wohnhauses, und er und Bruder Graff hatten in diesem Gebäude über dem Geschäft jeweils eine Wohnung. Oben wurde vervielfältigt, während sich ein Stockwerk tiefer sogar Soldaten und Polizisten von Bruder Koehl die Haare schneiden ließen! Manchmal gab es brenzlige Situationen, wie Bruder Graff erzählt:

„Ich erinnere mich noch, wie die Nazis bei allen, die nicht mit ihnen ,kollaborierten‘, Radios beschlagnahmten. Ich hatte unserem Milchmann einen alten Eisschrank verkauft und er hatte gesagt, er werde ihn am nächsten Tag abholen. Am darauffolgenden Morgen war ich damit beschäftigt, Matrizen Korrektur zu lesen, und meine Frau arbeitete in der Küche. Plötzlich klopfte es an die Tür. Da wir den Milchmann erwarteten, öffnete meine Frau. ,Polizei!‘ sagte einer der Männer. ,Sie besitzen ein Radio, und wir müssen es beschlagnahmen.‘

Nachdem sich meine Frau von der Überraschung erholt hatte, rief sie laut: ,Beeil dich!‘ Dann erzählte sie den drei Polizisten, ich sei krank und würde mich so schnell wie möglich anziehen. Das gab mir Zeit, die Matrizen unter dem Bett zu verstecken. Kaum hatte ich das getan, als sie meine Frau beiseite schoben und mit ,Heil Hitler!‘ ins Zimmer traten. Als sie mit unserem Radio weggingen, platzten wir fast vor Freude und dankten Jehova Gott dafür, uns noch einmal beschützt zu haben.“

Eines Tages fragte ein freundlicher Gestapobeamter, der sich regelmäßig in Bruder Koehls Friseursalon die Haare schneiden ließ, plötzlich: „Herr Koehl, studieren Sie eigentlich immer noch die Bibel?“ Bevor er antworten konnte, warnte ihn der Gestapobeamte, vorsichtig zu sein, weil er beobachtet würde. Er gab Bruder Koehl den Rat, falls er noch verbotene Publikationen habe diese schleunigst verschwinden zu lassen.

Nach dieser Warnung versteckte Bruder Koehl die Zeitschriften unter dem Parkettfußboden seines Friseursalons. Die Nazis, die sich dort die Haare schneiden ließen, ahnten nicht, daß nur wenige Zentimeter unter ihren Füßen ein Vorrat an verbotenen Wachttürmen lag. Doch nach einiger Zeit war der gesamte Raum unter dem Fußboden ausgefüllt. Was nun?

Bruder Koehl hatte eine glänzende Idee: Das Schaufenster seines Geschäftes war ein ausgezeichnetes Versteck. Er verbarg die Matrizen hinter den Seitenwänden des Schaufensters, und die Wachttürme versteckte er in den Werbeschildern, die im Schaufenster standen. Während eines großen Teils des Krieges sahen sich Nazis das Schaufenster an, ohne zu bemerken, daß die Werbeschilder aus Pappmaché verbotene Wachttürme enthielten.

KURIERE, DIE MIT DEM LEBEN BEZAHLTEN

Während es Bruder Graff und Bruder Koehl gelang, der Gestapo zu entgehen, hatten andere Brüder nicht so viel Glück. 1943 bekamen die Brüder in Mülhausen regelmäßig Exemplare des Wachtturms aus Deutschland. Sie wurden von Brüdern aus Freiburg im Breisgau gebracht. Plötzlich trafen von dort keine Zeitschriften mehr ein. Bruder Marcel Graff fuhr in jene deutsche Stadt und erfuhr, daß die beiden deutschen Kuriere von der Gestapo geschnappt und mit dem Beil enthauptet worden waren. Von da an stellten die Brüder in Mülhausen, die auch Exemplare des Wachtturms aus Frankreich erhielten, zusätzliche Exemplare des deutschen Wachtturms her und brachten sie nach Deutschland. So war es möglich, daß, wenn ein Verbindungsweg für die geistige Speise abgeschnitten wurde, ein anderer sich öffnete, und das während des ganzen Krieges.

HEIMLICHE ZUSAMMENKÜNFTE IN ELSASS-LOTHRINGEN

Es wurden regelmäßig kleine Zusammenkünfte abgehalten, und die Aufseher gaben den Brüdern Exemplare des Wachtturms und trösteten sie. Wer nicht den Mut hatte, zu diesen Zusammenkünften zu kommen, wurde als unzuverlässig betrachtet und erhielt keine Literatur. Bruder Jacques Danner erzählt:

„Jede Woche fanden Zusammenkünfte statt, und zwar an verschiedenen Tagen, zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten. Je nach der Jahreszeit kamen wir im Wald, auf einer Wiese oder in einer Wohnung zusammen Oft saßen wir rings um einen Tisch, der zum Kaffeetrinken gedeckt war, und die Schwestern hatten als Alibi Strickzeug mit. Während dieser Zusammenkünfte wurden wir nie von der Gestapo überrascht. Die Brüder nahmen ihre Verantwortung wahr, und die Zusammenkünfte waren gut besucht. Wenn sie in meiner Wohnung stattfanden, ließen wir unsere Jüngste im Hof, und wenn die Polizei kam, rief sie laut ,Mutti!‘, und die Anwesenden gingen durch den hinteren Garten hinaus.“

IN DIE KONZENTRATIONSLAGER

Im September 1941 wurden mehrere Brüder in und um Mülhausen von der Gestapo verhaftet. Unter ihnen waren Bruder Franz Huber, der seit 1938 Versammlungsdiener in Mülhausen gewesen war, Adolphe Arnold, Fernand Saler, Eugène Lentz und Paul Dossmann. Bis Ende 1941 waren alle fünf in das Konzentrationslager Dachau bei München eingeliefert worden.

Sie wurden in den Strafblock versetzt, wo sie mit deutschen, tschechoslowakischen, jugoslawischen und belgischen Zeugen zusammen waren. Im April 1942 wurde Bruder Franz Huber unter der bestialischen Behandlung körperlich immer schwächer. Bruder Arnold schrieb:

„Bruder Franz Huber war 64 Jahre alt, und allmählich verließen ihn die Kräfte. Er versäumte es jedoch nie, von seiner Hoffnung zu sprechen, die ihn aufrechterhielt, und dadurch gab er ein wunderbares Zeugnis. Eines Tages, eine knappe Woche bevor er starb, faßte er mich bei den Armen, blickte mir direkt in die Augen und sagte: ,Trotz allem, wir haben gesiegt!‘ Und seine Augen leuchteten!“

Bruder Arnold wurde in das Büro des Lagerkommandanten gebracht, und man sagte ihm dort, man könne seine Fähigkeiten als Seidensiebdrucker im Lager gut gebrauchen und seine Frau und seine Tochter würden gut versorgt werden, wenn er seinen Glauben aufgebe. Würde er sich jedoch weigern, dies zu tun, so würde seine Frau verhaftet und seine Tochter in eine Erziehungsanstalt kommen. Natürlich lehnte Bruder Arnold ab. Man lieferte ihn daher den Lagerärzten aus die ihn als Versuchskaninchen zur Untersuchung von Malaria- und Typhuskeimen benutzten. Er überlebte diese Behandlung, aber er schrieb dies den Lebensmittelpaketen seiner Frau zu. Diese enthielten nämlich etwas Besonderes, wie er erklärte:

„Als ich eines Tages etwas aus einem der Pakete aß, biß ich auf etwas Hartes. Es war eine winzige, in Cellophan eingewickelte Papierrolle. Das Papier war mit einer sehr kleinen Schrift bedeckt. Es war ein gekürzter ,Wachtturm‘-Artikel. Natürlich riskierte meine Frau dabei ihr Leben. Nachdem sie verhaftet und ausgewiesen worden war, setzte meine Schwägerin, Schwester Walter, mit Hilfe von Bruder Koehl aus Mülhausen diese gefährliche Korrespondenz fort. Diese Lebensmittelpakete enthielten somit geistige Vitamine!“

KINDER AUF DIE PROBE GESTELLT

Was geschah in dieser schrecklichen Zeit der Verfolgung mit den Kindern? Konnte man erwarten, daß sie unter den schweren Prüfungen, die die Nazis über sie brachten, treu blieben?

Zu Beginn jedes Schultages wurde die deutsche Nationalhymne gesungen, ein Gebet für den Führer gesprochen, und die Kinder mußten mit ausgestrecktem Arm „Heil Hitler!“ sagen. Doch die Kinder der Zeugen, zum Beispiel die achtjährige Ruth Danner, weigerten sich. Sie wurde vor den Schulleiter und alle anderen Lehrer gestellt und ausgefragt, aber sie verriet ihre Eltern nicht. Bruder Jacques Danner erklärt: „Jeden Tag, bevor sie zur Schule ging, sprachen wir gemeinsam ein Gebet und rieten ihr, Jehova schnell um seinen Geist und seine Hilfe zu bitten, bevor sie befragt wurde.“ Später wurde Ruth mit ihren Eltern deportiert und in sechs verschiedenen deutschen Lagern interniert. Nach dem Krieg nahm sie den Pionierdienst auf und absolvierte die 21. Klasse der Missionarschule Gilead in den USA.

Bruder Arnolds Tochter Simone wurde von der höheren Schule gewiesen, weil sie sich weigerte, „Heil Hitler!“ zu sagen. Sie wurde auf eine andere Schule geschickt, wo sie bald wieder in Schwierigkeiten war, weil von den Kindern verlangt wurde, jede Woche Altmetall in die Schule zu bringen, das man zur Herstellung von Munition verwandte. Schließlich wurde sie vor ein Jugendgericht gestellt und in eine Erziehungsanstalt nach Konstanz gebracht, wo sie 22 Monate lang nationalsozialistischer Indoktrination ausgesetzt war. Doch sie bewahrte ihre Lauterkeit. Später nahm auch sie den Pionierdienst auf, absolvierte Gilead, diente in Afrika als Missionarin und heiratete Max Liebster, der damals ein Glied der Brooklyner Bethelfamilie war.

NEUTRAL BIS ZUM TOD

Im August 1942 wurden die jungen Männer in Elsaß-Lothringen aufgerufen, in Hitlers Streitkräften zu dienen. Einige Zeugen, darunter Bruder Freyermuth, Bruder Hofer und Bruder Sutter, bezahlten ihre Neutralität mit dem Leben. Ein paar Stunden bevor der 23jährige Marcel Sutter im Gefängnis von Torgau mit dem Beil enthauptet wurde, schrieb er folgenden Brief:

„Meine lieben Eltern und Schwestern!

Wenn Ihr diesen Brief erhaltet, werde ich nicht mehr am Leben sein. Nur ein paar Stunden trennen mich noch vom Tod. Ich bitte Euch, stark und mutig zu sein; weint nicht, denn ich habe gesiegt. Ich habe den Lauf vollendet und den Glauben bewahrt. Möge mir Jehova Gott bis zum Ende helfen. Nur eine kurze Zeitspanne trennt uns noch von dem Königreich unseres Herrn Jesus Christus. Bald werden wir einander wiedersehen in einer besseren Welt des Friedens und der Gerechtigkeit. Ich frohlocke bei dem Gedanken an jenen Tag, denn dann wird es kein Seufzen mehr geben. Wie wunderbar wird das doch sein! Ich sehne mich nach Frieden. Während dieser letzten Stunden habe ich viel an Euch gedacht, und mein Herz ist ein wenig bitter bei dem Gedanken, Euch nicht zum Abschied küssen zu können. Aber wir müssen geduldig sein. Die Zeit ist nahe, in der Jehova seinen Namen rechtfertigen und der ganzen Schöpfung beweisen wird, daß er der einzig wahre Gott ist. Ich möchte ihm nun meine letzten Stunden weihen, und so will ich diesen Brief abschließen und Euch Lebewohl sagen, bis wir uns bald wiedersehen. Gepriesen sei unser Gott Jehova! Mit herzlichen Grüßen und Küssen

Euer Euch liebender Sohn und Bruder

Marcel“

AUCH SCHWESTERN IN DIE LAGER GEWORFEN

Ab 1943 wurden auch Schwestern aus Elsaß-Lothringen verhaftet, und viele von ihnen wurden in das Konzentrationslager Schirmeck-Vorbruck eingeliefert. Schwester Arnold gelang es, eine Bibel einzuschmuggeln. Sie erzählt:

„Da ich damit rechnete, verhaftet zu werden, ließ ich mir ein besonderes Korsett für einen eingefallenen Bauch anfertigen, das eine Tasche enthielt, die mit Luft aufgeblasen werden konnte. In dieser Tasche versteckte ich eine kleine Bibel. Als sie mich ins Gefängnis brachten, wurde ich aufgefordert, mich auszuziehen, aber als die Aufseherin dieses komplizierte Korsett sah, sagte sie: ,Ach du meine Güte! Wir haben nicht die Zeit, all das auszuziehen.‘ So war es mir dank der Hilfe Jehovas möglich, in das Konzentrationslager Schirmeck die einzige geistige Speise einzuführen, die wir für die nächsten Monate erhalten sollten. Ich teilte diese kleine Bibel in so viele Teile auf, wie es Schwestern im Lager gab.“

Einige Schwestern wurden in Konzentrationslager nach Deutschland versetzt, unter anderem in das gefürchtete Konzentrationslager Ravensbrück. So bewiesen viele Brüder und Schwestern, junge und alte, ihre Lauterkeit unter schweren Prüfungen, und einige besiegelten ihre Treue mit dem Tod. Man kann tatsächlich sagen, daß die neuzeitliche Geschichte der Zeugen Jehovas in Elsaß-Lothringen zur Ehre des Namens Jehovas gereicht.

ANDERE ERDULDEN SCHWERE PRÜFUNGEN

Auch die Brüder im übrigen Frankreich bewahrten ihre Lauterkeit. Zu Beginn des Krieges verhafteten die französischen Behörden mehrere polnische Brüder und lieferten sie in das Internierungslager Le Vernet in Südfrankreich ein. Hier wurden sie geschlagen, weil sie den Fahnengruß verweigerten, und einer von ihnen, Bruder François Baran, starb. Viele dieser furchtlosen polnischen Brüder kamen schließlich in nationalsozialistische Konzentrationslager. Bruder Louis Piéchota, der in ein Gefängnis oder Lager nach dem anderen kam, berichtete:

„Im Frühjahr 1944 wurden wir aus dem Lager in Vught nach Sachsenhausen überführt. Hier hatten wir die große Freude, deutsche Bruder zu treffen, von denen einige seit 1933 eingesperrt waren. Sie leisteten uns sowohl in geistiger als auch in materieller Hinsicht kostbare Hilfe. Sobald ein Konvoi im Lager eintraf, erkundigten sich die deutschen Brüder bei den Neuankömmlingen, ob irgendwelche Zeugen unter ihnen waren. Wenn das der Fall war, halfen sie ihnen sofort. Manchmal war es warme Unterwäsche oder ein Pullover, oder es waren vielleicht Reste von den Mahlzeiten der Wachen, da einige Brüder in den Küchen arbeiteten. Eines Tages gab mir ein Bruder eine Bibel. Man stelle sich vor, eine französische Bibel in einem deutschen Konzentrationslager! Ich habe nie erfahren, wie er daran kam. Ich war sehr glücklich. Die Brüder erhielten regelmäßig den ,Wachtturm‘. Da sie geistige Speise erhielten, waren sie auch geistig stark.

