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Nigeria

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Nigeria

NIGERIA entstand, als die Briten zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Vielfalt ethnischer Gruppen, die über 250 verschiedene Sprachen sprechen, zusammenschlossen. Jahrhundertelang hatten sie als selbständige Königreiche oder als Stadtstaaten bestanden und ein eigenes Gesellschaftssystem gehabt. Nach Ansicht der Nigerianer wurde ihr Staat jedoch erst am 1. Oktober 1960 geboren, als Nigeria die politische Unabhängigkeit erhielt. Sein unterschiedliches Erbe hat das Land stark beeinflußt.

Nigeria ist nicht ganz viermal so groß wie die Bundesrepublik Deutschland. Dieses umfangreiche Gebiet wird vom Niger — dem drittlängsten Fluß Afrikas (4 180 km) — und vom Benue durchströmt. Die Flußtäler des Niger und des Benue gliedern Nigeria in drei Landschaftsräume. Im Norden leben die Haussa, die Fulbe und viele kleinere Stämme. Im Süden, westlich des Niger, sind die Yoruba und östlich davon die Ibo sowie etwa 200 weitere ethnische Gruppen zu Hause. Als Folge der unterschiedlichen Kulturen, Sprachen und Religionen sind viele entzweiende Faktoren wirksam. Die englische Sprache ist jedoch ein wichtiges Mittel gewesen, diesen volkreichsten Staat Afrikas zusammenzuhalten.

EIN SCHWIERIGES GEBIET

Für christliche Diener Gottes, die es auf sich nehmen, hier die gute Botschaft von Gottes Königreich zu predigen, erweist sich dieses Land als eine schwierige Zuteilung. Nigeria liegt nur wenig nördlich des Äquators. An der Küste ist das Klima heiß und feucht. Hier erstrecken sich auch weite Sumpfgebiete. Das Zusammentreffen dieser Umstände hat zur Folge, daß das Land von Krankheiten heimgesucht wird wie Malaria, Gelbfieber, Lepra und Wurmleiden. Es gehört zu dem Gebiet Westafrikas, das einst als „das Grab des weißen Mannes“ bezeichnet wurde. Im Norden sind die Verhältnisse etwas anders. Er erstreckt sich zur Sahara hin und ist stellenweise Halbwüste.

Die vorherrschende Religion ist der Islam, der um 900 u. Z. eingeführt worden sein soll und der vor allem im Norden viele Anhänger hat. Etwa die Hälfte der Bevölkerung sind Muslime, ein Drittel sind „Christen“, und die übrigen gehören traditionellen Religionen an. Ganze Gemeinden — hauptsächlich im Süden — wurden auf ähnliche Weise „christianisiert“ wie Europa — durch Zwang oder Bestechung und nicht, indem der einzelne zu einem Jünger gemacht wurde. Es überrascht daher nicht, daß traditionelle Glaubensanschauungen und Praktiken der alten Kulte das Leben dieser Menschen noch stark beeinflussen.

Christliche Diener Gottes, die hier tätig sind, sehen sich ferner dem Problem des weitverbreiteten Analphabetentums gegenüber. Auch mögen sie in Dörfern predigen, in denen regelmäßig in Verbindung mit dämonischen Riten Fetischgöttern geopfert wird. Sie werden von Geheimbünden wie dem Odozi-Obodo-Bund und von Juju-Organisationen wie dem Ekpo-Bund bekämpft. Häufig haben sie es auch mit Medizinmännern zu tun.

Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Einen Christen, der aus Übersee hierher kommt, muß die Bereitschaft der Leute — selbst vieler Muslime — über Religion zu sprechen, unweigerlich beeindrucken. Viele Nigerianer schätzen die Bibel sehr. In den Zeitungen werden gewöhnlich Beiträge veröffentlicht, in denen religiöse Themen ausführlich diskutiert werden. Religiöse Namen und Schlagwörter, über die der Fremde manchmal schmunzeln muß, sind häufig. Z. B. mag die Bezeichnung einer Firma lauten „Gesegnete Handelsgesellschaft“ oder „Gott-zuerst-Lebensmittelladen“. Auf Motorfahrzeugen mag zu lesen sein „Gott ist mein Helfer“, und auf einen zu Schrott gefahrenen Lastwagen mögen die Worte gepinselt sein: „Der Mensch denkt — Gott lenkt“.

KLEINE ANFÄNGE

Das Werk des Jüngermachens in Nigeria war eng verbunden mit dem theokratischen Fortschritt in anderen westafrikanischen Ländern. Zu verschiedenen Zeiten hatte das in Lagos eingerichtete Zweigbüro der Watch Tower Society für Westafrika die Aufsicht über Ghana, Sierra Leone, Benin, Togo, Niger, Kamerun und Äquatorialguinea. In diesen Ländern sowie in Gambia, in der Zentralafrikanischen Republik und in Liberia waren nigerianische Pioniere, Sonderpioniere und Missionare tätig. Wie fing alles an?

Die gute Botschaft erreichte Nigeria offenbar gegen Ende des Jahres 1921, als Claude Brown dieses Land kurz besuchte und sich in dieser Zeit besonders im Norden dem Predigen der guten Botschaft widmete. Bruder Brown stammte aus Westindien, hatte aber in Winnipeg (Kanada) gewohnt. Im Jahre 1923 besuchte er Nigeria ein zweites Mal und hielt in Lagos mehrere Vorträge.

In dieser Zeit führte Vincent Samuels, ein schwarzer Amerikaner, der am Tinubu Square in Lagos eine Schneiderei betrieb, Bibelstudienklassen durch. Er begann, von Haus zu Haus zu predigen, und benutzte in den Studienklassen, zu denen sich jeweils etwa 15 Personen in der Wohnung einer Frau Odunlami versammelten, das von der Watch Tower Society herausgegebene Buch Die Harfe Gottes.

James Namikpoh, der in der staatlichen Druckerei in Lagos als Buchbinder und -drucker arbeitete, hörte von diesen Klassen und schloß sich 1923 der kleinen Gruppe an. Er machte rasche Fortschritte und nahm als erster Nigerianer den Predigtdienst auf. Kurz danach schloß sich ihm Frau Odunlami an. Einige Zeit später, doch noch im selben Jahr, sah Joshua Owenpa auf dem Tisch eines Kollegen im Eisenbahnbüro in Lagos Die Harfe Gottes liegen. Er lieh sich das Buch aus, las die ganze Nacht, schloß sich der Studiengruppe kurz darauf an und wurde der dritte Nigerianer, der sich im Dienst Jehovas betätigte.

Noch im gleichen Jahr betrat der aus Jamaika gebürtige William R. Brown den westafrikanischen Schauplatz. Er kam aus Trinidad, von wo aus er überall auf den Karibischen Inseln gepredigt hatte. Nachdem er auf fast allen Inseln Zeugnis gegeben hatte, wurde er von J. F. Rutherford, dem Präsidenten der Watch Tower Society, eingeladen, „mit Frau und Kind nach Sierra Leone, Westafrika“, zu gehen.

Von dort aus besuchte er im November 1923 Nigeria und hielt in der Glover Memorial Hall seinen ersten Vortrag. Während dieses kurzen Besuches verbreitete er zudem in Geschäftshäusern und Büros von Behörden Hunderte von Wachtturmschriften. Im Jahre 1926 besuchte W. R. Brown Lagos erneut und hielt in der überfüllten Glover Memorial Hall einen weiteren Vortrag. Bei diesem Besuch ermunterte er auch die Brüder Namikpoh und Owenpa, ihre Predigttätigkeit auszudehnen. Bruder Owenpa schrieb später:

„Bruder W. R. Brown lud mich ein, den Kolporteurdienst [jetzt Pionierdienst] aufzunehmen, worauf ich meine Arbeitsstelle bei der Eisenbahn zum 1. Juli 1927 kündigte. An diesem Tag trat ich in den Kolporteurdienst ein. Bruder Brown gab mir biblische Anleitung und machte mir Mut, indem er meine Aufmerksamkeit auf Philipper 1:28 (Weymouth) lenkte: ‚Laßt euch von euren Gegnern keinen Augenblick einschüchtern. Eure Furchtlosigkeit wird für sie ein sicheres Zeichen ihrer bevorstehenden Vernichtung sein, für euch aber der Rettung.‘ “

Vincent Samuels aus Amerika und zwei Westinder namens Brown spielten somit im Anfangsstadium des Werkes in Nigeria eine wichtige Rolle. Der Start war gut, und das Werk breitete sich weiter aus.

DER „SCHWARZE BROWN“ UND DER „BIBEL-BROWN“

Claude Brown wurde als der „Schwarze Brown“ bekannt, und William Brown erhielt den Spitznamen „Bibel-Brown“. Wie er zu diesem Namen kam, schildert er selbst wie folgt: „Die Bibelstellen, die ich in meinen Vorträgen erklärte, projizierte ich stets auf die Leinwand.“ In Sierra Leone erhielt er diesen Spitznamen, weil er immer betonte: „Das sagt nicht Brown, sondern die Bibel.“

Über die Geistlichkeit schrieb William Brown: „Die Bevölkerung hatte damals für die ‚Religion des weißen Mannes‘ nicht viel übrig. Deshalb hielt ich es für angebracht, in der Glover Memorial Hall einen Vortrag über das Versagen der Religion der Christenheit zu halten. Ich kündigte den Vortrag in drei führenden Zeitungen an. Ein katholischer Schriftleiter legte mein Manuskript für die Anzeige Dr. Moses Da Rocha vor. Da Rocha schrieb darauf einen Brief und ließ ihn neben meiner Anzeige veröffentlichen. Er forderte die Regierung auf, meine Vorträge zu verbieten oder mindestens die Polizei zu beauftragen, hinzugehen und für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Er rief auch verschiedene Kirchenführer von Lagos auf, ihre besten Vertreter zu meinem Vortrag zu schicken und meine ‚ketzerischen Theorien‘ zu zerschlagen. Die Polizei erschien tatsächlich, auch viele Kirchenleute waren da.

Meine Darlegungen über die Christenheit wurden immer wieder durch den Beifall der Zuhörer unterbrochen. Als ihnen die Gelegenheit geboten wurde, Fragen zu stellen, meldete sich der Sohn eines anglikanischen Geistlichen und stellte zwei Fragen. Kaum hatte ich sie ihm beantwortet, wollte er eine dritte Frage stellen, aber nun sagte ich zu ihm: ‚Bitte setzen Sie sich, und lassen Sie auch die anderen zu Wort kommen.‘ ... Zum Schluß bot ich ihnen die broschierte Ausgabe des Buches Befreiung ... an. Sie stürzten sich förmlich darauf, so daß in kurzer Zeit sämtliche Kartons ... leer waren. Viele kamen an dem Abend sogar mit uns nach Hause, um sich noch mehr von diesen Büchern zu beschaffen. ... sie [hatten] 3 900 Exemplare entgegengenommen ...! Sie verbreiteten sie überall unter ihren Freunden und Bekannten.“

IN LAGOS WIRD EIN HAUPTBÜRO ERÖFFNET

William Brown erkannte, daß das „Feld“ in Nigeria anscheinend fruchtbarer war als in den übrigen westafrikanischen Ländern. Deshalb zog er Ende 1930 nach Lagos. Dort wurde auch das Zweigbüro der Gesellschaft für Westafrika eröffnet, das das Werk in Nigeria, der Goldküste (jetzt Ghana) und in Sierra Leone beaufsichtigte.

Im Jahre 1931 zählten Ibadan und Lagos zu den 166 Städten der Welt, in denen im Anschluß an den internationalen Kongreß in Columbus (Ohio, USA) ebenfalls Kongresse abgehalten wurden. Die nigerianischen Zeugen nahmen den bemerkenswerten „neuen Namen“, Jehovas Zeugen, gleichfalls freudig an. Das Kongreß-Nachrichtenblatt The Messenger brachte folgenden Bericht von Bruder Brown:

„Hier [in Westafrika] wird tatkräftig Zeugnis gegeben. Die kleine Schar reist mit Dampfschiff und anderen Beförderungsmitteln über 3 000 Kilometer weit entlang der Küste. Sie reist auch mit der Eisenbahn oder im Auto mehr als 1 000 Kilometer weit ins Landesinnere. Über die Hälfte der Bevölkerung dieses riesigen Gebietes sind Analphabeten, doch überrascht es immer wieder zu sehen, wie bereitwillig die, die lesen und schreiben können, die Bücher kaufen, um sich Wissen über Gott und die Bibel anzueignen.“

SCHRIFTEN IN DEN EINGEBORENENSPRACHEN UND VORTRAGSREISEN

Da die Bücher in Englisch waren und nur den Leuten nützten, die Englisch lesen konnten, bestand der nächste Schritt darin, diese Bücher in die Eingeborenensprachen zu übersetzen. Die Yoruba-Ausgabe der Harfe Gottes (Duru Ọlọrun), die Schwester Odunlami zusammen mit J. P. Ogunfowoke übersetzt hatte, war bereits 1930 erschienen. S. A. Adediji, ein anglikanischer Geistlicher, der 1929 anfing, die Bücher Bruder Rutherfords zu lesen, hatte mit dem Übersetzen des Buches Befreiung begonnen. Im Jahre 1931 trat er aus der Kirche aus und widmete sich der Übersetzung des Buches Versöhnung und der Broschüre Das Königreich — die Hoffnung der Welt, und anschließend nahm er den Pionierdienst auf. Weitere Schriften wurden in mehrere andere Eingeborenensprachen übersetzt.

Sofort nach Erscheinen der Yoruba-Ausgabe des Buches Die Harfe Gottes nahm Ogunfowoke eine große Menge davon mit nach Ibadan und Ilesha. In Ilesha hielt er an zwei oder drei Orten Vorträge unter freiem Himmel und gab dabei sehr viele Exemplare dieses Buches ab, auch organisierte er dort Studiengruppen.

Vortragsreisen waren ein ausgezeichnetes Mittel, viele Leute mit der Wahrheit bekannt zu machen. W. R. Brown unternahm weite Reisen, um öffentliche Vorträge zu halten und das Königreichswerk an neuen Orten in Gang zu setzen. Er schrieb: „[Ich] fühlte ... mich auf meinem Bürostuhl nie lange zu Hause. Ich teilte meine Zeit so ein, daß ich so oft wie möglich ... hinausfahren konnte, um die gute Botschaft mündlich und in gedruckter Form zu verkündigen. ...

Wenn ich ... in ein Dorf kam, ging ich zuerst zum Häuptling und lud ihn ein, dem Vortrag beizuwohnen, der vor seiner Siedlung gehalten werde. Nicht selten beauftragte der Häuptling dann einen Mann, durch das Dorf zu gehen und den Vortrag mit einer Glocke anzukündigen. Man breitete einen großen Teppich aus und stellte einen Stuhl darauf, auf dem der Häuptling dann Platz nahm. Neben ihm stand gewöhnlich ein Mann, der ihm mit einem Schirm Schatten spendete, und manchmal auch noch einer, der ihm mit einem großen Fächer aus Straußenfedern Luft zufächelte. Oft hörten Tausende zu.“

DIE WAHRHEIT BREITET SICH AUS

Zu denen, die damals die Wahrheit kennenlernten, gehörte auch Alfred Nduaguibe. Er hörte im Jahre 1931 einen Vortrag von Bruder Brown und erkannte, daß das die Wahrheit war. Später durchzog er einen großen Teil des Ibolandes und predigte dort als erster die gute Botschaft.

