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Polen

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Polen

ES IST ein Land mit saftgrünen Ebenen und mit schnell wachsenden Städten. Im Osten grenzt es an die Gemeinschaft unabhängiger Staaten, im Süden an die Slowakei und an die Tschechische Republik, im Westen an Deutschland und im Nordwesten an die Ostsee. Es ist die Heimat von über 38 Millionen Menschen. Die Rede ist von Polen.

Wer jedoch Musik liebt, der denkt bei dem Namen Polen wahrscheinlich an etwas anderes — an den Komponisten Frédéric Chopin zum Beispiel oder an die beiden Pianisten Ignacy Jan Paderewski und Arthur Rubinstein. Wissenschaftlern kommt in den Sinn, daß Polen das Geburtsland von Nikolaus Kopernikus ist, der die Theorie aufstellte, daß die Erde um die Sonne kreist und sich gleichzeitig täglich um die eigene Achse dreht. Auch Marie (Marya) Curie (geb. Skłodowska), die an der Entdeckung des Radiums beteiligt war, wurde in Polen, und zwar in Warschau, geboren.

Andererseits ist die Geschichte Polens zeitweise von großem Leid geprägt. Obwohl es einst ein Reich war, das sich von der Ostsee bis hinunter zum Schwarzen Meer erstreckte, verschwand es für ein Jahrhundert regelrecht von der Landkarte. Nach dem Ersten Weltkrieg existierte Polen für kurze Zeit in Form einer Republik, wurde dann aber wieder aufgeteilt und kam im Zweiten Weltkrieg unter Fremdherrschaft. Das polnische Volk war gerade dabei, die Trümmer jenes Krieges zu beseitigen, als Polen wie auch andere mittel- und osteuropäische Länder durch den Eisernen Vorhang vom Rest der Welt abgeschnitten wurden. Im Laufe der letzten Jahre ist diese Mauer jedoch zerbröckelt.

Im Jahre 1985 hörten Jehovas Zeugen überall auf der Erde Berichte von großen internationalen Kongressen ihrer christlichen Brüder in Polen. Später freute man sich, zu erfahren, daß 1991 die Zahl der Zeugen in Polen auf über 100 000 angestiegen war und daß doppelt so viele bei der Gedächtnismahlfeier zugegen waren. Doch wie war das möglich? Schließlich war das Werk der Zeugen in Polen seit 1950, als es nur 18 116 von ihnen gab, verboten gewesen.

Denken wir an die Worte, die der Prophet Jesaja niederschrieb: „Welche Waffe es auch immer sei, die gegen dich gebildet sein wird, sie wird keinen Erfolg haben ... Das ist der Erbbesitz der Knechte Jehovas“ (Jes. 54:17).

Wie die Bibel nach Polen gelangte

Seit 966 u. Z., als Herzog Mieszko I. nach dem Ritus der katholischen Kirche getauft wurde, gilt Polen als „christliches Land“. Es fanden auch Massentaufen seiner Untertanen statt, was natürlich nicht bedeutete, daß sie mit einem Mal gute Christen waren. In Wirklichkeit pflegte man noch jahrhundertelang das heidnische slawische Brauchtum mit seinem Aberglauben. Einige tun das heute noch.

Noch Jahrhunderte, nachdem das Land katholisch geworden war, stand der polnischen Bevölkerung keine Bibel zur Verfügung, ja nicht einmal den Geistlichen. Der Psałterz floriański (Psalter von St. Florian) aus dem 14. Jahrhundert und die Biblia królowej Zofii (Sophienbibel) aus dem späten 15. Jahrhundert sind die ältesten polnischen Übersetzungen, die erhalten geblieben sind. Von diesen Bibeln gab es allerdings jeweils nur ein Exemplar, und nur wenigen Auserwählten waren sie zugänglich. Im 16. Jahrhundert änderten sich in vielen europäischen Ländern, Polen eingeschlossen, religiöse Anschauungen drastisch. Die katholische Glaubenslehre wurde angegriffen. Zunehmend galt die Heilige Schrift als alleinige Richtschnur. Aus diesem Grund sorgten Übersetzer dafür, daß Bibeln in immer mehr Landessprachen zur Verfügung standen, so daß die Allgemeinheit Gottes Wort lesen konnte.

In einer polnischen Übersetzung des „Neuen Testaments“, die 1574 erschien, wurde an mehreren Stellen der Name des Schöpfers, Jehowa (Jehova), gebraucht. Sie wurde von Szymon Budny herausgegeben, der einem kleinen Kreis von Personen angehörte, die darauf bedacht waren, an Gottes Wort festzuhalten, und die sich ganz einfach Christen oder Brüder nannten. Später nannten sie sich Polnische Brüder. Das Gelernte bewog sie, die Dreieinigkeitslehre zu verwerfen.

Im Jahre 1658 verfügte der Sejm, die polnische Volksvertretung, unter Androhung der Todesstrafe, daß die Polnischen Brüder innerhalb von drei Jahren — später verkürzte man die Zeit auf zwei Jahre — sich entweder zum Katholizismus bekennen oder das Land verlassen mußten. Wie konnte es dazu kommen?

In Polen war eine deutliche Veränderung vor sich gegangen. Jahrelang war das Land für seine religiöse Toleranz bekannt gewesen. Menschen, die in anderen Ländern wegen ihrer Religion verfolgt wurden, hatten in Polen Zuflucht gesucht. Der Eid, der polnischen Königen von 1573 an abgenommen wurde, enthielt folgende Zusicherung: „Ich ... verspreche und schwöre feierlich bei dem allmächtigen Gott, daß ... ich den Frieden und die Ruhe unter den Anhängern verschiedener Religionen schützen und bewahren werde und ... nicht zulassen werde, daß jemand wegen seiner Religion beeinflußt oder unterdrückt wird.“ Auch Johann II. Kasimir Wasa, unter dessen Herrschaft die Polnischen Brüder vertrieben wurden, hatte diesen Eid geleistet. Doch zweifellos hatte seine Ausbildung zum Jesuitenpriester, die seiner Thronbesteigung vorausging, seine Einstellung zur Religionsfreiheit beeinflußt.

Die Jesuiten wurden 1564 in Polen aktiv, etwa 84 Jahre bevor Johann Kasimir König wurde. Schlau wie sie waren, versuchten sie, Einfluß auf den Königshof zu nehmen. Gleichzeitig bemühten sie sich, die Schulen unter ihre Kontrolle zu bringen, um so das Denken des Volkes zu formen. Die zugesicherte Religionsfreiheit wurde nach und nach unterminiert. Wer die von Jesuiten geleiteten Schulen besuchte, war mit dem Geist religiöser Intoleranz erfüllt, was durch brutale Überfälle auf Andersgläubige sowie auf deren Häuser und Anbetungsstätten zum Ausdruck kam. Die Bibel galt mit der Zeit als verbotenes Buch. In jener Zeit verlor Polen einen Großteil seines Gebiets. Die angrenzenden Länder nahmen Polen einen Landstrich nach dem anderen ab, so daß es 1795 schließlich als unabhängiges Land von der Landkarte Europas verschwand.

Doch die Religionsfreiheit ist in Polen wieder gesetzlich garantiert. Heute ist Katholiken vom Gesetz her nicht mehr verboten, ihre Religion zu wechseln, wie das unter der polnischen Verfassung von 1791 der Fall war. Was das Jahr 1993 anbetrifft, heißt es in der Verfassung: „Die Republik Polen garantiert ihren Bürgern Glaubens- und Gewissensfreiheit.“ Immer mehr Polen nutzen diese Glaubensfreiheit und suchen in der Bibel Anleitung für ihr Leben. Die katholische Kirche sah sich gezwungen, ihre Taktik aufzugeben und die Menschen nicht mehr von Gottes geschriebenem Wort fernzuhalten. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden mehrere gute polnische Bibelübersetzungen herausgegeben, von denen Jehovas Zeugen reichlich Gebrauch machen. Wenn die Zeugen mit anderen über die gute Botschaft von Gottes Königreich sprechen, möchten viele unbedingt prüfen, ‘ob sich diese Dinge so verhalten’, genau wie die edel gesinnten Menschen, von denen in Apostelgeschichte 17:11 die Rede ist.

Das Licht der Wahrheit erreicht Auswanderer

Während Polen unter Fremdherrschaft stand, hatte es das Volk zeitweise sehr schwer. Viele Polen gingen mehr oder weniger aus freien Stücken ins Ausland, eine Reihe von ihnen in die Vereinigten Staaten. Die Religion ihrer Eltern, die ihnen zu Hause und in der Kirche beigebracht worden war, war der Katholizismus. Eine beträchtliche Anzahl der Auswanderer war bemüht, sich ihre nationale Identität durch das Praktizieren ihres Glaubens zu bewahren. Daher ist für viele „polnisch“ gleichbedeutend mit „katholisch“.

Einige begannen jedoch, nun, wo sie ihre gewohnte Umgebung verlassen hatten, ihre Denkweise zu ändern. Beispielsweise schrieb C. Antoszewski (der damals in Chicago lebte) 1891 in einem Brief an die Watch Tower Society, daß er nach der Wahrheit gesucht hatte, obwohl er im russischen Gebiet des geteilten Polen aufgewachsen war und katholische Eltern hatte. Als er in den Besitz einiger Veröffentlichungen der Watch Tower Society gelangte, kam er zu der Überzeugung, daß er das gefunden hatte, was er suchte. Fast jeden Abend übersetzte er etwas aus den Büchern für einen anderen Polen, der ebenfalls nach der biblischen Wahrheit hungerte. Wie Jesus geboten hatte, versteckten sie dieses geistige Licht nicht unter einem Maßgefäß. Sie suchten gemeinsam polnische Familien auf, um ihnen von der guten Botschaft zu erzählen (Mat. 5:3, 14-16).

Es gab auch polnische Auswanderer, die die kostbare biblische Wahrheit nicht nur bereitwillig annahmen, sondern auch ihren Angehörigen und Freunden in der alten Heimat davon berichteten. Einige kehrten in ihr Geburtsland zurück, um dort die Botschaft von der Gegenwart Christi bekanntzumachen. Zion’s Watch Tower vom 15. Juni 1895 berichtete unter der Überschrift „Fortschritt des Werkes im Ausland“: „Bruder Oleszynski, ein Pole, der vor ungefähr drei Jahren die Wahrheit mit gutem und ehrlichem Herzen aufgenommen hat, ist in sein Heimatland gereist, um Geweihten das großartige Evangelium über das Lösegeld, die Wiederherstellung und die Berufung nach oben zu verkünden.“

Anfangs mußten sie sich der Literatur bedienen, die in Englisch und Deutsch verfügbar war. 1909 aber wurde es wesentlich einfacher, Polen die biblische Wahrheit zu vermitteln, da die Watch Tower Society Traktate in Polnisch zur kostenlosen Verbreitung herausgab. Im gleichen Jahr erschien eine gekürzte Fassung der Schriftstudien in Polnisch. Und ab 1915 wurde Der Wachtturm jeden Monat in Polnisch gedruckt.

Samen der Wahrheit gehen auf

Im Herbst 1905 übernahm ein Schweizer namens Bente — ein Bibelforscher — als neuer Direktor die Leitung eines Warschauer Betriebs zur Herstellung von Spitzen. Zwar brauchte er einen Übersetzer, um sich mit den Arbeitern unterhalten zu können, doch er gewann ihr Vertrauen. Und so trafen sich bei ihm zu Hause Menschen, die etwas über die echte christliche Bruderschaft lernen wollten. Bald fanden regelmäßig Gespräche statt, in denen über das aktuelle Zeitgeschehen im Lichte des Wortes Gottes und mit Hilfe von biblischer Literatur gesprochen wurde.

Um jene Zeit gab es in Rußland viele Unruhen, und es hagelte Proteste. Das polnische Gebiet, das unter der Herrschaft Rußlands stand, war auch davon betroffen. In einem Erlaß des russischen Zaren aus dem Jahre 1906 wurde jedoch allen Religionsgemeinschaften das Recht zugesichert, ihren Glauben in Frieden zu praktizieren.

Das Licht der biblischen Wahrheit durchdrang die Finsternis allerdings nur schwach, und kaum einer beachtete es, bis auf nahe Verwandte und Bekannte derer, die sich bereits für die Bibel interessierten. Dennoch gelangte das Licht über Warschau hinaus, und in anderen Städten bildeten sich kleine Gruppen Interessierter. Diese wurden mehrmals von Bruder H. Herkendell vom deutschen Büro der Gesellschaft in Barmen-Elberfeld besucht, das sie mit Literatur versorgte.

Erneuter Ansporn

Im Mai 1910 stattete Charles Taze Russell, der erste Präsident der Watch Tower Society, Warschau einen kurzen Besuch ab. Wie sehr sich doch die etwa 20 Personen freuten, die kamen, um ihm zuzuhören! Drei von ihnen waren so begeistert, daß sie sich für den Kolporteurdienst, wie der Pionierdienst damals genannt wurde, bewarben. Sie konnten eine Menge Literatur abgeben und fanden Menschen, die am kommenden Ende der „Zeiten der Nationen“ interessiert waren (Luk. 21:24). 1913 bildeten sich in Lodz und anderen Orten Gruppen von Personen, die für Gottes Wort Interesse zeigten.

In Warschau kam es allerdings in Verbindung mit dem Abhalten öffentlicher Zusammenkünfte zu Schwierigkeiten. Die russische Polizei achtete mißtrauisch auf alles, was auf Vorbereitungen für einen Aufstand hindeutete. Doch ein Militär, der sich seit kurzem für die Wahrheit interessierte, setzte sich für die Bibelforscher ein, und es wurde ein Erlaß herausgegeben, der den Bibelforschern die rechtliche Anerkennung gewährte. Als Polen nach dem Ersten Weltkrieg seine Unabhängigkeit wiedererlangte, diente der 1913 herausgegebene Erlaß des Generals, der Kommandant von Warschau war, als rechtliche Grundlage für die Tätigkeit der Brüder.

Eine Zeitlang lief für die Bibelforscher alles gut. Einige langjährige Kämpfer für die Wahrheit erinnern sich noch daran, daß ihre Eltern von Brüdern berichteten, die vor 1914 in der Warschauer Versammlung tätig waren. Dazu gehörten Bruder Kącki, Bruder Kokosiński, Bruder Barcikowski, Bruder Rudaś und Bruder Kremer. Bruder Dojczman und Schwester Maron dienten in anderen Gebieten.

Als 1914 der Krieg ausbrach und das Leben vor allem in den Städten sehr schwierig wurde, mußten einige Familien, die den Gruppen in Warschau und Lodz angehörten, weggehen. Dennoch kam die Tätigkeit der Bibelforscher nicht zum Stillstand. Einige wenige hielten in einer Wohnung in Warschau nach wie vor Zusammenkünfte ab. Im Laufe der Zeit fanden sie weitere Menschen, die sich dafür interessierten, wie die Bibel die Weltereignisse erklärt. Bolesław Uchman zum Beispiel ließ sich 1916 taufen, und er war dann für die Versammlung in Warschau über 50 Jahre eine Stütze. 1918 wurden bei den öffentlichen Vorträgen um die 50 Anwesende gezählt. Als der Krieg vorüber war und polnische Brüder aus Amerika zur Unterstützung kamen, erhielt das Werk großen Auftrieb.

Starke polnische Versammlungen in den Vereinigten Staaten

Damals waren die polnischen Gruppen unter den fremdsprachigen Bibelforschergruppen in den Vereinigten Staaten die größten und die eifrigsten.

Obwohl die Bibelforscher in den Vereinigten Staaten erbarmungslos verfolgt wurden — besonders in den Jahren 1918/19 —, unternahm die polnische Gruppe Schritte, um Jehova auf organisierte Weise dienen zu können. Anfang 1919 bildete die Gruppe eine rechtliche Körperschaft, die speziell für die polnischen Versammlungen zuständig war. Sie wurde in Detroit (Michigan) eingetragen. Ihr polnischer Name Strażnica — Towarzystwo Biblijne i Broszur bedeutet „Wachtturm-Bibel-und-Broschüren-Gesellschaft“. Ihr Zweck bestand nicht darin, mit der Mutterorganisation, der Watch Tower Bible and Tract Society, zu konkurrieren. Das Büro in Detroit galt lediglich als polnischer Zweig der Gesellschaft. Es sollte die Versammlungen mit der geistigen Speise der Organisation versorgen, die Brüder ermuntern, in einer schwierigen Zeit treu zu bleiben, und die Verkündigung der biblischen Wahrheit in Polen unterstützen.

Bereits 1920 veranlaßte diese Körperschaft, daß zehn reisende Beauftragte, Pilgerbrüder genannt, die polnischen Versammlungen besuchten. Sie hielten insgesamt 622 öffentliche Vorträge, die von 211 692 Personen besucht wurden. Die Zahl der polnischen Kolporteure betrug 36. Der polnische Wachtturm erschien regelmäßig halbmonatlich. Die Versammlungen konnten ihre Vorräte an Broschüren und an Bänden der Schriftstudien in Polnisch ergänzen. 1921 wurde ein neues Liederbuch, Pieśni brzasku Tysiąclecia (Millennium-Tagesanbruchshymnen), herausgebracht. Die Übersetzung der Broschüre Millionen jetzt lebender Menschen werden nie sterben! löste Begeisterung aus, und innerhalb eines Jahres wurden 45 545 Exemplare verbreitet. Außerdem erschien der siebte Band der Schriftstudien und etwas später das Buch Die Harfe Gottes.

Die polnischen Brüder hatten keinerlei Bedürfnis, von ihren englischsprechenden Brüdern unabhängig zu sein. So wählte zum Beispiel im Januar 1921 der Vorstand der Körperschaft von Detroit J. F. Rutherford, der damals Präsident der Muttergesellschaft war, zu ihrem Präsidenten. Später, im Juli, wurde auf der Hauptversammlung der Körperschaft beschlossen, sich mit der pennsylvanischen Körperschaft der Gesellschaft zusammenzuschließen. Von da an diente das Büro in Detroit ganz offensichtlich als Zweig der Watch Tower Society. Im Mai 1922 wurde dieses Zweigbüro nach Brooklyn verlegt, von wo aus die Gesellschaft ab Oktober 1919 von neuem das Werk leitete. Der polnische Wachtturm sowie Bücher und Broschüren wurden danach in Brooklyn herausgegeben.