Später wurde ich eingeteilt, in der Lagerbäckerei zu arbeiten. Die deutschen Brüder rieten mir, kein Brot herauszubringen, wenn es nicht erlaubt war. Sie sagten, es sei besser, an Hunger zu sterben, als Schmach auf Jehovas Organisation zu bringen. Dieser Rat beeindruckte mich sehr.“

Bruder Jean Queyroi, der im Jahre 1938 den Pionierdienst aufgenommen und dann im Bethel Paris in der Versandabteilung gearbeitet hatte, war auch in verschiedenen Gefängnissen und deutschen Lagern. Es gelang ihm jedoch, in diesen Haftanstalten seine geistige Kraft zu bewahren, wie er erklärt:

„Ganz gleich, in welchem Lager ich mich befand, bemühte ich mich, Zeugnis zu geben. Zum Beispiel gab es in einem Lager in Ostpreußen ein Bekanntmachungsbrett, das benutzt wurde, um den Häftlingen Anweisungen zu geben. An einer Ecke dieses Brettes heftete ich jeden Tag ein Stück Papier an, auf das ich ein Zeugnis über ein biblisches Thema geschrieben hatte. Diejenigen Gefangenen, die interessiert waren, kamen dann zu mir, und jeden Abend hielt ich eine kleine Zusammenkunft mit 6, 8 oder sogar 10 Gefangenen ab.

Ich blieb nie ohne geistige Speise. Meine Schwester schrieb ,Wachtturm‘-Artikel auf ganz dünnes Papier, das sie dann zusammenrollte und in Makkaroni versteckte. Die Pakete wurden zwar von den Wachen durchsucht, aber sie bemerkten nie, was da vor sich ging. Auf diesem Wege erhielt ich sogar das Buch ,Kinder‘.“

Obwohl die Brüder in Frankreich nicht so sehr verfolgt wurden wie ihre Brüder in Deutschland und in Elsaß-Lothringen, hatten sie somit aber ebenfalls unter Verfolgung zu leiden.

HILFE WÄHREND DER BESATZUNG

Trotz des Verbots und der deutschen Besatzung predigten die Brüder weiter, allein mit der Bibel. Sie besuchten ein paar Häuser in einer Straße und dann ein paar in einer anderen. Zeigte jemand echtes Interesse, so kehrten sie mit Literatur zurück. Doch sie mußten vorsichtig sein, und Jehovas Engel halfen ihnen, wie dies aus Bruder Albert Kosmalskis Erfahrung hervorgeht:

„Ein Monsieur Heinrich bestellte die beiden Bücher ,Befreiung!‘ und ,Schöpfung‘ in Deutsch. Als ich wie versprochen an seine Tür klopfte, bat er mich, eine Stunde später wiederzukommen, weil er Besuch habe. So ging ich ein Stockwerk tiefer und besuchte einen anderen Interessierten. Dieser fragte mich, ob ich im oberen Stockwerk gewesen sei und ob ich wisse, wer Monsieur Heinrich sei. Ich erzählte ihm, er sei ein Elsässer und er interessiere sich für die Wahrheit.

,Nein, er gehört zur Gestapo, und er will Sie heute noch verhaften‘, erwiderte der Mann. ,Er hat den Concierge [Hausmeister] angewiesen, Sie nicht aus dem Haus zu lassen.‘

Dieser Herr begleitete mich leise nach unten und ließ mich durch die Hintertür hinaus. Ich dankte Jehova, mich aus dieser Situation gerettet zu haben. Gegen Ende des Krieges wurde Heinrich von Mitgliedern des französischen Widerstandes auf der Straße erschossen.“

Tatsächlich waren die französischen Behörden während der Besetzung durch die Nationalsozialisten mit Jehovas Zeugen sehr nachsichtig. Sie halfen uns manchmal sogar, wie Auguste Blas aus Denain berichtet:

„Jemand verriet dem deutschen Kommandanten, daß ich in meiner Wohnung einen Literaturvorrat hatte. Darauf wurde eine Durchsuchung angeordnet, die von den deutschen Behörden durchgeführt und von dem französischen Polizeichef und einem Dolmetscher geleitet werden sollte. Der Polizeichef wußte, daß die Literatur in meiner Wohnung war. Statt daher die Deutschen zu meinem Haus zu führen, brachte er sie zur Wohnung unseres Versammlungsdieners, Marius Nongaillard, wo sie nichts fanden. Dieser freundliche französische Polizeichef bewahrte mich auf diese Weise vor dem Konzentrationslager.“

Ein weiteres Beispiel ist folgender Vorfall: Als die Deutschen nach Sin-le-Noble kamen, wollten sie den Königreichssaal für sich benutzen. Doch das Taufbecken unter der Bühne war ganz mit Literatur gefüllt, unter anderem mit deutschen Exemplaren des Buches Kreuzzug gegen das Christentum. Die Brüder gingen daher zum Bürgermeister von Sin-le-Noble, erklärten ihm die Situation und sagten, wenn die Deutschen diese Schriften fänden, würde es Schwierigkeiten zwischen ihnen und den einheimischen Behörden geben. Daher teilte der Bürgermeister den Deutschen mit, er brauche diesen Saal für die örtliche Schule. Auf diese Weise wurde der Saal ein Klassenzimmer, und — Wunder über Wunder! — ein Zeuge Jehovas, ein Schullehrer, wurde beauftragt, dort zu unterrichten.

Die französischen Behörden kamen den Brüdern oft auf solche Weise zu Hilfe. Hier ein weiteres Beispiel: Ein Bruder in Nordfrankreich, der mit seinem Fahrrad einen Karton Broschüren mit dem Thema Faschismus oder Freiheit transportierte, wurde von einem französischen Polizeibeamten angehalten. Der Beamte fragte ihn, was er transportiere.

„Machen Sie den Karton auf, und schauen Sie nach“, erwiderte der Bruder.

Als der Beamte sah, was in dem Karton war, fragte er den Bruder: „Was machen Sie denn damit?“

Der Bruder gab ihm ein gutes Zeugnis, und danach ließ ihn der Beamte gehen und sagte ihm, er solle sich nicht von jemand anders erwischen lassen.

DRUCKEN IM UNTERGRUND

Eine beachtenswerte Leistung der französischen Brüder während des Krieges war, daß sie das Buch Kinder im Untergrund druckten. Da Bruder Samuel Nongaillard Geschäftsmann war, konnte er etwas Papier beschaffen, das während des Krieges rationiert war. Mit einer Druckerei in Chennevières-sur-Marne, einem kleinen Ort ein paar Kilometer östlich von Paris, wurden Vereinbarungen für das Drucken getroffen.

„An dem Tag, an dem ich die Kinder-Bücher abholte, hielt mich die Polizei auf dem Rückweg an“, erzählt Samuel. „Es war im Mai 1943. Die Beamten fragten mich, was ich im Lastwagen habe. Ich sagte ihnen, es seien Bücher. Sie untersuchten die Bücher und fragten, wovon sie handelten. Zufällig war es die Zeit, in der katholische Eltern ihre Kinder zur ersten Kommunion brachten. So erwiderte ich: ,Es sind Bücher, um den Kindern Jesus Christus zu erklären.‘ Diese Erklärung stellte sie anscheinend zufrieden, denn sie ließen mich gehen.“

PREDIGTDIENSTBERICHTE

Während der Kriegsjahre in Frankreich bemühten sich die Brüder, Predigtdienstberichte einzusenden. Im Gegensatz zu den Anweisungen sandte eine ältere Schwester ihren Bericht auf einer Postkarte und benutzte dabei die biblischen Abkürzungen. Das interessierte ein Mitglied des deutschen Geheimdienstes. Bruder Robert Jung erklärt:

„Eines Tages, als Bruder Auguste Charlet, mein leiblicher Bruder und ich unser Abendbrot aßen, klingelte es an der Tür. Es war ein Beamter der französischen Geheimpolizei. Zweifellos hielt er uns für Mitglieder der Widerstandsbewegung. Jedenfalls bat er uns, ihm zu helfen, einen Bericht über diese Angelegenheit einzuschicken, der die deutsche Sicherheitspolizei zufriedenstellen und uns Schwierigkeiten ersparen würde. Er bot uns an, am nächsten Tag wiederzukommen, damit wir Zeit hätten, uns eine Erklärung auszudenken.

Wie vereinbart, kehrte er früh am nächsten Morgen zurück und las die Erklärung, die wir vorbereitet hatten. Wir sagten, es sei ein biblisches Spiel, das über die Post gespielt werde, und die Abkürzungen und Zahlen stünden für die Bibelbücher und Verse, in denen die Antworten zu finden seien. Er schien mit dieser Erklärung sehr zufrieden und dankte uns, ihm dabei geholfen zu haben diesen Auftrag auszuführen. Er ging weg, und wir hörten nie mehr wieder etwas davon.“

Die Predigtdienstberichte wurden schließlich alle an drei Adressen in Paris und Umgebung geschickt — an Bruder Geiger, an Bruder Delannoy oder an Schwester Renée Gendreau, die im Bethelheim wohnte. Häufig jedoch schrieben Brüder oder Personen, die unsere Literatur besaßen, an das Büro in Paris, das im Oktober 1939 von der Polizei geschlossen worden war. Schwester Gendreau ging daher von Zeit zu Zeit zur Hausmeisterin, und diese gab ihr die Post, die für die Gesellschaft eingetroffen war. Wenn sich die Gestapo nach den Zeugen erkundigte, erklärte die Hausmeisterin, sie habe nur den Verantwortlichen (Bruder Knecht) gekannt und der sei gestorben. Diese gute Frau riskierte somit während des ganzen Krieges ihr Leben, um die Gesellschaft und die Brüder zu schützen.

KONGRESSE WÄHREND DES KRIEGES

Ab 1942 und während der gesamten Zeit der deutschen Besatzung wurden kleine, regionale Kongresse abgehalten. Auf diesen Kongressen diente Bruder Geiger oder Bruder Delannoy. Auch besuchten Bruder Auguste Charlet und Robert Jung alleinstehende Versammlungen und Verkündiger in Südfrankreich. Während dieser Kongresse und der besonderen Besuche wurden Taufen abgehalten.

1943 fand in Vénissieux, einem Vorort von Lyon, ein geheimer Kongreß statt, zu dem etwa 100 Personen kamen. Solche Anlässe waren für die Brüder natürlich eine Quelle des Trostes und der Ermunterung. All diese Tätigkeiten wurden jedoch unter großen Gefahren durchgeführt.

EIN US-SOLDAT MACHT JÜNGER

1944 begann die Befreiung Frankreichs. Das war für die französischen Brüder eine gute Nachricht, obwohl die Kämpfe in ganz Frankreich neue Schwierigkeiten mit sich brachten. Trotzdem ging das Predigtwerk weiter, seltsamerweise durch mindestens einen der Befreier.

Suzanne Perrin aus Vittel in Nordostfrankreich saß an einem Septemberabend des Jahres 1944 an ihrem Fenster, als ein amerikanischer Soldat stehenblieb und in schlechtem Französisch fragte: „Lieben Sie Gott?“ Suzanne erwiderte: „Ich liebe Gott, aber nicht die Religion.“ Der Soldat fragte, ob er wiederkommen dürfe, um mit ihrem Mann zu sprechen, und das tat er auch.

„So kam es“, erklärt Schwester Perrin, „daß Richard Boeckel (der die Wahrheit sechs Monate vor seinem Eintritt in die Armee kennengelernt hatte) uns die Wahrheit brachte. Er predigte in Uniform, lehnte es aber ab, die Flagge zu grüßen, und das bedeutete, daß er ständig bestraft wurde. Er predigte eifrig in ganz Vittel und verbreitete die Bücher Schöpfung, Befreiung!, Licht, Feinde und Jehova. Richard brachte uns mit dem Versammlungsdiener von Nancy, Bruder Emile Ehrmann, in Verbindung, der uns danach mit seiner Frau besuchte.“

NACHRICHTEN GELANGEN NACH BROOKLYN

Offensichtlich gelangte 1944 die Nachricht von den theokratischen Aktivitäten in Frankreich nach Brooklyn. Man hatte seit Jahren nichts mehr aus Frankreich gehört. Bruder Knorr schrieb daher im Jahrbuch 1945 der Zeugen Jehovas (engl.):

„Wie wir erfahren haben, ist ,die ganze Familie in Paris wohlbehalten und im Geschäft ihres Vaters fleißig tätig‘. ... Die Geschwister sehnen sich nach der Zeit, in der die Verbindung zwischen ihnen und dem Hauptbüro völlig wiederhergestellt sein wird, damit die Botschaft der Wahrheit in ganz Frankreich wieder frei verbreitet werden kann.“

REORGANISIERUNG NACH DEM KRIEG

1945 kam der Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes und das Ende des Krieges. Die Lebensbedingungen in Frankreich waren äußerst schwierig, denn das zum Leben Notwendige war auf dem offiziellen Markt sehr knapp und auf dem Schwarzmarkt extrem teuer. Der Feind hatte das Land seines Reichtums beraubt, Straßen und Schienen zerstört und damit die Verbindungswege unterbrochen. Unter diesen Bedingungen kehrten die körperlich geschwächten, aber geistig starken Brüder und Schwestern allmählich aus den Konzentrationslagern zurück.

Hinzu kam, daß das Werk der Zeugen Jehovas in Frankreich immer noch verboten war. Doch nachdem die Deutschen weg waren, wurde es wieder leichter, zu reisen und Briefverkehr zu führen. Das bedeutete, daß zwischen den Versammlungen und dem im Untergrund arbeitenden Pariser Büro unter Leitung von Bruder Geiger besserer Kontakt hergestellt werden konnte. Bruder Geiger und Bruder Delannoy unternahmen ausgedehnte Reisen durch ganz Frankreich, um die Versammlungen zu besuchen.

1945 bestand die Bethelfamilie aus fünf Personen Bruder Geiger, drei Schwestern und einem anderen Bruder. Emile Delannoy lebte in seiner Wohnung in Arcueil, etwas südlich von Paris. Die Literaturvorräte waren in einem anderen Vorort von Paris verborgen, und dort war die Versandabteilung tätig.

Der Wachtturm wurde unter dem Namen Etudes bibliques (Bibelstudien) von einer weltlichen Druckerei hergestellt 2 300 Exemplare wurden in Französisch gedruckt, 1 200 in Polnisch und 500 in Deutsch. Das ersparte den Brüdern viel kostbare Zeit, die sie sonst damit hätten verbringen müssen, die Artikel mit der Hand abzuschreiben.

1945 hatte Bruder François Wisniewski, ein polnischer Bergarbeiter, ein bedeutsames Erlebnis. Eines Tages sah er zu seiner Überraschung, wie ein junger Mann in der Mittagspause seinen ledernen Schutzhelm abnahm, um vor dem Essen zu beten. Er gab ihm Zeugnis, und der Mann nahm schnell die Wahrheit an. Sein Name war Léopold Jontès. Er wurde später der Zweigdiener von Frankreich.

BRUDER KNORR UND BRUDER HENSCHEL KOMMEN

In der französischen Presse war im Januar 1942 sowohl im besetzten als auch im unbesetzten Teil Frankreichs eine Nachrichtenmeldung über den Tod Bruder Rutherfords veröffentlicht worden. Die Nachricht von seinem Tod und seiner Ablösung durch Bruder Nathan H. Knorr war bis zum Jahre 1942 sogar bis in das Konzentrationslager Dachau gelangt. Doch wer war Bruder Knorr?