Im Yorubaland lebte ein Mann namens Joseph Ogunniyi, ein angesehener Staatsbeamter, der in der anglikanischen Kirche seiner Gemeinde (Kirchliche Missionsgesellschaft) manchmal den Pfarrer vertrat. Joshua Owenpa hatte ihn im Februar 1931 auf seiner Durchreise in Ile Ife besucht. Kurz danach kamen in seiner Wohnung und im Hause des Häuptlings, des Obajio von Ife, bis zu acht Personen zusammen. Im Oktober 1932 nahm Joseph Ogunniyi den Hilfspionierdienst (ähnlich dem heutigen Hilfspionierdienst) auf, um die Wahrheit, die er kennengelernt hatte, an andere weiterzugeben. Er und noch drei weitere Personen bearbeiteten die größeren Ortschaften — jeden Tag eine andere. „Bald wurden wir zahlreich“, schrieb er. So wurde die Wahrheit im Westen — im Yorubaland — verbreitet. Studiengruppen gab es in Lagos, Ibadan, Oyo, Ile Ife, Ilesha und Abeokuta.

Unten im Mittelwesten wohnte ein gewisser Egor Egha, ein äußerst tatkräftiger Mann, dessen Interesse an der Wahrheit im Juli 1932 entfacht wurde, als er sich zu einer Schar Leute gesellte, die sich einen Vortrag anhörten. Zwei Tage danach reiste er nach Oyede, seinem Heimatort, um jedermann zu erzählen, was der Redner gesagt hatte. Er kündigte seine Arbeit in Ughelli, wo er als Gerichtsdiener amtiert hatte, und begann in Oyede, in ganz Isoko bis hinunter nach Forcados und im Gebiet von Ughelli eifrig zu predigen.

‘SIE LIESSEN SICH IN KEINER HINSICHT VON IHREN GEGNERN ERSCHRECKEN’

Auf ihren Reisen durch das Land stießen die Brüder Brown, Ogunfowoke, Adediji und Owenpa auf nicht geringen Widerstand. Als Bruder Brown 1931 Ilesha besuchte, warf ihn der Vizedistriktsbeamte aus dem Gasthaus, in dem er sich eingemietet hatte, und beschlagnahmte alle seine Bücher. Als sich der Gouverneur in Lagos mit dem Fall beschäftigte, weil Bruder Brown geklagt hatte, beschuldigte der Resident (Vertreter der Kolonialmacht bei einem einheimischen Fürsten) seine Beamten, entschuldigte sich und gab die Bücher zurück. Doch der Widerstand von religiöser Seite gegen die junge Gruppe von Erforschern der Bibel wuchs.

Bruder Ladesuyi berichtet darüber: „Die Katholiken, Anglikaner und andere religiöse Gruppen, die sich bis dahin spinnefeind gewesen waren, machten nun gemeinsam Front gegen uns. Sie hetzten sogar heidnische Häuptlinge auf, die Bibelstudienzusammenkünfte, die wir in einer Schreinerei abhielten, zu verbieten. Man beschlagnahmte unsere Bücher, und wir wurden mehr als einmal verhaftet. Als Bruder Adediji 1932 verhaftet wurde, kam er vor ein Eingeborenengericht, wo man ihn schmählich behandelte und verspottete.“

Etwa um die gleiche Zeit wurde Ogunfowoke in Oyo verhaftet, nachdem die Geistlichkeit den Distriktsbeamten aufgehetzt hatte, ihn gerichtlich zu belangen. Joshua Owenpa wurde in Ibadan verhaftet und gezwungen, die Stadt innerhalb von 24 Stunden zu verlassen. Mittlerweile hatte die Geistlichkeit in Lagos auch erreicht, daß den Zeugen Jehovas die Säle gesperrt wurden. Wir verstehen gut, warum Bruder Brown, wenn er angehenden Pionieren Rat erteilte, jeweils Philipper 1:28 zitierte und sie ermahnte, sich von ihren Gegnern nicht einschüchtern zu lassen. Die eifrige Gruppe von Pionieren, die zu den über 80 Verkündigern gehörten, die damals in Westafrika predigten, bekundeten große Unerschrockenheit.

Leider blieben nicht alle Jehova und seiner sichtbaren Organisation treu. Ein Vollzeitdiener begann, die Brüder um Geld anzugehen und Gelder der Gesellschaft zu veruntreuen. Er entwickelte sich zum Gegner und benutzte die Presse, um die treuen Zeugen zu verleumden. Ein anderer suchte sich wichtig zu machen, wenn er Vorträge hielt. Er war mit der Forderung, daß Christen monogam leben müssen, nicht einverstanden, widersetzte sich der Anweisung, daß alle über ihre Predigttätigkeit berichten sollten, und opponierte gegen die, die mit der Zeit richtigerweise zu lehren begannen, daß beim Abendmahl nicht alle von den Symbolen nehmen sollten. Schließlich wandte er sich von der Organisation des Herrn ab und gründete eine eigene religiöse Gemeinschaft.

WILLIGE ARBEITER VON JEHOVA GESEGNET

Inzwischen trugen treue Pioniere die Wahrheit in neue Gebiete. Im Jahre 1933 erklärte sich Peter Otudoh, der sich im August 1932 hatte taufen lassen und ein Mitarbeiter im Zweigbüro geworden war, bereit, nach Badagri in der Nähe der Grenze zwischen Nigeria und Dahomey (jetzt Volksrepublik Benin) zu gehen. Er und noch vier weitere Brüder predigten in Ikoyi und Ipokia, darauf in Ijofin und schließlich in dem jenseits der Grenze liegenden Porto-Novo.

Im Januar 1934 sandte die Gesellschaft Alfred Nduaguibe nach Ostnigeria, um im Iboland als Pionier zu dienen. Er reiste mit dem Dampfschiff nach Port Harcourt, besuchte entlang der Küste von Abonnema bis Calabar viele größere und kleinere Dörfer. Auch drang er in das Landesinnere bis Enugu, Abakaliki und sogar bis nach Kaduna im Norden vor. Er kehrte nach Lagos zurück und erstattete Bruder Brown Bericht über die Situation in diesem Gebiet. An jenem Sonntag fragte Bruder Brown nach dem Wachtturm-Studium die Zuhörer: „Wer unter euch ist bereit, nach Ostnigeria zu gehen, um zu predigen und die Schafe Jehovas zu suchen?“ Alfred Nduaguibe, Peter Otudoh und noch drei weitere Brüder erklärten sich dazu bereit. Doch kaum hatten sie mit dem Predigen begonnen, fing die Geistlichkeit an, sie heftig zu bekämpfen. Den Brüdern war indessen klar, daß Jehova sie segnete. Bruder Otudoh sagte, daß die Verfolger in ihren Augen „wie Fliegen auf dem Rücken eines Elefanten“ gewesen seien.

AUFRÜTTELNDE ÖFFENTLICHE VORTRÄGE UND KONGRESSE

Zu dieser Zeit waren die öffentlichen Vorträge wohl das besondere Merkmal der Predigttätigkeit. Und was für Themen ausgesucht wurden! Das Thema eines in Ibadan angekündigten Vortrages lautete zum Beispiel „Keine Einkünfte mehr für die Geistlichkeit (siehe Hesekiel 34:10); keine langen Gewänder mehr, um zu betrügen (siehe Sacharja 13:4)“. Es ist daher nicht verwunderlich, daß die Brüder den Zorn der Geistlichkeit auf sich luden.

Die Kongresse spielten ebenfalls eine immer wichtigere Rolle; auch wurden sie stets größer. Die Brüder freuten sich jeweils darauf, sahen sie in ihnen doch echte geistige Festmähler. Und was sie alles daransetzten, sie besuchen zu können! Jacob Ajakaiye erzählt, daß er mit noch zwei Brüdern „von Kabba bis Ilesha, eine Strecke von 240 km, zu Fuß ging, von Ilesha aus mit einem Lastwagen bis Ijebu-Ode fuhr, und dann den gleichen Weg wieder zurückkehren mußte“. Bruder Egbenoma erinnert sich, 58 km weit zu einem Kongreß in Sapele marschiert zu sein. Bruder Emeghara legte die über 100 km weite Strecke von Aba nach Calabar, wo er einen Kongreß besuchen wollte, ebenfalls zu Fuß zurück.

Solche weiten Strecken zurückzulegen war nicht nur mühsam, sondern auch gefährlich. Die Brüder Brown und Otudoh zum Beispiel entgingen einmal auf der Straße von Benin City nach Agbor nur um Haaresbreite Räubern, die mit Messern und Macheten bewaffnet waren. Die Brüder wichen der Straßensperre aus, indem sie den Wagen herumrissen, dann gaben sie Gas, um den sie verfolgenden Banditen zu entkommen.

EIN MACHTVOLLES INSTRUMENT FÜR DIE AUSBREITUNG DER GUTEN BOTSCHAFT

Im Januar 1936 kamen eine neue Ausrüstung und eine neue Methode in Gebrauch — der Lautsprecherwagen. Lassen wir Bruder Brown selbst erzählen:

„Wie macht es doch Freude, wenn man zum erstenmal mit dem Tonwagen in ein Dorf kommt und jeder erstaunt den Wagen betrachtet. ... Zuerst erkundigen wir uns immer nach dem Mittelpunkt eines Dorfes. Dort spielen wir zuerst ein munteres Lied und — siehe da — wie sich die Leute dann aus allen Richtungen auf den Wagen zu bewegen! Manchmal pflügen die Bauern gerade auf ihren Äckern in einer Entfernung von ein bis zwei Kilometern. Sie hören die Stimme durch Schallplatten ... Sie sehen sich um — sie schauen hinauf gen Himmel, um zu sehen, ob Gott es ist, der da spricht — niemanden erblickend, rennen sie nach dem Dorf hin ... Nach dem Vortrag empfehlen wir die Bücher und Broschüren. Dann kommt die Menge herbeigelaufen. ... An gewissen Tagen ... verbreiteten wir über 1 400 (Penny-)Broschüren.“

Zu der Zeit gab es in Westafrika 250 Verkündiger, davon waren 38 Pioniere und 28 Hilfspioniere.

UNGEWÖHNLICHE PREDIGTMETHODEN

Jedes erdenkliche Mittel wurde benutzt, um die Königreichsbotschaft auszubreiten: an Speeren aufgehängte Plakate, Grammophonplatten, Lautsprecherwagen und Megaphone. Diese — bei einigen handelte es sich um Schalltrichter alter Grammophone — kamen im ganzen Land in Gebrauch, sobald die Brüder merkten, wie wirkungsvoll der Lautsprecherwagen war. Die Leute reagierten natürlich unterschiedlich. Unterschiedlich waren auch die Methoden, die die Megaphonbenutzer anwandten, und die zum Teil unmöglichen Standorte, die sie wählten.

Im Verwaltungsbezirk Opobo in Südostnigeria kletterte Peter Udosen Mkpong jeweils morgens um 4 Uhr auf einen Baum und ließ ein Lied über sein Megaphon ertönen, gefolgt von einer biblischen Ansprache. Er erzielte gute Ergebnisse. Aber als Daniel Uwaekwe und seine Gefährten einen Versuch mit dem Megaphon in Isiekenesi machten, wurden sie von der Bevölkerung mit Stöcken, Macheten und anderen Waffen angegriffen.

EINE PRÜFUNG DER LOYALITÄT

Inzwischen zog der westafrikanische Zweig Nutzen aus den organisatorischen Verbesserungen, die ab 1938 in der ganzen Welt eingeführt worden waren. Die Gruppen (Versammlungen) wurden allmählich reorganisiert, um sie dem biblischen theokratischen Muster anzugleichen, und alle Diener wurden nun direkt von der Gesellschaft ernannt. Das erforderte eine strengere Unterordnung des einzelnen unter die Organisations-Anweisungen. Es erforderte ganzherzige Loyalität gegenüber den theokratischen Vorkehrungen. Und eben diese Loyalität wurde etwa um jene Zeit hart geprüft.

Im Jahre 1939 erhielt S. A. Adediji, der zu dieser Zeit im Zweigbüro arbeitete, einen Artikel, in dem behauptet wurde, daß der Herr Jesus Christus nicht gegenwärtig sei. In dem Begleitschreiben, das den Eindruck erweckte, vom Hauptbüro der Gesellschaft zu sein, hieß es, der Artikel sollte zu einer bestimmten Zeit in den verschiedenen Versammlungen vorgelesen werden. Bruder Brown war zu der Zeit gerade abwesend. Adediji wußte, daß der Artikel von einem Abgefallenen, einem Kanadier namens Salter, stammte. Er wußte, daß der Watchtower vom 1. Juni 1937 berichtet hatte, daß Salter die Gemeinschaft entzogen worden war und daß folgendes beschlossen worden war: „Wir wollen irgendwelche uns durch die Post oder sonstwie zugestellten Schriftwerke vernichten, ohne sie zu lesen.“ Dennoch gab er Anweisung, daß eine Kopie dieses Artikels in jeder Versammlung in Nigeria bei einer Zusammenkunft vorgelesen und besprochen werden sollte. Dadurch wurde in einigen Versammlungen großer Schaden angerichtet. Mit der Zeit bewirkte die Einstellung, die Adediji bei dieser Sache an den Tag gelegt hatte, daß er sich von der Organisation zurückzog und wieder als anglikanischer Geistlicher zu amtieren begann.

Einige Brüder dagegen, die den Brief erhielten, lehnten es ab, ihn der Versammlung vorzulesen, denn sie erkannten, daß es sich um einen Betrug handelte. Durch ihre Wachsamkeit und Loyalität bewahrten sie die Herde vor Schaden.

Im Jahre 1940 wurde in Nigeria „der Kleine“ zu einem Tausend. In jenem Jahr gab es dort 1 051 tätige Lobpreiser Jehovas (Jes. 60:22). Ihnen stand jedoch eine Zeit großer Bedrängnis bevor.

DER WELTKRIEG BRINGT EINSCHRÄNKUNGEN

Der Zweite Weltkrieg brachte in vielen Ländern für Jehovas Zeugen schwere Prüfungen. Am 10. Mai 1940 wurde die Einfuhr von Wachtturm-Schriften nach Nigeria verboten mit der Begründung, sie seien staatsgefährdend und unerwünscht. Wer fand sie „unerwünscht“? Das Volk? Nein, sondern die Geistlichkeit, deren Organisationen darin als religiöser Betrug gebrandmarkt wurden. Sie wandte wieder ihre alte Taktik an, indem sie sich des Staates bediente, um die Königreichsbotschaft zu bekämpfen und ihre Ausbreitung zu verhindern.

Obwohl das Verbot am 10. Mai erlassen wurde, hieß es, daß „es schon vom 13. März an Gültigkeit“ habe. Warum? Weil am 14. März 15 450 Exemplare des Buches Feinde in Yoruba aus New York eingetroffen waren. Und dieses Buch fürchtete die Geistlichkeit ganz besonders.

Als Bruder Brown vom Gouverneur in Audienz empfangen wurde, zeigte sich dieser ärgerlich darüber, daß die katholische Hierarchie in diesem Buch bloßgestellt wurde. Er meinte, die Kirche habe in Nigeria Gutes bewirkt. Das führte zu einem Gespräch, über das Bruder Brown wie folgt berichtete:

„Ich erklärte ihm, daß die Leute, die die Schriften gelesen hätten, bessere Christen und gesetzestreuer geworden seien als die anderen und wies darauf hin, daß sich die Behörden in ganz Nigeria lobend über ihr tadelloses Verhalten äußern würden. Er schaute mir in die Augen, runzelte erst die Stirn und sagte dann mit einem Lächeln: ‚Herr Brown, wir rechnen mit Krieg, und wenn viele ihre Bücher lesen, werden sie Christen und lehnen es ab, Soldat zu werden. Nach dem Krieg werden die Bücher freigegeben.‘ “

VERHAFTUNGEN UND PETITIONEN

Schon 1940 hatten einige Distriktsbeamte und Gendarme begonnen, die Brüder wegen des Verbreitens von Schriften festzunehmen. Die in Ilesha verhafteten Brüder wurden später vom Amtsgericht in Ile Ife freigesprochen, und der Staatsanwalt wurde wegen seines Übereifers gerügt. Als man Bruder Owenpa in Sapele festnahm und alle seine Bücher beschlagnahmte, gab er den Brüdern den Rat, nur noch mit ihrer Bibel zu predigen.