Jehova segnete die polnischen Brüder wegen ihres Eifers und ihrer Achtung vor der Organisation, deren er sich bediente. Zum Beispiel wurde die Feier zum Gedenken an den Tod Christi in den Vereinigten Staaten an 65 Orten in Polnisch abgehalten, und insgesamt 2 942 Personen wohnten ihr bei. Ein Jahr später gingen aus 73 polnischen Versammlungen und Gruppen Berichte über Gedächtnismahlfeiern ein. Und 1923 hatte die polnische Versammlung in Chicago eine Besucherzahl von 675 — die vierthöchste Zahl in der Welt; nur in New York (906), in London (1 029) und in Los Angeles (850) waren die Anwesendenzahlen, jeweils auf eine bestimmte Sprache bezogen, höher.

Das hatte auch in Polen Auswirkungen. Mehr polnische Brüder als je zuvor besuchten ihre Angehörigen in der alten Heimat, erläuterten ihnen biblische Wahrheiten und blieben manchmal sogar dort, um Versammlungen zu gründen. Das wurde 1921 leichter, als Polen eine demokratische Verfassung annahm. Die römisch-katholische Kirche erhielt zwar eine privilegierte Stellung, doch es wurde allgemeine Gewissens- und Religionsfreiheit gewährleistet.

Man schickte immer mehr Wachtturm-Publikationen nach Polen. Im Hinblick auf eine Förderung des dortigen Werkes wurden 1919 Pläne bekanntgegeben, in Warschau ein Zweigbüro zu eröffnen. Das Büro nahm 1921 seine Tätigkeit auf.

Falsche Brüder wollen den Glauben untergraben

Im Ersten Weltkrieg waren die Brüder im russischen Teilungsgebiet Polens von der Außenwelt abgeschnitten. Beispielsweise erfuhr die Versammlung in Warschau erst 1919 vom Tod Bruder Russells, über zwei Jahre nachdem er gestorben war — und auch dann nur über private Verbindungswege. Beunruhigende Gerüchte über Spaltungen unter den Brüdern in Amerika gelangten nach Polen und verursachten Probleme. Hinzu kam, daß ein Beauftragter einer gegnerischen Gruppe von den Vereinigten Staaten nach Warschau reiste, um die dortige Gruppe negativ zu beeinflussen. Dadurch, daß die Gegner die meisten Brüder auf ihre Seite zogen, brachten sie die rechtliche Körperschaft, deren sich die Brüder in Polen damals bedienten, unter ihre Kontrolle. Das führte unter anderem dazu, daß die Brüder in Warschau ihre Versammlungsstätte verloren.

Glücklicherweise sorgten treue polnische Brüder in Amerika ebenfalls dafür, daß eine Abordnung nach Polen gesandt wurde. Es handelte sich um W. Kołomyjski, einen Pilgerbruder oder reisenden Vortragsredner, der zugleich in der Körperschaft der Gesellschaft von Michigan Vorsitzender war, und C. Kasprzykowski. Sie kamen 1920 nach Polen und wurden von den Brüdern in Warschau freudig willkommen geheißen.

Da die treu gebliebenen Brüder ihre reguläre Versammlungsstätte verloren hatten, mieteten sie Kinos für das Bibelstudium in der Versammlung und für öffentliche Ansprachen. Die öffentlichen Vorträge an Sonntagen wurden in Zeitungen und durch Handzettel, die man auf den Straßen verteilte, angekündigt. Trotz der Probleme, mit denen die Brüder zu kämpfen hatten, waren die Aussichten vielversprechend.

Im selben Jahr versetzte Satan ihnen einen weiteren Schlag. Zwischen Sowjetrußland und Polen brach ein Krieg aus, der eine Inflation in bis dahin nie gekanntem Ausmaß zur Folge hatte. Dadurch wurde das Werk stark behindert. Auch zog sich Bruder Kołomyjski in dieser kritischen Zeit Typhus zu. Als er sich wieder erholt hatte, ging er in die Vereinigten Staaten zurück, wo er weiter als Pilgerbruder diente.

Auf die Bitte der Brüder in Warschau hin ließ die Gesellschaft Bruder Kasprzykowski als ihren Vertreter in Polen. Er zeigte große Initiative und bewirkte beispielsweise die Eintragung der Bibelforscher-Vereinigung Gruppe II. Diese Gruppe II bestand aus Brüdern, die der Gesellschaft gegenüber loyal waren; sie trat an die Stelle der vorherigen Körperschaft, die sich in den Händen der Gegner befand. Da die Bibelforscher nun erneut rechtlich anerkannt waren, konnten sie öffentliche Ansprachen größeren Stils organisieren. 1921 besuchten manchmal an die 700 Personen diese Vorträge. Die Brüder machten auch ein Gebäude ausfindig, das sie als Saal benutzen konnten, und nach einem Umbau bot er 400 Personen Platz.

Zur ersten allgemeinen Hauptversammlung (vom 30. Oktober bis 2. November 1921) kamen 500 Besucher aus verschiedenen Teilen Polens, und 14 ließen sich taufen. Im Jahr darauf betrug die Anwesendenzahl beim Gedächtnismahl, das an 32 Orten im ganzen Land stattfand, 657. Noch im selben Jahr wurden mehrere Hauptversammlungen abgehalten, auf denen sich 108 Personen taufen ließen. Mit dem Werk ging es gut voran.

Verleumdete er den Papst?

Jan Kusina ging 1920 von den Vereinigten Staaten nach Krakau zurück, einer großen Stadt im Gebiet des früheren Österreich-Ungarn. Obwohl er selbst neu in der Wahrheit war, brachte er es rasch fertig, das Interesse einer kleinen Gruppe aufrichtiger Menschen zu wecken. Er wurde jedoch verhaftet und beschuldigt, den Papst verleumdet zu haben. Tatsächlich hatte er aber nichts weiter getan, als mit anderen über biblische Wahrheiten zu sprechen. Vor Gericht gebrauchte er die Bibel zu seiner Verteidigung. Der Richter, ein unvoreingenommener Mann, sprach ihn frei.

Etwa um dieselbe Zeit berichtete Józef Krett, ein Pilgerbruder aus den Vereinigten Staaten, der Warschau und Krakau besuchte, daß Schulkindern beigebracht wurde, ihr Gebet aus dem Katechismus wie folgt zu ergänzen: „Bewahre uns, o Herr, vor plötzlichem Tod, vor Hunger, Feuer, Krieg und der Seuche der amerikanischen Ketzerei.“

Theologen wollen Bibelforscher in Verruf bringen

Ein weiterer Heimkehrer, Bruder Winiarz, der wohlhabend war, aber dennoch ein aufopferndes Leben führte, kaufte in Krakau ein Haus, das als Versammlungsstätte dienen sollte. 1922 fand in diesem Haus eine Debatte zwischen drei Brüdern und drei katholischen Theologen statt.

Im Jahr zuvor war Franciszek Puchała aus Amerika zurückgekehrt und hatte in eigener Initiative ein Flugblatt mit 13 Kirchenlehren veröffentlicht. Er bot 10 000 polnische Mark je Lehre an, für die jemand den Nachweis erbringen könnte, daß sie sich auf die Heilige Schrift stützte. Aufgeführt waren die Unsterblichkeit der Menschenseele, das Höllenfeuer, das Fegefeuer, das Meßopfer, der Zölibat, die Beichte, der Gebrauch des Rosenkranzes und so weiter. „Es war, als würde man in einem Ameisenhaufen herumstochern“, schrieb Bruder Puchała später.

Die Geistlichen verlangten in katholischen Zeitungen einen öffentlichen Widerruf der Aussagen auf dem Flugblatt. Andernfalls, so erklärten sie, würden sie Franciszek Puchała wegen Verleumdung der Kirche anzeigen. Er ließ sich jedoch nicht einschüchtern, sondern rief zu einer öffentlichen Diskussion auf.

Nach Absprache mit der römischen Kurie waren die Geistlichen zu einer Diskussion bereit, allerdings hinter verschlossenen Türen — „wegen der heiligen Natur der Sache“, wie sie sich ausdrückten. Bruder Puchała war einverstanden. Die Geistlichen waren sich ihrer Sache so sicher, daß sie einen Anwalt dabeisein ließen, der rechtliche Schritte gegen die Brüder einleiten sollte, sobald sie eine Niederlage erlitten. Die Kirchenzeitung erklärte hochmütig: „Wir werden sehen, wer recht hat — die jahrhundertealte römisch-katholische Kirche oder dieses armselige Häufchen irregeführter Kreaturen, die nicht einmal imstande sind, die Heilige Schrift richtig zu lesen.“

Der bekannte jesuitische Theologe Jan Rostworowski erschien in Begleitung zweier Priester und führte die katholische Abordnung an. Die Bibelforscher waren durch Franciszek Puchała und zwei weitere Brüder vertreten. Es waren auch Stenografinnen und mehrere Leute, die als Zeugen dienen sollten, anwesend. Die Jesuiten waren mit zwei großen Koffern voller Bücher ausgerüstet. Dagegen hatten die Brüder nur ihre Bibeln sowie griechische und hebräische Wörterbücher dabei.

Die Geistlichen verlangten, Punkt 13 auf dem Flugblatt (Unsterblichkeit der Seele) als erstes zu behandeln. Nach etwa zwei Stunden entschuldigten sich die Theologen, sie hätten keine Zeit mehr, und gingen. Sie gestanden ihre Niederlage zwar nie öffentlich ein, gaben aber in einem Zeitungsartikel zu: „Wir müssen einräumen, daß die Bibelforscher ... nicht ganz und gar unwissend sind.“

Die gesamte Diskussion wurde in einer Broschüre mit dem Titel Bitwa na niebie (Die Schlacht im Himmel) veröffentlicht, die eine Erstauflage von 10 000 Exemplaren hatte und mehrmals nachgedruckt wurde. Die Einwohner von Krakau und Umgebung, die der alteingesessenen Kirche anhingen, wurden aufgerüttelt. Was war das Ergebnis? 1923 kamen 69 Besucher zur Gedächtnismahlfeier in Krakau.

Freilich konnten die Geistlichen Bruder Puchała nie verzeihen, daß er öffentlich die Autorität der katholischen Kirche untergraben hatte. Sie unternahmen alles mögliche, um ihm das Leben schwerzumachen. Man beauftragte einen Polizisten, während der Zusammenkünfte, die in seinem Haus stattfanden, Notizen zu machen, und später wurde er mehrmals vor Gericht gebracht. Mehr als einmal waren bezahlte Killer hinter ihm her, aber Jehova beschützte ihn.

Bei einer Predigt in dem Dorf Wawrzeńczyce stachelte der Priester die Leute an, Bruder Puchała mit Knüppeln anzugreifen, wenn er käme, um einen Vortrag zu halten. Eine Gruppe von übereifrigen Frauen war sehr darauf bedacht, zu tun, was der Priester verlangte. Sie lauerten Bruder Puchała vom frühen Morgen bis zum späten Nachmittag auf. Als er eintraf, sagte er ganz ruhig zu ihnen: „Wer von euch ohne Sünde ist, soll mich als erste mit ihrem Knüppel schlagen.“ Schließlich machten sich die Frauen davon. Als sie nach Hause kamen, wurden sie jedoch von ihren Männern mit denselben Knüppeln geschlagen, mit denen sie Bruder Puchała angreifen wollten. Weshalb? Weil sich die Männer darüber ärgerten, daß sie so lange auf ihr Essen warten mußten.

Ladenbesitzerin erzählt Lehrer von der Wahrheit

Im Jahre 1919 ging Frau Mandowa, die Besitzerin eines großen Schuhgeschäfts im Textilzentrum von Lodz, wegen einer medizinischen Behandlung nach Danzig. Dort hörte diese Geschäftsfrau zum erstenmal die Wahrheit aus der Heiligen Schrift. Ihr ehrliches Herz war dafür empfänglich. Sie ging mit einem Stapel Veröffentlichungen der Gesellschaft nach Hause und sprach begeistert mit Freunden und Bekannten über das Gelesene. Ihre Argumente machten großen Eindruck auf einen jungen Lehrer, den sie aufforderte, mit ihr die Zusammenkünfte zu besuchen.

Dieser Lehrer, Wilhelm Scheider, ließ sich 1920 von einer ländlichen Gegend nach Lodz versetzen, um mit der kleinen Gruppe interessierter Personen dort engeren Kontakt zu haben. Frau Mandowa wurde bald eine Bibelforscherin, und die Gruppe, die mit ihr zusammenkam, erhielt Unterstützung von Brüdern, die gelegentlich aus dem 320 Kilometer entfernten Danzig anreisten. Ein Studium der Publikationen der Gesellschaft anhand der Bibel überzeugte auch Herrn Scheider davon, daß er die Wahrheit gefunden hatte. Trotz Prüfungen und Leiden richtete er bis zum Ende seiner irdischen Laufbahn im Jahre 1971 treu sein Leben danach aus.

In Lodz mutig öffentlich Zeugnis abgelegt

Anfangs war die Tätigkeit der Gruppe in Lodz, was das öffentliche Zeugnisablegen betrifft, ziemlich begrenzt. Aber nach dem Tod von Schwester Mandowa im Jahre 1922 führten die Probleme in Verbindung mit ihrem Begräbnis zu einem Wendepunkt. Die Geistlichkeit weigerte sich, die Genehmigung für eine Beerdigung auf dem Friedhof zu erteilen. Das gab Anlaß zu einem Sturm der Entrüstung in den Medien. Nach einem dreitägigen Kampf, bei dem sogar die Polizei einschreiten mußte, erwarb man ein Grab auf einem kleinen muslimischen Friedhof. Ungefähr tausend Menschen wohnten der Beerdigung bei, weil sie neugierig waren und hören wollten, was die Bibelforscher eigentlich glaubten. Die biblische Ansprache von einem Bruder aus Danzig war das erste öffentliche Zeugnis, das in Lodz gegeben wurde.

Von da an wurden häufiger öffentliche Vorträge geplant und in den Zeitungen angekündigt. Für die Zusammenkünfte wurden Kinos gemietet. Anfangs waren diese groß genug, aber bald war selbst das größte Theater in dieser Stadt mit 500 000 Einwohnern zu klein. Unterdessen trafen sich kleine Gruppen in Privatwohnungen, um die Bibel und biblische Veröffentlichungen zu studieren. Da viele Bewohner von Lodz deutscher und jüdischer Herkunft waren, fanden die öffentlichen Vorträge und die kleineren Zusammenkünfte in Polnisch und in Deutsch statt.

Hunderte, wenn nicht Tausende, die zu diesen öffentlichen Vorträgen kamen, waren, wie es der Jünger Jakobus ausdrückte, „bloß Hörer“, aber nicht „Täter des Wortes“ (Jak. 1:22). Dennoch stieg die Besucherzahl beim Gedächtnismahl von 25 Personen im Jahre 1922 auf 92 im Jahre 1924. Auch hatten die Brüder 1924 in Lodz, nachdem sie eine leerstehende Fabrik in der Stadtmitte umgebaut hatten, einen schönen Saal für ihren ersten Kongreß. Bei diesem Anlaß waren 200 Personen zugegen.

Um diese Zeit konzentrierten sich die Brüder auf eine neue Tätigkeit, die darin bestand, Leute zum „Photo-Drama der Schöpfung“ einzuladen — ein Film, der in Polen ab Anfang der 20er Jahre gezeigt wurde. Das vollständige Programm bestand aus vier zweistündigen Vorführungen. Es strömten so viele Zuschauer herbei, daß die Brüder, obwohl sie die größten Säle gemietet hatten, die Aufführungen viele Male wiederholen mußten.

Wachstum durch öffentliche Zusammenkünfte in Posen

Teofil Szmidt hatte 1910, im Alter von 18 Jahren, sein Zuhause bei Radomsko verlassen und war nach Deutschland gegangen, um Arbeit zu suchen. Dort hörte er 1914 von den Bibelforschern und besuchte das „Photo-Drama der Schöpfung“. Er erhielt zufriedenstellenden Aufschluß über zwei Themen, die ihn seit langem beschäftigt hatten: Christi Wiederkunft und das Ende der Welt.

Als er später in den Teil Polens zurückging, der unter preußischer Herrschaft stand, nahm er mit einer Gruppe in Posen Kontakt auf, die die Bücher von C. T. Russell las. Obwohl er noch nicht getauft war, übernahm er bei den Studien dort die Leitung und machte weiter Fortschritte. 1918 ließ sich Teofil Szmidt während eines Besuchs von Bruder Kujat aus Berlin taufen und wurde ein Diener in der ersten Versammlung Posens. In den darauffolgenden Jahren organisierte er eifrig Zusammenkünfte für die Öffentlichkeit. Als er 1922 von Posen wegging, war die Versammlung auf etwa 20 regelmäßige Besucher angewachsen.

Darauf zog Bruder Kącki von Warschau nach Posen, um sich der dortigen Versammlung anzunehmen. Er hatte die Wahrheit vor 1914 kennengelernt; als begabter Bildhauer hatte er vorgehabt, in Paris eine Universitätsausbildung zu beginnen. Statt dessen widmete er sich aber dem Dienst für Jehova. Mit Eifer bemühte er sich um Säle in Posen, bezahlte die Miete aus eigener Tasche und hielt anspornende biblische Vorträge. Daraufhin stieg 1924 in Posen die Zahl der Besucher bei der Gedächtnismahlfeier auf 91. Im selben Jahr waren in Warschau 281 Personen anwesend und weitere 625 in 13 anderen polnischen Orten, wenn man nur Gruppen mit wenigstens 20 Anwesenden zählt. Ein künftiges Wachstum schien gesichert. Aber es standen schwere Glaubensprüfungen bevor.

Das Jahr 1925 — eine Zeit der Spaltung

Bruder Kasprzykowski hatte nach dem Ersten Weltkrieg für die Brüder zwar wertvolle Dienste geleistet, doch später wurde der Stolz für ihn zu einem Hindernis. Sein Stolz zeigte sich schon zu einem frühen Zeitpunkt dadurch, daß er Rat übelnahm; später wurde er ein ausgesprochener Gegner seiner früheren Brüder. Als Der Wachtturm immer deutlicher die Verantwortung jedes einzelnen betonte, sich am Predigen der guten Botschaft zu beteiligen, fand er bei denen Anklang, die nichts weiter tun wollten, als zuzuhören.

Eine Zeitlang gab sich die Warschauer Versammlung den Anschein der Einheit, indem weiterhin alle zusammenkamen. Aber in Wirklichkeit war sie stark gespalten. Beim Gedächtnismahl 1925 spitzte sich die Lage zu. Von den ungefähr 300 Brüdern blieben nur 30 der Gesellschaft gegenüber loyal.