Am 17. November 1945 hatten die französischen Brüder die Möglichkeit, zum ersten Mal persönlichen Kontakt mit ihm zu haben, als er mit seinem Sekretär, Bruder Milton Henschel, kurz in Paris haltmachte. Dieser Besuch dauerte nur ein paar Stunden, aber er gab den Brüdern die Gelegenheit, über die Reorganisierung des Werkes und die Wiedererlangung der gesetzlichen Anerkennung zu sprechen. Noch am gleichen Abend mußten Bruder Knorr und Bruder Henschel jedoch mit dem Zug nach Bern fahren, aber sie versprachen wiederzukommen.

Elf Tage später, am Vormittag des 28. November, trafen Bruder Knorr, Bruder Henschel und ihr Dolmetscher, Alfred Rütimann, im Bahnhof Paris-Ost ein, wo sie von Henri Geiger und seinem Sohn abgeholt wurden. Sie wurden bei der amerikanischen Botschaft, der amerikanischen Handelskammer in Paris und schließlich bei einem Rechtsanwalt vorstellig. Wie man sich erinnern mag, war das Werk im Oktober 1939 auf Anordnung des Innenministeriums verboten worden. Diese Angelegenheit mußte daher durch die richtigen Kanäle zur Behandlung gelangen, damit unser Werk wieder gesetzlich anerkannt wurde.

Am Abend sprach Bruder Knorr mit Hilfe eines Dolmetschers eindreiviertel Stunden lang zu 21 Brüdern und Schwestern in Paris. Alle waren sehr begeistert und brachten ihre Freude über ihre Dienstvorrechte zum Ausdruck. Bruder Knorr versprach, ihnen Kleider zusenden zu lassen. Er hatte gesehen, daß die Brüder dringend materielle Unterstützung brauchten, denn sie trugen alte, abgetragene Kleider. Über das Eintreffen der versprochenen Kleider schrieb Bruder Geiger:

„Diese versprochene Sendung ist eingetroffen und unter den Geschwistern verteilt worden — 75 Kisten im Gewicht von acht Tonnen: Kleider für Männer, Frauen und Kinder. Viele Augen wurden feucht, als sie ihr Geschenk in den Händen hielten, und alle danken ihren amerikanischen Geschwistern von ganzem Herzen für diese echt christliche Spende. Dadurch sind viele Geschwister für das Predigen des Evangeliums im kommenden Winter besser ausgestattet.“

RÜCKGANG WÄHREND DER KRIEGSJAHRE?

Man mag sich erinnern, daß im Jahre 1939, als der Krieg begann, in Frankreich eine Höchstzahl von 1004 Königreichsverkündigern erreicht worden war. Es wäre nun zu erwarten gewesen, daß diese Zahl in den schweren Kriegsjahren zurückging. Doch weit gefehlt! Die Zahl der Verkündiger verdoppelte sich bis zum Oktober 1945 auf 2 003! Die neuen Verkündiger nahmen den Predigtdienst auf, obwohl sie dabei ihre Freiheit, ja ihr Leben aufs Spiel setzten.

Auch die Zahl der Anwesenden beim Gedächtnismahl stieg, nämlich von 1 510 im Jahre 1939 auf 3 644 im Jahre 1945, Während es 40 Jahre Tätigkeit erfordert hatte, die Gesamtzahl von 1 004 Verkündigern im Jahre 1939 zu erreichen, dauerte es nur 6 Jahre — die schweren Jahre des Zweiten Weltkrieges —, bis sich diese Zahl verdoppelte. Das ist eine herausragende Tatsache in der neuzeitlichen Geschichte der Zeugen Jehovas in Frankreich, eine Tatsache, die beweist, daß Jehova sein Volk geschützt und gesegnet hat.

WAS WURDE GEGEN DAS VERBOT UNTERNOMMEN?

Obwohl das Verbot 1946 noch in Kraft war, ging das Predigtwerk weiter voran. Zuerst arbeiteten die Brüder nur mit der Bibel von Haus zu Haus. Um ihnen beizustehen, wurde 1946 auch der Kreisdienst organisiert. Damals gab es nur zwei Kreise, und ihnen dienten zwei Brüder, die beide in deutschen Lagern gewesen waren, Bruder Paul Dossmann und Jean Queyroi. Die Brüder schätzten die Besuche dieser beiden „Diener für die Brüder“ sehr, wie die Kreisaufseher damals genannt wurden. Doch was konnte unternommen werden, damit das Verbot aufgehoben wurde?

Bruder Knorr war während seines Besuches im November 1945 mit einem einflußreichen französischen Rechtsanwalt zusammengetroffen, Maître Pierre Gide. Doch die Bemühungen dieses Rechtsanwalts erwiesen sich als fruchtlos. Die französischen Brüder beschlossen daher, zu sehen, was sie selbst tun konnten. Im Herbst 1946 unternahmen sie wiederholt Versuche, mit den verantwortlichen Leuten in den verschiedenen Regierungsstellen zu sprechen, die alles aufhielten und die gesetzliche Anerkennung des Werkes verhinderten. Doch das Jahr 1947 kam herbei, und bei verschiedenen französischen Regierungsstellen war die Sache immer noch festgefahren.

Aber dann erfuhren die Brüder in Paris, daß der bekannte französische Politiker Léon Blum, der Gründer der reformierten Sozialistischen Partei Frankreichs und ihres Parteiorgans Le Populaire, während des Krieges mit einigen Zeugen Jehovas in einem deutschen Konzentrationslager zusammen gewesen war und seine Bewunderung für sie zum Ausdruck gebracht hatte. Léon Blum hatte sich zwar aus der aktiven Politik zurückgezogen, doch er wurde als einer der geachtetsten ehemaligen Staatsmänner Frankreichs angesehen. Daher bemühten sich die Brüder um seine Unterstützung.

Sie erfuhren jedoch, daß er krank war und keine Besucher empfangen konnte und daß seine Anschrift geheimgehalten wurde, damit ihm nicht jeder beliebige schreiben konnte. Die Brüder fanden aber heraus, daß Léon Blums Chauffeur jeden Tag in das Büro der Zeitung Le Populaire kam, um seine Post abzuholen. So schrieb man einen Brief an Monsieur Blum, erklärte darin das Problem der Gesellschaft und übergab den Brief persönlich seinem Chauffeur. Ein paar Tage später erhielten die Brüder in Paris einen Brief von ihm, in dem er erklärte, er sei bereit zu helfen und er habe bereits an die Regierung geschrieben und die Aufhebung des Verbots empfohlen. So kam es, daß das Werk der Zeugen Jehovas am 1. September 1947 in Frankreich wieder gesetzlich anerkannt wurde!

EIN NEUES BETHELHEIM UND BÜRO

Um die Organisierung des Werkes zu vereinfachen, gab Bruder Knorr den Auftrag, das Haus in Enghien-les-Bains zu verkaufen und das Geld zu benutzen, um in Paris ein Haus zu erwerben, das groß genug sein sollte, um die Bethelfamilie und das Büro unterzubringen. Bruder Geiger fand ein geeignetes Haus in einer ruhigen Wohngegend von Paris, 3, Villa Guibert, 83, rue de la Tour, Paris 16. Und so wurde am 1. Oktober 1947 die offizielle Anschrift der französischen Gesellschaft dorthin verlegt. Anfangs dienten insgesamt 8 Personen, darunter Bruder und Schwester Geiger, in diesem neuen Bethel.

KONGRESSE MIT BESUCHERN AUS BROOKLYN

In den acht Jahren des Verbots konnten keine regulären öffentlichen Kongresse abgehalten werden. 80 Prozent der Brüder hatten somit noch nie eine solche Veranstaltung besucht, da die meisten von ihnen die Wahrheit während des Krieges und danach angenommen hatten. Es war daher wunderbar zu sehen, daß sich in Lyon, Straßburg, Paris und Douai insgesamt 6 500 Personen zu den Kongressen des Jahres 1947 versammelten. Und es war eine besondere Freude, Redner aus dem Brooklyner Hauptbüro zu Besuch zu haben, darunter Frederick Franz, Grant Suiter, Hayden Covington sowie Bruder Knorr und Bruder Henschel.

DER TOD ZWEIER TREUER DIENER

Als Vorbereitungen getroffen wurden, daß in Frankreich der reguläre Wachtturm wieder erschien, wurden Bruder Dossmann und Bruder Queyroi, die bis dahin die Versammlungen besucht hatten, ins Bethel gerufen, da sie helfen sollten, eine Versandabteilung zu organisieren. Daher wurde Emile Delannoy ausgesandt, um die Versammlungen zu besuchen, wie er es in früheren Jahren oft getan hatte. Doch es war seine letzte Reise, denn er wurde krank und starb am 5. August 1948. Bruder Delannoy hatte zusammen mit seiner Frau Marie etwa 40 Jahre lang Jehova in Frankreich treu gedient.

Nur ein Jahr zuvor hatte Adolphe Weber seinen irdischen Lauf in Treue beendet. Er war der Schweizer Bruder, der etwa ein halbes Jahrhundert zuvor das Werk in Frankreich begonnen hatte. Bei verschiedenen Gelegenheiten hatte er den französischen Brüdern geholfen, den Prüfungen standzuhalten, die das französischsprachige Gebiet heimsuchten. Alle Brüder in Frankreich, die Bruder Weber kannten, sprechen sehr herzlich von ihm und erkennen die wichtige Rolle an, die er in der Entwicklung des Werkes in Frankreich spielte.

DAS ENDE DER GEHEIMEN ZUSAMMENKÜNFTE

Ab 1939 hatten sich die Brüder in kleineren Gruppen versammelt, doch 1947 fingen einige Versammlungen wieder an, für ihre Zusammenkünfte Säle zu mieten. Zu dieser Zeit gab es in Paris drei Versammlungen. Als man anfing, die Zusammenkünfte wieder in Königreichssälen abzuhalten, gab es einige Überraschungen. Schwester Marcelle Malolepszy erzählt, was sich in Besançon in Ostfrankreich abspielte:

„Das Werk war jetzt wieder frei. Wie glücklich waren wir doch! Bei der ersten Zusammenkunft trafen sich Leute im Königreichssaal, die zum erstenmal voneinander erfuhren, daß sie Zeugen waren. Ein Lebensmittelhändler zum Beispiel stellte fest, daß einige seiner Kunden seine Brüder waren. Die Tochter eines Gendarmen traf im Saal ihren ehemaligen Sonntagsschullehrer wieder. Es ist unmöglich die Freude zu beschreiben, die wir verspürten, als wir zum erstenmal zusammenkamen. Bei jener ersten Zusammenkunft waren etwa 80 von uns anwesend.“

PIONIERWERK WIEDEREINGEFÜHRT

Obwohl es 1947 2 380 Verkündiger und 104 Versammlungen gab, war in Frankreich kein einziger Pionier tätig. Wie bereits erwähnt, war das Werk erst im September 1947 gesetzlich anerkannt worden. Der französische Informator (Unser Königreichsdienst) vom Dezember 1947 enthielt daher einen Aufruf zum Pionierdienst, und wie es sich im nächsten Jahr zeigte, fand er ein gutes Echo.

Im Januar 1948 begannen acht eifrige Zeugen, darunter Schwester Simone Arnold, mit dem Pionierdienst. Im August waren es insgesamt 96 Pioniere, davon 20 Ferienpioniere. Sie bildeten zusammen eine glückliche und tatkräftige Kampfgruppe von Zeugen — Brüder und Schwestern, junge und alte, ledige und verheiratete —, und sie alle gaben Zeugnis trotz vieler Schwierigkeiten. In 60 der damals 90 Departements von Frankreich gab es keinen einzigen Zeugen Jehovas! Der Pionierdienst war daher dringend nötig, um das Werk in vielen Teilen des Landes zu eröffnen.

1948 arbeiteten die Pioniere in 49 verschiedenen Städten, in denen teilweise keine Zeugen lebten. Viele wurden in Gegenden gesandt, in denen es nur alleinstehende Verkündigergruppen gab. Und so stieg die Zahl der Versammlungen hauptsächlich aufgrund ihrer eifrigen Anstrengungen und mit dem Segen Jehovas von 104 im Jahre 1947 auf 150 im Jahre 1950.

KREISDIENST EINGEFÜHRT

Anfang des Jahres 1918 wurden die Versammlungen in Frankreich nicht von „Kreisdienern“ besucht. Es war aber offensichtlich ein Bedarf vorhanden. Daher wurden fünf eifrige junge Pioniere, alle in den Zwanzigern — Léopold Jontès, Antoine Skalecki, François Baczinski, Raymond Tomaszewski und Thaddée Mlynarski —, ins Bethel gerufen und mit den Pflichten dieses Dienstamtes vertraut gemacht. Am 1. Oktober 1948 begannen sie, den Versammlungen zu dienen.

Diese jungen Brüder bekamen große Kreise. Und da die meisten Zeugen in Frankreich damals arm waren und beengte Wohnmöglichkeiten hatten, mußten sie darauf vorbereitet werden, ein spartanisches Leben zu führen. Selten hatten sie ein Schlafzimmer für sich allein. Und keiner von ihnen konnte sich ein Auto oder wenigstens ein Motorrad leisten.

GEDÄCHTNISMAHL UND KONGRESSE

1948 wurde in Frankreich das Gedächtnismahl zum ersten Mal seit 1939 wieder öffentlich abgehalten. Die Brüder im Raum Paris kamen alle in einem Saal zusammen, den sie in dem südlichen Vorort Kremlin-Bicêtre gemietet hatten. Etwa 500 Personen waren anwesend, obwohl es in den 10 Versammlungen von Groß-Paris damals keine 300 Verkündiger gab. In ganz Frankreich waren 5 912 Personen anwesend, und 407 nahmen von den Symbolen.

1948 wurden zehn Bezirkskongresse organisiert. Insgesamt 9 235 Personen kamen zum öffentlichen Vortrag. Das Buch „Gott bleibt wahrhaftig“ wurde in Französisch freigegeben. Es erwies sich als ein wunderbares Hilfsmittel, um die französischen Katholiken von der Knechtschaft der falschen Religion zu befreien. Viele Jahre lang waren die meisten von denen, die für die Wahrheit einstanden, Personen, die dieses Bibelstudienhilfsmittel studiert hatten.

Im Jahre 1948 erhielten die Brüder auch wieder den französischen Wachtturm. Der erste Nachkriegs-Wachtturm-Feldzug wurde organisiert, und in diesem Jahr wurden 6 043 neue Abonnements aufgenommen.

WEITERE ORGANISIERUNG NACH DEM KRIEG

Vom Januar 1948 an begann man, in den französischen Ausgaben von Erwachet! Lehrstücke aus dem englischen Lehrbuch Theokratische Hilfe für Königreichsverkündiger zu veröffentlichen. Das brachte neue Begeisterung in die Theokratische Schule, die eine Zeitlang mit Hilfe der Broschüre Kurs im theokratischen Dienstamt durchgeführt worden war.

Im Jahre 1948 wurden zum ersten Mal seit der Aufhebung des Verbots im vorangegangenen September öffentliche Vorträge in den Zusammenkünften gehalten. Das waren die ersten dieser Zusammenkünfte für die Öffentlichkeit seit 1939.