Auch in Lagos wurden Brüder, die von Haus zu Haus Zeugnis gaben, von der Polizei verhaftet. Am 31. Juli 1941 wurden im Büro der Gesellschaft sieben Wagenladungen Bücher und 700 Schallplatten beschlagnahmt. Obwohl es als vereinbart galt, daß diese Schriften wieder zurückgegeben würden, sobald die kritische Zeit vorüber wäre, wurden 1943 über 250 000 Bücher von den Behörden verbrannt, was die Öffentlichkeit nicht wenig befremdete. Die in Lagos erscheinende Zeitung The Daily Service schrieb unverblümt, daß „die Vernichtung dieser Bücher absolut ungerechtfertigt“ gewesen sei.

Die Brüder richteten wiederholt Petitionen an die Regierung mit der Bitte um Aufhebung des Verbots; doch sie erreichten nur, daß die einzelnen ihre eigene Bibliothek behalten durften. So stand den Zeugen Jehovas für ihre öffentliche Predigttätigkeit nur noch die Bibel zur Verfügung; sie machten indessen guten Gebrauch davon. Außerdem benutzten sie Lokalblätter, um die Theokratie anzukündigen. In der Zeitung West African Pilot gab es die Rubrik „Öffentliche Meinung“, in der regelmäßig von Bruder Brown eingereichte Artikel erschienen. Auch ließ man Tausende von Traktaten in Englisch und in Yoruba drucken, die dann weite Verbreitung fanden. Besonders gute Ergebnisse wurden jedoch mit den öffentlichen Vorträgen und den privaten Bibelstudien erzielt. Hunderte von neuen Jüngern wurden auf diese Weise gemacht. Wir möchten einige von denen vorstellen, die die Wahrheit während des Krieges kennengelernt haben und später im Zweigbüro oder als reisende Aufseher dienten.

SIE KAMEN WÄHREND DES KRIEGES ZUR WAHRHEIT

Im Jahre 1943 beobachtete der 19 Jahre alte Asuquo Akpabio zum ersten Mal, daß Jehovas Zeugen in Itu bei Calabar Vorträge unter freiem Himmel abhielten. Er und seine Freunde versuchten, diese Zusammenkünfte zu sprengen. Doch schon nach kurzer Zeit bekundeten seine Freunde Interesse für das, was in den Vorträgen gesagt wurde, und fingen an, mit Jehovas Zeugen zu studieren. Nun stand er allein mit seiner gegnerischen Einstellung, und als er während eines Vortrags laut dazwischenredete, brachte ihn ein Zuhörer mit den Worten zum Schweigen: „Was schlägst du gegen die Stacheln aus?“ Asuquo ging weg; am darauffolgenden Tag erhielt er jedoch den Besuch von Zeugen Jehovas, worauf er begann, mit ihnen die Bibel zu studieren. Noch in jenem Jahr wurden er und seine Freunde getauft. Rückblickend auf diese Erlebnisse sagte er: „Als wir zu predigen anfingen, bekämpfte man uns genauso, wie wir die Zeugen vorher bekämpft hatten — die Priester und prominente Kirchenmitglieder verprügelten uns dauernd.“

Samuel Opara wurde 1943 im Alter von 13 Jahren getauft. Er wurde vom Stiefbruder seiner Mutter religiös erzogen. Dieser war Schullehrer und, obschon er derzeit zwei Frauen hatte, Pfarrer an der afrikanischen Kirche seines Wohnortes.

Dann begann dieser Pfarrer die Bücher J. F. Rutherfords zu lesen. Er erkannte, daß es die Wahrheit war und wurde ein Zeuge Jehovas. Durch ihn lernte Samuel die Wahrheit ebenfalls kennen, und er begann eine Laufbahn treuen Dienstes, der ihm heftigen Widerstand von seiten seiner Angehörigen sowie von der übrigen Bevölkerung seines Wohnortes eintrug.

Zu erwähnen wäre auch noch Albert Olugbebi, der 1945 getauft wurde. Albert war von seinem Vater in der Wahrheit unterwiesen worden, doch dieser wurde später wegen Polygamie aus der Versammlung ausgeschlossen. Albert dagegen hielt an der Wahrheit fest und gab einige Zeit danach trotz des heftigen Widerstandes seines Vaters eine vielversprechende Beamtenlaufbahn auf und wurde Pionier.

Im ersten Nachkriegsjahr, 1946, stellten Jehovas Zeugen in Nigeria mit großer Freude fest, daß sie von Jehova sehr gesegnet worden waren. Sechs schwere Jahre lagen hinter ihnen, doch ihre Zahl war von 639 im Jahre 1939 auf 3 542 im Jahre 1946 angestiegen. Es erschien ihnen jetzt an der Zeit, alles daranzusetzen, die Aufhebung des Verbots, mit dem die Literatur der Gesellschaft belegt worden waren, zu erreichen.

ERFOLGREICHE PETITION

Im Jahrbuch 1947 heißt es darüber: „Zu Beginn des Jahres erhielten wir vom Hauptbüro die Mitteilung, daß in einigen Teilen des Karibischen Gebietes Petitionen Erfolg hatten, die zugunsten der Zeugen Jehovas bei den zuständigen Regierungen eingereicht wurden. Wir beschlossen, das gleiche zu tun, ... indem wir auch einige ehrenhafte Parlamentsmitglieder veranlaßten, unsere Angelegenheit auf der Parlamentssitzung zur Sprache zu bringen, die am 18. März 1946 stattfinden sollte. ... Zur Fertigstellung der Petition hatten wir kaum vierzehn Tage Zeit, doch die Geschwister arbeiteten streng und konnten aus den gebildeten Kreisen über 10 000 Unterschriften zusammenbringen ... Die Regierung war erstaunt, auf der Petition die Namen fast aller bekannten Bürger zu sehen ... Nach zwei Monaten des Wartens wurde das Verbot aufgehoben, zur größten Freude der Geschwister und der Allgemeinheit. Überall, wohin wir kamen, wurden wir aus diesem Anlaß mit Beifall begrüßt. Der Entscheid wurde am 18. Mai 1946 amtlich bekanntgegeben, und am nächsten Morgen veröffentlichte die Presse diese Neuigkeit in großen Schlagzeilen.“

Die Brüder schrieben sofort an die Regierung und baten um Rückgabe der beschlagnahmten Schriften. Sie erhielten alles zurück, was die Polizei nicht vernichtet hatte. Im Dezember bekamen sie auf ihren Kongressen „Fröhliche Nationen“, bei denen insgesamt über 5 000 anwesend waren, zu ihrer großen Freude die neuen Bücher „Gott bleibt wahrhaftig“ und „Ausgerüstet für jedes gute Werk“.

DIE ERSTEN GILEADABSOLVENTEN TREFFEN EIN

Die Ankunft der ersten Gileadabsolventen im Juni 1947 in Sierra Leone, der Goldküste (jetzt Ghana) und in Nigeria leitete in der Geschichte des Werkes der Zeugen Jehovas in Westafrika ein neues Kapitel ein. Es herrschte große Freude, als Bruder Brown an der Spitze der Bethelfamilie in Lagos Ernest V. Moreton und Harold Masinick aus Kanada sowie Anthony C. Attwood aus England willkommen hieß. Seither haben 51 weitere ausländische Missionare zu verschiedenen Zeiten hier gedient.

Mit Hilfe der geschulten Missionare wurden das Zweigbüro und das Bethel so organisiert wie das Hauptbüro in Brooklyn (New York). Die 201 Versammlungen wurden in 11 Kreise aufgeteilt, die von je einem Diener für die Brüder (Kreisaufseher) betreut wurden. Zu diesen zählten Samuel Ladesuyi, Asuquo Akpabio, Joshua Owenpa und Amos Wosu. Auch halbjährliche Kreiskongresse wurden nun veranstaltet, die von einem ernannten Bezirksaufseher, damals jeweils ein Gileadabsolvent, geleitet wurden.

Die Dienstzusammenkunft und die Theokratische Predigtdienstschule in den einzelnen Versammlungen wurden ebenfalls erfolgreicher darin, die Brüder zu produktiven Lehrern der Bibel heranzubilden. Anstatt wie früher die Botschaft mit dem Lautsprecherwagen und mit Schallplattenvorträgen weit und breit zu verkündigen, wurde jetzt mehr Nachdruck auf die Predigt- und Lehrtätigkeit des einzelnen Dieners Gottes gelegt.

DIE MISSIONARE KENNENLERNEN

Die Brüder waren darauf erpicht, mit den neuen Missionaren — den ersten weißen Brüdern in Nigeria — zusammenzutreffen. Die Gelegenheit, Bruder Attwood kennenzulernen, ergab sich schon bald, denn er begleitete Bruder Brown zu vier Kreiskongressen. Auch Leute, die keine Zeugen waren, interessierten sich für die Neuankömmlinge.

Ein Erlebnis, das John Charuk hatte — ein Missionar, der später kam —, ist typisch für das Verhalten der Dorfbewohner. Er erzählte: „Als wir zu meiner Unterkunft [in Umutu] gingen ... folgte uns das halbe Dorf, und schließlich hatte sich nahezu die ganze Bevölkerung versammelt, um den weißen Mann und seine Unterkunft zu sehen — eine bescheidene afrikanische Wohnung. ...

Am Samstag morgen folgten mir etwa 50 Männer, Frauen und Kinder, um mit eigenen Augen das Unglaubliche zu sehen, daß ein Weißer durch einen Dolmetscher in ihren Wohnungen das Evangelium predigte. ... Am Sonntag wurden trotz des Regens 21 Personen getauft, und 794 lauschten aufmerksam dem öffentlichen Vortrag. Zwei Wochen darauf erfuhr ich, daß sechs Dorfbewohner ihre Jujus [Fetische] verbrannt beziehungsweise im Fluß ‚ertränkt‘ hatten und Königreichsverkündiger geworden waren.“

Auch in Lagos und anderen Großstädten gab es Reaktionen. Bruder Attwood berichtet: „Wir waren die ersten weißen Zeugen Jehovas, die nach Nigeria kamen. ... Deshalb kann man sich gut vorstellen, daß unsere Tätigkeit den Weißen hier ..., besonders den Regierungsbeamten, ... mißfiel. Schon Bruder Brown hatte ihnen genügend Kopfschmerzen bereitet. Sein furchtloses Predigen im ganzen Land hatte ihnen nicht gerade Freude gemacht ..., und daß sich jetzt sogar jemand aus England ... dieser Tätigkeit widmete, war ihnen ziemlich zuwider.“

BRUDER KNORR KOMMT

Am Ende des gleichen Jahres, in dem die ersten Missionare eintrafen, statteten N. H. Knorr, der Präsident der Gesellschaft, und sein Sekretär M. G. Henschel Nigeria ihren ersten Besuch ab. Das war in der Tat ein Höhepunkt des Jahres. Erst hielt Bruder Knorr in Lagos einen öffentlichen Vortrag, und dann wohnten die zwei Brüder einem der beiden anläßlich ihres Besuches stattfindenden Kongresse bei. In Ibadan und in Lagos hörten insgesamt 10 000 Personen Bruder Knorrs Vortrag „Der bleibende Herrscher der Nationen“. Pannen auf dem Weg verhinderten, daß die beiden Brüder den Kongreß im Iboland besuchen konnten. Doch die Brüder Attwood und Moreton überquerten in einem Kanu den Niger, und nach einer nächtlichen Lastwagenfahrt erreichten sie Enugu, wo der Kongreß stattfand, bei dem sie als Redner dienen sollten.

Auf dem Kongreß in Ibadan wurde bekanntgegeben, daß Bruder Attwood zum Zweigaufseher ernannt worden sei. Bruder Brown hatte 25 Jahre lang treu gedient, doch jetzt, da die Arbeit im Zweigbüro immer umfangreicher wurde und Bruder Brown in fortgeschrittenem Alter war und dazu noch kränklich, erachtete man es als wünschenswert, die Last auf jüngere Schultern zu legen. Die Brüder Moreton und Masinick, die anfänglich in Lagos ausschließlich im Predigtdienst tätig gewesen waren, wurden hereingeholt, um im Büro mitzuarbeiten.

DIE POLYGAMIE BRINGT PROBLEME

Vom Jahre 1934 an, als sich gewisse Personen gegen die Forderung wehrten, daß Jehovas Zeugen monogam leben sollten, hatten die Brüder Probleme mit der Polygamie. Viele, die sich Jehovas Organisation angeschlossen hatten, blieben Polygamisten. Zu ihnen zählten auch einige, die führend waren. Sie mißdeuteten den Bibeltext in 1. Korinther 7:20: „In welchem Stand auch jeder berufen wurde, darin bleibe er.“

Im Watchtower vom 15. Januar 1947 (deutsch: 15. Mai 1947) (das war einige Monate vor Bruder Knorrs Besuch in Nigeria) hieß es jedoch, die biblische Norm, daß jeder Mann nur eine Frau haben dürfe, gelte für die ganze Welt. Darauf wurde in einem Brief an die Versammlungen erklärt, daß polygam lebende Personen sechs Monate Zeit hätten, um ihre Eheangelegenheiten in Ordnung zu bringen; wenn das nicht geschehe, würden sie ihre Vorrechte verlieren. Die meisten Brüder freuten sich über dieses entschiedene Eintreten für die Befolgung biblischer Grundsätze.

Doch Hunderte von Zeugen standen nun vor der Frage: Sollten sie eine uralte und in ihrer Gesellschaft anerkannte Institution gegen christliche Normen eintauschen, die manche von ihnen erst seit ein paar Jahren oder Monaten kannten? Würden sie dem Spott ihrer Freunde und der offenen Gegnerschaft ihrer Angehörigen standzuhalten vermögen? Einige bezweifelten ganz unverhohlen, daß Jehovas Zeugen da erfolgreich sein könnten, wo die Kirchen gescheitert waren. Viele Leute aus der Welt prophezeiten, daß sich die Reihen der Zeugen Jehovas stark lichten würden, wenn sie versuchen würden, die Polygamie aus ihren Reihen auszumerzen.

Bruder Moreton beschrieb, was geschah, als Bruder Knorr in jenem Jahr in Ibadan und in Lagos die Richtlinien der Gesellschaft die Polygamie betreffend besprach: „Johnson Adejuyigbe aus Akure hatte drei Frauen und zehn Kinder. Direkt an der Versammlungsstätte, nachdem die Zuhörer weggegangen waren, versammelte er seine Frauen um sich und sagte ihnen, was zu geschehen habe, und dann regelte er an Ort und Stelle seine Familienangelegenheiten.“

Richard Idodia schilderte seine eigene Reaktion auf Bruder Attwoods Ansprache auf einem Bezirkskongreß in Warri einige Zeit früher in jenem Jahr: „Ich wartete nicht, bis die sechs Monate um waren, sondern entließ die überzähligen [Frauen] schon vorher und behielt nur eine.“

Einige konnten jedoch nicht recht begreifen, daß die Quelle dieser Anweisung das Wort Gottes sein sollte. Asuquo Akpabio zum Beispiel berichtet, daß der Bruder in Ifiayong, bei dem er übernachtete, ihn um Mitternacht weckte und von ihm verlangte, daß er die Bekanntmachung über die Polygamie rückgängig mache. Weil er dazu nicht bereit war, setzte ihn sein Gastgeber bei strömendem Regen noch in jener Nacht vor die Tür. Dennoch gab es in den Versammlungen bald keine Polygamisten mehr, und die zahlenmäßigen Einbußen waren sehr gering.