Schon bald wurden andere Versammlungen in Mitleidenschaft gezogen. Von etwa 150 Personen in Lodz kamen nur 3 Brüder und 6 Schwestern weiterhin zusammen, um Gottes Wort mit Hilfe der Wachtturm-Publikationen zu studieren. Sie beteiligten sich auch am Predigtdienst und machten dabei guten Gebrauch von der Zeitschrift Das Goldene Zeitalter (heute Erwachet!), die ab 1925 in Polnisch erschien.

Viele, die unschlüssig und verwirrt waren, kehrten zur Versammlung zurück, als sie sahen, wie eifrig und geistig gesinnt die kleine Gruppe in Lodz war. Im Sommer desselben Jahres befolgte die Versammlung in Lodz am schnellsten die Anweisungen der Gesellschaft, Gruppen von „Missionaren“ zum Zeugnisgeben in entfernte Gebiete zu senden. Die Orte, in denen öffentliche Vorträge arrangiert wurden, lagen bis zu 150 Kilometer von dort entfernt.

Doch die Probleme waren noch nicht überwunden. Im ganzen Land gab es Personen, deren Beweggrund, Gott zu dienen, stark von dem Glauben beeinflußt war, sie würden ihre himmlische Belohnung spätestens 1925 erhalten. Viele von ihnen wurden geistig schwach oder fielen vom Glauben ab, als das Jahr vorüber war. Während dieser Zeit versuchten verschiedene gegnerische Gruppen zielstrebig, die Versammlungen unter ihre Kontrolle zu bringen oder sie wenigstens zu schwächen. Drei dieser Gruppen von Gegnern bestehen heute noch. Dennoch wurde im Laufe der Jahre offensichtlich, wer Gottes Segen hatte und die gute Botschaft von Gottes Königreich, wie in der Heiligen Schrift vorhergesagt, predigte (Mat. 24:14).

Nach diesen Krisen mußte mit dem Werk, das unter der Leitung des „treuen und verständigen Sklaven“ durchgeführt wurde, fast von neuem begonnen werden. Es gab noch mehr Hindernisse, aber es waren auch positive Ergebnisse zu verzeichnen (Mat. 24:45-47).

Das Werk gewinnt größere Stabilität

In Warschau sah es nicht nach einer raschen Normalisierung der Lage aus. Bruder Wnorowski wurde nach Polen gesandt, aber nach ungefähr einem Jahr kehrte er, der Situation überdrüssig, nach Amerika zurück. Dann wurde Bruder Szwed die Aufsicht über das Büro in Warschau übertragen, doch ein Jahr später wurde er durch Wacław Narodowicz ersetzt, der zwar ein guter Redner war, aber nicht gern im Büro arbeitete und daher ein Jahr später lieber wieder im Außendienst stehen wollte.

In dieser schwierigen Zeit hatten die Brüder, die der Gesellschaft gegenüber loyal waren, kein rechtliches Instrument, mit dessen Hilfe sie Vorkehrungen für öffentliche Vorträge treffen konnten, von Kongressen ganz zu schweigen. Die Gegner hatten die ursprüngliche Körperschaft an sich gerissen, und nun stand sogar die Bibelforscher-Vereinigung Gruppe II unter der Kontrolle von Abgefallenen, nämlich von Kasprzykowski und seinen Anhängern. Die Behörden weigerten sich, eine dritte Gruppe auch nur in Betracht zu ziehen; die Situation war also festgefahren.

Doch Jehova erhörte die Gebete seiner loyalen Diener und sorgte für eine Lösung. Ein bescheidener Mann namens Całka, der die Wahrheit vor dem Ersten Weltkrieg kennengelernt hatte, war in Warschau als Mitglied der ursprünglichen Körperschaft der Bibelforscher eingetragen. Er war im Glauben gestrauchelt, aber in dieser kritischen Zeit ergriff er die Initiative, um seine Verbindung zur Versammlung wiederaufzunehmen. Auch erklärte er sich bereit, seine Generalvollmacht Wilhelm Scheider zu übertragen. Das war den Brüdern bei der „Verteidigung und gesetzlichen Befestigung der guten Botschaft“ eine große Hilfe (Phil. 1:7).

Die Gesellschaft sandte 1927 einen liebenswürdigen und fähigen Bruder nach Polen, der als Pilgerbruder Versammlungen in den Vereinigten Staaten und in Frankreich besucht hatte. Dieser Bruder, Ludwik Kuźma, spornte viele zu eifriger Tätigkeit an. Doch als er nach Amerika zurückkehrte, war ihm völlig klar, daß ein engerer Kontakt mit dem Hauptbüro der Gesellschaft nötig war. Deshalb entschloß sich Bruder Rutherford, gewisse organisatorische Änderungen vorzunehmen.

Da Bruder Narodowicz das Warschauer Büro verlassen hatte, wurde Paul Balzereit aus dem Büro der Gesellschaft in Deutschland nach Polen gesandt, um dort jemanden zu suchen, der mit dem deutschen Büro bei der Betreuung der Diener Jehovas in Polen zusammenarbeiten würde. Zu dieser Zeit ging die Versammlung in Lodz im Predigtdienst mit gutem Beispiel voran, und so fragte Bruder Balzereit Wilhelm Scheider aus Lodz, ob er diese Aufgabe übernehmen würde. Demütig schlug Bruder Scheider jedoch Edward Rüdiger dafür vor, der damals die Zeitschrift Das Goldene Zeitalter übersetzte, und Bruder Rüdiger übernahm die Verantwortung für fast ein Jahr.

Als es den Brüdern in Deutschland wegen Reisebeschränkungen unmöglich war, in Polen weitere Hilfe zu leisten, wurde die allgemeine Aufsicht über die theokratischen Tätigkeiten in Polen dem Zentraleuropäischen Büro der Gesellschaft in Bern übertragen. Von dort ging 1929 Martin Harbeck nach Polen, um erneut jemanden zu suchen, der geeignet wäre, als Aufseher für das polnische Gebiet zu dienen. Wieder wurde Bruder Scheider gebeten, die Aufgabe zu übernehmen, und diesmal sagte er zu.

Nun war ein stetiges Wachstum zu beobachten. 1927 waren 1 101 Personen beim Gedächtnismahl anwesend, aber nur 76 von ihnen hatten über eine gewisse Beteiligung am Predigen der guten Botschaft berichtet. Ende 1928 waren 24 Versammlungen für den Dienst organisiert, und 256 Verkündiger hatten regelmäßig über ihre Tätigkeit berichtet. 1929 betrug die Zahl der Versammlungen, die für das Predigen der Königreichsbotschaft organisiert waren, 40, und 1930 waren es 55.

In Übereinstimmung mit den Anweisungen der Gesellschaft planten diese Versammlungen von Zeit zu Zeit Wochen der vermehrten Tätigkeit. 1929 wurden zum ersten Mal Kolporteure in den Südosten Polens versetzt, um den dort lebenden Ukrainern die Königreichswahrheit mitzuteilen. Im Jahrbuch 1930 hieß es: „Mehr und mehr erkennen die Geschwister, daß sie nicht dazu berufen sind, mit dem Herrn in dem Weinberge zu sitzen, sondern mit ihm zu arbeiten.“

Eine Zeit des Sichtens

Mittlerweile reichte der Platz, der in Warschau für das Büro gemietet worden war, nicht mehr aus. Die Suche nach anderen Räumlichkeiten in der Stadt verlief ergebnislos; alles war zu teuer. Daher beschloß man, das Büro nach Lodz zu verlegen.

Vorübergehend wurde das Büro in der dortigen Versammlungsstätte eingerichtet. 1932 fand man schließlich in der Rzgowskastraße 24 ein passendes Gebäude. Die Versammlungen wurden darüber informiert, welche Geldmittel gebraucht würden, um es kaufen zu können, aber die Brüder, die zuvor so bereitwillig Opfer gebracht hatten, reagierten nicht. Der Besitzer war mit einer späteren Zahlung einverstanden, obwohl er andere Käufer hatte. Noch einmal wurden die Brüder von der Situation in Kenntnis gesetzt. Wieder erfolgte keine Reaktion. Warum nicht?

Bevor sich das herausstellte, sorgte Jehova für Hilfe von anderer Seite. Drei Tage vor der Fälligkeit der Summe konnte Schwester Scheider das nötige Geld von ihrer verhältnismäßig reichen Stiefschwester borgen, obwohl diese bis dahin der Wahrheit gegenüber nicht günstig eingestellt war.

Bald wurde jedoch offenbar, warum die Versammlungen gezögert hatten, Geldmittel für ein Gebäude in Lodz bereitzustellen. Wacław Narodowicz, der als Pilgerbruder diente, war durch ganz Polen gereist und hatte überall gesagt, das Büro solle in Warschau bleiben und wieder von ihm geleitet werden. Er sammelte für ein Büro in Warschau und bat darum, ihm das Geld zu geben. Zwar erreichte Wacław Narodowicz nicht sein Ziel, aber er brachte viele Brüder aus dem Gleichgewicht. Später wurde er abtrünnig.

Es war eine Zeit, in der „unbefestigte Seelen“, die Menschen folgten, statt Jehova und seiner Organisation treu zu bleiben, ausgesiebt wurden (2. Pet. 2:14, 15). Ein ausschlaggebender Faktor war die Tätigkeit in Verbindung mit der Annahme des Namens Jehovas Zeugen. Nicht jeder wollte Zeugnis geben. Doch die, die in der Organisation blieben, stellten die Echtheit ihrer Liebe zu Jehova unter Beweis. Das war wichtig, denn in den 30er Jahren und danach mußten Jehovas Zeugen in Polen um ihr Überleben kämpfen. Es war eine Zeit, in der sich Jesaja 54:17 immer wieder als wahr erwies — ja, gegen Jehovas Diener wurden viele ‘Waffen gebildet’, aber keine davon konnte die wahre Anbetung ausmerzen.

Angriffe und Gegenangriffe

Die katholische Geistlichkeit brachte immer häufiger Verleumdungen gegen Jehovas Diener vor, besonders in der Presse. Außerdem forderte sie die Leute auf, alle Veröffentlichungen, die sie von Bibelforschern erhalten hatten, zum Zweck der öffentlichen Verbrennung abzuliefern. Ein Beispiel dafür, das ziemlich bekannt wurde, trug sich in Chojnice (Konitz) zu. Bruder Śmieszko, der dort Pionier war, wurde von der Staatsanwaltschaft angeklagt, sich durch Druckschriften der Gotteslästerung schuldig gemacht zu haben. Eine große Menschenmenge wohnte dem Prozeß bei, der 1933 stattfand. Ein katholischer Priester mit Namen Janke wurde als Zeuge aufgerufen. Er war Doktor der Philosophie und Religionslehrer an der örtlichen Schule. Bruder Scheider vertrat die Gesellschaft. Zu den Themen, die zur Sprache kamen, gehörte die Unsterblichkeit der Seele, die ewige Qual und das Fegefeuer. Anschließend gestand Janke seine Niederlage ein, ging zu Bruder Scheider, schüttelte ihm die Hand und sagte, er werde sich nie wieder in einen solchen Fall hineinziehen lassen.

Die Krakauer Zeitung Ilustrowany Kurier Codzienny (Illustrierter Tageskurier) schloß sich den Angriffen auf die Zeugen an und beschuldigte sie fälschlich, verkappte Kommunisten zu sein, die bolschewistische Lieder sängen, in der Sowjetunion ausgebildet worden seien und von dort bezahlt würden. In diesem Fall brachten die Brüder die Verantwortlichen der Zeitung vor Gericht, und der Herausgeber wurde bestraft.

Mieczysław Skrudlik, ein Jesuit, gab selbst Broschüren heraus, in denen die Zeugen verleumdet wurden. Als er jedoch vor Gericht erscheinen sollte, behauptete er, krank zu sein. Dreimal bat er darum, daß der Prozeß verschoben werde. Inzwischen zog er mehrmals um und konnte dann nicht mehr ausfindig gemacht werden.

Doch die Angriffe der Geistlichen waren nicht ausschließlich verbal. Sie und ihre Handlanger wendeten auch Gewalt an, und das wiederholt. Wenn die Zeugen von Haus zu Haus predigten, wurden sie angegriffen. Die Gegner griffen sie mit ihren Fäusten, mit Fußtritten, mit Stöcken und Steinen an, sie vernichteten biblische Literatur und ließen die Zeugen blutend oder bewußtlos am Boden liegen. Zeugen, die in entfernte Gebiete fuhren, um zu predigen, wurden abgefangen, geschlagen und unter Wasser getaucht, ihre Fahrräder und Motorräder wurden zertrümmert, ihre Literatur beschlagnahmt und vernichtet.

Bolesław Zawadzki, der lange Pionier war, schrieb in seiner Lebensbeschreibung, daß bei einer Zusammenkunft im Haus seiner Eltern in Kielce eine aufgebrachte Meute von 2 000 schreienden Leuten das Haus umringte und Steine dagegen schleuderte. Mit Schubkarren wurde Nachschub herangeschafft. Erst lange nach Mitternacht war das „Spiel“ vorüber. Als man die Steine aufsammelte, die durch das Dach ins Haus gefallen waren, waren es sechs Karrenladungen! Bei dem Versuch, diese Verfolgungswelle abzuwehren, erreichten die Brüder manchmal, daß die Täter bestraft wurden. Weniger häufig gelang es ihnen, die eigentlichen Anstifter vor Gericht zu bringen — die Geistlichen.

Segnungen durch richtige Organisation

Besonders ab Ende der 20er Jahre wurde den Versammlungen in Verbindung mit dem Predigtdienst größere Hilfe geboten. Ihnen wurden bestimmte Predigtdienstgebiete zugeteilt. Bezirksdienstleiter, die ausgesandt wurden, um alle Versammlungen zu besuchen, hielten nicht nur Vorträge, sondern schulten auch die Brüder im Predigtdienst. Diese Vorkehrung war hilfreich und gab Auftrieb. Ludwik Kinicki, einer dieser eifrigen und aufopferungsvollen Brüder, ist vielen „alten Hasen“ noch gut in Erinnerung.

Die Pioniere — damals waren es zwischen 30 und 50 — bekundeten ebenfalls einen Geist der Selbstaufopferung. Sie predigten auch in entlegenen Gebieten, wo es keine Versammlungen gab, gern und gingen viele Kilometer zu Fuß, denn nur wenige hatten ein Fahrrad. Sie durften etwas von den Beiträgen, die sie für die Literatur erhielten, behalten, und einige von ihnen hatten darüber hinaus kaum Einkünfte. Im Winter schliefen sie oft in einem Heuhaufen oder auf Stroh, das in einer Scheune auf dem Boden ausgestreut war, und ihr Mantel diente ihnen als Decke.

Die Leute, mit denen sie sprachen, hatten zwar ein gutes Herz, doch oft nur wenig biblische oder geschichtliche Kenntnisse. Stefan Milewski erinnert sich, daß er in einem Gespräch mit einer Gruppe von Dorfbewohnern erwähnte, daß Jesus von Geburt Jude war. Die Leute waren empört und hätten ihn fast verprügelt. Verärgert riefen sie: „Der Herr Jesus war ein Pole und ein Katholik!“

Doch die Zeugen suchten weiterhin eifrig nach schafähnlichen Menschen. 1932 setzten sie 103 323 Stunden im Predigtdienst ein und gaben 177 505 Bücher und Broschüren, 2 101 Bibeln und 87 455 Exemplare des Goldenen Zeitalters ab. Das veranlaßte eine Warschauer Zeitung zu folgendem Kommentar: „Die Bibelforscher werden in Polen wohl kaum mehr als 600 000 zählen, und diese kleine Anzahl scheint eine stärkere Agitation zu betreiben, als man es bei irgendeiner anderen Religion beobachten kann.“ Tatsächlich gab es zu jener Zeit nur ungefähr 600 tätige Zeugen. Aber in den Augen mancher Beobachter war der Kleine bereits zu einem Tausend geworden. (Vergleiche Jesaja 60:22.)

Der Kampf wird heftiger

Katholische Geistliche übten fortgesetzt Druck auf die Behörden aus, um sie zu veranlassen, den Zeugen Einhalt zu gebieten. Die Anschuldigungen, die sie gegen die Zeugen erhoben, waren immer dieselben: Sie würden kommunistische Propaganda machen, ohne Lizenz werben, die Sonntagsruhe nicht einhalten und gegen die Kirche und ihre Lehren lästern. 1933 wurden rund 100 Fälle gemeldet, in denen Polizisten Verkündiger anhielten. Es kam außerdem 41mal vor, daß Zeugen von aufgewiegelten Fanatikern schwer geschlagen wurden. Im Verlauf der nächsten zwei Jahre zeigte die Geistlichkeit die Zeugen 3 000mal bei der Polizei an. Wenn Anschuldigungen, die sich auf eine bestimmte Verordnung stützten, zu nichts führten, versuchte man es immer wieder mit neuen Vorwürfen. Doch die meisten Fälle wurden, noch bevor es zu einer Gerichtsverhandlung kam, als gegenstandslos zurückgewiesen; in anderen Fällen wurden die Zeugen freigesprochen.

Die Brüder konnten es sich nicht leisten, sich bei jeder Verhaftung einen Anwalt zu nehmen. Doch das Büro der Gesellschaft leistete ihnen auf rechtlichem Gebiet Beistand. Es schickte ihnen Hunderte von Unterlagen mit Informationen über Rechtsmittel, Urteile zugunsten von Zeugen Jehovas und wichtige Präzedenzfälle. Den Anweisungen getreu legten die Brüder vor Gericht Nachdruck auf das Predigen der guten Botschaft vom Königreich, statt sich auf rechtliche Detailfragen einzulassen. Bei einigen Fällen, von denen viel abhing, stellten sich jedoch Anwälte zur Verfügung, die die Brüder verteidigten.

Um dem Vorwurf des Hausierens entgegenzuwirken, stellte die Gesellschaft Ausweiskarten bereit, auf denen erklärt wurde, daß der Betreffende auf der Grundlage der Gewissens- und Religionsfreiheit berechtigt sei zu predigen. Für Kinder von Zeugen, die öffentliche Schulen besuchten und oft nicht versetzt wurden, weil sie nicht am obligatorischen Religionsunterricht teilnahmen, stellte die Gesellschaft spezielle Bescheinigungen aus. Darin wurde bestätigt, daß das Kind in der eigenen Glaubensgemeinschaft Religionsunterricht erhalten hatte und entsprechend benotet wurde. Deshalb gab es in vielen Versammlungen mehrere Jahre lang „Sonntagsschulen“. Nach angestrengten Bemühungen von seiten der Brüder gab das Ministerium für Erziehung, Bildung und Religionsgemeinschaften einen Erlaß heraus, der die Schulbehörden zur Anerkennung dieser Bescheinigungen verpflichtete. Wenn die Note in den schulischen Unterlagen vermerkt war, konnte das Kind versetzt werden.