Dann, im Jahre 1949, trafen vier Gileadabsolventen in Frankreich ein. Zwei von ihnen wurden als Missionare in den transatlantischen Seehafen Le Havre in der Normandie gesandt. Einer von ihnen berichtet, wozu es führt, wenn man nicht sehr gut Französisch versteht:

„Oft sah ich ein Schild mit der Aufschrift ,Chien méchant‘ [buchstäblich: böser Hund; im Deutschen würden wir sagen: ,Vorsicht, bissiger Hund!‘]. Ich verwechselte jedoch ,méchant‘ mit dem englischen Wort ,merchant‘ [Händler], und so bedeutete diese Aufschrift für mich ,Hundehändler‘ oder ,Käufer und Verkäufer von Hunden‘. Oft wunderte ich mich, daß in Le Havre so viele Menschen diesen Beruf hatten. Völlig arglos öffnete ich daher die Gartentür, und ein Hund bellte an meinen Fersen. Oft war der Wohnungsinhaber ganz überrascht, mich ganz ruhig und mit dem Hund an meiner Seite vor seiner Tür stehen zu sehen. Ich wurde nicht ein einziges Mal gebissen! Zweifellos wunderten sie sich, was für einen Zauber ich auf ihre Hunde ausübte. Sie ahnten nicht, daß der Grund lediglich in meiner Unkenntnis der französischen Sprache bestand!“

Die anderen beiden Gileadabsolventen wurden in das Pariser Zweigbüro geschickt, wo sie Bruder Geiger helfen sollten, das Predigtwerk in Frankreich sowie die Tätigkeit des Zweigbüros zu organisieren. Die Bethelfamilie bestand damals aus 12 Personen. Alle hatten den Wunsch, die Empfehlungen zu beherzigen, damit alles so getan werden konnte, wie es Gottes Diener unter der Leitung des „treuen und verständigen Sklaven“ auf der ganzen Erde taten.

So wurden auch zum ersten Mal Kreiskongresse in Frankreich abgehalten. Sie wurden nach dem Vorbild der Programme gestaltet, die das Brooklyner Büro lieferte. Das Königreichsdienst-Liederbuch, erst kurz zuvor in Französisch veröffentlicht, wurde zum ersten Mal auf diesen Kreiskongressen des Jahres 1949 benutzt.

Eine weitere große Hilfe für die Verkündiger war die französische Ausgabe der Broschüre Rat über theokratische Organisation, für Jehovas Zeugen. Dies zusammen mit der Hilfe, die jetzt die Kreisaufseher leisteten, trug viel dazu bei, die Predigtmethoden und das Organisieren der Versammlungen in ganz Frankreich zu vereinheitlichen.

DAS WERK MACHT GROSSE FORTSCHRITTE

Alle Bemühungen, die im Jahre 1949 unternommen wurden, um das Werk in Frankreich theokratisch zu organisieren, trugen 1950 reichlich Frucht. Die Zahl der Königreichsverkündiger — im Jahre 1949 noch 3 236 — stieg 1950 auf 4 526, eine 40prozentige Zunahme. Es wurde sogar eine Höchstzahl von 5 441 Verkündigern erreicht, mehr als das Doppelte des Verkündigerdurchschnitts zwei Jahre zuvor.

Um den Bedürfnissen zu entsprechen, die durch diese gewaltige Zunahme entstanden, wurde die Zahl der Kreise auf 10 erhöht. Die Kreisdiener erhielten in diesem Jahr eine große Hilfe durch zwei amerikanische Gileadabsolventen polnischer und ukrainischer Herkunft, Stephen Behunick und Paul Muhaluk, die aus Polen ausgewiesen worden waren und die, bevor sie in die Vereinigten Staaten zurückkehrten, mehrere Monate in Frankreich verbrachten und die Kreisdiener begleiteten. Sie arbeiteten besonders in den nördlichen Kreisen, in denen es viele polnische Brüder gab. Im Jahre 1950 wurde in Frankreich auch der Sonderpionierdienst eingeführt.

1950 war noch aus mehreren anderen Gründen ein denkwürdiges Jahr: Die ersten drei französischen Brüder gingen nach Gilead. Ihre Abschlußfeier fand im Sommer 1950 während des Kongresses „Mehrung der Theokratie“ im Yankee-Stadion in New York statt. Danach nahmen sieben weitere aus Frankreich an der 16. Klasse der Gileadschule teil, die im September 1950 begann.

Zusammen mit den Brüdern, die nach Gilead eingeladen worden waren, nahmen 20 Delegierte aus Frankreich an jenem denkwürdigen Kongreß „Mehrung der Theokratie“ im Yankee-Stadion teil. Das Echo dieses wunderbaren Kongresses erreichte die Brüder in Frankreich, als sie später in jenem Jahr ihre Bezirkskongresse durchführten. Einige der französischen Delegierten gaben auf diesen Kongressen lebhafte Berichte über die wunderbaren Dinge, die sie in New York gesehen und gehört hatten. Sie waren besonders von ihrem Besuch im Brooklyner Hauptbüro beeindruckt.

ERSTER INTERNATIONALER KONGRESS NACH DEM KRIEG

Das große Ereignis des Jahres 1951 war der internationale Kongreß „Reine Anbetung“, der erste in Paris seit 1937. Delegierte kamen aus 28 Ländern, unter anderem aus solch fernen Gegenden wie Australien, Neuseeland, den Philippinen, Indien, Südafrika, Venezuela und Nordamerika. Die Kongreßstätte, der Palais des Sports, stand nur einen Häuserblock von der schönen Seine entfernt und nur wenige Häuserblocks südlich des hohen Eiffelturms. Noch nie hatten Jehovas Zeugen in Frankreich einen solch großen Kongreß durchgeführt.

„Der Kongreß war gleichsam ein großes Experiment“, hieß es im Wachtturm. „Zum ersten Mal war eine Cafeteria organisiert worden, in der warme Mahlzeiten ausgegeben wurden, zum ersten Mal waren Zeitschriftentaschen angefertigt, verbreitet und verwendet worden, zum ersten Mal waren Sonderzüge organisiert worden. Doch die große Aufgabe wurde glaubensvoll unternommen, Hindernisse wurden überwunden, und Gott, der Allmächtige, gab seinen Segen und seine Hilfe. Das Ergebnis: ein großer Erfolg! ... Die Besucherzahl schoß von 6 188 Zeugen auf 10 456 Anwesende beim angekündigten öffentlichen Vortrag.“

Während des Kongresses erklärte Bruder Knorr, daß Bruder Henri Geiger nach vielen Jahren treuen Dienstes aus gesundheitlichen und anderen Gründen von Bruder Léopold Jontès als Zweigaufseher ersetzt werde. Die französischen Brüder brachten daraufhin durch ihren Applaus ihre Wertschätzung sowohl für den ausscheidenden als auch für den neuen Zweigdiener zum Ausdruck.

EINE ZEIT BEMERKENSWERTEN WACHSTUMS

1951 ging eine Zeit bemerkenswerter Nachkriegsausdehnung zu Ende. Von 1947 an war die Zahl der Verkündiger sprunghaft gestiegen. 1947 gab es eine 10prozentige Zunahme gegenüber dem Vorjahr. Der einzige Grund, weshalb sie nicht größer war, lag darin, daß viele der polnischen Brüder in Nordfrankreich ein Angebot der polnischen Regierung annahmen und nach Polen zurückkehrten. Dann, im Jahre 1948, gab es eine 20prozentige Zunahme, der eine 23prozentige Zunahme im Jahre 1949, eine 40prozentige im Jahre 1950 und eine 34prozentige im Jahre 1951 folgte.

In diesen vier Jahren verdreifachte sich die Zahl der Verkündiger; sie stieg von 2 380 im Jahre 1947 auf 7 136 im Jahre 1951. Allein im Dienstjahr 1951 wuchs die Versammlung Groß-Paris von 650 auf 1 085 Verkündiger an; 1 065 Personen wurden während des Jahres getauft, das war jeder 7. Verkündiger in Frankreich.

Das bedeutete, daß die meisten Verkündiger in Frankreich in geistiger Hinsicht junge „Lämmer“ waren, die Hilfe benötigten, um Reife zu erlangen. In den folgenden Jahren der Geschichte der Zeugen Jehovas in Frankreich, von 1952 bis 1956, ging die Ausdehnung daher langsamer vor sich, und diejenigen, die bereits in den Versammlungen waren, wuchsen allmählich zur Reife heran.

„DER WACHTTURM“ VERBOTEN, DOCH DAS PREDIGTWERK DEHNT SICH AUS

Vom 8. Januar 1952 an wurde die französische Ausgabe von Erwachet! eine halbmonatliche Zeitschrift. Auch wurde mit der Zeitschriftentasche Straßendienst durchgeführt, und in jenem Jahr wurden 285 837 Exemplare der Zeitschriften Der Wachtturm und Erwachet! verbreitet, mehr als je zuvor in der Geschichte des Werkes in Frankreich. Doch dann, Ende Dezember 1952, erschien in der Presse die Mitteilung, daß die Zeitschrift Der Wachtturm verboten worden sei. Diese Nachricht schlug ein wie eine Bombe.

Auf Anraten des Leiters der Sicherheitspolizei verbot der Innenminister die Verbreitung und den Verkauf des Wachtturms in ganz Frankreich und in den französischen Territorien. Als Grund für das Verbot wurde angegeben, daß Der Wachtturm junge Männer aufhetze, den Militärdienst zu verweigern. Einige französische Zeitungen brachten jedoch die Ansicht zum Ausdruck, dies sei lediglich ein Vorwand und der wahre Grund bestehe darin, daß Der Wachtturm Artikel veröffentliche, in denen auf die Doppelzüngigkeit der katholischen Kirche hingewiesen werde.

Trotz des Verbots war das Jahr 1952 ein gutes Jahr für das Königreichswerk. Ein besonderer Grund dafür war, daß die Brüder anfingen, vereinte Anstrengungen zu unternehmen, um Gegenden in Frankreich zu erreichen, in denen noch keine Zeugen lebten. In der März-Ausgabe des französischen Informators (Unser Königreichsdienst) wurden die Zeugen ermuntert, in den Sommermonaten in Gebieten zu predigen, die keiner Versammlung zugeteilt waren. Die meisten Verkündiger Frankreichs lebten damals in der Bergbauregion im Norden, wo große Versammlungen ihr Gebiet alle paar Wochen durcharbeiteten. Doch in benachbarten Departements wurde selbst in großen Städten nicht gepredigt. Das traf auch auf die Mittelmeerinsel Korsika zu, die zu Frankreich gehört und etwa 160 km von der Riviera entfernt liegt. So begannen 1952 zwei Sonderpioniere das Königreichswerk auf Korsika.

FESTIGUNG DES WERKES

In den Jahren 1953 und 1954 machte das Werk weiterhin stetige Fortschritte, und in beiden Jahren wurde eine Mehrung von 9 Prozent erreicht. Auch wurden in diesen beiden Jahren 1 657 Personen getauft. Im Januar 1953 wurden die Kreise neu eingeteilt, und ihre Zahl wurde auf 11 erhöht. Gleichzeitig brauchten die Kreisdiener nicht mehr 24 Versammlungen zu besuchen, sondern nur noch 18 bis 20, so daß es ihnen möglich war, häufiger in die Versammlungen zu kommen. Außerdem nahm die Zahl der Versammlungsbuchstudien sehr zu, so daß es mehr Personen möglich war, daran teilzunehmen, und die Studienleiter denen, die Hilfe brauchten, besser beistehen konnten.

Ein weiterer festigender Faktor war 1953 der Neue-Welt-Gesellschaft-Kongreß, der im Juli im New Yorker Yankee-Stadion stattfand. 72 Delegierte aus Frankreich besuchten diesen wunderbaren Kongreß und hatten die Gelegenheit, das Brooklyner Bethel und die Druckerei zu besichtigen. Es erging ihnen wie der Königin von Scheba, die feststellen mußte, daß ihr nicht die Hälfte erzählt worden war.

Im Jahre 1953 wurde in Frankreich auch der erste Vollzeit-Bezirksdiener ernannt, Bruder Skalecki. Bis dahin hatten auf den Kreiskongressen Bethelbrüder an ihrem freien Wochenende gedient. Im darauffolgenden Jahr begann Bruder Skalecki, den Film „Die Neue-Welt-Gesellschaft in Tätigkeit“ in ganz Frankreich vorzuführen. Dieser Film gab einen Einblick in die Tätigkeit des Brooklyner Bethelheims und der Druckerei, und das trug dazu bei, die Verbundenheit der Brüder mit dem Hauptbüro der Gesellschaft zu stärken.

WEITERE FESTIGUNG

Das Dienstjahr 1955 war für Frankreich ein weiteres Jahr, in dem eher Errungenes gefestigt wurde, als daß es ein schnelles Wachstum gab. Die Durchschnittszahl der Verkündiger stieg um 6 Prozent, das waren durchschnittlich 456 mehr als 1954. Doch bedeutsamerweise wurden 1 246 Personen getauft. Das zeigt, daß viele von denen, die bereits verkündigt hatten, sich noch nicht Jehova hingegeben und dies durch die Wassertaufe symbolisiert hatten. Die hohe Zahl der Täuflinge im Jahre 1955 ist somit ein Beweis dafür, daß Jehovas Organisation in Frankreich gefestigt wurde.

Eine weitere bemerkenswerte Besonderheit des Werkes während jenes Jahres war die große Zunahme in der Zahl der verbreiteten Zeitschriften. 1954 wurden 288 902 Zeitschriften abgegeben, aber 1955 stieg die Zahl der abgegebenen Zeitschriften sprunghaft auf 513 236. Dieses Jahr war ein Wendepunkt in der Zeitschriftenverbreitung, denn die Zahl der verbreiteten Zeitschriften stieg nun viele Jahre lang jährlich um mehrere Hunderttausend. Natürlich handelte es sich dabei ausschließlich um die Zeitschrift Erwachet!, da das Verbot des Wachtturms bestehenblieb.

WEITERER INTERNATIONALER KONGRESS IN PARIS

Das große Ereignis des Jahres 1955 war in Frankreich der Kongreß „Triumphierendes Königreich“, der vom 3. bis 7. August in Paris stattfand. Im Jahre 1951 hatte der erste internationale Nachkriegskongreß in Frankreich in demselben Palais des Sports stattgefunden. Damals waren 10 456 Personen zum öffentlichen Vortrag gekommen, und 351 waren getauft worden. Was würde der Kongreß 1955 im Vergleich dazu mit sich bringen?

Am Eröffnungstag strömten 9 701 Personen in das Gebäude und füllten die Sitzreihen im Parkett vor der Bühne und in den Seitenrängen, und einige saßen sogar ganz oben auf der Galerie. Zwei Tage später antworteten 774 Taufbewerber mit einem festen „Oui!“ auf die Fragen, die ihnen der französische Redner in Verbindung mit der Taufe stellte. Und am Sonntag, zum öffentlichen Vortrag, den Bruder Knorr in Englisch hielt und der ins Französische übersetzt wurde, wurde die Kongreßstätte von 16 500 Personen regelrecht überschwemmt. Bruder Jontès schrieb:

„Wie dankbar sind wir doch Jehova, daß ein solcher Kongreß möglich war! Und wie begeistert waren wir doch, als wir sahen, daß Kameraleute die Taufe und auch die riesige Zuhörerschaft, die zum öffentlichen Vortrag kam, filmten! In ganz Frankreich konnten Hunderttausende diese Filme in der Woche nach dem Kongreß sehen. Jehovas Zeugen waren in den Nachrichten.“

VORBEREITUNGEN FÜR GRÖSSERES WACHSTUM

1956 stieg die durchschnittliche Verkündigerzahl auf 8 867, das waren nur 355 Verkündiger oder 4 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Es wurden jedoch 951 Personen getauft, und 12 801 Personen kamen zum Gedächtnismahl; 232 nahmen von den Symbolen. Auch stieg die Zahl der abgegebenen Zeitschriften von 513 236 im Jahre 1955 auf 869 841 im Jahre 1956. Diese ausgezeichnete Tätigkeit war ein Vorzeichen für größeres Wachstum.