LESE- UND SCHREIBKURSE EINGEFÜHRT

Man war sich schon lange im klaren darüber, daß das Analphabetentum ein riesiges Problem war. Im Jahre 1946 schätzte Bruder Brown, daß von den 23 Millionen Einwohnern Nigerias kaum eine Million lesen und schreiben konnte und daß von der Bevölkerung Nordnigerias sogar 98 % Analphabeten waren.

Der überwiegende Teil der Zeugen Jehovas konnte zwar lesen, dennoch gab es viele Analphabeten unter ihnen. Diese hatten die Wahrheit kennengelernt, indem sie mündlich unterwiesen worden waren. Um wirklich gute Prediger zu sein, mußten sie jedoch lesen lernen. Im Oktober 1949 wurden in jeder Versammlung Lese- und Schreibkurse eingeführt, wobei von der Gesellschaft in Nigeria verfaßte Anleitungen benutzt wurden. Solche Kurse werden bis auf den heutigen Tag durchgeführt.

VERSAMMLUNGSSTÄTTEN AUS BAMBUS UND BESEITIGUNG VON GÖTZEN

Da im Laufe der Jahre die Zahl der Kongreßbesucher ständig stieg, wurde es allmählich schwierig, entsprechend große Säle für Bezirkskongresse zu finden. Die Brüder errichteten daher häufig in Urwaldlichtungen riesige „Säle“ aus Bambus, Palmblättern und von Eingeborenen geflochtenen Schilfmatten. Bei den öffentlichen Vorträgen erreichten die Zuhörerzahlen manchmal verblüffende Höhen, weil die ganze Bevölkerung eines Ortes zum öffentlichen Vortrag kam. Bei einem Kongreß in Obiaruku im Mittelwesten Nigerias zum Beispiel waren nur 300 Brüder anwesend, doch die Gesamtzuhörerzahl betrug 4 626.

Auf einem Kreiskongreß, der im Februar 1949 in Okpara Waterside abgehalten wurde, baten neuinteressierte Personen die Brüder, mit ihnen nach Hause zu kommen, um die Götzen in ihren Wohnungen zu beseitigen. Der Kongreß machte dem religiösen Schwindel, den die Fetischpriester in jener Stadt trieben, praktisch ein Ende. In einer anderen Stadt wurde ein Eingeborenenkönig, der die Brüder immer verfolgt hatte, von der wütenden Bevölkerung wegen seiner korrupten Herrschaft abgesetzt und aus der Stadt gejagt. Als die Brüder dort einen Kreiskongreß abhalten wollten, überließen ihnen die Häuptlinge den leerstehenden Palast, damit sie darin ihren Kongreß durchführen und Besucher unterbringen könnten.

AUF WIEDERSEHEN „BIBEL-BROWN“

Am 4. April 1950 verließ Bruder Brown mit seiner Familie nach 27jährigem Dienst in Westafrika Nigeria und kehrte nach Westindien zurück. Ein Parlamentarier und Herausgeber der Zeitung Daily Times hielt seine Abreise für wichtig genug, um sie in der Zeitung zu erwähnen. Er veröffentlichte einen Artikel, den er überschrieb „ ‚BIBEL-BROWN‘ SAGT AUF WIEDERSEHEN, NICHT ADIEU“. In dem Artikel hieß es: „Heute ist ‚Bibel-Brown‘ zu einem Begriff geworden und ist überall beliebt: bei jung und alt, bei Europäern, Afrikanern und Libanesen, ja selbst bei denen, die mit ihm nicht einverstanden waren und seine religiöse Propaganda haßten. ... Lagos wird die vertraute Erscheinung ‚Bibel-Browns‘ vermissen, und seine Freunde wünschen ihm und seiner Frau eine gute Rückkehr in ihre Heimat auf den Inseln im Karibischen Meer.“ Zehn Jahre danach wurden er und seine Frau vom Generalgouverneur, der das vortreffliche Werk von „Bibel-Brown“ in guter Erinnerung hatte, eingeladen, als Gäste der Regierung in Verbindung mit den Unabhängigkeitsfeierlichkeiten Nigeria zu besuchen.

In dem Abschiedsbrief, den die Brüder 1950 an Bruder Brown richteten, schrieben sie, daß „die Worte ‚ein Mann ist zu Tausenden geworden‘ kein eitles Gerede“ seien. Ja, die Zahl der Königreichsverkündiger in Nigeria war auf 8 370 angewachsen. Jehova segnete offensichtlich sein Werk in diesem Land.

MISSIONARE IM AUSSENDIENST

Die Gileadmissionare machten da weiter, wo Bruder Brown aufgehört hatte, und was sie in ihrem Dienst als Bezirksaufseher erlebten, war einmalig. Sie reisten mit dem Flugzeug, dem Auto, auch mit Lastwagen, mit dem Boot, dem Fahrrad, und manchmal gingen sie wie Jesus zu Fuß. Ihre Tätigkeit führte sie in abgelegene Dörfer tief im dichten Regenwald, im Busch, wo die Zeit anscheinend seit Jahrhunderten still steht und wo die heidnische Fetischverehrung vorherrscht mit ihren Geheimbünden, die fast unbegrenzte Macht ausüben.

John Charuk aus Kanada, der mit seinem Bruder Michael die Gileadschule absolviert hatte und 1949 nach Nigeria gekommen war, berichtete über seinen Besuch in Aka Eze, wo ein Kreiskongreß stattfand:

„Die Bewohner von Aka Eze ... leben in primitiven Verhältnissen, sind aber glücklich. Als Wohnung dienen ihnen runde Lehmhütten mit kegelförmigen Grasdächern. Sie haben keinen Brunnen, das einzige Trinkwasser stammt aus einem seichten Bach, in dem sich jedermann badet ... Die Brüder jedoch wohnen am Dorfrand auf einem eigenen umzäunten Grundstück, das sie sehr sauber halten. Sie besitzen einen stabilen Königreichssaal und haben ringsum Blumen und Sträucher gepflanzt. ... Nach dem öffentlichen Vortrag, der von 990 Personen besucht wurde, meinten mehrere Leute: ‚Wir müssen auch Zeugen Jehovas werden.‘ “

OHNMÄCHTIGE GÖTTER

Als die Wahrheit in abgelegene Gebiete vordrang, wurden immer mehr Menschen von der falschen Religion befreit und hörten auf, Götzen zu dienen. Den Geheimbünden und den übrigen Götzendienern mißfiel das, und sie arbeiteten gegen die Brüder. Aber gewöhnlich passierte irgend etwas, wodurch ihre Anstrengungen zunichte gemacht wurden. In Itu zum Beispiel, wo wir von den Geheimbünden heftig bekämpft wurden, wies der Distriktsbeamte, ein Kanadier, alle Häuptlinge in seinem Distrikt an, nicht gegen Jehovas Zeugen vorzugehen. Er sagte: „Sie sind nicht zahlreich, aber sie sind mächtig. Sie haben in Kanada eine Änderung der Gesetze erwirkt. Niemand, der gegen sie kämpft, vermag zu siegen.“ Nun fürchteten sich die Häuptlinge, und viele von ihnen kamen zum öffentlichen Vortrag des Bezirkskongresses, den sie bekämpft hatten, und sie brachten auch ihr Gefolge mit.

Bei einem Bezirkskongreß in einem anderen Teil des Landes äußerte ein Mann, ein eifriger Anhänger des Dämonenkults, den Wunsch, von diesem Kult freizukommen. Da er sich fürchtete, seine Götzen selbst zu vernichten, kam er spät am Abend zu den Zeugen und bat sie, es für ihn zu tun. Die Nacht war schon weit vorgerückt, als etwa 100 Brüder beim Wohnhaus des Mannes eintrafen. Erst zündeten sie das Juju-Haus an, und dann warfen sie in das prasselnde Feuer zahllose Götzen und Amulette. Diese Jujus hatten durch Orakel, die von Dämonen inspiriert waren, und durch die Priester diesen Leuten unnötige Einschränkungen auferlegt. Der Mann hatte sein ganzes Geld dafür gebraucht, die Götzen zufriedenzustellen. Nun war er frei.

WEITERE GILEADABSOLVENTEN

Im Jahre 1951 erkannte man, daß in Ibadan in vermehrtem Maße organisiert Zeugnis gegeben werden sollte. Ibadan hatte über 320 000 Einwohner und war die größte Stadt Nigerias. (Lagos hatte damals etwas über 200 000 Einwohner.) Um den einheimischen Verkündigern zu helfen, wurde im April ein Missionarheim eingerichtet. Zu der Missionarfamilie gehörten die beiden Brüder Charuk und auch Charlie Young, der zuvor mit Wilfred Gooch aus England gekommen war.

Am 1. September 1951 wurde Bruder Gooch in Lagos Zweigaufseher. Und im Dezember kam Bruder Young zur Unterstützung der Brüder Charuk in den Bezirksdienst. Später, als man den Charuks das Visum nicht mehr erneuerte und sie deshalb eine neue Zuteilung in Liberia erhielten, blieb er als einziger Bezirksaufseher übrig. Bruder Young reiste nun mehr als zehn Jahre lang im ganzen Land umher, übernachtete in den Wohnungen der Verkündiger in Dörfern und Städten und verrichtete seinen Dienst auf Kongressen. Durch seine Tätigkeit lernte er die Menschen kennen und verstehen und übte deshalb einen stärkeren Einfluß auf die Brüder aus als alle übrigen ausländischen Gileadabsolventen, die in Nigeria gewirkt hatten. Die Brüder empfanden es als großen Verlust, als er mit seiner Frau Anne im April 1965 nach England zurückkehrte.

Wir freuten uns jedoch sehr, als drei unserer nigerianischen Brüder (Asuquo Akpabio, Matthew Prighen und Reuben Udoh) die 18. Klasse der Gileadschule besuchen durften und nach Abschluß der Schule zurückkehrten, um ihren Dienst als Kreisaufseher anzutreten. Sie waren die ersten von 17 Nigerianern, die die Wachtturm-Bibelschule Gilead besucht haben.

UNTERSCHIEDLICHES VERHALTEN VON POLYGAMISTEN

Die Zeitschriften der Gesellschaft bewirkten im Leben aufrichtiger Menschen weiterhin viel Gutes. Zu diesen aufrichtigen Personen zählte ein Häuptling, der die Zeitschrift Der Wachtturm abonnierte und dann erkannte, daß das, was er las, die Wahrheit war. Doch wußte er nicht, was er als nächstes tun sollte. Dann erhielt er den Besuch des Kreisaufsehers, und zusammen studierten sie den Wachtturm in Yoruba. Der Häuptling beschloß, Zeuge Jehovas zu werden. Er behielt von seinen 14 Frauen nur noch eine und ließ sich dann taufen.

Andererseits entdeckte man in einer schon lange bestehenden Versammlung, die kaum noch Fortschritte machte, daß einige insgeheim polygam lebten. Als man diese in Einklang mit den im Watchtower vom 1. März 1952 (deutsch: 1. Mai 1952) erhaltenen Anweisungen über Gemeinschaftsentzüge aus der Versammlung ausschloß, begann Jehova die Brüder sichtlich wieder zu segnen. Die Verkündigerzahl stieg in wenigen Monaten von 130 auf über 200.

Ein Jahr später wurden auch die Brüder in Ebute Metta (Lagos) unerwartet gesegnet, als sich Personen, die viele Jahre zuvor einem Abgefallenen nachgefolgt waren, der die Polygamie verteidigt hatte, eines Besseren besannen. Albert Olih, ein Glied der Bethelfamilie, befaßte sich mit dem Fall, weil er zu der Zeit vorsitzführender Aufseher der Versammlung Ebute Metta war. Er berichtete:

„Eines Tages erhielt ich den Besuch einiger Mitglieder der ‚Organisation Jehovas Zeugen‘ (eine Gruppe Abtrünniger, die sich so nannte). Sie wollten wissen, was sie tun müßten, um in die theokratische Organisation zurückkehren zu können. Sie sagten, daß sie in der Frage der Polygamie mit den übrigen Mitgliedern ihrer Gruppe nicht mehr einiggehen könnten. So erhielten sie den Rat, sich von ihnen zu trennen, wenn sie überzeugt seien, daß Jehova sich auf der Erde nur einer sichtbaren Organisation bediene. An einem Sonntag abend kamen 100 von ihnen in unseren Königreichssaal und erklärten, sie hätten sich für Jehova entschieden. Es war, als wäre eine Versammlung an einem Tag geboren. Sie nahmen auch die notwendigen Änderungen in ihrem Leben vor.“

ZUSAMMENKÜNFTE FÜR DIE ÖFFENTLICHKEIT — AUF NIGERIANISCHE ART

Das Königreichswerk machte weiterhin schnelle Fortschritte, und mit den in den Dörfern gehaltenen öffentlichen Vorträgen erzielte man vorzügliche Ergebnisse. Die Art und Weise, wie sie organisiert wurden, spiegelt die Lebensweise in diesem Teil der Welt wider. Ein Bezirksaufseher beschrieb das Vorgehen der Verkündiger, wenn sie in ein Dorf kamen, wie folgt:

„Nun verteilt sich die Gruppe ..., und alle gehen von Haus zu Haus, ausgenommen derjenige mit dem Megaphon. Er geht durch die Straße und kündigt den öffentlichen Vortrag an. ... [Später] begeben sich [die Zeugen] auf einen großen offenen Platz mitten im Dorf, wo ein riesiger Mangobaum steht. Aus einem nahe gelegenen Haus wird ein Tisch gebracht, ... auch eine Petroleumlampe [wird] hingestellt. ... Die Zeugen bilden einen hübschen Halbkreis vor dem Redner, und bald schließen sich ihnen etwa drei- bis vierhundert Dorfbewohner an. ... Es ist nun völlig dunkel und ganz still geworden. Man hört nur die Stimme des Redners ..., der an Hand der Bibel sein Thema erläutert.“

Diese Zusammenkünfte für die Öffentlichkeit wurden durch eine neue Entwicklung bereichert, als man anfing, die Filme der Gesellschaft zu zeigen. Ganze Dörfer kamen zu den Vorführungen, so daß die Zuschauerzahlen 500 und mehr betrugen, obschon die Ortsversammlung nur aus ein paar Verkündigern bestand. Die Zuschauer saßen im Gras — nach afrikanischer Art — vor einer großen, etwas erhöht stehenden Leinwand. Auf Kreiskongressen fanden sich häufig bis zu 8 000 Personen ein.

DIE BEARBEITUNG NICHTZUGETEILTER GEBIETE

Schon vor 1954 war es üblich geworden, jedes Jahr in den Monaten Mai, Juni und Juli nichtzugeteilte Gebiete zu bearbeiten. Es waren zwar Regenmonate, doch gerade deshalb konnten die Brüder, die zum größten Teil Landwirte waren, in diesen Monaten viel Zeit dem Predigen widmen. Auch traf man in diesen Monaten viele Leute zu Hause an.