Eine Reihe Beamter erkannte deutlich die religiöse Intoleranz, die den Anschuldigungen gegen Jehovas Zeugen zugrunde lag. So wies zum Beispiel der Staatsanwalt am Berufungsgericht in Toruń (Thorn) in einem Fall, bei dem es um einen Zeugen Jehovas ging, die Anschuldigung der Gotteslästerung zurück, verlangte Freispruch und erklärte, daß Jehovas Zeugen dieselbe Haltung einnehmen wie die ersten Christen. In einem anderen Fall weigerte sich der Staatsanwalt am Berufungsgericht in Posen, einen Zeugen Jehovas anzuklagen, dem man vorwarf, die Geistlichkeit als Teil der „Organisation Satans“ bezeichnet zu haben. (Vergleiche Johannes 8:44.) Der Staatsanwalt wies auf den päpstlichen Hof Alexanders VI. hin, von dem sich bekanntlich ein äußerst unmoralischer Geist ausgebreitet hatte. Dem stellte er dann das gute Benehmen der Zeugen Jehovas und ihren Eifer im Dienst für Jehova gegenüber.

Versuche, die Versorgung der Zeugen mit Literatur zu verhindern

Die Geistlichen versuchten immer wieder, die Versorgung der Zeugen mit der Literatur, die sie bei ihrer Tätigkeit gebrauchten, zu verhindern. Wenn möglich, beeinflußten sie Regierungsvertreter dahin gehend, ihnen willfährig zu sein. 1930 überredeten sie beispielsweise den Innenminister, die Genehmigung zur amtlichen Zustellung des Goldenen Zeitalters, das mutig religiöse Heuchelei bloßstellte, zu widerrufen. Doch wenige Wochen später wurde der Minister zum Rücktritt gezwungen, und sein Nachfolger genehmigte dann wieder, daß Das Goldene Zeitalter eingeführt und mit der Post zugestellt wurde.

Den Gegnern gelang es schließlich, die Einfuhr des Goldenen Zeitalters aus der Schweiz ganz und gar zu unterbinden. Daraufhin ließen die Brüder von 1933 an in Lodz drucken. Jedesmal, wenn die Geistlichkeit auf einen Druckereibesitzer Zwang ausübte und er dann nicht mehr für die Brüder arbeiten wollte, fanden sie einen anderen, der das gern tat. Das geschah wiederholt, bis nach vielen von der Zensur angeordneten Beschlagnahmungen die Zeitschrift verboten wurde. Nachdem die Brüder gegen das Urteil Berufung eingelegt hatten, veröffentlichten sie Das Goldene Zeitalter unbeirrt so lange weiter, bis das Verbot bestätigt wurde und man Augustyn Raczek, den verantwortlichen Redakteur der Zeitschrift, zu einem Jahr Gefängnis verurteilte.

Die Gegner hatten womöglich den Eindruck, sie hätten ihr Ziel erreicht. Aber die Brüder gaben nicht auf. Die letzte Ausgabe der Zeitschrift Das Goldene Zeitalter war die vom 1. September 1936. Am 1. Oktober desselben Jahres wurde sie durch eine neue, in Warschau gedruckte Zeitschrift ersetzt. Sie hieß Nowy Dzień (Neuer Tag) und brachte weiterhin Artikel, die Korruption und religiöse Heuchelei aufdeckten und die biblische Wahrheit hochhielten. Sie wurde bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in Warschau gedruckt.

Unterdessen hatte der Innenminister 1937 den Wachtturm, den Jehovas Zeugen zusammen mit der Bibel in ihren Versammlungszusammenkünften verwendeten, verboten. Der Wachtturm enthielt nichts Subversives, aber die katholische Geistlichkeit wollte nicht, daß er in ihrem Einflußbereich verbreitet wurde. Die Brüder waren jedoch entschlossen, ‘Gott, dem Herrscher, mehr zu gehorchen als den Menschen’, und begannen, die Zeitschrift mit einem Vervielfältigungsgerät zu reproduzieren (Apg. 5:29).

In dieser Zeit gründete Bischof Jasiński von Lodz mit Unterstützung der Katholischen Aktion * ein „Amt zur Bekämpfung religiöser Minderheiten“. Diese Behörde wiederum verschaffte ihren eigenen Leuten systematisch die höchsten Regierungsposten. Eines ihrer Ziele bestand darin, alle Wachtturm-Publikationen zu beschlagnahmen. Trotz der Gefahr, gefaßt zu werden, machten sich die Zeugen daran, zwei neue Broschüren zu veröffentlichen. Die Behörden verhängten Strafen. Wer steckte aber hinter der Aktion? Oft griff man auf die kanonischen Gesetze der katholischen Kirche zurück statt auf weltliche Gesetze, um Anklage zu erheben. Es läßt sich wohl kaum ein besserer Beweis als dieser dafür finden, daß die ganze Kampagne unter der Anleitung der katholischen Hierarchie geführt wurde.

Während des Jahres 1937 war die Katholische Aktion in 75 Fällen für Gewalttaten gegen die Zeugen verantwortlich; in 2 von diesen Fällen wurden Brüder ermordet. Bei 263 Gerichtsverhandlungen gab es 99 Freisprüche und 71 Verurteilungen. Die übrigen waren noch in der Schwebe. 129mal wurde Literatur beschlagnahmt, doch die Brüder kämpften in 99 Fällen mit Erfolg darum, sie zurückzuerhalten. Das Jahrbuch 1938 berichtete: „Das ganze Volk des Herrn hierzulande ist entschlossen, das Zeugniswerk fortzusetzen, ungeachtet ob das Menschen gefallen sollte oder nicht, eingedenk ..., daß ‘wir Gott mehr gehorchen müssen als Menschen’.“

So empfanden bestimmt die Verkündiger in den 121 auf Predigtdienst ausgerichteten Versammlungen. Im Durchschnitt berichteten monatlich rund 800 Verkündiger über ihre Tätigkeit, und im Monat des Gedächtnismahls waren es 1 040. Aber die Gegner waren entschlossen, zu einem tödlichen Schlag auszuholen. Zweifellos dachten sie, das sei ihnen gelungen, als die Behörden am 22. März 1938 die Türen unseres Büros in Lodz versiegelten. Publikationen konnten nicht mehr mit der Post oder durch Eisenbahnkuriere weitergeleitet werden; sowohl die Absender als auch die Empfänger mußten mit Bestrafung rechnen. Die Zeugen wollten vor einem höheren Gericht Rechtsmittel einlegen, aber ein ihnen wohlgesinnter hoher Beamter sagte ihnen im Vertrauen, das sei zwecklos. Der „Geist der Zeit“ habe sich geändert, meinte er, und selbst wenn die Zeugen den Fall gewinnen würden, würde der Innenminister dafür sorgen, daß ihre Tätigkeit im ganzen Land stark eingeschränkt würde. Man beschloß daher, wegen der Sache nicht weiter vor Gericht zu gehen, sondern auf Jehova zu vertrauen und andere Wege zu suchen.

Glücklicherweise hatte die Polizei beim Versiegeln unseres Büros einen Notausgang im Literaturlager übersehen. So konnten die Bethelmitarbeiter Tag für Tag eine gewisse Menge wegholen, bis sie Tonnen von biblischer Literatur ausgeräumt und an die Versammlungen verteilt hatten. Außer in Polnisch gab es auch Publikationen in Ukrainisch, Russisch, Deutsch und Jiddisch.

Die Brüder draußen waren von ganzem Herzen zur Zusammenarbeit bereit und lagerten große Mengen Literatur, die in der bevorstehenden schweren Zeit gebraucht würde. Józef Włodarczyk aus der Gegend von Lublin nahm 12 000 Broschüren, viele Bücher, 500 Bibeln, 500 Ausgaben des „Neuen Testaments“, 500 Liederbücher und 250 Schallplatten entgegen, die er dann sorgfältig versteckte. Andere Brüder taten dasselbe, und das erwies sich während des Krieges, als keine weiteren Sendungen kamen, als äußerst nützlich.

Durch das Verbot von 1938 hatten die Brüder mehr als ein Jahr Zeit, sich darauf vorzubereiten, das Werk in den schwierigen Jahren des Zweiten Weltkriegs im Untergrund fortzuführen. Sie unterteilten das Land in Zonen, zu denen eine Reihe von Versammlungen gehörten. Jede Zone unterstand der Aufsicht der eifrigsten dort lebenden Brüder, die für das Vervielfältigen von Literatur verantwortlich waren, besonders des Wachtturms für die Versammlungen innerhalb der Zone. Das war die einzige „Frischkost“, die die Versammlungen erhielten. Mit diesem organisatorischen System konnte man später erfolgreich den Herausforderungen begegnen, die sich durch das Chaos des Krieges ergaben.

Der Krieg bricht aus

Der Zweite Weltkrieg brach am 1. September 1939 aus. Der letzte Bericht, der aus Polen einging, ließ erkennen, daß es 1 039 Verkündiger gab. Wie würde es ihnen ergehen?

Während der Besatzung wurde Polen in drei Regionen unterteilt. Die westlichen Gebiete wurden vom Deutschen Reich annektiert. Der mittlere Teil mit den Städten Warschau, Krakau, Lublin und später Lviv (Lemberg) wurde Generalgouvernement genannt und deutscher Verwaltung unterstellt. Die östlichen Gebiete wurden der Sowjetunion eingegliedert. Die Verhältnisse waren von Region zu Region verschieden.

Im westlichen Teil verhaftete die Gestapo jeden, von dem man wußte, daß er ein Zeuge Jehovas war. Das totalitäre nationalsozialistische System verfuhr grausam mit allen, die sich ihm nicht völlig unterwarfen. Die Zeugen wurden als Feinde betrachtet, da sie für Gottes Königreich eintraten. Wenn man bei jemandem eine einzige Ausgabe des Wachtturms fand oder ihn mit einem Zeugen zusammen auf einem Foto entdeckte, galt das als Beweis dafür, daß er ein Verbrecher war. Mit brutalen Mitteln wollte man Zeugen Jehovas zwingen, die Namen und Adressen ihrer Glaubensbrüder und -schwestern preiszugeben. Wer sich weigerte, seine Glaubensbrüder zu verraten oder eine Erklärung zu unterschreiben, mit der er seinem Glauben abschwor, kam ins Konzentrationslager. Nur sehr wenige schlossen Kompromisse. Sogar die Verfolger staunten über die Loyalität dieser Diener Jehovas.

In Lodz nahm die Gestapo Bruder Scheider und viele andere fest und steckte sie in Lager. 69 Brüder und Schwestern aus Posen kamen in deutsche Lager; 22 wurden getötet. Trotzdem lernten in Posen während des Krieges so viele die Wahrheit kennen, daß nachher eine starke Versammlung in Erscheinung trat. Ihr Eifer sprang auf benachbarte Gebiete über und trug dazu bei, die Organisation in Westpolen wiederaufzubauen.

Natürlich mußten auch die Brüder in vielen anderen Städten und kleineren Orten Schlimmes durchmachen. Zum Beispiel wurden von Wisła, einem Erholungsort in den Bergen mit damals 6 000 Einwohnern, 51 Brüder und Schwestern in Konzentrationslager eingeliefert. Nur 13 kehrten zurück.

Jehova ließ sein Volk nicht im Stich

Daß der Schöpfer sein Volk während dieser Zeit schwerer Verfolgung beschützte, liegt auf der Hand. Der Sieg hing für sie nicht vom Überleben ab, sondern von ihrer Treue — wenn nötig bis in den Tod (Offb. 2:10). Ein Bruder erzählt, daß er viele Stunden lang unbarmherzig geschlagen wurde, hauptsächlich erhielt er Schläge auf den Rücken und in die Nierengegend. Doch er hielt stand und ließ sich nicht zwingen, andere Brüder oder organisatorische Angelegenheiten zu verraten. Die Mißhandlungen wurden am nächsten Tag fortgesetzt, nur waren sie diesmal noch viel schlimmer. Am dritten Tag reagierte sein geschwollener, zerschundener Körper mit unerträglichen Schmerzen auf die Schläge. Der Bruder betete zu Jehova um Hilfe, ja er bat sogar um den Tod. Plötzlich fing der Gestapobeamte, der ihn auspeitschte, fürchterlich an zu fluchen, ließ die Peitsche fallen und ging weg. Was war passiert?

Ein paar Tage später sah der Bruder diesen Mann mit einer bandagierten Hand auf dem Flur. Mitgefangene erzählten dem Bruder, daß sich der Beamte den Zeigefinger gebrochen hatte — offensichtlich beim Auspeitschen.

Die Zeugen, die der Verhaftung entgehen konnten, ließen sich nicht entzweien. Sie kamen in kleinen Gruppen zusammen, um die Bibel und den Wachtturm zu studieren. Die Zeitschriften erhielten sie meistens von Brüdern in Deutschland und vervielfältigten sie dann oder schrieben sie mit der Hand ab. Fritz Otto hatte während dieser Zeit der Besatzung einen regen Anteil an der Untergrundtätigkeit in Lodz und erhielt den Kontakt mit den Brüdern in Posen, Bydgoszcz (Bromberg) und Danzig aufrecht. Durch die Gegner wurde die Kommunikation zwar hin und wieder unterbrochen, aber das war nie für lange Zeit der Fall.

Im Generalgouvernement

Die Lage in den mittleren und südlichen Regionen Polens sah anders aus. Dort verfolgten die Beamten Jehovas Zeugen nicht so grausam, und die Brüder waren unermüdlich tätig, wenn sie auch immer Vorsichtsmaßnahmen trafen. Sie bereiteten in Warschau Matrizen für den Wachtturm vor; dann besorgten die Verantwortlichen in jeder Zone das Vervielfältigen, wobei sie die zur Verfügung stehenden primitiven Vervielfältigungsgeräte benutzten. Man gebrauchte verschiedene Methoden, um Originalausgaben der Literatur zu schmuggeln. Manchmal dienten sogar deutsche Soldaten, deren Angehörige in der Wahrheit waren, unbewußt als Kuriere, wenn sie nach ihrem Urlaub an die Ostfront zurückkehrten.

Es gab natürlich auch viele erschütternde Erlebnisse. Im Dezember 1942 überraschte die deutsche Polizei in Warschau Stefan Milewski und Jan Gontkiewicz beim Vervielfältigen. Sie kamen sofort ins Konzentrationslager Majdanek und später nach Buchenwald. Daraufhin übernahm Ludwik Kinicki, der damals die Tätigkeit der Zeugen Jehovas im gesamten Generalgouvernement leitete, ihre Aufgaben. Zwei Jahre später, 1944, wurde auch er verhaftet, und Ende desselben Jahres verstarb er im Konzentrationslager Gusen in Österreich. Hatte der Feind gesiegt? Keinesfalls! Alle diese Brüder hatten ihre unerschütterliche Treue gegenüber Jehova unter Beweis gestellt. Und was ihre Gegner betraf — ihnen war die Gelegenheit eingeräumt worden, vor dem himmlischen Richter ihre Einstellung zur göttlichen Herrschaft zu demonstrieren (Hiob 31:14; Röm. 14:12).

In dieser Zeit des Schreckens waren die Menschen leicht einzuschüchtern. Einer betrachtete den anderen mit Argwohn. Damit unnötige Probleme vermieden wurden, waren die Brüder äußerst vorsichtig, wenn es darum ging, Menschen zu den Zusammenkünften einzuladen oder sie anderen Interessierten vorzustellen. Doch die Brüder waren eifrig, Jehova segnete sie, und neue Gruppen schossen wie Pilze aus dem Boden.

Manchmal bot sich unerwartet die Gelegenheit, Zeugnis zu geben. Im Spätherbst des Jahres 1940 starb in Wojkowice Komorne (Woiwodschaft Katowice) ein Mann, der sich für die Wahrheit interessiert hatte. Er hatte zuvor den Wunsch geäußert, von Jehovas Zeugen beerdigt zu werden, und so bereitete sich ein Bruder darauf vor, in der Wohnung des Verstorbenen ein paar Worte des Trostes zu sprechen. Doch auf dem Friedhof versammelte sich eine große Menschenmenge. Als der Bruder das sah, konnte er sich einfach nicht zurückhalten und sprach länger als eine Stunde über die biblisch begründete Hoffnung für die Toten. Von da an legten die Zeugen Beerdigungen immer auf einen Sonntag, damit so viele wie möglich die biblische Botschaft hören konnten.

In den Städten wurde meistens informell gepredigt, aber auf dem Land, besonders bei Lublin, gingen die Verkündiger schon vor Kriegsende von Haus zu Haus. Um nicht zu viel Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, begannen sie ein Gespräch gewöhnlich mit der Frage, ob der Betreffende etwas zu verkaufen hätte. Die Reaktion darauf bahnte oft den Weg für ein biblisches Gespräch.

Einige Versammlungen planten Predigtausflüge in abgelegene Dörfer, wo sie bei den Bewohnern eine durch Kriegserlebnisse bedingte veränderte Einstellung vorfanden. Viele hörten jetzt aufmerksam zu, auch Jugendliche. Die Literatur, die den Brüdern noch geblieben war, wurde wirkungsvoll eingesetzt, und man gründete neue Versammlungen.

Natürlich war Satan bemüht, die Ausdehnung der wahren Anbetung zum Stillstand zu bringen. Dazu bediente er sich zum Beispiel der Widerstandsgruppen. Einige kämpften auf Veranlassung katholischer Geistlicher nicht nur gegen die deutschen Besatzungstruppen, sondern auch gegen die Zeugen, wodurch neue Glaubensprüfungen heraufbeschworen wurden. Die Widerstandskämpfer drangen nachts in die Wohnungen der Brüder ein. Sie schlugen Männer, Frauen und Kinder und befahlen ihnen, sich zu bekreuzigen, das Kreuz zu küssen und Heiligenbilder an die Wand zu hängen. Die Eindringlinge plünderten und zerstörten Eigentum. Einige Familien erlebten solche Angriffe wiederholt. Eine Reihe von Brüdern mußte untertauchen, um am Leben zu bleiben.