Die Versammlungen bemühten sich, so viele Franzosen wie möglich mit der Königreichsbotschaft zu erreichen. Über 100 Versammlungen baten um nichtzugeteiltes Gebiet und besuchten Städte und Dörfer, in denen, wenn überhaupt, seit dem Zweiten Weltkrieg kein Zeugnis mehr gegeben worden war. Um den Brüdern zu helfen, diese Menschen zu erreichen, wurde die Zahl der Sonderpioniere von 33 im Jahre 1955 auf 64 im Jahre 1956 erhöht. Sie zogen in Regionen wie die Bretagne, die zuvor kaum berührt worden waren. 1956 waren in Frankreich 15 Gileadabsolventen tätig. Die 194 französischen Versammlungen wurden in 12 Kreise und, zum ersten Mal, in 2 Bezirke aufgeteilt.

Die Villa Guibert, die man 1947 gekauft hatte, war bereits zu klein, und die Aussichten auf ein weiteres Wachstum bedeuteten, daß größere Räumlichkeiten beschafft werden mußten. So wurde am 18. Juli 1956 ein 660 m2 großes Grundstück in Boulogne-Billancourt gekauft, einer Industriestadt im westlichen Vorortbereich von Paris, die als der Sitz der gigantischen Renault-Werke weltbekannt ist. Es wurde ein 5stöckiges Gebäude geplant, das groß genug sein sollte, die Familie, das Büro und eine kleine Druckerei unterzubringen. Das Werk in Frankreich war zu größerer Ausdehnung bereit.

EINE ZEIT SCHNELLERER MEHRUNG BEGINNT

1957 stieg die Verkündigerzahl zum ersten Mal auf 10 000; die Höchstzahl betrug 10 954 Verkündiger. Das war eine 12prozentige Zunahme gegenüber 1956. Und sowohl die Zahl der Stunden, die im Predigtwerk verbracht wurden, als auch die Zahl der verbreiteten Zeitschriften überstiegen die Millionengrenze. Auch wurden über 1 100 Personen getauft, und 14 488 Personen kamen zum Gedächtnismahl. Im Laufe des Jahres wurde ein Auffrischungskurs für alle Bezirks und Kreisdiener abgehalten, die den 212 Versammlungen dienten, die in 14 Kreise und 2 Bezirke aufgeteilt waren.

Unterdessen wurden Versuche unternommen, mit dem Bau des neuen Bethels zu beginnen. Schließlich, am 20. Mai 1957, wurde die Baugenehmigung erteilt, 10 Monate nachdem das Grundstück gekauft worden war, Die Ausschachtungsarbeiten begannen am 12. Juni, und am 2. Oktober 1957 war das Fundament gelegt. Es vergingen aber noch eineinhalb Jahre, bis das Gebäude fertig war.

ZWEI WICHTIGE EREIGNISSE KENNZEICHNEN DAS JAHR 1958

Das erste dieser Ereignisse war ein politisches, aber es wirkte sich unmittelbar auf die Stabilität des Königreichspredigtwerkes in Frankreich aus. Aufgrund der Krise, die durch den Algerienkrieg geschaffen wurde, wurde in Frankreich der Notstand ausgerufen, und alle öffentlichen Zusammenkünfte wurden verboten. Man befürchtete eine Zeitlang, daß eine Militärjunta die Macht übernehmen würde, doch am 1. Juni wurde bekannt, daß General Charles de Gaulle sich bereit erklärt hatte, Regierungschef und dann Staatsoberhaupt zu werden. Seine Rückkehr an die Macht brachte Frankreich eine Zeit der Stabilität auf Regierungsebene, wie es sie seit Jahrzehnten nicht mehr gekannt hatte.

Da es in Frankreich kein Gesetz gibt, das Predigern die Befreiung vom Militärdienst gewährt, waren einige junge Zeugen schon nahezu 10 Jahre im Gefängnis. General de Gaulle veranlaßte, daß diejenigen freigelassen wurden, die schon fünf und mehr Jahre im Gefängnis saßen. Später verkürzte seine Regierung die Gefängnisstrafen, die unsere Brüder erhielten, auf die doppelte Länge der regulären Wehrdienstzeit. Das bedeutete, daß, wenn junge Franzosen für 18 Monate zum Militärdienst einberufen wurden, unsere Brüder eine dreijährige Gefängnisstrafe erhielten. Das war weit besser als vorher, als unsere Brüder mit 20 Jahren ins Gefängnis kamen und keine Vorstellung davon hatten, wann sie wieder frei sein würden.

Die politische Stabilität trug zu einer weiteren schönen Mehrung von 11 Prozent und einer Höchstzahl von 12 141 Königreichsverkündigern bei. Es wurden 23 neue Versammlungen gegründet, und viele einzelne Verkündigergruppen entstanden, als eifrige Zeugen, die den Pioniergeist hatten, auszogen, um an Orten zu dienen, wo Hilfe benötigt wurde. Das Zweigbüro wies ihnen sowie den nahezu 100 Sonderpionieren zunächst Städte von mindestens 50 000 Einwohnern zu, in denen es keine Zeugen gab, und dann, als diese Städte bearbeitet wurden, zunehmend kleinere Orte.

So begann sich das Werk in kleineren Städten zu entwickeln wie in Poitiers, Dijon, Annecy, Limoges und Rennes, der ehemaligen Hauptstadt der Bretagne. Ein bemerkenswerter Fall war Caen in der Normandie. Innerhalb weniger Jahre wurde aus der winzigen Versammlung in jener Stadt, bestehend aus einer Handvoll Verkündigern, eine große Versammlung, und daraus gingen später viele Versammlungen in der Umgebung hervor. So war das Werk nicht mehr auf bestimmte Gegenden konzentriert, z. B. auf die Bergbauregionen in Nordfrankreich, sondern es breitete sich allmählich über ganz Frankreich aus.

Das andere große Ereignis des Jahres 1958 war der 8tägige internationale Kongreß „Göttlicher Wille“, der im Juli und im August in New York stattfand. Aus Frankreich kamen 641 Delegierte — 551 von ihnen reisten mit dem Flugzeug und 90 mit dem Schiff —; fast 9mal so viele wie 1953. Somit war fast jeder zwanzigste Verkündiger aus Frankreich anwesend — eine bemerkenswerte Zahl! Das wirkte sich auf das Werk in Frankreich sehr stärkend und vereinigend aus. Diese Delegierten hörten wie Bruder Knorr die Einrichtung von Schulen in vielen Zweigen ankündigte und von den Fortschritten der Bauarbeiten am neuen Bethel in Frankreich erzählte.

Ein kräftiges Echo dieses wunderbaren Kongresses erreichte die übrigen französischen Brüder auf den fünf Bezirkskongressen, die im September 1958 in Frankreich stattfanden. Insgesamt wurden auf diesen Kongressen 677 neue Brüder getauft. Die machtvolle Resolution, die in New York angenommen worden war, wurde auch auf diesen Kongressen angenommen, und im Dezember wurden dann in ganz Frankreich 1 670 000 Exemplare des Traktats Inwiefern hat die Christenheit der Menschheit gegenüber versagt? verbreitet. Welch ein gewaltiges Zeugnis!

NEUES FRANZÖSISCHES BETHEL

Anfang des Frühjahrs 1959 war das neue Bethel fertig. Am Freitag, Samstag und Sonntag, 17. bis 19. April, wurden das Büro und das Heim von der Villa Guibert in das neue Gebäude, 81, rue du Point-du-Jour, Boulogne-Billancourt, verlegt. Am darauffolgenden Montag nahm das neue Bethel seine Arbeit auf.

Zu dem 5geschossigen Gebäude gehörte ein Kellergeschoß, in dem eine Druckerei untergebracht werden konnte. Der Königreichssaal und ein Büro befanden sich im Erdgeschoß. Im 1. Stock waren der Speisesaal und die Küche untergebracht, und außerdem war noch Platz für Büros vorhanden. Im 2., 3. und 4. Stock befanden sich insgesamt 24 Schlafräume. Da die Bethelfamilie nur aus 17 Personen bestand, war noch reichlich Raum für Ausdehnung vorhanden sowie für die Teilnehmer der Königreichsdienstschule, die Bruder Knorr auf dem internationalen Kongreß 1958 angekündigt hatte. Ende Mai kam Bruder Knorr, um sich das neue Gebäude anzusehen, und am 1. Juni hielt er eine Ansprache im Pleyel-Saal, zu der 2 026 Brüder aus dem Raum Paris kamen.

EIN WICHTIGER RECHTSSIEG

Zwei Tage später, am 3. Juni, erhielt Bruder Jontès eine wichtige Nachricht von einem Pariser Rechtsanwalt. Am 2. Juli 1957 hatte Bruder Jontès vor einem Untersuchungsrichter erscheinen müssen. Er wurde angeklagt, junge Männer aufzuhetzen, den Militärdienst zu verweigern, ein Vorwurf, der für ihn und die Brüder, die den Vorstand der französischen Vereinigung der Gesellschaft bildeten, Gefängnis bedeuten konnte. Auch bestand Gefahr, daß die französische Vereinigung der Zeugen Jehovas verboten wurde.

Die gerichtliche Untersuchung wurde während des Jahres 1957 fortgesetzt und erstreckte sich über das ganze Jahr 1958. Schließlich kam der Fall am 16. Februar 1959 vor Gericht. Bruder Jontès konnte gut Zeugnis geben. Am 2. März 1959 erfolgte ein Freispruch. Der Staatsanwalt legte jedoch Berufung ein, und der Fall kam am 20. Mai 1959 vor das 11. Berufungsgericht. Dann, am 3. Juni, rief der Anwalt der Gesellschaft Bruder Jontès an und teilte ihm mit, daß die Angeklagten wieder freigesprochen worden waren. Dies war ein wunderbarer theokratischer Sieg, der es ermöglichte, daß die gute Botschaft vom Königreich in Frankreich weiter gepredigt werden konnte.

1959 stieg die durchschnittliche Zahl der Zeugen um 17 Prozent; es wurde eine Höchstzahl von 13 935 Verkündigern erreicht. Auch stieg die Zahl der Versammlungen von 235 auf 254. Darunter befanden sich neue Versammlungen in Bastia (Korsika) und Rennes (Bretagne). Die bemerkenswerte Anzahl von 2 106 Personen wurde getauft, 525 davon auf den sechs französischen Bezirkskongressen.

AUSDEHNUNG IM JAHRE 1960

„Das Dienstjahr 1960 ist für unsere Brüder in Frankreich eines der bemerkenswertesten in ihrer Geschichte gewesen“, schrieb Nathan H. Knorr, der Präsident der Gesellschaft. Zunächst einmal war die Inbetriebnahme der neuen Druckerei mit ihrer Setzmaschine, ihren Druckmaschinen und ihren Falz und Heftmaschinen ein echter Meilenstein für das Werk in Frankreich. Im März 1960 wurde zum ersten Mal der Königreichsdienst auf den Druckmaschinen im französischen Zweigbüro gedruckt. Von da an wurden keine weltlichen Druckereien mehr beauftragt, für die Gesellschaft zu arbeiten. Seitdem deckt die eigene Druckerei den Bedarf der Brüder. Die Zeitschriften, Bücher und Broschüren werden allerdings entweder in Brooklyn, in Thun oder in Wiesbaden gedruckt.

Auch auf anderen Gebieten war eine Ausdehnung zu verzeichnen. Die durchschnittliche Zahl der Zeugen stieg um 10 Prozent und erreichte eine neue Höchstzahl von 15 439. Zum ersten Mal waren beim Gedächtnismahl über 20 000 Personen anwesend, nämlich 23 073. 26 neue Versammlungen wurden gegründet, und so stieg die Zahl der Versammlungen auf 280. Gegen Ende des Jahres gab es nur drei Städte mit über 20 000 Einwohnern, in denen noch nicht gepredigt worden war.

KONGRESS „VEREINTE ANBETER“ — DER HÖHEPUNKT DES JAHRES 1961

Das Stadion im Parc des Princes am westlichen Stadtrand von Paris wurde gemietet, um den Kongreß „Vereinte Anbeter“ abzuhalten, der vom 3. bis 6. August stattfinden sollte. Doch nur drei Monate vorher drohte ein Militärputsch in Algerien Frankreich in einen schrecklichen Bürgerkrieg zu stürzen. Rechtsgerichtete Terroristen verübten im ganzen Land Bombenattentate und schufen dadurch eine gespannte Atmosphäre. Die Regierung verbot alle größeren Veranstaltungen. Daher wurde der Vertrag für das Stadion im Parc des Princes nur ein paar Wochen vor dem Kongreß gekündigt. Man gab jedoch eine Sondererlaubnis, den Kongreß außerhalb von Paris im Colombes-Stadion abzuhalten.

Diese prekäre Situation, in der es so unsicher war, wo der Kongreß abgehalten werden konnte, hätte sogar erfahrenen Kongreßorganisatoren Probleme bereitet. Doch dies war der erste Kongreß in Frankreich, der im Freien stattfinden sollte, und der erste, für den eine Cafeteria mit Zelten, Tischen, Kochern, Dampfkesseln, Bratöfen, Spülmaschinen usw. von den Brüdern konstruiert und errichtet werden sollte. Doch durch die gute Zusammenarbeit aller und mit der Hilfe des Geistes Gottes war rechtzeitig zum Kongreßbeginn alles fertig.

Es war ein denkwürdiger Kongreß. Etwa 800 Brüder kamen aus Spanien, wo unser Werk damals verboten war. Es war ihnen so möglich, die Zusammenkünfte in ihrer eigenen Sprache und in Freiheit zu genießen. Aus Portugal kamen 80 Personen. Die Vorträge wurden gleichzeitig in Französisch, Polnisch, Spanisch und Portugiesisch gehalten.

Da der Kongreß nicht öffentlich bekanntgemacht werden durfte und die Kongreßstätte außerhalb von Paris lag, fragten sich die Brüder, ob die Anwesendenzahl wohl höher sein werde als beim internationalen Kongreß 1955 in Paris. Nun, das war tatsächlich der Fall, denn 23 004 Personen versammelten sich, um Bruder Knorrs öffentlichen Vortrag „Wenn sich alle Nationen unter Gottes Königreich vereinen“ zu hören. Auf diesem Kongreß wurden mehr als 5 Prozent der Anwesenden getauft, nämlich 1 203 Personen!

1961 wurde eine weitere 10prozentige Zunahme in der durchschnittlichen Verkündigerzahl erreicht sowie eine Höchstzahl von 17 108 Zeugen. Außerdem wurde in jenem Jahr in Frankreich die Königreichsdienstschule eingeführt. Die erste Klasse, bestehend aus Kreis und Bezirksdienern, fand vom 13. März bis 8. April im französischen Bethel statt. Im Laufe der Jahre nahmen dann französische, belgische und Schweizer Versammlungsdiener und Sonderpioniere daran teil.

100PROZENTIGE ZUNAHME IN SIEBEN JAHREN

Innerhalb von sieben Jahren verdoppelte sich die durchschnittliche Zahl der Verkündiger in Frankreich, nämlich von 8 512 Verkündigern im Jahre 1955 auf 17 299 im Jahre 1962. Eine wunderbare Einsammlung der „anderen Schafe“ hatte stattgefunden! Inzwischen gab es in allen Städten mit über 20 000 Einwohnern Verkündiger. Auch hatten bereits 324 Aufseher und Sonderpioniere an der Königreichsdienstschule teilgenommen.