Bei solchen Feldzügen kam es häufig vor, daß „verlorene Schafe“ gefunden wurden, doch eine Gruppe Brüder machten die ungewöhnliche Erfahrung, eine verlorene Versammlung von „Schafen“ zu finden. Es passierte in einem ganz abgelegenen Gebiet im sumpfigen Nigerdelta, das diese Verkündiger bis dahin noch nie bearbeitet hatten. Sie stießen auf eine Gruppe, bestehend aus ungefähr einem Dutzend Personen, die regelmäßig die Schriften der Gesellschaft studierten und die auch predigten. Diese Studiengruppe war entstanden, als ein Verkündiger von seinem weltlichen Arbeitgeber dorthin versetzt worden war. Nachdem er wieder weggegangen war, fuhren sie fort, zu studieren und zu predigen, obgleich man im Büro von der Existenz dieser Gruppe erst erfuhr, als sie während des Zeugnisgebens in nichtzugeteilten Gebieten „entdeckt“ wurde.

Eine andere Gruppe wurde in Nordnigeria gefunden. Die dortigen Brüder hörten vage Berichte über interessierte Personen in einem Dorf, in dem alle übrigen Bewohner der alten traditionellen Religion anhingen. Der nächste Verkündiger war ein Sonderpionier, der fast 65 km von dem Dorf entfernt wohnte. Zusammen mit dem Kreisaufseher fuhr er mit dem Fahrrad hin, um diese Interessierten ausfindig zu machen. Eine Zeitlang waren die beiden irregefahren, bis sie endlich, völlig erschöpft, den Ort fanden. Aber ihre Anstrengungen wurden belohnt, denn sie fanden über 30 Personen, die zusammenkamen, um anhand einer einzigen Bibel zu studieren. Über die Königreichsbotschaft waren sie bis dahin nur mündlich informiert worden.

NIEDERKNIEN — JA ODER NEIN?

Jahrelang hatten die Brüder im Gebiet von Warri große Schwierigkeiten wegen der Frage, ob man vor älteren Männern niederknien dürfe — eine Sitte, miguo̩ genannt, die im Deltagebiet verbreitet ist — oder nicht. Einige der älteren Brüder in diesem Gebiet hatten entschieden, daß es verkehrt sei, sich vor Menschen niederzubeugen. Das Zweigbüro hatte die Auskunft gegeben, daß der einzelne dies selbst entscheiden müsse. Trotzdem verboten einige ältere Brüder den jüngeren niederzuknien, ja sie entzogen einigen, die das taten, sogar die Gemeinschaft wegen „Götzendienstes“. Andererseits wurden die, die mit der Sitte des miguo̩ brachen, deswegen von der Bevölkerung verfolgt, und das war für viele Interessierte ein Hindernis, denn sie sahen in dieser Sitte lediglich ein respektvolles Verhalten.

Dann erschien der Watchtower vom 15. Mai 1954 (deutsch: 15. Juli 1954), in dem die Frage behandelt wurde: „Sollten wir Jesus anbeten?“ Nun war die Sache klar. Deutlich wurde der Unterschied gezeigt zwischen dem Niederbeugen als einer Geste des Respekts oder zur Begrüßung und dem Niederbeugen als Akt der Anbetung und der Ergebenheit. Die große Mehrheit der Brüder war mit dieser Erklärung zufrieden. Eine kleine Minderheit dagegen, die sich in dieser Sache schon lange hartnäckig gezeigt hatte, war zu stolz, um nachzugeben, und sie verließ die Organisation.

ORGANISATORISCHE VERBESSERUNGEN

Nachdem die Regierung Bruder Henschel 1952 ein Visum verweigert hatte, durfte er Nigeria im November 1955 wieder besuchen. Dies machte die Kongresse „Triumphierendes Königreich“, die er in Aba und Ilesha besuchte, für die fast 34 000 Anwesenden zu etwas ganz Besonderem.

Danach wurden in den Versammlungen und Kreisen Änderungen vorgenommen, um Einzelpersonen mehr Aufmerksamkeit schenken zu können und ihnen so zu helfen, zur Reife voranzudrängen. Da in vielen Kreisen rund 25 Prozent der Verkündiger nicht getauft waren, führte man ein Lehrprogramm ein, um diesen Verkündigern zu helfen, Fortschritte zu machen, die zur Hingabe und zur Taufe führen. Die Versammlungen wurden wieder organisiert und gestärkt, indem man kleine Gruppen mit umliegenden stärkeren Gruppen verband. Zudem wurden die Kreise verkleinert, so daß der Kreisaufseher drei statt zwei Besuche im Jahr machen konnte und häufiger Gelegenheit hatte, die Verkündiger zu schulen.

Etwa zu dieser Zeit stellte man fest, daß viele Versammlungen aus der Gedächtnismahlfeier eine öffentliche Veranstaltung auf dem Marktplatz gemacht hatten. Sie rechneten sogar Passanten zu den Anwesenden. Dies trieb die Anwesendenzahlen in die Höhe und führte außerdem zu unangenehmen Zwischenfällen und Auseinandersetzungen mit Gegnern. Die Anweisungen im Informator (jetzt Unser Königreichsdienst) machten dem ein Ende, was zwar eine niedrigere Anwesendenzahl zur Folge hatte — 24 330 im Jahre 1956 gegenüber 33 027 im Jahre 1955 —, aber zu einer wesentlich würdigeren Feier beitrug.

Auch der Zeitschriftenverbreitung wurde Beachtung geschenkt. Die Brüder begannen zu verstehen, welchen Wert die Zeitschriften beim Verbreiten der guten Botschaft hatten. Im Januar 1957 erschien der neu aufgemachte farbige Wachtturm in Igbo und Yoruba. Die Brüder waren begeistert. Eine Versammlung in Lagos erhöhte ihre durchschnittliche Zeitschriftenabgabe pro Verkündiger von 0,7 Zeitschriften im September auf 7,0 im Januar. Ein Bruder, der Zeitschriftendienst verrichtete, gab auf einem Markt innerhalb von zwei Stunden 73 Zeitschriften ab. Ein anderer berichtete: „Die Leute laufen uns auf der Straße nach, um Zeitschriften zu bekommen.“

Da uns die Leute buchstäblich „nachliefen“, mußten wir sorgfältig darauf achten, wen wir zur Taufe zuließen. Vom 1. Januar 1956 an übertrug man den Versammlungsaufsehern die Aufgabe, die Taufanwärter zu prüfen und eine Erklärung zu unterzeichnen, die diese vorzeigen mußten, um bei einem Kongreß zur Taufe zugelassen zu werden. Es wurde verlangt, daß die Taufanwärter zuerst das Buch „Gott bleibt wahrhaftig“ zu Ende studierten, daß sie mindestens sechs Monate studiert hatten und grundlegende christliche Erfordernisse erfüllten.

DAFÜR SORGEN, DASS DIE EHE EHRBAR IST

Die im September und Oktober 1956 erschienenen Wachtturm-Artikel über die Ehe waren eine weitere Hilfe. Sie behandelten Probleme wie z. B. überhöhter Brautpreis, Probeehe, intime Beziehungen während der Verlobungszeit und Auflösung gesetzlich nicht eingetragener Ehen. Ehen, die nach traditionellem Brauch geschlossen worden waren, mußte man nun gesetzlich eintragen lassen. Das Formular „Eheerklärung“ wurde eingeführt, und schließlich durften nur diejenigen davon Gebrauch machen, deren ungläubiger Ehepartner sich weigerte, die Ehe eintragen zu lassen. Man hob jedoch die Vorteile hervor, Ehen gemäß der nigerianischen Eheverordnung statt nach Stammesbrauch zu schließen, was in mehreren Teilen des Landes eine Welle von Eintragungen zur Folge hatte.

Bemerkenswert war der Fall eines 99jährigen Bruders und seiner 55jährigen Frau. Sie waren bereits nach dem Gewohnheitsrecht verheiratet, doch nun berichtete eine Zeitung: „Vierunddreißig Jahre lebten ein Mann und eine Frau [zusammen], die ihm sieben Kinder gebar. Gestern ... wurden sie auf dem Standesamt in Lagos zu Mann und Frau erklärt. Herr Edo ... ist ein Mitglied der Sekte der Zeugen Jehovas, und beide predigen öffentlich das Evangelium.“

Seither sind viele Königreichssäle im ganzen Land als Stätten für Eheschließungszeremonien amtlich zugelassen worden. Die Regierung anerkennt ernannte Älteste in den Versammlungen als gesetzlich berechtigt, in diesen Sälen Eintragungen vorzunehmen.

HISTORISCHE KONGRESSE VON DIENERN JEHOVAS

Im Frühjahr 1958 fand in Benin City ein wahrhaft historischer Kongreß statt. Zum erstenmal versammelten sich Brüder verschiedener Sprachen in getrennten überdachten Versammlungsstätten auf demselben Kongreßgelände. Neun Sprachen waren vertreten. Die Gesamtzahl der Anwesenden belief sich auf 19 731, und 740 Personen wurden getauft. Unter den Anwesenden beim öffentlichen Vortrag befand sich der Oba (traditioneller König) von Benin, Akenzua II., der vor der versammelten Zuhörerschaft seine Wertschätzung zum Ausdruck brachte.

Als das Dienstjahr zu Ende ging, war Nigeria beim internationalen Kongreß „Göttlicher Wille“ in New York durch 12 Delegierte vertreten, wozu zwei Gileadstudenten gehörten, die am ersten Kongreßtag ihre Abschlußfeier hatten.

Danach erging im Frühjahr 1959 an alle Zeugen Jehovas in Nigeria ein aufrüttelnder Ruf: „Kommt nach Ilesha, 12.—15. März!“ Warum? Um bei dem Landeskongreß „Göttlicher Wille“ zugegen zu sein, den Bruder Knorr besuchen würde. Im Jahre 1952 hatte ihm die Regierung die Einreise verweigert. Am Sonntag lauschten ihm 27 926 Personen, die 11 Sprachgruppen vertraten, als er über das Thema sprach: „Eine paradiesische Erde durch Gottes Königreich“. Die Kongreßteilnehmer freuten sich auch sehr, als sie das neue Buch Vom verlorenen Paradies zum wiedererlangten Paradies erhielten. Wegen des weitverbreiteten Analphabetentums in Afrika war es besonders dort eine große Hilfe.

BESONDERE SCHULUNG, UM UNSERE BEDÜRFNISSE ZU BEFRIEDIGEN

Die Eröffnung der Königreichsdienstschule in Lagos im September 1961, in der Aufseher ausgerüstet wurden, ihre Aufgaben besser zu erfüllen, kennzeichnete einen Fortschritt. Durch den Schreib- und Leseunterricht wurden ebenfalls gute Ergebnisse erzielt. Man verbesserte das Programm und stellte bessere Lehrbücher zur Verfügung. Die Brüder wurden auch ermuntert, an den staatlichen Lese- und Schreibkursen teilzunehmen, und viele lernten durch diese Einrichtung lesen und schreiben.

Schon im Jahre 1952 hatte ein Bruder, der vier Jahre zuvor nicht lesen konnte, so gut lesen gelernt, daß man ihn als Lehrer für den Leseunterricht in seiner Versammlung einsetzte. Ezekiel Ovbiagele war Analphabet, als er sich 1940 taufen ließ. Er meldete sich für den Lese- und Schreibunterricht, lernte lesen und schreiben, wurde Pionier und erfüllte 1953 die Voraussetzungen, um als reisender Aufseher ernannt zu werden.

Viele von denen, die lesen lernten, waren schon älter und hatten gedacht, sie könnten es nicht mehr lernen. Doch ihr Wunsch, die Bibel selbst zu lesen und andere zu belehren, weckte wieder ihren Lerneifer. Eine über 60 Jahre alte Schwester, die seit mehr als 20 Jahren krank war, fuhr regelmäßig jede Woche 8 km mit dem Kanu, um ihren Leseunterricht zu besuchen. Ihr Fortschritt wurde offenbar, als sie bei einem Kreiskongreß im Jahre 1952 aufstand und fließend aus der Bibel vorlas. Welche Freude dieser Fortschritt mit sich brachte!

Um das Jahr 1961 hatten mehrere tausend Erwachsene durch diesen Unterricht lesen und schreiben gelernt. Bruder Gooch bemerkte dazu: „Königreichssäle werden benutzt, um Leseunterricht zu erteilen, zu dem alle im Dorf willkommen sind.“ Um die Ergebnisse zu veranschaulichen, berichtete er über die Versammlung in Umuochita, wo viele Dorfbewohner die Versammlungszusammenkünfte besuchten, weil der Königreichssaal ihr „Schulhaus“ geworden war. Aus den Zahlen geht hervor, daß zwischen 1962 und 1984 19 238 weiteren Erwachsenen beim Unterricht in unseren Königreichssälen das Lesen und Schreiben beigebracht wurde.

BRUDER GOOCH REIST AB

Nachdem Wilfred Gooch 1963 einen besonderen zehnmonatigen Gileadkurs in Brooklyn besucht hatte, erhielt er die Zuteilung, als Zweigaufseher auf den Britischen Inseln zu dienen. Seine Frau Gwen begleitete ihn dorthin. Er hatte 12 Jahre in Nigeria gedient und sehr zur organisatorischen Stabilität im Zweigbüro und in den Versammlungen beigetragen.

Woodworth Mills, der seit 1956 in Nigeria gedient hatte, ersetzte ihn als Zweigaufseher. Bruder Mills, der aus Trinidad stammte, und seine Frau Oris, hatten in Aruba als Pioniere gedient, bevor sie die Gileadschule besuchten und dann nach Nigeria kamen.

FESTER GLAUBE INMITTEN NATIONALER UNRUHEN

Nach der Unabhängigkeit plagten politische Unruhen das Land, und die wirtschaftliche Lage verschlechterte sich. Im Mai und im Juni 1964 erlebte es schwere Arbeiterunruhen, Krawalle sowie Streiks bei der Post und den Hafenarbeitern. Das war nur ein Vorgeschmack von dem, was noch kommen sollte. Doch Jehovas Zeugen mischten sich nicht ein. Sie beteiligten sich weiterhin fleißig am Werk des Zeugnisgebens für das Königreich.

Die unruhigen Verhältnisse beeinträchtigten die Predigttätigkeit. Aber die 35 039 Verkündiger taten, was sie konnten, und die Aussichten für weiteren Fortschritt im Königreichswerk waren günstig. Zu denen, die den Königreichsinteressen dienten, gehörten viele ältere Verkündiger, die einen festen Glauben offenbarten. Durch ihr Vertrauen zu Jehova legten sie eine Kraft an den Tag, die über das Normale hinausgeht. Zum Beispiel legte ein achtzigjähriger Bruder 156 km zu Fuß zurück, um den Kongreß „Frucht des Geistes“ in Oshogbo im Jahre 1964 zu besuchen.

FETISCH (JUJU) VERFEHLT SEINEN ZWECK

Zu dieser Zeit gab es 1 919 Personen, die in verschiedenen Zweigen des Vollzeitdienstes tätig waren und die Wahrheit in neue Gebiete brachten sowie in entlegenen Dörfern Versammlungen organisierten. Sie hatten oft mit dämonischem Widerstand zu kämpfen, wie z. B. in dem Dorf Ago-S̩as̩a.