„Neuordnung“ in den sowjetischen Gebieten

Ein großer Teil Ostpolens wurde im September 1939 von der Sowjetunion annektiert. Das bedeutete, daß etwa die Hälfte der Verkündiger — polnische, ukrainische sowie einige russische und jüdische Zeugen — von der Organisation getrennt waren. Sie waren zwar eifrig, doch ihre geistige Gesinnung war wegen des Mangels an neuer geistiger Speise gefährdet. Sie versuchten über die Slowakei mit der Organisation Kontakt aufzunehmen, was sich aber als äußerst schwierig erwies.

So kam es, daß sich einige Versammlungen auf eine „Neuordnung“ einließen. Anfangs bestand das Ziel darin, den Brüdern zu helfen, sich der neuen Situation anzupassen. Es wurde die Notwendigkeit betont, sich von der Welt getrennt zu halten und ein Leben in der „Pracht der Heiligkeit“ zu führen (Ps. 110:3). Diese „Neuordnung“ breitete sich von Lemberg über Lublin bis nach Warschau aus. Anstatt einfach sorgfältig den Anweisungen des Wortes Gottes zu folgen, wurden die Brüder nun aufgefordert, sich an Aktivitäten zu beteiligen, die lediglich auf der Idee eines einzelnen beruhten.

Davon beeinflußt, stürzte sich beispielsweise eine Gruppe irregeleiteter Verkündiger auf das Hauptquartier in dem von Deutschen besetzten Białystok, holte die Hakenkreuzfahne vom Dach und ersetzte sie durch eine weiße Fahne. Sie wurden festgenommen und noch am selben Tag hingerichtet. Solche Vorfälle machten auf tragische Weise deutlich, was passieren kann, wenn einzelne zu hoch von sich denken, über das hinausgehen, was in der Bibel steht, das Beispiel Christi und seiner Apostel unbeachtet lassen und sich nicht nach der Anleitung des „treuen und verständigen Sklaven“ ausrichten (Mat. 24:45).

Eine Schlußprüfung vor Kriegsende

Kurz vor Kriegsende sahen sich die Brüder einer neuen Herausforderung gegenüber. Da die Ostfront immer näher kam, wurde den Zivilisten befohlen, Panzergräben auszuheben. Als neutrale Christen konnten es Jehovas Zeugen nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren, dabei mitzumachen. Sie weigerten sich, obwohl ihnen mit Erschießung gedroht wurde. Dutzende von ihnen — einige waren neu in der Wahrheit — wurden öffentlich hingerichtet. Selbst das erwies sich als ein Zeugnis, denn anderen wurde klar, daß Jehovas Zeugen einen so starken Glauben haben, daß sie lieber sterben, als sich von ihrem Gott loszusagen.

Schließlich ging die Besatzungszeit zu Ende. Jehovas Zeugen in Polen hatten schwere Glaubensprüfungen erfolgreich bestanden. Nun wandten sie sich in noch größerer Zahl als vor dem Krieg den vor ihnen liegenden Aufgaben zu.

Aufschwung im Werk des Herrn

Die Zeugen Jehovas, die in den Konzentrationslagern überlebt hatten, kehrten im Frühjahr 1945 zurück und wollten gleich mit der öffentlichen Verkündigung des Königreiches Gottes fortfahren. Wilhelm Scheider war einer von ihnen.

Es gelang ihm nach einiger Zeit, dafür zu sorgen, daß das Gebäude in der Rzgowskastraße 24 in Lodz wieder benutzt werden konnte. Leider war neue Literatur nur zu erhalten, wenn jemand sie persönlich aus dem Ausland mitbrachte, weil der Postverkehr noch nicht wieder funktionierte. Trafen Publikationen ein, dann wurden sie so bald wie möglich übersetzt, und man schickte Matrizen in jede Zone. Bald meldeten sich Freiwillige, die ihre Hilfe anboten. Und bei anderen bewirkte Jehova, daß ihr Herz sie motivierte, das Werk mit finanziellen Beiträgen zu unterstützen.

Der Gegensatz zwischen den Dienern Jehovas und der übrigen Bevölkerung trat deutlich hervor (Joh. 13:35). Die meisten Ukrainer, darunter Hunderte unserer Brüder, wurden nach Osten umgesiedelt, so daß sie innerhalb der neuen sowjetischen Grenzen lebten. Zuvor war es zu zahlreichen haßerfüllten Auseinandersetzungen zwischen Polen und Ukrainern gekommen, die in den östlichen und südlichen Gebieten des Generalgouvernements lebten. Unter den polnischen und ukrainischen Zeugen dagegen herrschte Frieden. Als einmal ein polnischer Bruder mit drei ukrainischen Schwestern von einer Zusammenkunft nach Hause ging, stießen sie auf ukrainische Widerstandskämpfer. Die Freischärler versuchten, den Bruder zu ergreifen, weil sie ihn erschießen wollten, doch die Schwestern protestierten und wehrten die Männer mit allen Kräften ab. Der Kampf hielt zwei Stunden an. Schließlich gaben die Widerstandskämpfer nach, rissen dem Bruder aber vorher noch die Kleider vom Leib und verbrannten sie. Er rannte, nur mit seiner Unterwäsche bekleidet, zwei Kilometer barfuß durch den Schnee zu einem ukrainischen Bruder.

Nun, wo die Einschränkungen des Krieges aufgehoben waren, gingen die Zeugen voller Begeisterung in den Predigtdienst. Der erste Nachkriegsbericht ließ erkennen, daß es rund 2 500 Verkündiger gab. 1939 waren es nur 1 039 gewesen. Etwa die Hälfte von diesen lebte jetzt allerdings in Gebieten, die von der Sowjetunion annektiert worden waren. Somit hatte es in den sechs Jahren des Krieges und der Besetzung in den übrigen Gebieten des Landes eigentlich eine Zunahme um 400 Prozent gegeben. Die folgenden inspirierten Worte des Propheten Daniel haben sich bestimmt als wahr erwiesen: „Was aber das Volk derer betrifft, die ihren Gott kennen, sie werden obsiegen und wirksam handeln. Und was die betrifft, die Einsicht haben unter dem Volk, sie werden den vielen Verständnis verleihen“ (Dan. 11:32, 33).

In manchen Gegenden war ganz deutlich ein vermehrtes Interesse an der Königreichsbotschaft zu verspüren. Jan Wąsikowski berichtete aus Posen: „Wie sich die Brüder, die 1945 aus den Lagern zurückkehrten, doch freuten, als sie sahen, daß die kleine Gruppe von Zeugen auf die erfreuliche Gesamtzahl von ungefähr 600 Königreichsverkündigern angewachsen war! Aus einer einzigen eifrigen Stadtversammlung waren drei geworden.“

Die erstaunlichsten Entwicklungen waren indessen im Osten des Landes zu beobachten. Die Lebensumstände waren äußerst schwierig. Ein Kreisaufseher erzählte, daß er dort nach seiner Ankunft im Jahre 1947 nicht nur einzelne niedergebrannte Häuser sah, sondern ganze Siedlungen, die zerstört waren. Die Brüder wohnten in Unterständen und Kellern. Dennoch war das Wachstum der Versammlungen verblüffend. In den Jahren 1945 und 1946 hatte die Versammlung Teresin monatlich oft 15 bis 20 neue Verkündiger, einmal sogar 42. 1947 gehörten ihr bereits 240 Verkündiger an. In der Versammlung Alojzów waren es 190.

Geistiger Hunger gestillt

Die Brüder besaßen zwar kaum materielle Güter, doch in erster Linie hatten sie den Wunsch, Bibeln und Bibelstudienhilfsmittel zu erhalten. Wer ein eigenes Exemplar der Christlichen Griechischen Schriften hatte, konnte sich glücklich schätzen. Einige Verkündiger besaßen nur ein einziges Buch der Evangelien, das sie im Predigtdienst gebrauchen konnten. Doch bald wurde für Abhilfe gesorgt.

Im Jahre 1946 bat die Watch Tower Society die Zeugen in den Vereinigten Staaten, in Kanada, in der Schweiz und in Schweden, für ihre Mitgläubigen in den vom Krieg verwüsteten Ländern Kleider zu spenden. Sie nahmen die Gelegenheit wahr, außer Kleidung auch viele Kartons Bibeln zu schicken. Kurz darauf trafen Tausende von Exemplaren des Buches „Die Wahrheit wird euch frei machen“ ein und außerdem 250 000 Broschüren mit dem Titel Religia zbiera wicher (Die Religion erntet Sturm). Man kann sich vorstellen, wie dankbar die Brüder waren!

Die Menschen im Nachkriegspolen hungerten regelrecht nach dem Wort Gottes. 1946 waren über 6 000 Königreichsverkündiger bereit, diesem Bedürfnis abzuhelfen. Das Zweigbüro tat sein Bestes, um Literatur zu beschaffen. Aber da es keine zentrale Druckerei gab, reproduzierte man nach wie vor den Wachtturm, Broschüren und andere Druckschriften in den einzelnen Zonen, in die das Land unterteilt worden war. Obwohl die Ausrüstung zu wünschen übrig ließ, waren die Brüder schon sehr bald mit der grundlegenden geistigen Nahrung gut versorgt.

Neue Tätigkeitsbereiche

Eine Anzahl Zeugen — Alleinstehende und ganze Familien — entschlossen sich, in Gebiete zu ziehen, die jahrelang von Deutschen besiedelt waren, nach dem Krieg aber Westpolen bildeten. Viele Polen aus den östlichen Landesteilen, die von der Sowjetunion annektiert worden waren, zogen ebenfalls in diese westlichen Gebiete. Die Bewohner dieser neu besiedelten Gegenden reagierten günstig auf die Wahrheit.

Zu den eifrigen Freiwilligen, die in diesem Gebiet dienten, gehörte Stanisław Kocieniewski, der später reisender Aufseher wurde. Als er nach dem Krieg aus einem deutschen Arbeitslager zurückkehrte, war er mit seinen Kräften völlig am Ende. Doch nachdem er sich eine Zeitlang erholt hatte, fieberte er danach, wieder tätig zu sein. Er zog mit seiner Familie nach Jelenia Góra (Hirschberg). Es war die erste Familie von Zeugen, die sich dort niederließ. Später schlossen sich ihnen andere an, und bald wurde eine Versammlung gegründet. Heute gibt es in dieser Stadt neun Versammlungen.

Jan Pieniewski und seine Frau zogen nach Gorzów Wielkopolski (Landsberg), um dort zu dienen. Bruder Pieniewski erzählte: „Im Februar 1946 begannen wir mit dem Haus-zu-Haus-Dienst und besuchten als erstes unsere Nachbarn. Zu den ersten drei Häusern gingen wir zusammen, danach predigten wir getrennt. Meine Frau fragte mich: ‚Wann werden wir wohl je die ganze Stadt bearbeitet haben?‘ ... Wir trafen einen Mann, der eine Kuh gegen eine einzige Bibel eintauschen wollte. Wir brachten ihm die Bibel, nahmen aber natürlich die Kuh nicht an.“

Nicht alle Zeugen Jehovas deutscher Abstammung, die in Polen lebten, entschlossen sich, nach dem Krieg nach Deutschland zurückzukehren. Für einige von ihnen war es ein hartes Stück Arbeit, Polnisch zu lernen. Um ihnen den Predigtdienst zu erleichtern, stellte die Gesellschaft Handzettel bereit, auf denen die Königreichsbotschaft in Polnisch und Deutsch dargelegt war. Als andererseits eine polnische Schwester mit ihren Angehörigen von Frankreich in die Nähe von Wałbrzych (Waldenburg) zog, waren sie diejenigen, die sich fremd fühlten, weil es in der Gegend so viele deutschsprachige Bewohner gab. Doch dadurch, daß die Schwester die Initiative ergriff und Zeugnis gab, hatte sie bald guten Kontakt zu den deutschen Brüdern. „Wie sehr wir uns doch freuten!“ sagte sie. „Wir gingen mit ihnen von Haus zu Haus, besuchten regelmäßig interessierte Personen und führten gemeinsam Bibelstudien durch.“

Viele Verkündiger begannen mit dem Pionierdienst, weil sie erkannten, daß in ihrer Gegend ein großer Bedarf an Predigern der guten Botschaft bestand. Zofia Kuśmierz schrieb: „Es gab keine Zeugen in der Umgebung. Deshalb nahm ich den Vollzeitdienst auf. Ich verbrachte fünf Tage in der Woche im Gebiet ... Die Leute zeigten großes Interesse. Manches Jahr konnte ich 20 Personen helfen, die Wahrheit anzunehmen.“

Das Gebiet war riesig. Es gab noch keine Verkehrsmittel. Jan Skiba erinnert sich: „Wir erreichten viele Orte zu Fuß. Allein der Hinweg war oft 30 bis 40 Kilometer lang. Wir brachen um fünf Uhr morgens auf, arbeiteten bis Sonnenuntergang und kehrten häufig erst in der Nacht zurück. Manchmal schliefen wir auch irgendwo im Stroh.“ Sie besuchten Orte, in denen noch nie jemand die gute Botschaft gepredigt hatte. Etwa ein Jahr nach Kriegsende predigten die Zeugen in allen Teilen des Landes. Im März 1946 gab es in Polen 6 783 Königreichsverkündiger.

Vorkehrungen, die das Wachstum förderten

Während des Zweiten Weltkriegs hatten die Brüder in Polen keinen direkten Kontakt zur Weltzentrale der Zeugen Jehovas. Selbst das schweizerische Zweigbüro, das die Aufsicht über viele europäische Länder hatte, erhielt nur dürftige Informationen über Zeugen in den von Deutschen besetzten Gebieten. Es liegt auf der Hand, daß die polnischen Zeugen wenig über die organisatorischen Veränderungen wußten, die in anderen Ländern vorgenommen worden waren.

Trotz der Erschwernisse der Nachkriegszeit wurden die Neuerungen jedoch, sobald das Büro in Lodz die nötigen Informationen erhielt, rasch übernommen. Zuvor hatte man hauptsächlich auf die Verbreitung von Literatur Nachdruck gelegt. Aber der polnische Informator (heute Unser Königreichsdienst) vom Mai 1946 erklärte nun, wie man wirkungsvolle Rückbesuche macht, mit interessierten Personen biblische Publikationen studiert und korrekt über seine Tätigkeit berichtet. Auch in den Zusammenkünften gab es Neuerungen. Der Kurs im theokratischen Dienstamt — heute Theokratische Predigtdienstschule — wurde eingeführt. Auch wurde beschrieben, wie die Besuche der Diener für die Brüder (jetzt Kreisaufseher) ablaufen.

Durch diese organisatorischen Veränderungen wurde die Tätigkeit angekurbelt. Und als die Versammlungen die Anweisungen der leitenden Körperschaft befolgten, hatte das dieselben Auswirkungen wie im ersten Jahrhundert: „Die Versammlungen wurden daher tatsächlich im Glauben weiterhin befestigt und nahmen von Tag zu Tag an Zahl zu“ (Apg. 16:5).

Die ersten Königreichssäle

Bald nach Kriegsende suchten die Brüder Gebäude, die zu Königreichssälen umgebaut werden konnten. In Posen war schon Ende 1945 ein Saal mit 60 Sitzplätzen in Gebrauch. Baumaterialien waren schwer zu erhalten, aber die Brüder zeigten sich findig. Sie verwendeten sogar das Holz der Kisten, in denen die Gesellschaft Güter verschickt hatte.

Wenn nötig, mietete man Vereinsräume, Kinos oder andere öffentliche Gebäude. Wo keine zur Verfügung standen, hielt man die Zusammenkünfte in Privathäusern oder Wohnungen ab.

Die Brüder liebten Musik und sangen gern zur Lobpreisung Jehovas. In den ersten Nachkriegsjahren gründeten einzelne Brüder Laienchöre und -orchester. Wenn sie vor öffentlichen Ansprachen etwas darboten, kam mitunter das ganze Dorf.

Kongresse — offiziell und inoffiziell

Die ersten beiden Nachkriegskongresse in Polen waren unvergeßlich. Einer fand im Juni 1946 in dem Dorf Borówek bei Lublin statt. Es kamen ungefähr 1 500 Besucher. Dieser zweitägige Kongreß, der von den Brüdern gemäß ihrem Erkenntnisstand organisiert wurde, war inoffizieller Art. Wie es schon in vergangenen Jahren der Fall sein mußte, hielten bestimmte Brüder Ansprachen über Themen, die sie sich selbst ausgesucht hatten. Andere erzählten Erfahrungen. Unter den Anwesenden herrschte große Freude, als 260 Personen durch die Wassertaufe ihren Entschluß symbolisierten, Jehovas Willen zu tun.

Im September desselben Jahres wurde in Katowice (Kattowitz) ein von der Gesellschaft arrangierter Landeskongreß abgehalten. Es waren 5 300 Personen zugegen. Das Programm war speziell darauf ausgerichtet, die Brüder anzuspornen, eifrig und einmütig tätig zu sein und ihren Dienst auf eine für Jehova annehmbare Art und Weise zu verrichten.

Gileadmissionare treffen ein

Am 19. März 1947 gingen Stefan Behunick und Paweł Muhaluk, zwei Absolventen der Wachtturm-Bibelschule Gilead, in Gdynia (Gdingen) von Bord des Schiffes Jutlandia. Beide sprachen verhältnismäßig gut Polnisch und widmeten sich rasch den Aufgaben, die ihnen speziell übertragen wurden.

Eine ihrer wichtigeren Aufgaben bestand darin, den Kreis- und Bezirksdienst zu organisieren. Deshalb mußten sie reisende Aufseher schulen, die regelmäßig die Versammlungen besuchen, mit den ansässigen Zeugen im Predigtdienst zusammenarbeiten und lehrreiche, anspornende Vorträge halten sollten. Der Bezirksdienst wurde eingeführt, so daß in jedem Kreis regelmäßig Kongresse stattfinden konnten. In den folgenden Jahren wurden im ganzen Land Dutzende von Kreiskongressen abgehalten. Manchmal standen Vortragssäle zur Verfügung, und wenn nicht, wurden die Kongresse auf Grundstücken der Zeugen veranstaltet.

Der erste Bezirk umfaßte das ganze Land. Der Aufseher, Edward Kwiatosz, diente Jehova treu im polnischen Zweigbüro bis zum Ende seines irdischen Lebens im Jahre 1992.

Man stellte ein Programm auf, um Brüder für verschiedene wichtige Aufgaben zu schulen. In Verbindung damit wurden 1947 Pioniere zu speziellen Kursen nach Lodz eingeladen. Ein Teilnehmer schrieb später: „Die zwei Wochen im Zweigbüro sind unvergeßlich. Mir wurde jeden Tag das vermittelt, was ich am dringendsten brauchte.“ Vier aus der Gruppe wurden gebeten, den Versammlungen als reisende Aufseher zu dienen.