Bruder Henri Geiger, der im Jahre 1920 getauft wurde und seinen aktiven Dienst begann, als nur ein paar Dutzend predigten, erlebte dieses wunderbare Wachstum. Nachdem Bruder Jontès ihn im Jahre 1951 als Zweigdiener abgelöst hatte, arbeitete Bruder Geiger noch eine Zeitlang im Bethel. Als seine Gesundheit nachließ, zogen er und seine Frau zu ihrem Sohn. Dort beendete er am 29. August 1962 seinen irdischen Lauf. Sein Lebensbericht erschien im Wachtturm vom 15. Februar 1963.

SONDERPIONIERE IN PARIS EINGESETZT

Während das Werk in ganz Frankreich schnelle Fortschritte machte, hielt seltsamerweise die französische Hauptstadt Paris mit der Mehrung nicht Schritt. Man beschloß daher, ein Missionarheim in Boulogne-Billancourt, 11, rue de Seine zu eröffnen, nicht weit vom Bethel entfernt. Das Haus dort wurde gekauft, und dann wurde es von Pionieren erweitert und hergerichtet, die zu diesem Zweck ins Bethel gerufen wurden. Am 17. Dezember 1962 begann dieses Missionarheim, seine Funktion zu erfüllen, und die Sonderpioniere, die dort wohnten, waren in Paris und Umgebung tätig. Dieses große Gebäude wurde ein Nebengebäude des Bethels. Die Versandabteilung der Gesellschaft, die bis dahin in einem Lagerhaus in einem anderen Teil von Paris untergebracht war, wurde dorthin verlegt.

JEHOVA GIBT WEITERHIN SEINEN SEGEN

Im Laufe der nächsten Jahre gab es weiterhin eine Fülle von Beweisen dafür, daß Jehova seine Diener in Frankreich segnete. Da war zunächst im Jahre 1963 die rund um die Welt durchgeführte Kongreßserie unter dem Motto „Ewige gute Botschaft“. Obwohl keiner dieser Kongresse in Frankreich stattfand, war es doch wunderbar zu sehen, daß etwa 11 000 französische Brüder — über die Hälfte der Verkündiger des Landes — einen dieser Kongresse in Mailand oder in München besuchten. Es wurden viele Sonderzüge organisiert, um die Delegierten zu transportieren. Und was für geistige Leckerbissen sie erhielten! Einer davon war die Veröffentlichung der Neuen-Welt-Übersetzung der Christlichen Griechischen Schriften in Französisch.

1963 stieg die Zahl der Zeugen in Frankreich zum ersten Mal auf über 20 000. Und dann wurde 1964 eine 9prozentige Mehrung erreicht, und über 2 000 Personen wurden getauft. Auch wurden 1964 zum ersten Mal über 3 000 000 Exemplare der Zeitschrift Erwachet! verbreitet, und nahezu 1 100 Pioniere, darunter Ferienpioniere (Hilfspioniere), hatten einen Anteil daran, diese Zeitschriften der Öffentlichkeit zu überreichen.

Im Jahre 1965 kamen 34 862 Personen zum Gedächtnismahl, und die Verkündiger erreichten eine neue Höchstzahl von 22 933. Die Verbreitung der Zeitschrift Erwachet! stieg weiterhin sprunghaft — auf über 3 500 000 in jenem Jahr. Es gab nun 380 Versammlungen und 92 einzelne Gruppen in Frankreich, aber es gab immer noch 94 Städte mit 5 000 bis 12 000 Einwohnern, in denen noch keine Zeugen lebten. In den großen Städten machte das Zeugniswerk jedoch gute Fortschritte. Paris hatte 11 Versammlungen, Lyon 7, Nizza und Mülhausen 4, und in mehreren anderen großen Städten gab es 3 Versammlungen.

Ein besonderes Merkmal des Jahres 1966 war die Gründung von 62 neuen Versammlungen, so daß es im ganzen Land nun 442 Versammlungen gab. Sie waren in 30 Kreise und 3 Bezirke aufgeteilt. Auch fanden in jenem Jahr 5 Bezirkskongresse statt, und zum öffentlichen Vortrag kamen insgesamt 22 153 Personen. Auf dem Kongreß in Bordeaux hatten die französischen Brüder das Vorrecht, ihren Brüdern aus Portugal Gastfreundschaft zu gewähren. Da es sich die meisten dieser Brüder nicht leisten konnten, ihre Unterkunft zu bezahlen, und da nicht für alle genügend Platz in den Wohnungen der Brüder war, wurde ein Kino gemietet und in zwei große Massenunterkünfte — eine für Männer und eine für Frauen — aufgeteilt, die mit Duschen Waschbecken usw. ausgerüstet waren. Die Brüder schätzten die Liebe, die ihnen ihre französischen Brüder erwiesen, sehr. Bruder Marian Szumiga, ein Bezirksdiener, berichtete: „Viele von ihnen hatten Tränen in den Augen, als die Zeit zum Abreisen kam.“

‘BESCHLEUNIGT ZU SEINER EIGNEN ZEIT’

Obwohl das Einsammeln der „anderen Schafe“ in den Jahren 1963 bis 1966 stetige Fortschritte gemacht hatte, kann man sagen, daß Jehova nun wirklich begann, ‘es zu seiner eigenen Zeit zu beschleunigen’ (Jes. 60:22). Im Jahre 1967 gab es nicht nur eine 10prozentige Zunahme an Verkündigern, sondern auch die Zahl der Anwesenden beim Gedächtnismahl stieg auf 41 274; 143 nahmen von den Symbolen. Ein weiteres Anzeichen für noch größeres Wachstum waren die 19 327 Heimbibelstudien, die durchschnittlich jeden Monat durchgeführt wurden, ein schöner Anstieg, verglichen mit den 15 964 im Vorjahr. Über 4 000 000 Exemplare der Zeitschrift Erwachet! wurden der Bevölkerung in die Hände gelegt, und 55 446 neue Abonnements wurden aufgenommen.

In jenem Sommer fanden in Frankreich 9 Bezirkskongresse unter dem Motto „Macht Jünger“ statt, und 27 009 Personen waren anwesend. Die biblischen Dramen wurden auf diesen Kongressen besonders geschätzt. Als Beweis für das beschleunigte Wachstum wurden während jenes Jahres 2 269 neue Jünger getauft, 960 allein auf den Bezirkskongressen.

POLITISCHE UND SOZIALE KRISE IN FRANKREICH

Im Frühjahr 1968 wurde Frankreich von einer sehr ernsten politischen und sozialen Krise erschüttert. Die Schwierigkeiten begannen mit Studentendemonstrationen, zunächst in Paris an der berühmten Sorbonne und an anderen Universitäten im Raum Paris, und später breiteten sich die Schwierigkeiten auf die Universitäten und höheren Schulen in ganz Frankreich aus. Eine Zeitlang war das Quartier latin in Paris ein regelrechtes Schlachtfeld. Die Studenten kämpften gegen die Polizei, die sich bemühte, die Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Studenten rissen Pflastersteine los und bewarfen damit die Polizei. Einige Bäume der berühmten Boulevards wurden gefällt und als Barrikaden verwandt, Autos wurden in Brand gesteckt und Schaufensterscheiben eingeworfen. Auf beiden Seiten gab es Hunderte von Verletzten.

Dann folgten die Arbeitergewerkschaften mit ihren eigenen Demonstrationsmärschen und mit einem Aufruf zum Generalstreik der Arbeiter. Im Mai und im Juli 1968 war Frankreich somit praktisch gelähmt. Keine Post wurde befördert; kein Zug fuhr; die Räder der Industrie standen still. Selbst der Flugverkehr wurde lahmgelegt. Eine Zeitlang sah es so aus, als würde das Regime der Gaullisten stürzen, doch die kommunistischen und die nichtkommunistischen Gewerkschaften waren uneins, und es gab auch keinen Zusammenhalt zwischen den Arbeitern und den Studenten. Und so kam es, daß die Gewalttätigkeiten und die Streiks zu Ende gingen, nachdem die Regierung und die Arbeitgeber einige spektakuläre Zugeständnisse gemacht hatten. Ende Juni fanden Wahlen statt, und die Partei der Gaullisten gewann die große Mehrheit der Stimmen.

Etwa einen Monat lang war es dem Zweigbüro unmöglich, mit den Versammlungen Briefwechsel zu führen. Doch die Brüder setzten ihre Tätigkeit treu fort. Ja sie nutzten sogar die Gelegenheit, die sich ihnen durch den völligen Stillstand der weltlichen Arbeit bot um mehr Zeit für den Predigtdienst einzusetzen. Zum ersten Mal stieg die durchschnittliche Stundenzahl pro Verkündiger in Frankreich auf 12.

VORKEHRUNGEN ZUR GEISTIGEN STÄRKUNG

Vom 7. bis 12. Mai 1968, in der Zeit der schlimmsten Studentendemonstrationen, besuchte Bruder Milton Henschel das französische Zweigbüro. Sein Besuch war sehr erbauend, denn er widmete der ganzen Familie viel Zeit und hatte für jeden ein herzliches Wort der Ermunterung. Er reiste gerade rechtzeitig von Paris ab, denn ein paar Tage später wurde der Flugverkehr durch einen Generalstreik lahmgelegt. Bruder Knorr wollte das Zweigbüro im Juni besuchen, doch wegen der Lage konnte er nicht ins Land kommen.

Bruder Jontès und sein Assistent, Bruder Jean-Marie Bockaert, kamen daher mit Bruder Knorr in Belgien zusammen, um zu besprechen, wie den französischen Brüdern mehr geistige Speise geliefert werden könnte. Wie bereits erwähnt, war Der Wachtturm in Frankreich verboten. Es wurde jedoch monatlich eine 64seitige Broschüre mit erbauenden Artikeln herausgegeben. Nun wurde beschlossen, zweimal monatlich eine 48seitige Broschüre zu veröffentlichen. Das geschah vom 1. Januar 1969 an, und das bedeutete, daß die französischen Brüder statt der 64 Seiten jeden Monat 96 Seiten übersetzten Stoff erhielten. Bruder Knorr genehmigte den Kauf einer vierten Druckmaschine, damit das französische Zweigbüro diese zusätzliche Arbeit bewältigen konnte.

DIE FERTIGSTELLUNG DES FRANZÖSISCHEN „WAHRHEITS“-BUCHES

Die politischen Ereignisse im Mai und Juni 1968 hatten für die Königreichsinteressen in Frankreich noch andere unvorhergesehene Folgen. Viele mögen sich erinnern, daß 1968 das Buch Die Wahrheit, die zu ewigem Leben führt veröffentlicht wurde. Nach der Bibel ist es jetzt das am weitesten verbreitete Buch in der westlichen Welt, denn es sind 95 Millionen Exemplare davon in 112 Sprachen verbreitet worden. Es wurde also vereinbart, daß einige fremdsprachige Zweige Fahnenabzüge des Wahrheits-Buches erhalten sollten, damit das Buch in die betreffenden Sprachen übersetzt werden konnte. Auf diese Weise sollte das Buch in einigen der am weitesten verbreiteten Sprachen gleichzeitig erscheinen.

Im französischen Zweigbüro war soweit alles gutgegangen, ein Übersetzer hatte es geschafft, das Buch innerhalb eines Monats zu übersetzen. Ein Teil des übersetzten Manuskripts wurde nach Brooklyn gesandt und traf dort auch sicher ein. Dann wurde ein weiterer Teil des Manuskripts abgesandt, doch plötzlich begann der Poststreik, und das Manuskript blieb auf der Post liegen.

Das Manuskript wurde nun neu geschrieben und nach Brüssel gebracht. Zwischen Paris und Brüssel wurde ein Pendeldienst eingerichtet, und Brüder, die ein Auto besaßen, nahmen vom französischen Zweigbüro Post mit, die von Belgien aus abgeschickt werden sollte, und holten Post für Frankreich ab, die nach Brüssel geschickt worden war. Auf diese Weise wurde das Buch fertiggestellt so daß die französischen Brüder zum ersten Mal das gleiche Buch zur gleichen Zeit wie die englisch sprechenden Brüder erhielten. Auf den Kongressen im Sommer standen zwar nur wenige Exemplare zur Verfügung, die gezeigt werden konnten, doch bald war eine ausreichende Menge für alle und zur Verbreitung im Predigtdienst vorhanden.

KONGRESS „FRIEDE AUF ERDEN“

Der Höhepunkt des Jahres 1969 war der internationale Kongreß „Friede auf Erden“, der im Colombes-Stadion in der Nähe von Paris stattfand. Er gehörte zu einer Kongreßserie, die Anfang Juli in den Vereinigten Staaten begann. Insgesamt 334 französische Delegierte flogen zu dieser 7tägigen Veranstaltung über den Atlantik. Doch dann, vom 5. bis 10. August, fand der Kongreß in Frankreich statt.

Es wurden Vorkehrungen getroffen, in dem Stadion auch einen portugiesischen Kongreß abzuhalten sowie eine Veranstaltung für die polnisch sprechenden Brüder aus Frankreich. Insgesamt waren 78 Nationen vertreten. Außer den 2 731 Anwesenden beim portugiesischen Programm und den 600 beim polnischen Programm kamen etwa 5 000 aus Belgien, 1 000 aus der Schweiz, über 1 300 aus den Vereinigten Staaten, 200 aus Kanada, 170 aus England und 120 aus Afrika. Es wurde ein besonderes Programm in Englisch abgehalten, und über 800 Personen waren dabei anwesend.

Für die portugiesischen Brüder war es der schönste Kongreß, den sie bis dahin gehabt hatten. Die höchste Anwesendenzahl, die sie vorher auf irgendeinem Kongreß in der Geschichte des Werkes in Portugal zu verzeichnen hatten, war 1968 auf dem Kongreß in Toulouse erreicht worden, zu dem 825 Personen gekommen waren. Man schätzte, daß ein großer Prozentsatz der portugiesischen Brüder den Kongreß in Paris besuchen konnten, und sie hatten bestimmt große Freude. Aus einer Versammlung in Lissabon, die 90 Verkündiger hatte, kamen 65 Delegierte! Es kamen Brüder aus Angola, von den Azoren, den Kapverdischen Inseln, Madeira und aus Moçambique.

Der Kongreß begann bei gutem Wetter, und jeden Tag schien angenehm die Sonne. Das war ein Segen, denn die portugiesischen, die polnischen und die Hälfte der französischen Zuhörer saßen im Freien und waren der Witterung ungeschützt ausgesetzt. Wie viele würden wohl insgesamt zum Kongreß kommen?