Weil ein Pionier der Anordnung, das Dorf innerhalb von sieben Tagen zu verlassen, keine Beachtung schenkte, verfluchte ihn ein Priester des Stammesgottes Sango. Am nächsten Tag wütete in der Nähe des Königreichssaales, wo der Pionier gerade sein persönliches Studium durchführte, ein unzeitgemäßes Gewitter. Ein Blitz zerstörte einen Baum in der Nähe und lähmte den Bruder momentan. Ein paar Tage später machte ein Dorfbewohner ihm gegenüber folgende Bemerkung: „Sie müssen einen machtvollen Zauber besitzen. Nachdem der Sangopriester von Ihnen weggegangen war, nahm er bittere Kola [Nuß von einem tropischen Baum] und ein Huhn und sprach vor Sango einen Fluch gegen Sie aus. Sango schlug gegen euren Saal, aber Sie sind noch am Leben. Heute ist dieser Priester in seinem eigenen Haus von einem Blitz erschlagen worden.“

Bis dahin fand in Ago-S̩as̩a nur ein Versammlungsbuchstudium statt. Aber die Dorfbewohner, die die Drohung des Priesters gegen den Pionier gehört hatten, betrachteten das Ereignis als eine Kraftprobe von Geistermächten. Von Jehovas Überlegenheit überzeugt, begannen sich viele von ihnen für die Wahrheit zu interessieren.

EINE KRISE BEGINNT

Es stellte sich heraus, daß die Aufstände im Jahre 1964 lediglich ein Vorzeichen von dem waren, was noch kommen sollte. Politische Unruhen, Militärrevolten, Gesetzlosigkeit und Gewalttätigkeiten unter den Stämmen verschärften sich im Jahre 1965. Dies führte dazu, daß Armeeoffiziere am 15. Januar 1966 einen Putsch unternahmen und das Land fest in die Klauen eines Militärregimes geriet.

Diese Ereignisse belasteten das Königreichspredigtwerk sehr. Doch der April 1966 war der erste Monat, in dem mehr als eine Million Stunden Predigtdienst verrichtet und die 800. Versammlung eingetragen wurde. Interessanterweise befanden sich unter den 42 000 Verkündigern, die 1965 über ihren Predigtdienst berichteten, 4 280 Personen im Alter zwischen 51 und 70 Jahren; 808 waren über 70 Jahre alt, und viele von diesen gehörten zu den 5 460 Verkündigern, die seit mehr als 15 Jahren in der Wahrheit waren. Sie hatten bereits einen beständigen Glauben bewiesen.

Im Sommer des Jahres 1966 gab es in den nördlichen Provinzen 1 514 Verkündiger und 26 Sonderpioniere, die nun die schlimmsten Schwierigkeiten durchmachten.

Im Mai kam es zu blutigen Krawallen, die mit Unterbrechungen bis Oktober weitergingen. Verärgert über die Ermordung ihrer politischen und religiösen Führer während des Putsches, die politische Stellung der Ibo-Führer und den Erfolg der im Norden arbeitenden Ibo, lehnten sich die nördlichen Stämme gegen die Ibo auf und machten sie zur Zielscheibe von Massakern. Die meisten Brüder waren Ibo und mußten in ihre Heimatstädte im Südosten fliehen. Dennoch wurden ungefähr 20 getötet, darunter einige Diener und Pioniere. Viele verloren ihre ganze Habe. Zwei Königreichssäle wurden niedergebrannt, andere schwer beschädigt. Mitte September kam das Predigen der guten Botschaft im Norden praktisch zum Stillstand.

DURCH NEUTRALITÄT GESCHÜTZT

Die Gesellschaft organisierte sofort eine Hilfsaktion und verschickte Kleidung und Haushaltsartikel. In der Zwischenzeit erwiesen sich die neutrale Haltung der Brüder und ihre Predigttätigkeit für viele von ihnen als ein Schutz.

Als Aufrührer in Zaria in ein umzäuntes Grundstück eindrangen und begannen, die Gebäude zu zerstören, hielt ihr Anführer sie plötzlich zurück und sagte: „Die Leute, die hier wohnen, sind nicht in unsere politischen Schwierigkeiten verwickelt.“ Er hatte die Brüder und unsere Publikationen in den Häusern gesehen.

In Kano ging ein Bruder mit einem Arbeitskollegen nach Hause, als eine Pöbelrotte sie plötzlich umzingelte. Der Bruder wurde niedergeschlagen. Als einer der Männer sein Messer zog, um ihn zu töten, rief ein anderer von der Pöbelrotte: „Halt! Rühr ihn nicht an! Er hat mir vor zwei Tagen gepredigt!“ Andere stimmten zu, daß der Bruder nicht zu denen gehörte, nach denen sie suchten. Sie ließen ihn liegen, töteten aber seinen Begleiter, der kein Zeuge Jehovas war.

DIE KRISENZEIT ÜBERWINDEN

Inmitten der Gewalttat, die sich im ganzen Land ausbreitete, besuchten 67 376 Personen im November 1966 die drei Bezirkskongresse „Gottes Söhne der Freiheit“. Allerdings verschlechterte sich die politische Situation rapide. Im Haussaland im Norden und im Yorubaland im Westen setzte man die Ibo unter Druck. Sogar Igbo sprechende Glieder der Bethelfamilie wurden von dem wachsenden Terrorismus bedroht. Das Iboland im Osten wurde allmählich isoliert.

Die Brüder Mills, Akpabio und Olih aus dem Zweigbüro besuchten Ostnigeria im April 1967. Sie ermunterten die Brüder und gaben ihnen Ratschläge. Das geschah gerade rechtzeitig, denn schon im nächsten Monat wurde das Land in einen Krieg gestürzt.

MIT EINEM KRIEG FERTIG WERDEN

Am 30. Mai sagten sich die östlichen Staaten von der Föderation von Nigeria los und bildeten die Republik Biafra. Der bestehende Ausnahmezustand wurde kritisch. Die Truppen der Bundesregierung wurden mobilisiert. Man verhängte eine totale Wirtschaftsblockade gegen den Osten und brach alle Telefon-, Telegrafen-, Post-, Flug- und Verkehrsverbindungen ab. Die Spannungen entluden sich in einem hitzigen Bürgerkrieg.

Mitte Juni, bevor der Kampf voll ausbrach, machten die Brüder Mills und Akpabio einen gefährlichen 12tägigen Besuch in Biafra. Sie hielten mit den Brüdern Zusammenkünfte ab und halfen ihnen, die Notwendigkeit zu erkennen, strikte christliche Neutralität zu bewahren und sich eng an Jehovas Organisation zu halten. Ein Postverteilungssystem durch Boten wurde organisiert, und man traf Vorkehrungen, Anweisungen und Literatursendungen nach Asaba am Westufer des Niger weiterzuleiten. Man hoffte, sie von dort in den Osten befördern zu können. Doch am 15. August hatte sich der Krieg bis zum Mittelwesten ausgebreitet, und die Verbindung vom Zweigbüro zu zwei weiteren Bezirken und 22 Kreisen in diesem Gebiet wurde abgeschnitten. Das war eine besorgniserregende Unterbrechung, weil der Mittelwesten als Kanal diente, durch den die Versorgung mit geistiger Speise erfolgte und die Verbindungswege in die östlichen Bezirke hinein- und herausführten. Nun war dieser Kanal verschlossen.

Glücklicherweise war das nur ein vorübergehender Zustand. Doch sogar während dieser Zeit herrschte unter den Brüdern in den betroffenen Gebieten ein starker Pioniergeist. Ein Bruder, der damals Bezirksaufseher im Mittelwesten war, erinnert sich: „Sogar als wir 1967 durch den Krieg vom Zweigbüro abgeschnitten wurden, waren die Verkündiger so sehr bestrebt, den Pionierdienst durchzuführen, daß wir ein besonderes Komitee bilden mußten, um provisorische Ernennungen vorzunehmen.“

LAUTERKEIT UND MEHRUNG WÄHREND DES KRIEGES

Da Biafra in den Flammen des Krieges stand, waren die Brüder des Ibo-Stammes isoliert und konnten sich den 47 452 Besuchern der Serie von Bezirkskongressen „Macht Jünger“, die im Dezember 1967 und im Januar 1968 stattfanden, nicht anschließen. Aber die Brüder des Ibo-Stammes waren im Predigtwerk tätig. Als einige Nachrichten durchsickerten, erfuhr man, daß sie im Dezember eine Höchstzahl von 11 812 Verkündigern erreicht hatten und im darauffolgenden März 16 302 Personen an 217 Orten zum Gedächtnismahl zusammengekommen waren. In einem Gebiet konnten die Brüder nur eine Flasche Wein beschaffen, und jede Versammlung bekam ungefähr zwei Eßlöffel Wein für die Feier.

Diese ergebenen Christen bewahrten in dem Konflikt strikte Neutralität. Während die Behörden auf der nigerianischen Seite im allgemeinen keine Streitfrage daraus machten, lehnten die Behörden in Biafra jegliche neutrale Haltung ab. Ein Divisionsoffizier erklärte: „Wer nicht bereit ist, um den Sieg unserer Republik zu kämpfen, hat bei uns nichts verloren.“ Biafranische Zeitungen veröffentlichten gehässige Kommentare über die Brüder, und man unternahm eine Hetzkampagne, die die Öffentlichkeit gegen uns aufbrachte. Eine heftige Verfolgung setzte ein.

Als die Kampflinie immer näher rückte, zogen sich die Brüder in Gruppen durch den Busch zurück. Sie zogen von Ort zu Ort und errichteten unterwegs Hütten, in denen sie jeden Tag biblische Zusammenkünfte abhielten. Außenstehende waren höchst erstaunt, als sie beobachteten, daß sich die Zeugen beim Überqueren verlassener Grundstücke nicht am Plündern beteiligten und nicht einmal auf den Farmen, deren Eigentümer geflohen waren, von dem Maniok aßen, obgleich sie am Verhungern waren. Als die Nahrungsmittel so knapp wurden, daß sich ein großer Teil der hungernden Bevölkerung gezwungen sah, Menschenfleisch zu essen, beteiligten sich die Brüder nicht daran. Sie vertrauten auf Jehova und blieben am Leben, indem sie — angefangen von Eidechsen, Schlangen und Grashüpfern — alles aßen, was Eiweiß enthielt, ihren Magen füllte und nicht giftig war.

Während dieser ganzen Zeit wurden die Brüder wie Tiere gejagt. Viele schleppte man gewaltsam zu Armeedepots, und wenn sie sich weigerten, Soldaten zu werden, wurden sie brutal geschlagen. Ein Pionier erhielt 374 Schläge. Als er erklärte, er sei bereits ein Soldat Christi, schlug man ihn auf den Kopf und bemerkte: „Ihre Berufung als Soldat Christi ist beendet. Sie sind jetzt ein biafranischer Soldat.“ Er erwiderte mutig: „Jehova hat mir bis jetzt noch nicht mitgeteilt, daß meine Berufung als sein Soldat beendet ist, und meine Berufung bleibt so lange bestehen, bis ich solch eine Mitteilung erhalte.“ Er ertrug weitere brutale Behandlung. Man brachte ihn sogar gewaltsam an die Front. Doch da er keine Einberufungsnummer hatte, sagte der kommandierende Offizier: „Ich kann keinen Soldaten für den Kampf gebrauchen, der sich nicht ausweisen kann.“ Er befahl, ihn ins Lager zurückzubringen, damit er eine Nummer erhalte. Unterwegs sagte der Soldat, der den Bruder begleitete, zu ihm: „Wenn Sie wollen, können Sie jetzt gehen. Sie haben keine Nummer, und niemand wird es gelingen, Sie zu verfolgen.“ Der Bruder dankte ihm und ging.

Ein anderer Bruder wurde in einem unterirdischen Bunker in Atani am Ufer des Niger festgehalten und gefoltert. Ein behinderter Bruder, den man beauftragt hatte, ihm Nahrung zu bringen, kehrte mit der Nachricht zurück, daß der Bruder, obwohl er nicht genügend Luft habe und schweißüberströmt sei, ständig zum Lobe Jehovas singe und andere Brüder ermuntere, guten Mutes zu sein. Nach einigen Tagen starb er, während er zum Lobe Jehovas sang.

EIN GOTT RETTENDER TATEN

Solche Erfahrungen lehrten die Brüder, daß Jehova seine Diener stärkt, damit sie ausharren können — sogar bis zum Tod. Doch viele überlebten. Einige entrannen, nachdem sie lebendig begraben, von einem Exekutionskommando beschossen, geschlagen und als tot zurückgelassen, gefesselt und angezündet worden waren. Kein Wunder, daß sie nun von Jehova als einem Gott rettender Taten sprachen (Ps. 68:20).

Schwestern machten ebenfalls schwere Prüfungen durch. Soldaten versuchten, einige von ihnen zu vergewaltigen. Als jedoch eine Schwester zu Jehova betete, tat sie so, als sei sie Epileptikerin, und brach mit Schaum vor dem Mund zusammen, worauf sich die Soldaten aus dem Staub machten. Bruder Ekong aus Uyo Afaha Nkan wurde erschossen, als er sich weigerte, zuzulassen, daß Soldaten seine Tochter vergewaltigten, und andere tötete man ebenfalls, weil sie nicht zuließen, daß man ihre Frauen oder Töchter vergewaltigte.

REISENDE AUFSEHER HELFEN

Die Kreisaufseher bekundeten Mut, wenn es darum ging, die Brüder geistig zu erbauen. Benjamin Osueke, der heute mit seiner Frau im Zweigbüro in Lagos dient, war einer dieser Kreisaufseher. Er teilt uns folgende Erinnerungen mit:

„Die Zeugen erwiesen sich im wahrsten Sinne des Wortes als die Hüter ihrer Brüder. Brüder aus Gebieten, in denen schwere Unruhen herrschten, wurden bei Brüdern untergebracht, die in ruhigen Landesteilen wohnten. Weil sich Frauen verhältnismäßig freier bewegen konnten als Männer, versorgten Schwestern die Brüder, die sich vor Rekrutierungsagenten versteckten, mit Nahrung. Mit der Hilfe einer allgemeinen Pionierin konnte ich mehrere Verkündigergruppen im Busch besuchen. Die anderen Kreisaufseher waren ebenfalls darauf bedacht, die Gebiete im Busch ausfindig zu machen, wo sich die Brüder niedergelassen hatten, so daß sie diese Brüder besuchen und in geistiger Hinsicht ermuntern konnten. Die Brüder schätzten dies und nahmen für uns auch Risiken auf sich. Zum Beispiel beförderte mich Isaac Nwagwu in einem Kanu über den Otamiri, wobei er sich in große Gefahr begab. Einer aus der Verkündigergruppe, der gekommen war, um mich auf dem Rückweg zu begleiten, rief aus: ‚Das ist der schönste Tag meines Lebens. Ich hätte nie gedacht, daß ich es in diesem Leben nochmals erleben würde, einen Kreisdiener zu sehen. Wenn ich jetzt in der Hitze des Krieges sterbe, bin ich befriedigt.‘ “

Zu den Kreisaufsehern gehörten sechs Gileadabsolventen, die sehr zur Ermunterung und Stärkung beitrugen. Die drei Bezirksaufseher dienten als Komitee, um das Werk zu organisieren und zu überwachen. Sie blieben mit den Verkündigern in Verbindung, sammelten die Predigtdienstberichte ein, stellten sie zusammen und organisierten Kreiskongresse. War es ihnen aber möglich, sich mit den Brüdern außerhalb Biafras in Verbindung zu setzen?

„KRISENMASSNAHMEN“ VON JEHOVA

Im Frühjahr 1968 setzten die biafranischen Behörden zwei Staatsangestellte in wichtige Vertrauensposten ein, und zwar in Europa und am biafranischen Behelfsflugplatz. Zufällig waren die beiden gute Freunde und außerdem Zeugen Jehovas. Sie befanden sich nun an den beiden Enden der einzigen Verbindung zwischen Biafra und der Außenwelt. Bei ihrem ersten überraschenden Zusammentreffen in Port Harcourt im März 1968 erkannten und besprachen sie die sich ihnen durch ihr Amt bietenden Möglichkeiten, die Verbindung zwischen den Brüdern und der Gesellschaft herzustellen.