Die Missionare beschränkten sich nicht darauf, die Brüder in organisatorischen Fragen zu beraten, sondern sie waren mit ihnen auch fleißig im Predigtdienst tätig. Soweit es ihnen möglich war, besuchten sie die Kreise und leisteten praktische Hilfe. Die Aufseher und die Verkündiger schätzten ihren Beistand gleichermaßen, und viele erinnern sich bis heute daran.

Überfall auf das Büro in Lodz

Während sich die Organisation ausdehnte, setzten die Zeugen alles daran, den Menschen die Botschaft der Bibel näherzubringen. Der Widerstand gegen ihre Tätigkeit ließ jedoch nicht nach, obwohl sie nun unter einer sozialistischen Regierung lebten.

Schon im Februar 1946 drang die Polizei in ihr Büro in Lodz ein und verhaftete alle Brüder, die dort arbeiteten. Nur ein paar Schwestern wurden zurückgelassen. Das Gebäude wurde rund um die Uhr vom UB, dem Urząd Bezpieczeństwa (Amt für Sicherheit), bewacht. Doch eine der Schwestern war in der Lage, ein Telegramm an das Zweigbüro in der Schweiz zu schicken. Von diesem Büro aus reichte man bei der polnischen Botschaft in Bern eine Beschwerde ein. Damals waren die polnischen Behörden auf ihr Ansehen in anderen Ländern bedacht, und so wurden die Brüder in Lodz nach einer Woche wieder freigelassen.

Mittlerweile wollte das UB (Amt für Sicherheit) die Brüder dazu bewegen, bei der Überwachung der katholischen Geistlichkeit mit der Behörde zusammenzuarbeiten, als ob es sich um einen „gemeinsamen Feind“ handelte. Wie wenig das UB doch den Grundsatz der christlichen Neutralität verstand!

Im Jahr darauf fand in Krakau ein Landeskongreß statt, bei dem 7 000 Delegierte bemerkenswerterweise Kongreßabzeichen mit einem lila Winkel trugen, ähnlich dem, der Jehovas Zeugen in den Konzentrationslagern kennzeichnete. Sie hatten nicht vergessen, wie grausam sie unter dem NS-Regime verfolgt wurden, und wollten, daß es auch andere nicht vergaßen.

„Die Welt war ihrer nicht würdig“

Im Jahre 1946 gingen im Zweigbüro die ersten Berichte darüber ein, daß Zeugen Jehovas in verschiedenen Teilen des Landes grausam mißhandelt wurden. Besonders brutal gingen die Widerstandsgruppen der Narodowe Siły Zbrojne (Nationale Streitkräfte) vor. Sie kämpften nicht nur gegen die kommunistische Regierung, sondern unter dem Einfluß der katholischen Geistlichkeit auch gegen Jehovas Zeugen. Ihre Forderungen hatten bemerkenswerte Ähnlichkeit mit dem, was Satan von Jesus Christus verlangte, als er ihn aufforderte, ihm nur einen einzigen Akt der Anbetung zu erweisen (Mat. 4:9, 10). Diese katholischen Widerstandsgruppen verlangten von den Zeugen nur einen einzigen Akt der Anbetung als Beweis dafür, daß sie katholisch seien.

Am 1. März begleitete die 15jährige Henryka Żur, die aus der Umgebung von Chełm (Cholm) stammte, einen Bruder aus ihrer Versammlung, um interessierte Personen in einem Nachbardorf zu besuchen. Es sollten ihre letzten Rückbesuche sein. Die beiden Verkündiger fielen Mitgliedern der Narodowe Siły Zbrojne in die Hände, die in dem Dorf übernachteten. Der Bruder wurde heftig geschlagen, kam aber mit dem Leben davon. Die Schwester wurde stundenlang schrecklich gequält. „Im Innern kannst du ja glauben, was du willst, mach einfach das katholische Kreuzzeichen“, drang einer ihrer Peiniger in sie, „sonst legen wir dich um!“ Schließlich wurde die junge Schwester, die unerschütterlich an ihrer Lauterkeit festhielt, in den nahe gelegenen Wald geschleppt und erschossen.

Nicht ganz drei Wochen später, am Abend des 18. März, drang eine Horde von 30 Leuten in die Wohnung von Jan Ziemcow in Ostpolen ein. Zuerst wollten sie die Familie zwingen, zum katholischen Priester am Ort zur Beichte zu gehen und sich das von ihm bescheinigen zu lassen. Als biblische Wahrheiten dargelegt wurden, tobte die Menge vor Wut. Sie schlugen mit Knüppeln erbarmungslos auf Bruder Ziemcow ein und befahlen ihm wiederholt, ein Kreuz zu küssen. Um ihn zu zwingen, die Bibel zu verleugnen und in die katholische Kirche zurückzukehren, schlugen sie ihn, bis er bewußtlos umfiel. Nachdem sie ihn mit kaltem Wasser übergossen hatten und er wieder zu sich gekommen war, schlugen sie ihn buchstäblich tot. Nach diesem Mord setzten sie sich in aller Ruhe hin und aßen zu Abend, worauf sie auch die übrigen Familienangehörigen bewußtlos schlugen.

Am 12. Juni wurde ein weiterer Mord begangen. Aleksander Kulesza aus Podlasie (Podlachien) war zu Bruder Kadziela gegangen, um nach ihm und seinen Angehörigen zu sehen, die in der Nacht zuvor angegriffen worden waren. Ein schrecklicher Anblick bot sich ihm. Er konnte die Opfer kaum erkennen. Nachdem er ihnen Hilfe geleistet hatte, kehrten er und seine Familie nach Hause zurück, ohne auch nur zu ahnen, daß sie als nächste Opfer ausgewählt worden waren.

Angestachelt vom Pfarrer, umringte abends eine Bande ihr Haus und mißhandelte die Familie sechs Stunden lang. Entschlossen, Bruder Kulesza zu zwingen, in die katholische Kirche zurückzukehren, schlugen sie ihn zu Tode. Sein Sohn Jerzy wurde ebenfalls brutal geschlagen. Dennoch nahm er zwei Jahre später den Vollzeitdienst auf, und er steht bis heute in diesem Dienst.

Ein Memorandum von 1947, in dem Übergriffe auf Zeugen Jehovas in Polen aufgeführt wurden, die darauf abzielten, sie zum Katholizismus zu bekehren, ließ erkennen, daß 4 000 Personen mißhandelt und 60 von ihnen ermordet wurden. Die Narodowe Siły Zbrojne hatten 800 Angriffe auf Zeugen Jehovas in ihren Wohnungen verübt. Von diesen neuzeitlichen Zeugen Jehovas kann wie von Gottes Zeugen aus alter Zeit wirklich gesagt werden: „Die Welt war ihrer nicht würdig“ (Heb. 11:38).

Wie in einem „blutigen September im Mittelalter“

Katholische Geistliche schärften ihren Gemeinden ein, allem, was nicht mit dem Katholizismus übereinstimmte, mit fanatischer Intoleranz zu begegnen. Da sie die vorherrschende Religion Polens vertraten, gebrauchten sie unfairerweise oft Schüler und Erwachsene für Pöbelangriffe als Mittel zum Zweck.

Als Jehovas Zeugen 1948 in Lublin einen Bezirkskongreß abhielten, hetzten die Geistlichen ihre Gemeinden auf, indem sie behaupteten, die Zeugen seien aus allen Gegenden Polens gekommen, um katholische Heiligtümer zu zerstören. Die Gläubigen wurden aufgerufen, ihre Kirchen und ihre Stadt zu verteidigen. Eine Schar religiöser Fanatiker fiel über die Brüder her. Bewaffnete Polizisten, die für die Sicherheit auf dem Kongreß zuständig waren, zerrten die aggressiveren Rädelsführer in Autos und fuhren sie 30 Kilometer weit weg von der Stadt, wo sie sie fernab von irgendwelchen Verkehrswegen wieder freiließen.

Am 5. September 1948, als Zeugen Jehovas einen Kreiskongreß in Piotrków Trybunalski (Petrikau) besuchten, das etwa 120 Kilometer von Warschau entfernt liegt, sah die Lage etwas anders aus. Die Missionare, Bruder Behunick und Bruder Muhaluk, waren zugegen. Gegen 17 Uhr hatte sich in der Nähe der Kongreßstätte eine große, bedrohlich wirkende Menschenmenge versammelt, die auf das Ende des Programms wartete, um die „Bischöfe“, wie sie die Missionare nannten, zu ergreifen. Als die Zeugen den Saal verließen, ging eine Meute von mehreren hundert Leuten auf sie los und schlug einige von ihnen bewußtlos, auch die Missionare. Die Verletzten wurden in die Heilige-Dreieinigkeits-Klinik gebracht, wo man ihnen die Wunden verband. Doch das Krankenhauspersonal, das unter dem Einfluß der dortigen Nonnen stand, erlaubte ihnen nicht, im Krankenhaus zu bleiben.

Zuerst blieb der Vorfall in der Presse unerwähnt. Aber kurz nachdem man die amerikanische Botschaft in Warschau über Einzelheiten unterrichtet hatte, berichteten Nachrichtenagenturen in den Vereinigten Staaten über die Pöbelaktion.

Nicht einmal drei Wochen später kam es in derselben Region — als wäre es der zweite Akt in einem „blutigen September im Mittelalter“, wie es eine Zeitschrift ausdrückte — zu einem weiteren Vorfall, der die Gemüter bewegte. Eine Gruppe von Studenten kam der Bitte des Ministeriums für Kultur und Kunst nach, die architektonischen Altertümer, Skulpturen und Gemälde in der Umgebung von Petrikau zu katalogisieren. Das Ministerium erhielt die Erlaubnis von den kirchlichen Behörden, und die Studenten machten sich in einer der Kirchen an die Arbeit.

Doch in Kamiensk, einem nahe gelegenen Ort, stürmte die übereifrige Haushälterin eines Pfarrers in die Kirche und warf den Studenten Schimpfwörter an den Kopf. Sie behauptete, sie seien gar keine Studenten, sondern Zeugen Jehovas, die, wie sie sagte, umherziehen und Kreuze zerbrechen, Kirchen entweihen und Gräber schänden würden. Obwohl keiner der Studenten ein Zeuge Jehovas war, forderte der Priester sie auf, die Kirche auf dem schnellsten Weg zu verlassen. Die Nachricht verbreitete sich in den umliegenden Dörfern wie ein Lauffeuer. Erklärungsversuche waren zwecklos. Eine rasende Menge, mit Knüppeln, Mistgabeln und Steinen bewaffnet, verprügelte die jungen Leute und schlug sechs von ihnen krankenhausreif.

Diesmal reagierten die Behörden schnell. Die Anstifter, einschließlich des Pfarrers und seiner Haushälterin, wurden festgenommen und zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Dieser Zwischenfall führte zumindest dazu, daß die Geistlichkeit zurückhaltender wurde, wenn es darum ging, den Pöbel auf die Zeugen zu hetzen.

Schikanierung von offizieller Seite

Allerdings stand in Polen wieder einmal ein einschneidender Wechsel im politischen Klima bevor. Die neuen Machthaber wollten die Religion dem Staat dienstbar machen.

Wie bereits erwähnt, hatte sich im Februar 1946 ein Beamter des Woiwodschafts-Sicherheitsamtes in Lodz bemüht, die Zeugen als Spione gegen die katholische Kirche anzuwerben, aber die Zeugen hatten das abgelehnt. Vier Monate später kam wieder ein Geheimpolizist zum Zweigbüro und forderte die Brüder auf, mit der Polizei zusammenzuarbeiten. Er versprach ihnen, daß sie die besten Säle für ihre Zusammenkünfte erhalten würden, wenn sie zur Zusammenarbeit bereit wären, und warnte vor schlimmen Konsequenzen für den Fall, daß sie sich weigerten. „Niemand kann sich uns widersetzen“, drohte er im Weggehen.

Später machte man Genehmigungen für bestimmte Kongresse rückgängig; manchmal versuchte die Polizei, die Besucher, die zu einem Kongreß kamen, wegzuschicken. Im Mai 1949 befahl die Polizei während eines Kreiskongresses bei Cholm, das Programm abzubrechen. Als die verantwortlichen Brüder mit dem Programm fortfuhren, wurden sie verhaftet. Am letzten Kongreßtag versammelten sich die Zeugen erneut, und anstelle eines verhafteten Redners hielt ein anderer Bruder die Taufansprache. Am Nachmittag kamen ungefähr tausend Zuhörer zum öffentlichen Vortrag. Die Polizei nahm einen Redner nach dem anderen fest. Sobald einer abgeführt wurde, sprang ein anderer für ihn ein. Bevor der Tag zu Ende ging, hatten 27 verschiedene Brüder auf der Bühne gesprochen.

Ausweisung der Missionare

Am 24. Juli 1949 mußten Stefan Behunick und Paweł Muhaluk das Land verlassen — zwei Jahre und vier Monate nach ihrer Ankunft in Polen. In seinen privaten Notizen über diese Zeit des Dienstes schrieb Bruder Behunick: „Heute, 1949, ist die Arbeit im Zweigbüro bereits besser organisiert. Auch arbeiten die Versammlungen besser zusammen. Wir haben schon drei Bezirke, und im Juni hatten wir 13 699 Verkündiger — doppelt so viele wie bei unserer Ankunft 1947. Es gibt 710 eifrige Versammlungen, und 45 Personen arbeiten im Zweigbüro. Man duldet unsere Tätigkeit, und der Predigtdienst von Haus zu Haus wird fortgesetzt.“

Daß ihre Tätigkeit bis 1949 toleriert wurde, war länger, als die Zeugen es erwartet hatten. Ein Jahr zuvor, 1948, hatte der Justizminister eine Rede über „Religionsfreiheit in der Sowjetunion“ gehalten. In seiner Ansprache, die er im Bezirksgericht von Lodz hielt, erklärte er, daß sich religiöse Minderheiten in der Sowjetunion freiwillig aufgelöst und der vom Staat offiziell anerkannten Kirche angeschlossen hätten. Jehovas Zeugen schlossen aus dieser „freiwilligen Auflösung“ religiöser Minderheiten in der Sowjetunion, daß bald etwas Ähnliches in Polen geschehen würde. Sie bereiteten sich auf die Tätigkeit im Untergrund vor.

Da es ein neues Vereinsrecht gab, legten die Zeugen den Behörden gleichzeitig einen Satzungsentwurf vor, der die Tätigkeit der Wachtturm-Gesellschaft erläuterte. Sie baten um gesetzliche Eintragung gemäß der neuen Rechtslage.

Unterdessen strömten immer mehr Menschen in die Organisation. Es wurden nacheinander zehn Verkündigerhöchstzahlen erreicht, so daß im März 1950 in 864 Versammlungen 18 116 Verkündiger über ihren Predigtdienst berichteten. Im selben Jahr besuchten 28 918 Personen die Feier zum Gedenken an den Tod Christi. Das war ein deutlicher Hinweis darauf, daß es in Polen noch viele voraussichtliche Anbeter Jehovas gab.

Kein Gedanke daran, der Furcht nachzugeben

In der Nacht vom 21. April 1950 drang eine große Gruppe UB-Agenten durch ein Fenster in das Zweigbüro in Lodz ein. Sie behaupteten, die Bethelmitarbeiter seien als Spione für die Vereinigten Staaten tätig und „versuchten, die Regierung der Volksrepublik Polen gewaltsam zu stürzen“. Die UB-Agenten suchten das Gelände gründlich nach Beweisstücken ab. Natürlich fanden sie nichts. Allerdings wurden Unterlagen über die religiöse Tätigkeit der Zeugen beschlagnahmt. Am Tag darauf wurde der Vorstand der Gesellschaft festgenommen.

Die übrigen im Zweigbüro beschlossen, so viele Zeitschriften wie möglich zu drucken und sie an die Versammlungen zu verteilen. Sie verbrauchten den gesamten Papiervorrat von rund 20 Tonnen und verschickten die Literatur. Dann versteckten sie das Vervielfältigungsgerät und andere Maschinen sowie die Unterlagen. Unter solchen Umständen im Zweigbüro weiterzuarbeiten erforderte großen Mut. In dieser Zeit erhielten die Brüder auch Briefe von angeblich interessierten Personen, die sich mit den Brüdern an bestimmten Stellen in der Stadt verabreden wollten. Das eigentliche Ziel war jedoch, die Brüder auf die Straße zu locken, um Bethelmitarbeiter zu entführen, was tatsächlich auch vorkam. Daraufhin verließen die anderen das Gelände nur noch in größeren Gruppen.

Am Abend des 21. Juni machten die Beamten wieder eine Razzia im Bethel. Diesmal wurden fast alle verhaftet. Die Brüder wurden auf die offene Ladefläche eines Lkws verladen und durch Lodz gefahren. Die Wachen spotteten, das sei wie ein Betriebsausflug. „Wenn das so ist, dann laßt uns singen“, schlug ein Bruder vor. Die Proteste der Wachen nicht beachtend, begannen diese mutigen Diener Jehovas zu singen: „Wer Gott ergeben, wer stets loyal ist, der seine Furcht schnell verliert.“

Am selben Abend wurden im ganzen Land die Wohnungen von Hunderten Zeugen durchsucht. Viele Brüder wurden festgenommen. Feinde des Königreiches Gottes wollten die Organisation auflösen und Jehovas Zeugen zum Schweigen bringen.

Erst nach alldem, und zwar am 2. Juli 1950, meldete das Amt für religiöse Angelegenheiten den Medien, daß das Gesuch um Eintragung der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas in Polen abgelehnt worden war. Die willkürliche Meldung besagte, die Organisation sei jetzt aufgelöst und ihr Besitz sei vom Staat enteignet worden.

Folterkammern der UB

Für viele Zeugen begann mit dieser Welle der Ermittlungen und Festnahmen eine lange Zeit schrecklicher Leiden. Untersuchungsbeamte wollten sie zwingen, Straftaten zu gestehen, deren sie sich nicht schuldig gemacht hatten. Vor allem versuchte man, ihnen die Tätigkeit für ausländische Geheimdienste anzulasten. Man wollte die Brüder auch überreden, UB-Informanten zu werden. Laut unveröffentlichten Statistiken der UB wurden gegen 90 Prozent der „Sektenmitglieder“, wie sie in dieser Quelle genannt werden, Repressalien ergriffen. Dadurch ging die Zahl derer, die über ihren Predigtdienst berichten konnten, vorübergehend um die Hälfte zurück.