Nun, zum öffentlichen Vortrag am Sonntag mit dem Thema „Tausend Jahre Frieden nahen“ kamen 47 480 Personen — mehr als doppelt so viele wie zum vorherigen Kongreß im Colombes-Stadion im Jahre 1961! Noch bemerkenswerter war die Tatsache, daß 3 619 Personen getauft wurden, 10 Prozent von der durchschnittlichen Zahl der Anwesenden während des Kongresses. Dieses Wachstum der Zeugen Jehovas bereitete den Geistlichen Sorgen, wie es aus den folgenden Bemerkungen der populären Pariser Abendzeitung France-Soir vom 6. August 1969 hervorgeht:

„Was den Geistlichen anderer Religionen Sorgen bereitet, ist nicht die spektakuläre Verbreitung der Publikationen der Zeugen Jehovas, sondern sind vielmehr ihre Bekehrungen. Jeder Zeuge Jehovas hat die Verpflichtung Zeugnis zu geben oder seinen Glauben zu verkündigen, indem er unter der Leitung der Organisation mit der Bibel von Haus zu Haus arbeitet. ... Die Lehren der Zeugen Jehovas stützen sich auf die Bibel. ... Sie glauben an einen einzigen Gott (Jehova) und lehnen die Dreieinigkeit, die Unsterblichkeit der Seele und die Existenz der Hölle und des Fegefeuers ab.“

Noch nie wurde einem Kongreß so viel Aufmerksamkeit in der Presse, im Rundfunk und im Fernsehen geschenkt. Angesichts der heiklen Situation in Frankreich wurden die Reporter nicht zum Kongreß eingeladen. Sie kamen jedoch von sich aus. Am ersten Vormittag waren etwa 10 Zeitungsreporter anwesend, und am darauffolgenden Tag erschienen auf den Titelseiten verschiedener weitverbreiteter französischer Morgenzeitungen Artikel mit Fotografien. Am Donnerstag, dem 7. August, gab es eine schöne Fernsehsendung und einen fast 3minütigen Bericht in den Nationalen Nachrichten um 20 Uhr, der am meisten gesehenen Sendung in Frankreich. Alles, was dargeboten wurde, war positiv.

Am gleichen Tag widmete uns die einflußreiche Zeitung Le Monde 90 Zentimeter Spaltenlänge auf ihrer Seite über religiöse Nachrichten, während sie der katholischen Kirche nur 23 Zentimeter widmete. Günstige Berichte erschienen in den besten französischen Zeitungen — nicht nur in Sonderausgaben, die um das Stadion herum für die Zeugen verkauft wurden, sondern auch in den nationalen Ausgaben, die in ganz Frankreich und in der gesamten französischsprachigen Welt verkauft wurden. Insgesamt brachte die französische Presse über 22 Meter Spaltenlänge Artikel und Fotografien!

Auch druckte die Bethelfamilie zwei Kongreßberichte, die während des Kongresses freigegeben wurden, zuerst einen 16seitigen und dann einen 32seitigen Bericht mit Fotografien. Es war das erste Mal, daß ein französischsprachiger Bericht über einen Kongreß in Frankreich veröffentlicht wurde. Diese Berichte erwiesen sich als sehr nützlich, um Außenstehenden die Größe und das Ausmaß der Organisation Jehovas zu zeigen.

1969 erschien auch das neue Liederbuch „Singt und spielt dabei Jehova in euren Herzen“ in Französisch. Die Brüder erhielten es kurz vor dem Kongreß, so daß sie die Möglichkeit hatten, die Lieder zu lernen, die während des Kongresses gesungen werden sollten.

DAS „WAHRHEITS“-BUCH BESCHLEUNIGT DAS WERK

Im Jahre 1969 wurde ein Durchschnitt von 29 754 Verkündigern erreicht, 12 Prozent mehr als im Vorjahr. Das ein Jahr zuvor veröffentlichte Wahrheits-Buch hatte sehr zu der großen Mehrung beigetragen. Durchschnittlich wurden jede Woche 25 949 Heimbibelstudien durchgeführt, und zum Gedächtnismahl kamen 60 457 Personen, während es im Vorjahr nur 49 086 gewesen waren. Und 4 583 wurden getauft, mehr als das Doppelte der Höchstzahl derer, die bis dahin in irgendeinem Jahr getauft worden waren!

Diese schnelle Ausdehnung hielt an. 1970 gab es eine 15prozentige Mehrung an Verkündigern, 1971 waren es 14 Prozent Das bedeutete, daß die Zahl der Verkündiger von 26 614 im Jahre 1968 auf 39 026 im Jahre 1971 kletterte — eine Zunahme von mehr als 12 000 in nur drei Jahren! Und 80 293 kamen zum Gedächtnismahl im Jahre 1971, über 30 000 mehr als drei Jahre zuvor! Auch wurde in Frankreich wöchentlich mehr als eine Versammlung gegründet — 1971 waren es 53 —, so daß es im ganzen Land insgesamt 636 Versammlungen gab. Bestimmt spielte das Wahrheits-Buch eine große Rolle bei der Einsammlung der Schafe des Herrn!

VORBEREITUNGEN FÜR DEN KONGRESS IN TOULOUSE

Ein Höhepunkt des Jahres 1971 sollte der Bezirkskongreß „Göttlicher Name“ in Toulouse sein. Man erwartete, daß 5 000 zum französischen Programm kommen würden, 5 000 zum portugiesischen und 15 000 zum spanischen, also insgesamt 25 000 Personen. Für diesen dreisprachigen Kongreß wurde jedes verfügbare Hotelzimmer und jeder Campingplatz in und um Toulouse reserviert. Doch dann geschah das Unerwartete.

In Spanien brach die Cholera aus. Man redete von Schutzmaßnahmen. Aber die Behörden zögerten, den Kongreß zu verbieten, weil diese Entscheidung auf das Mißfallen der örtlichen Geschäftsleute gestoßen wäre. Auch befürchtete man, die Gesellschaft werde die Behörden verklagen und werde Schadenersatz verlangen, da Verträge unterzeichnet und gewaltige Vorbereitungen getroffen worden waren. Dann kam jedoch die Nachricht, daß der Kongreß offiziell verboten worden war Bruder Jean-Claude Rézer, der Kongreßaufseher, erzählte:

„Die Brüder waren wirklich wunderbar bis zum Ende, als das Verbot bekanntgegeben wurde. ... Ja, es gab Tränen, doch in einem Geist der Ergebenheit erkannte jeder die Notwendigkeit, sich wieder an die Arbeit zu machen und alles abzureißen, was umsonst aufgebaut worden war. Die Brüder die für die verschiedenen Abteilungen verantwortlich waren, waren ihrer Aufgabe gewachsen. Die Brüder aus Spanien und Portugal halfen uns beim Abbau, während sie sich gleichzeitig bemühten, ihren Kongreß anderswo abzuhalten.“

SEGNUNGEN TROTZ DES VERBOTS

Praktisch alle französisch sprechenden Brüder konnten einen der anderen Kongresse in Frankreich besuchen. Und nahezu 900 Brüder aus Portugal reisten mit 12 Bussen, einem Charterflugzeug und einer Anzahl Privatfahrzeugen zu einem „Notprogramm“ nach London. Insgesamt waren auf den Kongressen „Göttlicher Name“ in Frankreich 48 533 Personen anwesend, und eine sehr schöne Zahl von 2 084 Personen wurde getauft.

Das Jahr 1971 brachte somit in Frankreich eine großartige theokratische Ausdehnung mit sich. Es zeichnete sich auch durch eine besonders schöne Vorkehrung aus: das Jahrbuch der Zeugen Jehovas in Französisch. Seit dem Zweiten Weltkrieg war es nicht mehr in Französisch erschienen.

EINE ERWEITERUNG DES BETHELS WIRD ERFORDERLICH

Im Jahre 1972 war das französische Bethel in dem Pariser Vorort Boulogne-Billancourt bereits zu klein; eine Erweiterung war erforderlich. Besonders wurde Platz für die Versandabteilung benötigt. 1959, als das Bethel in Boulogne fertiggestellt wurde, wurden 85 000 Bücher im Jahr versandt, während die Zahl 1972 auf 1 094 231 stieg, ganz zu schweigen von den Broschüren, Formularen und anderen Drucksachen.

Es erschien ratsam, irgendwo zwischen Paris und Le Havre, einer Hafenstadt in Westfrankreich, wo die Literatur aus den Vereinigten Staaten eintraf, neu zu bauen. Im November 1970 wurde ein 73 mal 33 Meter großes Grundstück in Louviers, einer Kleinstadt in der Normandie, ausfindig gemacht, etwa 105 km sowohl von Paris als auch von Le Havre entfernt. Es dauerte etwa 18 Monate, bis die behördlichen Schwierigkeiten überwunden waren, und daher wurde die Eigentumsurkunde erst am 28. April 1972 unterzeichnet. Die eigentlichen Bauarbeiten begannen im darauffolgenden Monat und wurden im Dezember des gleichen Jahres abgeschlossen.

Das Gebäude ist ein sehr hübsches aus Fertigteilen hergestelltes zweistöckiges Haus. Das Äußere besteht aus Blendsteinen und grün emaillierter Verkleidung. Eine geräumige Druckerei und Versandabteilung sowie die Küche, Kühlräume und ein schöner Speisesaal sind im 1. Stockwerk untergebracht. Die Wäscherei, die Bibliothek und 22 Schlafräume befinden sich im 2. Stockwerk. Das Gebäude hat eine Bodenfläche von insgesamt 2 044 Quadratmetern.

Am 29. Mai 1973 wurde die Druckerei nach Louviers verlegt. Es war an jenem regnerischen Tag in Boulogne ein ungewöhnlicher Anblick, zu sehen, wie Druckmaschinen und andere Maschinen auf enorme Lastwagen vor dem Bethel verladen wurden. Die Auto und Lastwagenfahrer, die gezwungen waren zu warten, waren so neugierig, daß sie vergaßen, auf die Hupe zu drücken, was in Paris bei einem Verkehrsstau sonst sehr häufig vorkommt, obwohl Hupen verboten ist. Schließlich trafen die vier Druckmaschinen, die Linotype, der Dreischneider und die Falzmaschine sicher in Louviers ein und waren zwei Tage später bereits wieder in Betrieb.

Die Bestimmungsübergabe fand am Samstag, dem 9. Juni 1973, statt, und 157 Personen waren anwesend. Mehrere Brüder gaben einen Rückblick auf das Werk in Frankreich. Es war begeisternd, festzustellen, daß das Werk bemerkenswert gewachsen war. Allein 1972 wurden zum ersten Mal über 5 000 Personen getauft. Und der Bruder, der für die Druckerei verantwortlich war erklärte kurz, daß 1960 291 530 Zeitschriften gedruckt worden seien, während die Produktion im Jahre 1972 auf 1 771 300 gestiegen sei. Die Gesamtzahl der Druckerzeugnisse war von 4 161 994 im Jahre 1960 auf 32 043 610 im Jahre 1972 gesteigert worden.

INTERNATIONALER KONGRESS „GÖTTLICHER SIEG“

Wieder sollte ein internationaler Kongreß im Colombes-Olympiastadion stattfinden. Sieben Monate vor Kongreßbeginn nahm das Kongreßkomitee seine Arbeit auf. Es war eine gewaltige Aufgabe, die Umwandlung des Stadions in einen riesigen Königreichssaal zu beaufsichtigen. Doch das Ergebnis war ein Erfolg.

Gartenbauspezialisten unter den Zeugen hatten im Laufe von mehreren Monaten Tausende von Topfblumen herangezogen, die die Mitte des Stadions um die Bühne herum schmückten. Ein künstlicher Teich mit zwei lebendigen Flamingos bot ebenfalls einen schönen Anblick. Der „Rennklub von Frankreich“, dem das Stadion gehört, verwandte die Dekoration für das Titelbild seiner monatlich erscheinenden Sportzeitschrift.

Nun war alles bereit für den Eröffnungstag am Mittwoch, dem 1. August. Ein buchstäblicher Schwarm von Menschen strömte in das Stadion. Die französischen Zeitungen, die manchmal sehr bissige und ironische Bemerkungen über Jehovas Zeugen gemacht hatten, waren voll des Lobes über die aufmerksame Zuhörerschar. Die katholische Zeitung La Croix kommentierte:

„Obwohl sehr viel über Jehovas Zeugen gesprochen wird, weil sie eine aktive Proselytenmacherei von Haus zu Haus betreiben, haben sie bis jetzt in Frankreich nur bescheidenen Erfolg gehabt. Dennoch war ihr Kongreß in Colombes aufgrund der reibungslosen Organisation und der biblischen Dramen und ihres Sinnes für Verantwortung ein eindrucksvoller Anblick.“

Die journalistische Welt pries diesen internationalen Kongreß als das Ereignis des Sommers. Le Monde schrieb: „Das Stadion war mit einer aufmerksamen und lernbegierigen Menschenmenge, auf die jede politische Partei eifersüchtig gewesen wäre, zum Bersten gefüllt.“

Selbst die Zeitungsverteiler waren von dem guten Benehmen der Kongreßteilnehmer beeindruckt. Ein Verkaufsfahrer des Parisien Libéré legte seine Zeitungen in Stapeln auf den Bürgersteig, stellte eine Geldbüchse dazu und ließ mir einen Mann zurück, der sich darum kümmern sollte. Überrascht darüber, sich selbst bedienen zu können, fragten ihn die Delegierten, ob er nicht befürchte, zuwenig Geld zu erhalten. Er erwiderte: „O nein. 1969 haben wir es genauso gemacht.“

Am Freitag, dem 3. August, fanden sich insgesamt 2 703 Bewerber zur Taufe ein und beantworteten die ihnen gestellten Fragen mit „Oui“. Es war ein unvergeßlicher Augenblick, als sie in ordentlicher Manier zu dem 500 Meter entfernten Schwimmbecken aufbrachen. Das Journal du Dimanche berichtete darüber:

„Zeuge Jehovas kann nicht irgendeiner werden, der ihre ,Wahrheit‘ plötzlich, wie durch einen Blitz aus heiterem Himmel, entdeckt. Geduld, Zeit, Mut und ein fester christlicher Glaube sind erforderlich. Man muß aber auch die Regeln anerkennen, die in den biblischen Gesetzen enthalten sind.“

Die Kongresse in Colombes sind Meilensteine gewesen, was den Fortschritt des Werkes in Frankreich betrifft. 1961 waren hier 23 004 Personen anwesend, und 1969 waren es 47 480. Wie war es 1973? Nun, als die Zeit für den öffentlichen Vortrag am Sonntag mit dem Thema „Göttlicher Sieg — Was bedeutet er für die bedrängte Menschheit?“ herbeikam, strömte eine erstaunliche Anzahl von 60 241 Personen in das riesige Stadion.

DIE „NEUE-WELT-ÜBERSETZUNG“ IN FRANZÖSISCH

Im Jahre 1963 war die Neue-Welt-Übersetzung der Christlichen Griechischen Schriften in Französisch gedruckt worden. Als endlich 11 Jahre später die vollständige Neue-Welt-Übersetzung der Heiligen Schrift in Französisch erschien, wurde sie von den Brüdern begeistert aufgenommen. In Frankreich war diese neue Veröffentlichung von ganz besonderer Bedeutung. Wieso? Dazu müssen wir die Vergangenheit betrachten.

Die Päpste bezeichneten Frankreich als „die älteste Tochter der Kirche“, und noch heute bekennen sich 85 Prozent der französischen Bevölkerung zum Katholizismus. Wenn man bedenkt, daß vor der Französischen Revolution im Jahre 1789 auf 110 Einwohner ein Priester kam und in neuerer Zeit, im Jahre 1970, immer noch ein Priester, ein Mönch oder eine Nonne für 297 Einwohner da waren, wird es einem klar, daß die katholische Kirche sehr gut in der Lage gewesen wäre, das französische Volk über die Bibel zu belehren.