Es war eine sehr schwierige und riskante Aufgabe,aber diese Brüder erkannten, daß Jehova die Umstände gelenkt haben mußte. Einer der Brüder, der dies bestätigte, sagte später, daß „die Einrichtung menschliche Planung überstieg“ und kein „glücklicher Zufall“ sein konnte. Die Büros der Gesellschaft in Lagos, London und Brooklyn wurden informiert, und eine ständige Nachrichtenübermittlung setzte ein. Die gleichen Kanäle dienten der Versorgung unserer notleidenden Brüder mit Hilfsgütern, die man durch Gabun und Dahomey (heute Benin) beförderte.

BEMERKENSWERTE GEISTIGE STÄRKE

Weltweit erfuhr Jehovas Volk von den schlechten Lebensbedingungen unserer Brüder in Biafra. Ihre Lauterkeit wurde ebenfalls bekannt, was diejenigen, die davon hörten, sehr ermunterte. (Vergleiche Philipper 1:14.) Tausende von Brüdern, die 1969 den internationalen Kongreß „Friede auf Erden“ im Yankee-Stadion besuchten, waren von folgender Erfahrung beeindruckt:

„Christopher Utoh, ein junger Bruder, gehörte zu einer Anzahl Jugendlicher, die man gewaltsam eingezogen hatte. Er weigerte sich, sein Gewissen zu vergewaltigen. Man schlug ihn deshalb, sperrte ihn ein, ließ ihn hungern und drohte ihm mit dem Tod. Nach einem grauenvollen Monat der Folter wurde er vor den Divisionskommandeur geladen. Weitere Drohungen konnten seine Standhaftigkeit nicht brechen. Schließlich entließ ihn der Offizier mit folgendem Schreiben:

,Bescheinigung: Der obengenannte Religionsvollzeitdiener ist heute von der Einberufung/vom Wehrdienst freigestellt worden. Seine Freistellung erfolgt aus Gründen des Religionsdienstes, und alle, die es angeht, werden gebeten, ihm jede notwendige Unterstützung und Hilfe zukommen zu lassen, damit er seine Aufgaben als ordinierter Diener Jehovas Gottes erfüllen kann.‘“

Materiell arm, körperlich gequält und gepeinigt, aber geistig stark, bewahrten die Brüder ihre Lauterkeit gegenüber Jehova, ihre Verbundenheit mit seiner sichtbaren Organisation und ihren Eifer im Königreichswerk. Unter ihnen befanden sich hart arbeitende Pioniere. Samuel Onyedire, der damals als Kreisaufseher diente, erzählt folgendes über sie:

„Die massiven Bombenangriffe, die Tag und Nacht dauernde Jagd auf Jugendliche und wehrfähige Männer sowie die allgemeinen Mobilmachungskampagnen waren keine günstigen Bedingungen, aber die Pioniere wußten, daß die gute Botschaft unter allen Umständen gepredigt werden mußte. Somit führten viele ihren Auftrag weiterhin durch. Zudem erkannten sie, daß sie der Vollzeitdienst befähigte, ihre geistige Gesinnung und ihr geistiges Gleichgewicht zu bewahren. Dieses Bewußtsein verlieh ihnen innere Stärke und Durchhaltevermögen, was ihnen half voranzudrängen. Außerdem nutzten sie die frühen Morgen- und späten Abendstunden für den Dienst, da die Bomber gewöhnlich ab 10 Uhr auftauchten und Angriffe flogen. Auch führten die Brüder zu jeder passenden Tageszeit Bibelstudien durch. ... Während der Rekrutierungsaktionen nutzten die Pioniere die Gelegenheit, Dorfbewohnern zu predigen, die sich im Busch versteckten. Die Brüder konnten auch enttäuschte Menschen trösten, indem sie Rückbesuche machten und in ihrem ,mobilen Gebiet‘ sogar Bibelstudien durchführten. Die Nachbarn waren verblüfft. Sie konnten nicht verstehen, warum jemand sein Leben riskierte, nur um seinen Glauben zu verbreiten. Doch die Brüder waren glückliche Pioniere.“

STÄRKUNG DURCH DIE KONGRESSE „FRIEDE AUF ERDEN“

Die Kongreßserie „Friede auf Erden“ bot Gelegenheiten, die Standhaftigkeit dieser bedrängten, aber ausharrenden Brüder zu stärken. Zurückblickend, erscheint es wie ein Wunder, daß zwei Bezirksaufseher 1969 den Kongreß in London besuchen konnten. Obwohl Biafra von der Außenwelt abgeschnitten war und praktisch keine Möglichkeit bestand, das Land zu verlassen, wurden Vorkehrungen getroffen, um ihnen dies zu ermöglichen. Im Dunkel der Nacht kamen sie am Behelfsflugplatz in Ulai an, bestiegen trotz des großen Risikos eines der Flugzeuge, das Hilfssendungen nach Biafra gebracht hatte, und flogen über Sao Tome und Lissabon nach London. Sie berieten sich mit Bruder Knorr, und auch Bruder Franz ermunterte sie sehr herzlich und gab ihnen Ratschläge. Um die notleidenden Brüder zu unterstützen, traf man Vorkehrungen zum Versand von Nahrungsmitteln, Medikamenten, Literatur und Kleidung.

Mitten im Krieg wurde der Kongreß „Friede auf Erden“ im Dezember in Ilesha abgehalten. Obwohl es sich um einen Landeskongreß handelte, befanden sich nur ein paar Brüder des Ibo-Stammes aus Enugu unter den 97 201 Anwesenden. Natürlich freuten sie sich, mit so vielen Brüdern zusammenzusein und die 3 425 Täuflinge willkommen zu heißen. Da die Brüder überall für ihre Neutralität bekannt waren, arbeiteten die Truppen der Bundesregierung gut mit den Kongreßdelegierten zusammen. Die Truppen ließen nicht nur die Fahrzeuge durchfahren, sondern wiesen auch die Soldaten, die die Straßensperren besetzten, schriftlich an, die Kongreßdelegierten „höflich zu behandeln und ihnen, falls erforderlich, zu helfen“.

HILFSSENDUNGEN

Brüder auf den Britischen Inseln und Irland verschickten Hilfssendungen nach Nigeria, wobei sie von den Einrichtungen des Internationalen Roten Kreuzes und anderer freiwilliger Hilfswerke Gebrauch machten die sich daran beteiligten, Hilfsmittel für Kriegsopfer ins Land zu fliegen. Auch die Zentrale der Gesellschaft in New York und das Zweigbüro in London machten Schenkungen im Gesamtwert von 24 000 US-Dollar. Während der ganzen Krisenzeit und auch danach verschickte das Zweigbüro in Lagos ungefähr 36 t Nahrung, Kleidung und andere Güter.

Nachdem Bruder Mills von einer Reise zurückgekehrt war, auf der er Hilfsgüter und geistige Speise überbracht hatte, berichtete er seine Erlebnisse in Lagos. Daraufhin meldeten sich viele Glieder der Bethelfamilie freiwillig, ähnliche Reisen zu unternehmen, um die Brüder in Flüchtlingslagern in Gebieten, die durch den Bürgerkrieg zerstört worden waren, zu besuchen. Die Gesellschaft sandte Asuquo Akpabio in einem Flugzeug des Roten Kreuzes mit Hilfsgütern nach Calabar. Gerald Bogard unternahm einen ähnlichen Flug nach Port Harcourt. Wendell Jensen, ein Amerikaner, war mit seiner Frau Lois nach dem Besuch der Gileadschule 1966 nach Nigeria gekommen. Es gelang ihm, mit Nahrungsmitteln, Medikamenten, Kleidung und Literatur nach Port Harcourt zu fahren, doch wurde er von Soldaten aufgehalten und einem strengen Verhör unterzogen. Schließlich war es ihm möglich, den Brüdern in Port Harcourt und Aba die Hilfsgüter zukommen zu lassen.

Gösta Andersson, ein neu angekommener Missionar, brachte mit einem Flugzeug des Roten Kreuzes weitere wichtige Hilfsgüter nach Enugu. Nachdem er stundenlang zu Fuß unterwegs gewesen war, um die Brüder ausfindig zu machen, wobei er überall nervösen, bewaffneten Soldaten begegnete, gelang es ihm, die Hilfsgüter auszuliefern. Als er einmal haltmachte, um am Straßenrand einen Imbiß einzunehmen, stürzte ein Soldat auf ihn los und hielt sein Gewehr auf ihn gerichtet. Bruder Andersson berichtet: „Ich erklärte, wer ich war, und zeigte ihm die Genehmigung der Militärbehörden. Er entfernte sich zögernd und beobachtete mich mißtrauisch, während ich meine Sachen nahm und eilends fortging, wobei ich versuchte, meine Angst zu verbergen.“ Bruder Andersson ermunterte die Verkündiger am Ort und fuhr mit einem geliehenen Fahrrad zu einem Dorf, wo die Brüder einen entgegen Kongreß vorbereitet hatten.

SIE ÜBERSTANDEN EINE SCHWERE PRÜFUNG

Plötzlich endete der Krieg am 15. Januar 1970 zur Überraschung beider Seiten. Als Jehovas Zeugen aus dem Untergrund hervorkamen und sich wieder frei mit ihren Brüdern versammelten, berichteten sie von einzigartigen Erlebnissen, die den Schutz der Engel erkennen ließen, und erzählten, wie sie durch den Gebrauch des Namens Jehovas und das Vertrauen auf ihn bewahrt wurden (Spr. 18:10). Sie schilderten die schrecklichen Folgen der Luftangriffe und beschrieben die Greuel des anhaltenden Hungers sowie die entsetzliche Kwaschiorkor-Krankheit, die laut Berichten den Tod von mindestens einer Million Biafranern verursachte. Die Brüder berichteten über die schwere Mißhandlung und Verfolgung, die sie als Zeugen Jehovas zufolge von Rekrutierungsaktionen erlitten hatten.

Fast alle Königreichssäle in den vom Krieg verwüsteten Gebieten waren geplündert worden. Ungefähr 50 hatte man abgerissen, und weitere 50 waren bei Luftangriffen und Bodenkämpfen schwer beschädigt worden. Doch die Lauterkeit der Brüder war dabei unversehrt geblieben, und ihr Glaube war gestärkt worden. Ein Kreisaufseher bemerkte treffend: „Sie bewiesen ..., daß sie aus feuerfestem Material bestanden.“ Samuel Onyedire, der seit 1954 treu im Vollzeitdienst steht erklärte: „Es bereitet Freude, darüber nachzudenken, wie Jehova seine Diener während der turbulenten Kriegszeit gestützt hat. Er stärkte unseren Glauben und flößte uns Mut ein. Wir danken den Brüdern überall auf der Welt, deren (Gebete für uns so wunderbar beantwortet wurden.“

RELIGIÖSE FÜHRER MISCHTEN SICH IN DEN KRIEG EIN

Die Geistlichkeit der Christenheit hatte ganz anders gehandelt. Es verhielt sich genau so, wie der Kolumnist Akin Elegbe in der Morning Post vom 10. Mai 1971 schrieb: „Während der schweren Krise goß die Kirche zur Enttäuschung aller ... tüchtig Öl in ein Feuer, das Nigeria ... nahezu zerstörte.“

Geistliche beider Seiten nannten den Krieg „Gottes Krieg“. Auf der einen Seite wurde der Militärherrscher von einem protestantischen Bischof als „Messias Schwarzafrikas“ begrüßt und von einem Geistlichen angespornt, wie Moses und Josua zu wirken. Ein anderer Geistlicher sagte, der Krieg gegen die Rebellion werde „durch die Heilige Schrift und den Koran gestützt“. Muslimische Führer pflichteten dem bei, indem sie erklärten: „Der Krieg ist notwendig für den Frieden.“ Auf der gegnerischen Seite begrüßten protestantische und katholische Bischöfe ihren Militärherrscher als „unseren Moses“ und baten um Hilfe für „unsere Soldaten und unsere Miliz an der Front nicht nur durch unsere Gebete, sondern auch durch jede moralische und materielle Unterstützung“. Die Kirchen steuerten zur Kriegsausrüstung bei und beteten auf beiden Seiten zu demselben Gott um den Sieg. Religiöse Führer in anderen Ländern ergriffen in dem Konflikt ebenfalls Partei, wodurch sie große religiöse Verwirrung stifteten.

Kein Wunder, daß ein nigerianischer Gouverneur sagte, die „Krise in Nigeria hätte abgewendet werden können, wenn die Kirchen und andere christliche Organisationen ihre Aufgaben erfüllt hätten“. Von offizieller Seite protestierte man sogar beim Vatikan gegen die Kirche, die gemäß einem Autor „in dem Versuch, Nigeria zu teilen, keine Mühe scheute“.

Sogar die Geistlichkeit äußerte sich selbstkritisch. Pastor K. O. Balogun von der christlichen Synode in Ibadan, der die Rolle der Kirchen im Krieg öffentlich verurteilte, erklärte zum Beispiel: „Diejenigen, die sich selbst Boten Gottes nannten, haben versagt. ... Wir, die wir uns Diener Gottes nennen, sind Diener Satans geworden.“

Verständlicherweise verloren viele Menschen auf beiden Seiten das Vertrauen zur Geistlichkeit. Die Niederlagen im Krieg und das unermeßliche Leid sowie die Not zwangen sie auch, ihre Einstellung gegenüber Jehovas Zeugen zu überdenken. Während solch einer schwierigen und verworrenen Zeit waren Jehovas Zeugen die einzigen, die sie mit einer Botschaft echter Hoffnung getröstet hatten. Nur Jehovas Zeugen hatten mutig eine neutrale Haltung bewahrt. Kein Wunder, daß gegen Ende des Krieges viele aufrichtige Personen begannen, die Wahrheit anzunehmen. Die Brüder berichteten später: „Sogar die Soldaten winkten uns, herzukommen und ihnen zu predigen. Es erfrischte sie, die Botschaft von Gottes Königreich zu hören.“

VERFOLGER WERDEN BRÜDER

Ein Offizier, der erfolglos versucht hatte, die Brüder zum Kriegsdienst zu zwingen — was ihm bei anderen religiösen Menschen mit Leichtigkeit gelungen war —, besuchte Jehovas Zeugen nach dem Krieg, um herauszufinden, wie er einer von ihnen werden könne. Die Lauterkeit und Neutralität der Brüder hatten ihn überzeugt. „Ich habe die wahre Religion gefunden“, sagte er. Er war nur eine der vielen Militärpersonen, die aus dem Beispiel der Standhaftigkeit des Volkes Jehovas Nutzen zogen.

In einem biafranischen Rekrutierungslager weigerte sich ein junger Bruder, sich zur militärischen Ausbildung einschreiben zu lassen, obwohl er schwer geschlagen wurde. Er wurde vor ein Exekutionskommando gebracht, an einen Pfosten gebunden und davon unterrichtet, daß er erschossen werde, nachdem man bis vier gezählt habe. Der Offizier machte nach jeder Zahl eine Pause, um dem Bruder Gelegenheit zu geben, seine Meinung zu ändern. Er weigerte sich immer noch. Nachdem man bis vier gezählt hatte, wurde er hingerichtet. Unter den Anwesenden befand sich jedoch ein junger Soldat, der angesichts dieses Beispiels des Glaubens und der Lauterkeit, von dem er gerade ein Augenzeuge geworden war, bewogen wurde, seine eigene Haltung zu überprüfen. Er war als Presbyterianer erzogen worden und meinte, alle würden denselben Gott anbeten. Nun stellte er fest, daß Jehovas Zeugen anders waren. Sobald der Krieg zu Ende war, begann er, die Zusammenkünfte der Ortsversammlung zu besuchen, und wurde ein Zeuge Jehovas.