Wilhelm Scheider wurde acht Tage und Nächte ohne Unterbrechung verhört. Mit brutalen Schlägen wollten ihn die Vernehmungsbeamten zwingen, sich des von ihnen ersonnenen Vergehens schuldig zu bekennen. Als er ohnmächtig wurde, begoß man ihn so lange mit kaltem Wasser, bis er wieder zu sich kam. Man gab ihm nichts zu essen und zu trinken, und er mußte 72 Stunden hintereinander knien. Später wurde er von Lodz nach Warschau gebracht, und man warf ihn dort für 24 Tage nackt in ein enges Loch. Darin konnte er weder sitzen noch liegen, noch aufrecht stehen. Dann verhaftete das UB seine Frau und seine Tochter und mißhandelte sie. Damit wollte man ihn von seinem Glauben abbringen. Doch seine Lauterkeit war durch nichts zu erschüttern.

Harald Abt, der Schriftführer des Zweigbüros, wurde ähnlich mißhandelt. Man verhörte ihn sechs Tage ununterbrochen und schlug ihm dabei immer wieder auf den Kopf und in die Magengegend. „Auch wenn Sie fünf Jahre in einem Lager verbracht haben, weil Sie gegen den Nationalsozialismus waren, werden wir dennoch beweisen können, daß Sie bei der Gestapo waren“, sagte man zu ihm.

Edward Kwiatosz wurde brutal geschlagen und erhielt drei Tage lang nichts zu essen. Grausame Untersuchungsbeamte drohten ihm mit Erhängen. Sie ließen ihn zwei Wochen lang nicht schlafen. Sie schlugen ihm mit Gummiknüppeln auf die Fersen. Man brach ihm mehrere Rippen und das Nasenbein, schlug ihm den Schädel ein und perforierte ihm ein Trommelfell. Insgesamt wurde er 32 Tage lang mißhandelt. Aber er ließ sich nicht dazu bringen, gegen seine Brüder falsch auszusagen, nur um seine eigene Haut zu retten. (Vergleiche Hiob 2:4.)

Andere Brüder wurden ähnlich mißhandelt. Einige mußten, während sie von ihren Peinigern verhört wurden, auf einem Stuhl sitzen, aus dem in der Mitte eine Spitze herausragte. Das wurde „römische Behandlung“ genannt. All das erlitten sie allein deswegen, weil sie Zeugen Jehovas waren, weil sie sich weigerten, Erklärungen zu unterschreiben, die voller Lügen steckten, und weil sie es ablehnten, gegen ihre christlichen Brüder falsch auszusagen.

Eine Anzahl Brüder wurden 1950 in Zawiercie inhaftiert, weil sie sich weigerten, den Stockholmer Friedensappell zu unterzeichnen. Als erster kam Władysław Drabek aus Poręba dort an. Er wurde in einen dunklen Kerker gesperrt, wo ihm das Wasser bis zu den Knien reichte. Er konnte sich ein wenig ausruhen, wenn er sich mit angezogenen Beinen auf einen Holzstapel in einer Ecke setzte. Zwei Tage darauf wurden in der Zelle etliche Brüder zusammengepfercht. Alle hatten es abgelehnt, den Friedensappell zu unterzeichnen. Von Zeit zu Zeit gaben die Wärter den Gefangenen Eimer, so daß sie ihre Notdurft verrichten konnten. Wenn sie die Eimer nicht zur vorgesehenen Zeit benutzten, erhielten sie keine zweite Chance. Man kann sich vorstellen, daß das Wasser in der Zelle nach ein paar Tagen abscheulich stank.

Ein Menschenleben wäre zu kurz, um alle Mißhandlungen aufzuzählen, die Jehovas Zeugen nach den Massenverhaftungen von 1950 durchmachten. Die Lauterkeit der Diener Jehovas wurde auf eine harte Probe gestellt, und es ist nicht verwunderlich, daß einige zufolge der unmenschlichen Behandlung starben.

Treu bis in den Tod

Bruder J. Szlauer war erst 20 Jahre alt, als man ihn im August 1950 in das UB-Quartier in Cieszyn rief, um ihn zu verhören. Er weigerte sich standhaft, Mitgläubige zu denunzieren. Während des Verhörs schoß der Vernehmungsbeamte in seiner Wut zweimal auf ihn. Nach einer Stunde starb dieser junge Diener Jehovas. Doch vor seinem Tod konnte er dem Arzt noch sagen: „Der UB-Funktionär hat auf mich geschossen, weil ich Jehova treu geblieben bin.“

Andere Zeugen machten jahrelang Leiden durch, bevor der Tod sie davon erlöste. Alojzy Prostak aus Krakau, ein reisender Aufseher, wurde im Mai 1952 in Szczecin festgenommen. Nach zwei Jahren Untersuchungshaft in Warschau und Lodz war er so übel zugerichtet und ausgelaugt, daß er in ein Krankenhaus eingeliefert werden mußte. Auf Anraten eines Anwalts versuchte seine Frau, die Entlassung aus der Haft zu erwirken. Er kam 1954 frei, starb aber eine Woche nach seiner Freilassung. Ungefähr 2 000 Personen wohnten der Beerdigung bei. Der Bruder, der den Mut hatte, die Begräbnisansprache auf dem Friedhof zu halten, nutzte die Gelegenheit, um gegen die sadistischen Methoden der UB-Agenten bei Verhören von Zeugen Jehovas zu protestieren. Danach mußte er untertauchen, um einer Festnahme zu entgehen.

Aus Berichten ist zu ersehen, daß bis 1956 in Polen 16 Brüder wegen der Folterungen durch das UB oder weil man ihnen eine medizinische Behandlung verweigert hatte, gestorben waren. (Weitere Fälle kamen später ans Licht.) Die Leichen wurden den Hinterbliebenen meistens in verschlossenen Särgen übergeben, die sie nicht mehr öffnen durften. In anderen Fällen erfuhren sie erst nach vielen Monaten vom Tod eines Angehörigen.

Prozeß hinter verschlossenen Türen

Die Überlebenden der unmenschlichen Behandlung berichteten, daß man sie zwingen wollte, gegen die Vorstandsmitglieder der Gesellschaft auszusagen. Zwei Brüder wurden durch die Folterungen mürbe und ließen sich zu Falschaussagen zwingen. Aber das UB dachte sich auch selbst „Beweise“ aus.

Gestützt darauf, inszenierte man vom 16. bis 22. März 1951 in Warschau einen Prozeß hinter verschlossenen Türen. Vor dem Gerichtsgebäude versammelten sich viele Zeugen Jehovas in der Hoffnung, die Brüder durch ihre Anwesenheit zu treuem Ausharren zu ermutigen, obwohl sie sich dadurch selbst in Gefahr brachten.

Man fuhr die Angeklagten mit Rettungswagen in den Innenhof, um sie in den Gerichtssaal zu bringen, ohne daß sie gesehen werden konnten. Doch als die Gefangenen ausstiegen, riefen ihnen Brüder, die bis nahe an den Hof vorgedrungen waren, aufmunternde Worte zu, die sie daran erinnern sollten, daß sie nicht allein waren.

Auf der Anklagebank saßen sieben Brüder: vier Vorstandsmitglieder von der rechtlichen Körperschaft der Gesellschaft in Polen und drei andere Brüder, die aus verschiedenen Gründen für die Organisation als wichtig galten. Der Staatsanwalt beantragte die Todesstrafe für Wilhelm Scheider. Das Gericht verurteilte ihn zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe. Die anderen drei Vorstandsmitglieder wurden zu je 15 Jahren verurteilt, die übrigen Angeklagten zu kürzeren Freiheitsstrafen. Alle kamen in einen Hochsicherheitstrakt.

Wie sollte es weitergehen?

Aus liebevoller Sorge um alle Versammlungen machten nun zwei Bezirksaufseher, denen es gelungen war, der Festnahme zu entgehen, zusammen mit mehreren anderen erfahrenen Brüdern Pläne, um die Bruderschaft mit geistiger Speise zu versorgen. Sie dachten sich ein Kommunikationssystem aus, das fast 40 Jahre lang gut funktionierte. Es wurden Kreisaufseher ernannt, damit sie die früheren Aufgaben der Häftlinge übernehmen konnten, und Ende 1952 war trotz ständiger Schikanen die Zahl der Verkündiger des Königreiches Gottes auf 19 991 angestiegen.

Damit hatten die Sicherheitskräfte nicht gerechnet. Sie hatten geplant, Jehovas Zeugen innerhalb von zwei Jahren aus Polen auszumerzen. Wütend über ihren Mißerfolg, holten sie zu einem letzten K.-o.-Schlag aus. Es kam zu einer neuen Verhaftungswelle. Vier Mitglieder des Landeskomitees und andere eifrige Brüder und Schwestern wurden gefaßt. Man bereitete einen Schauprozeß in Lodz vor.

In den Monaten vor der Verhandlung starb einer der Brüder, mehrere erlitten einen Nervenzusammenbruch und ein anderer, Zygfryd Adach, wurde wegen einer schweren Krankheit, die er sich im Gefängnis zugezogen hatte, freigelassen. Nach mehr als zwei Jahren Vorbereitung begann am 10. März 1955 ein fünftägiger Prozeß. Es ergingen die härtesten Urteile seit dem Prozeß in Warschau. Drei Mitglieder des Landeskomitees — Jan Lorek, Tadeusz Chodara und Władysław Szklarzewicz — wurden zu je 12 Jahren Gefängnis verurteilt.

Ließen sich die übrigen Zeugen davon abschrecken und zum Schweigen bringen?

Jugendliche demonstrieren Glauben und Mut

Auch junge Zeugen, die noch zur Schule gingen, hielten an ihrem Glauben fest. In der Schule bombardierte man sie mit atheistischem Gedankengut. Wer sich dem widersetzte, wurde verspottet. Oft wurden politische Angelegenheiten in den Lehrplan aufgenommen, und die Anwesenheit bei Märschen oder Kundgebungen war obligatorisch. Einige Schulen führten militärischen Unterricht ein. Wer aus Gewissensgründen nicht daran teilnahm, wurde in der Regel von der Schule verwiesen.

Statt jedoch mutlos zu werden, nahmen viele dieser jungen Zeugen den Pionierdienst auf und leisteten dadurch einen großen Beitrag zur Verbreitung der Königreichsbotschaft. 1954 hielt man mit der nötigen Vorsicht eine Reihe mehrtägiger besonderer Zusammenkünfte mit den Pionieren ab. Sie erhielten Informationen aus einigen der Ansprachen, die 1953 in New York auf dem internationalen Kongreß „Neue-Welt-Gesellschaft“ gehalten wurden. Wie sehr sie dadurch doch geistig belebt wurden! Es war für sie eine Stärkung, auf diese Weise erinnert zu werden, daß sie der liebevollen weltweiten Bruderschaft der Diener Jehovas angehörten.

Und was taten die Brüder im Gefängnis?

Gefängnisse — ein Predigtgebiet

Władysław Przybysz, der von 1952 bis 1956 zum erstenmal inhaftiert wurde und 1969 bereits zum viertenmal freikam, erzählte: „Man betrachtete eine Gefängnisstrafe als Arbeitszuteilung in einem Gebiet, das anderen nicht zugänglich war.“ Durch die Predigttätigkeit hinter Gefängnismauern hörten viele Häftlinge von Jehova und seinem wunderbaren Vorsatz. Die Brüder im Gefängnis organisierten auch kleine Gruppen und arrangierten täglich kurze Zusammenkünfte. Selbst hinter den Gefängnismauern ‘mehrte sich die Zahl der Jünger fortgesetzt’ (Apg. 6:7).

Wegen des vorbildlichen Verhaltens der Zeugen änderten auch einige vom Gefängnispersonal nach und nach ihre Einstellung. Romuald Stawski erinnert sich, daß in einem Gefängnis der Speiseplan dahin gehend geändert wurde, daß die Zeugen nicht länger durch Essen, das Blut enthielt, auf die Probe gestellt wurden. Eines Tages wurden zwei große Behälter in eine Zelle gebracht — einer mit Blutwurst, der andere mit Gemüsesuppe. „Diese Suppe ist nur für die Zeugen Jehovas“, sagte der Wärter ausdrücklich.

Gefängnistore öffnen sich

Im Jahre 1956 änderte die Regierung allmählich ihre Haltung gegenüber Jehovas Zeugen. Ein Bezirksaufseher aus Krakau wurde im Frühjahr aus der Haft entlassen, und man sagte ihm, die Behörden seien bereit, mit den Zeugen zu verhandeln. Die Angelegenheit wurde erwogen, und dann sandte man eine Abordnung von drei Brüdern zum Amt für religiöse Angelegenheiten.

Die drei Brüder betonten, daß sie nur an Informationen interessiert seien und daß allein die inhaftierten Vorstandsmitglieder der Gesellschaft berechtigt seien, Verhandlungen zu führen. Allerdings zeigte das Amt für religiöse Angelegenheiten keinerlei Bereitschaft, mit Sträflingen zu verhandeln. Auch ein zweites Zusammentreffen endete scheinbar ergebnislos, weil die drei Brüder nachdrücklich erklärten, daß die inhaftierten Vorstandsmitglieder vom Standpunkt der Zeugen aus unschuldig seien.

Bald wurden jedoch viele Brüder und Schwestern freigelassen, die zum Teil seit 1950 im Gefängnis saßen. Unter ihnen befanden sich drei Vorstandsmitglieder und mehrere Mitglieder des Landeskomitees, die man später verurteilt hatte. Im August 1956 kam schließlich auch Wilhelm Scheider frei. Was war geschehen?

Es war mehr im Spiel gewesen als nur politische Veränderungen. Die beiden zuvor erwähnten Brüder, die falsche Anklagen vorgebracht hatten, zogen ihre Aussagen zurück, und daraufhin wurde die Anklage gegen die Vorstandsmitglieder in aller Form fallengelassen. Aber das war nicht alles. Beamte konnten erkennen, daß Jehovas Zeugen an Zahl zunahmen — und das rapide. Innerhalb von drei Jahren war die Zahl der Königreichsverkündiger auf 37 411 angestiegen — eine Zunahme von 87 Prozent. 1972 erklärte ein gutunterrichteter UB-Agent: „Wir haben beobachtet, daß die Verlautbarungen über die Prozesse gegen Zeugen Jehovas und über ihre Propaganda diese Organisation nicht geschwächt haben, sondern gerade die gegenteilige Wirkung erzielt haben.“ Die Loyalität gegenüber Jehova hatte gesiegt!

Vermehrte Tätigkeit trotz rechtlicher Hindernisse

Nach ihrer Freilassung kümmerten sich die Brüder sofort um die geistigen Bedürfnisse der Versammlungen und um das öffentliche Predigen der guten Botschaft. Die Brüder bekamen den Königreichsdienst, der gute Ratschläge für das Predigen und Jüngermachen enthielt. Trotz anhaltender Schwierigkeiten wurden die Versammlungen regelmäßig von reisenden Aufsehern besucht, und die Brüder setzten sich mit Eifer für theokratische Tätigkeiten ein.

Die polnische Verfassung garantierte offiziell die Freiheit der Religionsausübung, und Jehovas Zeugen nahmen diese Garantie für sich in Anspruch. Das Predigen von Haus zu Haus gehört zu ihrer Anbetung, und deshalb widmeten sie sich dieser Tätigkeit. Dennoch wurden Brüder im Predigtdienst von der Polizei verhaftet, weil sie einer, wie es hieß, „Gemeinschaft, deren Existenz, Aufbau und Zweck dem Staat gegenüber in geheimnisvolles Dunkel gehüllt wird“, angehörten. Der Rechtskampf um die Religionsfreiheit sollte in eine neue Phase treten.

Die Brüder legten immer wieder geduldig ihre Haltung dar — vor Gericht und in Briefen an die Regierung, die sie oder ihre Anwälte schrieben. Im Mai 1963 entschieden schließlich sieben Richter am Obersten Gerichtshof folgendes: „Die Religionsgemeinschaft aufzulösen bedeutet logischerweise, daß jegliche organisatorische Tätigkeit verboten ist, was jedoch nicht die individuelle oder private Religionsausübung einschließt, die nicht strafbar ist.“ Die Brüder verstanden das so, daß das individuelle Predigen von Haus zu Haus nicht als illegal galt.

Jetzt waren die Zeugen noch eifriger im Werk der geistigen Ernte tätig (Mat. 9:37). Die Zahl der Verkündiger nahm besonders in den Großstädten rapide zu. Dagegen waren die Ergebnisse in den dünnbesiedelten Gegenden nicht so erfreulich. Daher organisierten die Brüder in Südpolen Gruppen von Hilfspionieren, die in Gebiete gesandt wurden, wo Hilfe dringend nötig war. Diese nannte man später Pionierzentren. Die Gruppen, die meistens aus etwa einem Dutzend Verkündigern bestanden, übernachteten auf Bauernhöfen, die Brüdern gehörten, oder oft auch in Zelten.

Diese Tätigkeit erhielt dadurch Aufschwung, daß viele Verkündiger mindestens einmal im Jahr von den Pionierzentren aus als Hilfspioniere dienten. Neu begonnene Bibelstudien wurden den Verkündigern aus der am nächsten gelegenen Versammlung übergeben. Noch heute geht man mitunter nach dieser Methode vor. Ganz offensichtlich ruht darauf der Segen Jehovas.

Fortschritte bei der Beschaffung geistiger Speise

Als liebevoller Vater versorgt Jehova sein Volk auch mit geistiger Speise, und das selbst in Zeiten der Not. Trotz Verfolgung erhielten die Versammlungen ziemlich regelmäßig Literatur.

Anfangs standen nur sehr primitive handbetriebene Vervielfältigungsgeräte für das Reproduzieren von biblischen Schriften zur Verfügung. Ein Bruder erinnert sich: „Die Druckqualität ließ zu wünschen übrig, und die Zahl der Exemplare war niedrig. Zum Vervielfältigen brauchte man eine Menge Papier. Es mußte dorthin geschafft werden, wo die Arbeit getan wurde, und die fertigen Zeitschriften mußten verteilt werden — alles natürlich im Schutz der Dunkelheit. Wenn die Polizei einen solchen Ort entdeckte, bedeutete das mehrere Jahre Gefängnis für den Grundbesitzer und die Arbeiter.“

Es reichte allerdings nicht aus, nur ein wenig Literatur vervielfältigen zu können. Die Quantität und die Qualität der Druckschriften mußte gesteigert werden. Aus diesem Grund erwarb man Ende der 50er Jahre eine Rotaprint-Kleinoffsetmaschine; im Laufe der Zeit kamen weitere hinzu. Ein freundlicher Leiter einer kleinen Druckerei in Krakau zeigte den Brüdern, wie man die Maschine bedient und wie man Aluminiumplatten herstellt. Diese Druckplatten waren sehr langlebig, so daß mehr Exemplare in kürzerer Zeit gedruckt werden konnten.