Doch jahrhundertelang sorgten die Priester für die Einhaltung der Regel, die im Jahre 1229 auf dem Konzil von Toulouse aufgestellt worden war: „Laien dürfen die Bücher des Alten und Neuen Testaments nicht besitzen.“ Es stimmt zwar, daß nach 1950 mehrere katholische Bibeln in Französisch veröffentlicht wurden, zum Beispiel die Jerusalemer Bibel, doch da sie verhältnismäßig teuer sind, sind sie nur in wenigen Familien vorhanden. Durch die Veröffentlichung der Neuen-Welt-Übersetzung in Französisch ist es aber selbst den ärmsten französischen Familien ermöglicht worden, sich eine vollständige Bibel anzuschaffen. Seit 1974 sind fast 800 000 Exemplare dieser ausgezeichneten Übersetzung zur Verbreitung an die Versammlungen versandt worden.

EINE ANSPORNENDE HOFFNUNG

Obwohl sich die Lebensbedingungen des französischen Volkes, vom materiellen Standpunkt aus gesehen, im allgemeinen verbessert haben, sind doch viele Franzosen enttäuscht und verwirrt, und es fehlt ihnen das richtige Gleichgewicht im Leben. Wenn sie Probleme haben, fühlen sie sich hilflos, denn ihre Religion hat ihnen keine geistige Kraft und keine wahre Zuversicht vermittelt. Die Königreichsbotschaft hat oft eine umwandelnde Wirkung auf solche Personen. Ein Beispiel dafür mag dies zeigen.

Eine junge Frau, die wegen ihrer vielen Probleme einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte, beschloß, Selbstmord zu begehen und ihre drei Kinder mit sich in den Tod zu nehmen. Bevor sie jedoch ihren schrecklichen Plan in die Tat umsetzte, legte sie Gott ihre Bedrängnis im Gebet dar. Sie brachte ihre Wohnung in Ordnung, schrieb einen Abschiedsbrief an ihren Mann und an ihre Mutter und brachte den Mülleimer nach draußen, um alles in vollständiger Ordnung zurückzulassen.

Im Treppenhaus jedoch traf sie zwei Zeugen, die mit ihr sprachen und einen Rückbesuch vereinbarten. Als sie in ihre Wohnung zurückkehrte, dachte sie über diese Vereinbarung nach und beschloß, ihren Selbstmord eine Woche aufzuschieben. Eine Woche später erschienen die Zeugen zur vereinbarten Zeit, und nach einer kurzen Einleitung begannen sie ein Studium anhand des Wahrheits-Buches. Ein paar Wochen später wurde der Gesundheitszustand dieser Frau so schlecht, daß sie ins Krankenhaus gebracht werden mußte. Während der fünf Wochen dort besuchten die Zeugen sie regelmäßig.

Als sie aus dem Krankenhaus entlassen wurde, wurde das Studium fortgesetzt, und die Frau bemühte sich, zusammen mit ihren Kindern die Zusammenkünfte zu besuchen, obwohl sie ziemlich weit vom Königreichssaal entfernt wohnte. Gottes Wort war für sie so anregend, daß sie jedem, den sie traf, Zeugnis gab, und das mit ausgezeichneten Ergebnissen. Ja, nicht nur sie wurde getauft, sondern auch ihre Mutter und ihr Mann fingen beide an zu studieren und nahmen schließlich den Predigtdienst auf!

Glücklicherweise lernen Menschen aller Altersgruppen und Lebensschichten die biblische Wahrheit kennen und gestalten ihr Leben neu, wenn sie die zuverlässige Aussicht auf die Gabe des ewigen Lebens kennenlernen, die Gott zugesichert hat. So fühlten sich im Jahre 1974 8 689 Neue von Gottes Güte angesprochen und ließen sich taufen. Das bedeutete, daß in jenem Jahr in Frankreich durchschnittlich jede Stunde, Tag und Nacht, eine Person ein getaufter Christ wurde. 1974 beteiligten sich über 53 000 Zeugen am Predigtwerk, und sie führten über 36 000 Bibelstudien durch. Auch kamen in jenem Jahr 110 330 Personen zum Gedächtnismahl.

VERBOT DES „WACHTTURMS“ AUFGEHOBEN

Das Jahr 1975 war ein Meilenstein in der Geschichte der Zeugen Jehovas in Frankreich. In jenem Jahr wurde das 22 Jahre währende Verbot der Zeitschrift Der Wachtturm aufgehoben. Ab Januar erhielten die französischen Brüder ihre Zeitschriften für Studienzwecke. Dann, ein paar Wochen später, waren sie überglücklich, als ihnen Der Wachtturm auch für die Zeugnistätigkeit von Tür zu Tür zur Verfügung stand.

FÜR DIE GEISTIGEN BEDÜRFNISSE ALLER GESORGT

Man mag sich erinnern, daß im Jahre 1952 zwei Pioniere begannen, auf Korsika zu predigen, das ein Teil Frankreichs ist. 15 Jahre später, im Jahre 1967, gab es dort zwei Versammlungen. Im Jahre 1969 wurde eine dritte Versammlung gegründet, und 1970 wurde auf der Insel zum ersten Mal ein Kreiskongreß abgehalten. Danach sind mehrere Sonderpioniere auf die Insel gesandt worden, und 1978 gab es dort 431 Verkündiger, die zu 9 Versammlungen organisiert waren.

Das kleine unabhängige Fürstentum Monaco an der Mittelmeerküste untersteht der Aufsicht des französischen Zweiges. Es ist bekanntlich die Heimat des berühmten Spielkasinos von Monte Carlo. Obwohl es verboten ist, den 27 000 Einwohnern Monacos von Haus zu Haus Zeugnis zu geben, predigen Verkündiger aus der französischen Versammlung Beausoleil dort regelmäßig. 1978 gab es in Monaco sieben aktive Zeugen.

Auch an die geistigen Bedürfnisse der fremdsprachigen Einwohner wurde gedacht. Im Jahre 1975 gab es in Frankreich 17 portugiesische und 16 spanische Versammlungen und, nicht zu vergessen, eine griechische und zwei deutsche Versammlungen. Außerdem waren 24 portugiesische und 12 spanische Gruppen mit französischen Versammlungen verbunden. Wie ermutigend war es doch, zu sehen, daß Menschen aus verschiedenen Teilen der Erde die Wahrheit in ihrer eigenen Sprache kennenlernen konnten!

WEITERE KLASSEN DER KÖNIGREICHSDIENSTSCHULE

Wie bereits erwähnt, wurde im März 1961 in Frankreich die Königreichsdienstschule eingeführt. Ihr Zweck bestand darin, den Ältesten zu helfen, ihre biblischen Verpflichtungen zu erfüllen. Bis Dezember 1971 hatten insgesamt 93 Klassen an diesem Kurs teilgenommen.

Nach einer Pause von drei Jahren begann die Schule wieder im Februar 1975 mit einem neuen Lehrbuch. Während jenes Jahres zogen 2 043 Älteste aus diesem neuen Kurs Nutzen. Schließlich, während einer sechswöchigen Zeitspanne im Jahr 1978, nahmen die über 5 300 Ältesten aus Frankreich an einem geänderten zweitägigen Kurs teil. Zogen die Ältesten daraus Nutzen? Ein Ältester gab darauf eine gute Antwort, als er erklärte: „Wir danken der aufmerksamen Organisation Jehovas dafür, daß sie uns immer deutlicher zeigt, wie wir unsere Brüder in der Versammlung erbauen können.“

EIN ZWEITER NEUBAU WIRD HINZUGEFÜGT

Als 1973 das neue Gebäude in Louviers seiner Bestimmung übergeben wurde, nahm man an, daß es den Bedarf in Frankreich bis zur „großen Drangsal“ decken werde. Selbst als in Incarville (einem Dorf, das an Louviers grenzt) 1974 ein Grundstück gekauft wurde, dachte man nicht an eine Erweiterung des Bethels, sondern nur an einen Königreichssaal. Doch das schnelle Wachstum des Königreichswerkes machte bald ein Umdenken nötig. Am 2. April 1976 wurde schließlich die Genehmigung erteilt, ein 2stöckiges Gebäude mit 2 483 m2 Bodenfläche zu errichten.

Darauf wurde ein Rundschreiben an alle Versammlungen Frankreichs gesandt, in dem Freiwillige aufgerufen wurden, die Erfahrung im Baufach hatten. Da die Brüder mit dem in Fertigbauweise errichteten Gebäude in Louviers nicht so zufrieden waren, beschlossen sie, das neue Gebäude selbst zu bauen. Ein Bruder, der Erfahrung im Baufach hatte, bot sich an, die Arbeit in Verbindung mit einem Baukomitee zu koordinieren, das der Leitung des Zweigkomitees unterstand.

Die Arbeiten gingen bis zum 8. Dezember 1976 planmäßig voran, als die leitende Körperschaft empfahl, ein drittes Stockwerk für 10 zusätzliche Schlafräume zu bauen. Unser Architekt zeichnete daher neue Pläne, die dann zur Prüfung eingereicht wurden. Uns wurden 390 weitere Quadratmeter Bodenfläche zugestanden, so daß die gesamte Bodenfläche des Gebäudes 2 873 m2 beträgt.

Schließlich wurde der Neubau vollendet, und am Samstag, dem 13. Mai 1978, hielt Bruder Raymond Franz, ein Glied der leitenden Körperschaft, die Einweihungsansprache in Französisch. In Incarville ist jetzt die Versandabteilung untergebracht, und dort wohnen auch Bethelbrüder, die in Louviers arbeiten. Fast alle 34 Schlafräume im 2. und 3. Stock sind bereits belegt. Gegenwärtig besteht die französische Bethelfamilie aus 136 Personen, von denen 46 in Boulogne und 90 in Louviers und in Incarville tätig sind.

NEUE VERÖFFENTLICHUNGEN IN FÜLLE

In den letzten Jahren ist eine gewaltige Übersetzungsarbeit geleistet worden, so daß nun praktisch alle Publikationen, die in Englisch erschienen sind, auch in Französisch vorhanden sind. Seit 1976 erscheint sogar der jährliche Index der Wachtturm-Publikationen in Französisch — die erste Sprache, in der dieser Index außer in Englisch vorhanden ist. Auch sind Tonbandkassetten mit dem Text von Bibelbüchern in Französisch produziert worden. Vom Johannesevangelium wurden über 12 000 Kassettensätze in 28 Ländern verbreitet.

DIE KONGRESSE „SIEGREICHER GLAUBE“

Da das Colombes-Stadion bereits 1973 zum Bersten gefüllt war, organisierte das Zweigkomitee für das Jahr 1978 sechs Kongresse unter dem Motto „Siegreicher Glaube“ in verschiedenen Gegenden Frankreichs. Das war sehr gut, denn es kamen insgesamt 83 419 Personen zu den Kongressen — 23 178 mehr als im Jahre 1973!

Am Freitagmorgen nutzten die Delegierten die Gelegenheit, mit den Bewohnern der Kongreßstädte über ihren siegreichen Glauben zu sprechen. Eine junge Frau aus Paris hieß Jehovas Zeugen mit den Worten willkommen: „Ihr Besuch ist eine Fügung. Ich brauche unbedingt jemanden, mit dem ich reden kann. Ich hatte bereits drei Nervenzusammenbrüche und wollte sogar Selbstmord begehen.“ Sie vertraute dann den Zeugen an, daß sie das Bedürfnis verspürte, sich Gott zu nahen. Es wurden Vereinbarungen getroffen, daß sie zusammen mit einer Bekannten zum öffentlichen Vortrag kam.

AUSSICHTEN AUF GRÖSSERES WACHSTUM

Immer noch hören Menschen auf die Königreichsbotschaft. Das geht aus der Tatsache hervor, daß im Jahre 1979 in Frankreich beim Gedächtnismahl 133 584 Personen anwesend waren. Das sind 9 810 mehr als nur zwei Jahre zuvor. Und die Tatsache, daß die Zahl der Anwesenden beim Gedächtnismahl doppelt so hoch war wie die Zahl der Königreichsverkündiger in Frankreich (etwa 66 000), zeigt, daß es noch ausgezeichnete Aussichten auf ein weiteres Wachstum des Königreichswerkes gibt.

Bereits Ende 1978 hatten wir in Frankreich 1 188 Versammlungen, 60 Kreise und 6 Bezirke. Allein in Paris gibt es 28 Versammlungen, und in der unmittelbaren Umgebung von Paris sind es weitere 116, so daß sich die Gesamtzahl auf 144 Versammlungen beläuft. In Marseille haben wir 17 Versammlungen, in Lyon 11, in Nizza 10, in Nantes 8, in Toulouse 8, in Grenoble 7, in Mülhausen 7, in Caen 5, und in vielen anderen französischen Städten haben wir 2 oder 3 Versammlungen.

Wenn wir darüber nachdenken, wie das Werk in Frankreich seit der Jahrhundertwende gewachsen ist, können wir wirklich sehen, daß Jehova sein Volk gesegnet hat. Wir hoffen, daß dieser Bericht alle, die ihn lesen, ermutigen wird, im Dienst für Jehova voranzudrängen und daran zu denken, daß die darin beschriebenen Ereignisse alle die Wahrhaftigkeit der Worte des Apostels Paulus beweisen, der sagte: „Denn wir können nichts gegen die Wahrheit tun, sondern nur für die Wahrheit“ (2. Kor. 13:8).

[Karte auf Seite 37]

(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)

Frankreich

ÄRMELKANAL

BELGIEN

DEUTSCHLAND

LUXEMBURG

VOGESEN

LOTHRINGEN

ELSASS

SCHWEIZ

ITALIEN

ALPEN

MONACO

MITTELMEER

KORSIKA

PYRENÄEN

SPANIEN

PARIS

LOIRE

BRETAGNE

NORMANDIE

SAARGEBIET

Roubaix

Bruay

Sin-le-Noble

Lens

Douai

Denain

Le Havre

Caen

Louviers

Straßburg

Nancy

Rennes

Angers

Nantes

Poitiers

Moulins

Limoges

Bordeaux

Bayonne

Toulouse

Marseille

Bastia

Nizza

Valence

Beauvène

Clermont-Ferrand

Grenoble

Lyon

Annecy

Dijon

Besançon

Mülhausen

[Bild auf Seite 41]

1900

Adolphe Weber, ein Schweizer Holzfäller, begann das Predigtwerk in Frankreich.

[Bild auf Seite 73]

1931

Hintergrund: Pariser Büro (1931 bis 1940)

Vordergrund: Bruder Rutherford mit den Mitarbeitern des französischen und des Schweizer Büros

[Bild auf Seite 76]

1932

Etwa 100 Motorräder wurden in Frankreich benutzt, um die Königreichsbotschaft zu verbreiten.

[Bild auf Seite 81]

1933

Der Stand der Gesellschaft auf einer Ausstellung in Paris. In den 30er Jahren gewannen mehrere Bücher Goldmedaillen.

[Bild auf Seite 84]

1937

Verkündiger der Versammlung Sin-le-Noble vor ihrem Lautsprecherwagen

[Bild auf Seite 104]

1945

Wiedervereinigung von Emma, Adolphe und Simone Arnold nach jahrelanger Trennung während des Zweiten Weltkrieges

[Bild auf Seite 121]

1948

Zeugnisgeben per Rad — öffentliche Vorträge werden mit Plakaten angekündigt.

[Bild auf Seite 125]

1951

PARIS — erster internationaler Kongreß nach dem Krieg. 10 456 Personen kamen aus 28 Ländern.

[Bild auf Seite 136]

1959

Neues Bethel in Boulogne-Billancourt

[Bild auf Seite 152]

1972

Zweigstelle des Bethels in Louviers

[Bild auf Seite 160]

1978

Zweite Zweigstelle des Bethels in Incarville (Normandie)