Viele dieser Personen dienen heute als Pioniere. Einige sind sogar Kreisaufseher geworden oder haben im Bethel gedient. Somit behinderten diese prüfungsreichen Jahre den Fortschritt der Zeugen Jehovas nicht. Statt dessen gab es eine unglaubliche Mehrung, wobei die Durchschnittszahl der Verkündiger von 37 392 im Jahre 1965 auf 62 641 im Jahre 1970 anstieg. Während dieser fünf Jahre wurden 24 486 neue Jünger getauft, verglichen mit 12 230 Täuflingen während der vorangegangenen fünf Jahre. Ja, Jehova hatte das treue Ausharren seiner Zeugen wirklich gesegnet.

NACH DEM KRIEG—REORGANISIERUNG

Sobald der Krieg zu Ende war, traf das Zweigbüro schnell Vorkehrungen, um die Produktion von Literatur in Igbo und Efik, die vorübergehend eingestellt worden war, wiederaufzunehmen. Kreis- und Bezirksaufseher besuchten besondere Schulungskurse in Lagos. Nach der Schulung kehrten diejenigen, die aus dem Iboland gekommen waren, dorthin zurück, um den 304 reorganisierten Versammlungen und alleinstehenden Gruppen zu helfen.

In der Zwischenzeit unternahm man Schritte, um die Brüder in den durch den Krieg verwüsteten Gebieten zu ermuntern und wieder in die Organisation einzugliedern. Am 8. März brachen der Zweigaufseher und andere vom Zweigbüro mit 11 Tonnen dringend benötigter biblischer Literatur, Kleidung und Nahrungsmittel zu einer neuntägigen Fahrt in den Osten auf. Ihr Besuch trug sehr zur geistigen Ermunterung der Brüder bei.

ERSTER INTERNATIONALER KONGRESS

Als es wieder möglich war, in allen Teilen des Landes ungehindert zu reisen, war die Zeit reif, alle Brüder zu einem großen Kongreß zusammenzubringen. Diese Gelegenheit bot sich beim internationalen Kongreß „Menschen guten Willens“ in Lagos im Dezember 1970. Der Kongreß erwies sich als eines der großartigsten Ereignisse in der Geschichte der Zeugen Jehovas in diesem Land.

Für 100 000 Zeugen Jehovas aus ganz Nigeria Unterkünfte zu finden stellte ein fast unüberwindliches Problem dar. Doch die Brüder durchkämmten die Stadt und die Vororte und baten die Leute, während des Kongresses Besucher aufzunehmen. Königreichssäle wurden in Schlafsäle umfunktioniert. Leere Gebäude, Fabriken, Schulen und Garagen wurden ausfindig gemacht und benutzt. Als die Menschenmengen in die Stadt strömten, schlief jeder irgendwie irgendwo.

Delegierte aus 15 Ländern waren anwesend. Unter ihnen befanden sich N. H. Knorr, F. W. Franz, M. G. Henschel sowie Wilfred und Gwen Gooch. Für die ausländischen Besucher Unterkünfte vorzubereiten bedeutete, fast jedes Hotelzimmer in der Stadt reservieren zu lassen. Als der Vertreter einer großen internationalen Luftfahrtgesellschaft erfuhr, daß seine Firma einige Vertreter nach Lagos senden wollte, schickte er folgende Nachricht zurück: „Keine Unterkünfte! Alle Hotelzimmer von Zeugen Jehovas belegt.“ „Können Sie sie nicht bei Ihnen zu Hause unterbringen?“ war die Erwiderung. „Bei mir übernachten sechs Zeugen Jehovas“, lautete die Antwort.

Um die benötigten Anlagen für den Kongreß bereitzustellen, errichtete man eine Stadt aus Bambus — 17 Bereiche mit Sitzgelegenheiten, Bühnen, Schlafsälen, Cafeterias und anderen Abteilungen. Das Programm wurde dort in 17 Sprachen gleichzeitig dargeboten. Am letzten Tag waren beim öffentlichen Vortrag 121 128 anwesend. Es war wirklich eindrucksvoll! Die Taufe war ein mammuthaftes Ereignis — 3 775 neue Zeugen Jehovas wurden im Wasser untergetaucht, jede Minute 20 Personen.

Die Brüder und Schwestern des Ibo-Stammes wurden mit liebevollen Umarmungen und Freudentränen herzlich begrüßt. Vielen von ihnen war durch Beiträge von Brüdern aus ganz Nigeria und Übersee geholfen worden, zum Kongreß zu kommen. Sie weinten vor Freude, als sie die erfrischenden Wasser der Wahrheit in sich aufnahmen und die erbauende Gemeinschaft genossen, die man ihnen über zwei Jahre lang versagt hatte. Nach dem Kongreß reisten einige ausländische Delegierte mit dem Bus ins Iboland, um mit eigenen Augen das Gebiet zu sehen, das vom Bürgerkrieg am schlimmsten betroffen war. In einer Stadt nach der anderen gab es eine große Sensation, als die Brüder am Ort die Mitglieder der Reisegruppe begrüßten und umarmten. Menschen rannten auf die Straße, um sich das anzusehen. Solch eine Demonstration der Liebe und Einheit zwischen Schwarzen und Weißen hatten sie noch nie zuvor gesehen.

EINE GROSSE VOLKSMENGE VON KÖNIGREICHSVERKÜNDIGERN

Seit Claude Brown zum erstenmal im Jahre 1921 die gute Botschaft in Nigeria predigte, hat die Wahrheit dort während der Jahrzehnte einen wirklich herzerfreuenden Widerhall gefunden. Nach 25 Jahren beteiligten sich 1946 3 542 am Königreichswerk. Im Jahre 1971 war diese Zahl auf 75 372 Königreichsverkündiger angewachsen. 1976 beteiligten sich durchschnittlich 107 924 an dieser Tätigkeit. Doch dann setzte eine Periode des Rückgangs ein, und die Durchschnittszahl fiel auf 91 217 ab, da diejenigen, die nicht aus feuerbeständigem Material gebaut waren, durch Glaubensprüfungen ausgesondert wurden (1. Kor. 3:11-13). In der Nachkriegszeit wurden einige durch das materialistische Streben des Stadtlebens fortgerissen, andere durch Unsittlichkeit. Aber die große Mehrheit blieb fest im Glauben. Im April 1985 erreichte man eine neue Höchstzahl von 121 729 Verkündigern.

Zu diesen gehört eine wachsende Gruppe eifriger Pioniere. Die Zahl der allgemeinen Pioniere und der Sonderpioniere ist von 2 956 im Jahre 1980 auf 4 556 im April 1985 angewachsen. Während dieser Jahre stieg die Höchstzahl derer, die sich um den Hilfspionierdienst bewarben, von 2 411 auf 15 096.

Manche dienen seit der Zeit vor 1940 als treue Vollzeitdiener Jehovas. Andere stehen schon mehr als 30 Jahre in diesem Dienst. James Namikpoh, der erste Nigerianer, der sich an der Verkündigung der guten Botschaft beteiligte, war 52 Jahre lang im Dienst Jehovas tätig. 46 Jahre stand er im Pionierdienst, bis er im Alter von 84 Jahren starb. M. J. Orode fehlte zwar ein Bein, doch führte er den Pionierdienst 32 Jahre freudig durch, bevor er 1983 starb. Viele weitere dieser Treuen dienen immer noch entweder im Zweigbüro oder außerhalb.

Während der Jahrzehnte, in denen dieses erstaunliche Wachstum in Nigeria vor sich gegangen ist, sind auch die Königreichsinteressen in den Nachbarländern unter der Leitung des nigerianischen Zweigbüros gefördert worden. Obgleich es aus Platzgründen nicht möglich ist, an dieser Stelle über Einzelheiten zu berichten, hat jedes dieser Länder seine eigene herzerfreuende Geschichte über die kleinen Anfänge, die Treue unter Verfolgung und die ernsten Bemühungen der opferbereiten Verkündiger, die gute Botschaft mit anderen zu teilen. Sierra Leone und Ghana haben heute ihre eigenen Zweigbüros. In anderen Nachbarländern setzen unsere Brüder ihren Dienst unter Einschränkungen der Regierung fort, was manchmal zur Folge hat, daß sie eingesperrt und grausam mißhandelt werden. Aber loyale Diener Jehovas lassen weiterhin deutlich erkennen, daß das Tun des Willens Jehovas ihr Hauptinteresse im Leben ist, und ihre Zahl wächst ständig.

KONGRESSE, UM FÜR DIE WACHSENDE MENGE ZU SORGEN

Anstatt wie im Jahre 1970 weiterhin große Kongresse an einem Ort abzuhalten, schien es danach vorteilhafter zu sein, für eine Anzahl Kongresse an günstigen Orten im ganzen Land Vorkehrungen zu treffen. Die Zahl der Kongresse war von Jahr zu Jahr unterschiedlich. 1984 fanden 45 Kongresse statt, bei denen Vorträge in 22 Sprachen abgehalten wurden und insgesamt 287 894 Personen anwesend waren.

Um für diese wachsende Menge zu sorgen, hat man an vielen Orten feste Kongreßstätten errichtet. Die Besonderheit einiger dieser Kongreßstätten ist ein großes überdachtes Gelände mit Sitzplätzen, das nach allen Seiten hin offen ist, was eine ungehinderte Luftzufuhr ermöglicht. Einige haben die Form eines abgewandelten Amphitheaters. Zu mehreren Kongreßanlagen gehören ein Taufbecken und große Schlafsäle zur Unterbringung der Delegierten. Die Brüder haben die Arbeiten selbst durchgeführt und Anlagen errichtet, die ihren Bedürfnissen in diesem tropischen Klima genau entsprechen.

ERWEITERUNG DES ZWEIGBÜROS

Schon im Jahre 1972 wirkten sich die neuen theokratischen Einrichtungen günstig auf die Leitung des Werkes im Zweigbüro aus. 1976 ernannte die leitende Körperschaft ebenso wie in anderen Ländern der Erde ein Komitee, bestehend aus reifen Brüdern, dessen Aufgabe es ist, das Königreichswerk zu beaufsichtigen. Seit der Gründung des Zweigbüros in Nigeria haben sich verschiedene Brüder die Aufgaben in Verbindung mit der Aufsicht geteilt. Alle haben wertvolle Beiträge geleistet und sind von den Brüdern geschätzt worden. Don Ward, der in Dahomey (heute Benin) diente, wurde wieder nach Nigeria zugeteilt, um die Arbeiten am Erweiterungsbau des Zweigbüros zu leiten. 1972 wurde er zum Zweigaufseher ernannt. Er wurde der erste Koordinator des Zweigkomitees, mußte aber wegen Krankheit in die Vereinigten Staaten zurückkehren und starb 1983 nach 41 Jahren treuen Dienstes. Gegenwärtig setzt sich das Zweigkomitee aus Malcolm Vigo und den Brüdern Andersson, Olih, Olugbebi, Prosser und Trost zusammen.

Das Bethelheim, die Büros und die Druckerei sind im Verlauf der Jahre ebenfalls mehrmals erweitert worden. Im Jahre 1948 druckte man auf einer kleinen Tiegeldruckpresse im Erdgeschoß des Hauses von Schwester Green in der Campbell Street in Lagos. Das Büro und das Literaturlager befanden sich an verschiedenen Stellen, und die Bethelfamilie war an drei anderen Orten untergebracht. Zur Zeit haben wir ein schönes Zweigbüro, das jedoch bereits zu klein ist.

Als dieser Bericht geschrieben wurde, war gerade ein völlig neuer Gebäudekomplex auf 55,5 Hektar Land in Igieduma im Bau. 1984 erstellte man eine Baracke für die Bauarbeiter. Die leitende Körperschaft beschloß, die Fabrik aus Fertigteilen zu bauen, und die Baumaterialien wurden aus den Vereinigten Staaten geliefert. Die neue fertige Fabrik wird eine Fläche von 80 × 120 m haben. Ein geräumiges Bürogebäude, vier miteinander verbundene Wohngebäude und andere wichtige Anlagen werden noch erstellt. Die Einfuhrgenehmigungen zu erhalten war wirklich ein Akt des Glaubens. Daß an der Baustelle alles in gutem Zustand ankam, ist ein Beweis des Segens Jehovas. Den einheimischen Brüdern haben sich geschickte Zeugen Jehovas aus dem Ausland angeschlossen, die mit ihnen zusammenarbeiten, um das Projekt erfolgreich zu vollenden.

Das Königreichswerk in diesem Land hat eine lange Geschichte hinter sich. Die Brüder haben feurige Glaubensprüfungen durchgemacht. Sie bilden eine starke theokratische Organisation. Vor über 60 Jahren gab es nur einen Verkündiger der guten Botschaft in Nigeria. Dieser „Kleine“ ist nicht nur zu einem Tausend, sondern heute zu weit über 120 000 geworden. Diese freuen sich, ein Teil der geeinten weltweiten Organisation zu sein, die heute die Verwirklichung der großartigen Verheißung Jehovas erlebt: „Der Kleine selbst wird zu einem Tausend werden und der Geringe zu einer mächtigen Nation. Ich selbst, Jehova, werde es beschleunigen zu seiner eigenen Zeit“ (Jes. 60:22).

[Karte auf Seite 191]

(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)

NIGERIA

KANO

ZARIA

KADUNA

Niger

Benue

Okpara

LAGOS

OYO

ILESHA

IBADAN

BENIN CITY

IGIEDUMA

ENUGU

ASABA

SAPELE

WARRI

ABA

FORCADOS

CALABAR

PORT HARCOURT

NIGER

BENIN

GOLF VON GUINEA

KAMERUN

TSCHAD

Tschadsee

[Karte auf Seite 234]

(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)

Mehr als 250 Sprachen werden in Nigeria gesprochen. Gebiete, in denen einige wichtige Sprachen vorherrschen, sind gekennzeichnet.

NIGERIA

Yoruba

Igbo

Efik

[Bild auf Seite 193]

James Namikpoh — er war der erste nigerianische Zeuge und stand bis zu seinem Tod im Alter von 84 Jahren im Pionierdienst

[Bild auf Seite 199]

„Bibel-Brown“ und seine Frau waren 27 Jahre lang in Westafrika tätig

[Bilder auf Seite 200]

Helme mit Slogans und Megaphone gehörten zu den Mitteln, mit denen man die Königreichsbotschaft bekanntmachte

[Bilder auf Seite 209]

Ernest Moreton (der gerne nigerianische Kleidung trug) und Anthony Attwood zählten zu den ersten Missionaren, die nach Nigeria gesandt wurden

[Bild auf Seite 216]

Asuquo Akpabio, einer der ersten Nigerianer, die die Gileadschule absolvierten, mit seiner Frau Christiane

[Bilder auf Seite 223]

Einblick in das Leben in Nigeria

[Bild auf Seite 231]

Woodworth und Oris Mills, Gileadabsolventen, die seit fast 30 Jahren in Nigeria dienen

[Bilder auf Seite 247]

Kongresse auf nigerianische Art

[Bild auf Seite 249]

Eine der festen Kongreßstätten, die von nigerianischen Zeugen errichtet wurden

[Bild auf Seite 250]

Gegenwärtiges Zweigkomitee (vordere Reihe, von links): Albert Olugbebi, Malcolm Vigo, Albert Olih; (hintere Reihe) Carlos Prosser, Gösta Andersson, Donald Trost

[Bild auf Seite 252]

Das gegenwärtige Zweigbüro ist zu klein geworden; in Igieduma wird zur Zeit ein neues gebaut