Später stellte sich ein Bruder zur Verfügung, der die Technik der fotochemischen Druckplattenherstellung an der polnischen Akademie der Wissenschaften erlernt hatte. Somit gingen die Brüder dazu über, die nötige Ausrüstung selbst herzustellen. Das war ein Erfolg. Jetzt konnte die Schriftgröße fotografisch verkleinert werden, so daß man auf dieselbe Menge des schwer erhältlichen Papiers mehr Text drucken konnte. Außer Zeitschriften wurden nun auch Bücher gedruckt; das erste war das Buch Vom verlorenen Paradies zum wiedererlangten Paradies, das in Polen 1960 erschien.

Es gab jedoch viele Probleme. Zum Beispiel wurde jetzt mehr Strom gebraucht. Um keinen Verdacht zu erregen, überbrückten die Brüder den Stromzähler. Doch wegen ihres Gewissens überwiesen sie dem Elektrizitätswerk anonym Geld. Bei Danzig entdeckten die Sicherheitskräfte einmal eine „Bäckerei“ der Zeugen, wie die Druckereien genannt wurden. Die Arbeiter wurden vor Gericht gestellt, und man warf ihnen unter anderem vor, unrechtmäßig Strom verbraucht zu haben. Als die Brüder jedoch nachwiesen, daß sie für den Strom anonyme Zahlungen geleistet hatten, wurde dieser Punkt der Anklage fallengelassen. Es wurde ein hervorragendes Zeugnis gegeben.

Zwischen 1956 und 1969 wurden laut Statistiken der Sicherheitskräfte 34 Produktions- und Verteilungszentren der Zeugen entdeckt und geschlossen. Ein Beamter aus Bromberg prahlte: „Der Nachrichtendienst ist so gut organisiert, daß eine geheime Druckerei der Zeugen Jehovas innerhalb von höchstens sechs Monaten ausfindig gemacht werden kann.“

Das war eine ziemliche Übertreibung. Aber immerhin war es jedesmal ein großer Verlust, wenn eine Rotaprint beschlagnahmt wurde. Diese komplizierten Maschinen wurden nirgendwo in Polen hergestellt, und wegen der staatlichen Kontrolle war es sehr schwer, sie zu kaufen. Deshalb war ein Großteil der 50 Maschinen, die den Brüdern zur Verfügung standen, mit Jehovas Hilfe von ihnen selbst hergestellt worden.

War die Organisation von innen heraus zu schwächen?

Da sich direkte Angriffe als erfolglos erwiesen, versuchten die Behörden, die Einheit der Zeugen von innen heraus zu untergraben. Feinde veröffentlichten einen gefälschten Wachtturm mit Verleumdungen gegen treue Diener Jehovas. Ein mysteriöses „zwölfköpfiges Komitee“ benutzte Adressen aus Unterlagen des UB und brachte Briefe in Umlauf, in denen führende Brüder bösartig angegriffen wurden. Doch die Schafe kannten die Stimme ihres Hirten und konnten zwischen Wahrheit und Lüge unterscheiden (Joh. 10:27).

Ende der 50er Jahre war abzusehen, daß das „Tauwetter“ von 1956 zu Ende ging. Es schien angebracht, die gute Botschaft in größtmöglichem Umfang zu verkündigen, solange das noch durchführbar war. Es gab hervorragende Zunahmen, doch einige Brüder entwickelten einen ungesunden Konkurrenzgeist. Deswegen entsprachen viele neue Verkündiger nicht den biblischen Anforderungen. Wer an der Wahrheit interessiert war, galt schon als Verkündiger, wenn er auf die Frage, ob er mit jemandem über die Königreichsbotschaft gesprochen habe — wie es Jehovas Zeugen tun —, nur nickte. So kam das Sprichwort auf: „Heute interessiert, morgen ein Verkündiger.“ Viele von ihnen kamen nicht einmal zu den Zusammenkünften. Im März 1959, als 84 061 Verkündiger über ihre Tätigkeit berichteten, besuchten nicht einmal so viele das Gedächtnismahl. Daher konnte die geistige Stärke der Organisation leicht geschwächt werden (1. Kor. 3:5-7).

Es wurden Korrekturen vorgenommen. Die Zahl der Verkündiger sank allmählich, bis sie sich bei 50 000 einpendelte. Es dauerte fast 29 Jahre, bis eine neue Verkündigerhöchstzahl erreicht wurde. Aber diesmal — im Januar 1988 — waren es 84 559 richtige Verkündiger!

Koordinierte rechtliche Schritte

Wegen der vielen Prozesse, die man Zeugen Jehovas machte, unternahmen die Brüder Schritte, um ihre Verteidigung zu koordinieren. Es gab ein paar begabte, mutige Rechtsanwälte, die bereit waren, die Interessen der Brüder zu vertreten. Stichhaltige rechtliche Argumente wurden vorgebracht, doch der Nachdruck lag auf den Glaubensansichten der Zeugen und ihren biblisch begründeten Lehren. So war jede Gerichtsverhandlung eine Gelegenheit, den Richtern und der Öffentlichkeit Zeugnis zu geben. Romuald Stawski, der sich mit rechtlichen Angelegenheiten der Zeugen Jehovas befaßte, erinnert sich an einen Monat, in dem 30 Prozesse stattfanden — die Verhandlungen wegen christlicher Neutralität nicht mitgerechnet. Es kamen immer mehr Zuschauer zu den Prozessen, bis die Zahl auf ungefähr 30 000 jährlich angestiegen war (Mat. 10:18).

Manchmal brachten Beamte offen ihren Haß gegen Jehovas Zeugen zum Ausdruck. Als zum Beispiel in Posen gegen sechs reisende Aufseher prozessiert wurde, sagte eine Schwester aus, der Staatsanwalt habe ihr gegenüber erwähnt, daß Hitler, wenn er noch am Leben wäre, „mit den Zeugen Jehovas schnell aufräumen würde“. Dieser Staatsanwalt erklärte später außerdem, daß er bereit wäre, Tausende von Zeugen eigenhändig zu erschießen.

Aber welche Veranlassung hätte er dazu? Die religiöse Betätigung der Zeugen Jehovas stellte für die Behörden keinerlei Bedrohung dar. Das wurde bei einer anderen Verhandlung in Posen deutlich hervorgehoben, als ein Verteidiger daran erinnerte, daß 1956 eine Menschenmenge ein Gefängnis gestürmt und alle Häftlinge befreit hatte, darunter drei Zeugen Jehovas, die zu langjährigen Strafen verurteilt worden waren. Doch im Protokoll des Garnisonsmilitärgerichts stand, daß alle drei Zeugen Jehovas „sich sofort freiwillig der Miliz gestellt hatten“.

Weitere „Waffen“ ohne bleibenden Erfolg eingesetzt

Die Behörden suchten verbissen nach einer „Waffe“, mit der sie ihr Ziel erreichen könnten, nämlich die Organisation der Diener Jehovas unter ihre Kontrolle zu bringen. 1961 schien ihnen der Erfolg sicher zu sein. Mit dem Versprechen, größere Bewegungsfreiheit zu gewähren, brachten sie 15 glaubensschwache Brüder dazu, die Eintragung einer Glaubensgemeinschaft zu beantragen, die von der internationalen Gemeinschaft der Zeugen Jehovas unabhängig tätig sein sollte. Doch die Gesamtheit der Brüder unterstützte das nicht. Zwei Jahre später wurde das Gesuch um Eintragung abgelehnt.

Daraufhin dachten sich die Gegner etwas anderes aus. Sie suchten nach „einflußreichen“ Personen, die sie erpressen könnten. Wieder schienen sie erfolgreich zu sein. Sie stießen auf einen Bruder in einer verantwortungsvollen Stellung, der sich aber nicht an die christlichen Sittenmaßstäbe hielt. Brüder, die beauftragt worden waren, die Vorwürfe gegen diesen Aufseher zu überprüfen, wurden plötzlich verhaftet. Der Aufseher vernichtete Unterlagen, die ihn belasteten. Dann erhielten Brüder Briefe von angeblichen Mitgläubigen, in denen entweder geachtete Zeugen Jehovas in Verruf gebracht wurden und der Abgeirrte entlastet wurde oder umgekehrt. Wie man sich vorstellen kann, stiftete das Verwirrung unter den Brüdern, und genau das hatten die Behörden beabsichtigt.

Aber Jehova beobachtete die Vorgänge (Heb. 4:13). Im Laufe der Zeit wurden unbestreitbare Beweise vorgelegt, die zeigten, was wirklich geschehen war. Der unmoralische Bruder, der sich von den Gegnern als Marionette gebrauchen ließ, wurde ausgeschlossen. Die Falle hatte nicht funktioniert. So hatte eine weitere Waffe, die gegen Jehovas Diener gerichtet worden war, keinen bleibenden Erfolg (Ps. 124:7).

Im Jahre 1972 dachten die Gegner, sie hätten eine neue Waffe gefunden. Ein Beamter des UB hatte über viele Jahre verleumderisches Material gegen die Zeugen gesammelt. Dieses verwandte er nun in seiner Dissertation, die er schrieb, um zum Doktor der Philosophie zu promovieren. Sie war betitelt „Inhalte und Aufbau der Propaganda der Sekte Jehovas Zeugen in der Volksrepublik Polen“ und sollte später Justizbeamten in ihrem Kampf gegen die Zeugen als Handbuch dienen.

Bevor ihm jedoch der Doktorgrad verliehen werden konnte, mußte die Dissertation öffentlich zur Diskussion gestellt werden. Das war normalerweise eine reine Formsache. Doch sobald die Brüder herausgefunden hatten, wann und wo die Disputation stattfinden sollte, beteten sie deswegen zu Jehova. Obwohl sie kaum Zeit hatten, sich vorzubereiten, beschlossen sie, diese Gelegenheit, den Namen Jehovas und sein Volk zu verteidigen, wahrzunehmen.

Als Henryk Skibiński dann am 31. Mai 1972 in der Universität Thorn seine boshaft geschriebene Doktorarbeit vorlegte, befanden sich in der Zuhörerschaft einige Zeugen Jehovas. Skibiński behauptete, Jehovas Zeugen seien dem Staat und seinen Verbündeten feindlich gesinnt, sie seien Spione einer feindlichen Supermacht und sie lehnten unter anderem die Wissenschaft, Bluttransfusionen und die Evolutionstheorie ab. Er fühlte sich allerdings verpflichtet, zu erwähnen, daß sie als gewissenhafte und ehrliche Bürger bekannt seien. Dann erging das Wort an den Professor, der die Doktorwürde verleihen sollte, und an die Rezensenten. Schließlich wurden die Anwesenden aufgefordert, sich zu äußern.

Bruder Jan Waldemar Rynkiewicz aus Bromberg packte die Gelegenheit beim Schopf und widerlegte ausführlich und gründlich den Vorwurf, Jehovas Zeugen seien Spione und dem Staat feindlich gesinnt. Er machte auf Widersprüche in Skibińskis Dissertation und auf Voreingenommenheit in seiner Argumentation aufmerksam. (Zum Beispiel erwähnte Skibiński mit keinem Wort, daß die Gerichte die Anklage auf Spionage fallengelassen und viele Zeugen Jehovas rehabilitiert hatten.) Außerdem wies Bruder Rynkiewicz mit Nachdruck auf den Beitrag hin, den die Zeugen zur Chirurgie ohne Bluttransfusionen geleistet haben — ein weiterer Punkt, den Skibiński verschwiegen hatte. Der Prüfungsausschuß akzeptierte die von Bruder Rynkiewicz vorgelegten Unterlagen. Zygmunt Sawicki und Józef Rajchel, zwei weitere Zeugen, die unter den Zuhörern waren, erklärten dann mutig den Standpunkt der Bibel zu der Frage, ob sich Christen in die Politik und in weltliche Konflikte einmischen dürfen. Alle Anwesenden hörten gespannt zu. Bei dem Versuch, diese Argumente zu widerlegen, bekam Skibiński einen Wutanfall, und der Vorsitzende mußte ihm das Wort abschneiden. Er wurde nicht zum Doktor der Philosophie promoviert — sehr zum Verdruß seiner Verwandten und Freunde, die mit Blumensträußen in den Händen dastanden und nun niemandem gratulieren konnten.

Genau 50 Jahre nachdem die Zeugen in Krakau einen berühmt gewordenen Disput mit Jesuiten gehabt hatten, kämpfte eine andere Gruppe von Zeugen ebenfalls eine siegreiche Schlacht — diesmal gegen einen ähnlich verzweifelten, aber atheistischen Gegner. Von da an waren die Behörden etwas zurückhaltender, wenn es darum ging, die Verfolgung der Zeugen zu rechtfertigen. Auch änderte sich allmählich das Verhalten der Beamten gegenüber den Zeugen Jehovas.

„Waldkongresse“

Ende der 60er Jahre trafen sich die Zeugen Jehovas aus der Gegend von Śląsk Cieszyński außer bei ihren regelmäßigen Versammlungszusammenkünften in Privatwohnungen im Sommer auch in größeren Gruppen im Wald. Kurz darauf bereitete man an zentral gelegener Stelle ein Kongreßprogramm vor, und anschließend wurden im ganzen Land sogenannte Waldkongresse abgehalten.

Anfangs wollte man die Veranstalter und die Anwesenden gerichtlich belangen. Aber wer sollte durch das, was die Zeugen da taten, schon zu Schaden kommen? Sie besprachen einfach nur Gottes Wort. Mit der Zeit gewöhnten sich die Behörden an die Kongresse der Diener Jehovas. Diese Zusammenkünfte nahmen immer größere Ausmaße an. Am Anfang kamen nur ein paar Dutzend Brüder, doch in den 70er Jahren waren es meistens Hunderte.

Ende der 70er Jahre gehörte ein biblisches Drama zum Programm, und oft war eine Taufe vorgesehen. Es kamen Lautsprecheranlagen und Tonbandgeräte in Gebrauch. In manchen Gegenden wurden die Kongresse mehr dem üblichen Ablauf angepaßt; sie fanden an festgesetzten, dafür vorbereiteten Orten statt.

Besuch von Mitgliedern der leitenden Körperschaft

Ende November 1977 erhielten Frederick Franz, Theodore Jaracz und Daniel Sydlik, die in der Weltzentrale der Zeugen Jehovas dienten, die Genehmigung, nach Polen einzureisen. Das war der erste offizielle Besuch von Mitgliedern der leitenden Körperschaft. Sie sprachen mit Aufsehern, Pionieren und langjährigen Zeugen in verschiedenen Städten über die theokratischen Fortschritte in anderen Ländern und beantworteten etliche Fragen. Die Versammlungen reagierten auf den Besuch mit vermehrtem Einsatz im Königreichswerk.

Ein Jahr später reisten Milton Henschel und Theodore Jaracz nach Polen. Diesmal statteten sie dem Amt für religiöse Angelegenheiten einen Höflichkeitsbesuch ab. In den darauffolgenden Jahren konnte die leitende Körperschaft dem Werk in Polen mehr Aufmerksamkeit schenken, und sie stellte engere Verbindungen zu Aufsehern im ganzen Land her. Dadurch, daß den verantwortlichen Brüdern in Polen vermehrt theokratische Anleitung zuteil wurde, die sie sehr begrüßten, waren sie in der Lage, im eigenen Land dieselben organisatorischen Vorkehrungen zu treffen, die den Dienern Gottes in vielen anderen Ländern zugute kommen. Gleichzeitig war unter Regierungsvertretern eine bedeutende Veränderung zu beobachten, denn sie wurden allmählich toleranter gegenüber den Brüdern und ihrer Tätigkeit.

Österreichische Gastfreundschaft

Ende der 70er Jahre konnte eine Anzahl Brüder Bezirkskongresse außerhalb von Polen besuchen, und zwar zuerst in Lille (Frankreich) und später in Dänemark. Im Sommer 1980 ergab sich etwas Ungewöhnliches.

Obgleich die Organisation der Zeugen Jehovas immer noch verboten war, erhielten etwa 2 000 Zeugen die offizielle Genehmigung, den Bezirkskongreß „Göttliche Liebe“ in Wien zu besuchen. Die österreichischen Brüder nahmen die Besucher gastfreundlich auf. In dem großen Zelt, das für die Brüder aus Polen aufgestellt worden war, verfolgten alle dankbar und aufmerksam das Programm in Polnisch.

Am Ende des Kongresses versammelten sich die verschiedenen Sprachgruppen in dem nahe gelegenen Stadion. Vereint sangen sie „Hab Dank, Herr Jehova“ — jede Gruppe in ihrer eigenen Sprache. Nach dem gemeinsamen Schlußgebet wollte keiner weggehen. Liebe österreichische Gastgeber hatten nicht nur Besuchern aus Polen, sondern auch aus Ungarn, Jugoslawien und anderen Ländern Gastfreundschaft erwiesen. Während des lang anhaltenden Applauses stiegen vielen Anwesenden Freudentränen in die Augen. Wahre Christen erfreuten sich einer Einheit, die die schmerzlichen Schranken der alten, vergehenden Welt umgestoßen hatte.

Den Kongreß „Loyale Unterstützer des Königreiches“, der im Jahr darauf in Österreich stattfand, besuchten mehr als 5 000 polnische Zeugen. Diesmal versammelten sich die österreichischen Brüder in einem Zelt und überließen den Gästen das Stadion. Außerdem durften die polnischen Brüder beim Organisieren des Kongresses mithelfen, wodurch sie wertvolle Erfahrungen sammelten, die ihnen später bei der Vorbereitung großer Kongresse im eigenen Land zugute kamen.

Ein Jahrzehnt historischer Kongresse in Polen

Im selben Jahr, als die 5 000 polnischen Zeugen das Kongreßprogramm in dem Stadion in Österreich verfolgen konnten, erlaubten die Behörden von Danzig den Zeugen, einen Kongreß im Oliviasaal abzuhalten. Am 5. Juli 1981 wurden dort 5 751 Anwesende gezählt. Auch Zeugen aus der Krakauer Gegend durften im selben Jahr eine kleine Sporthalle benutzen. In Skawina fanden unter dem Motto „Loyale Unterstützer des Königreiches“ zwei Kongresse statt.

Die Lage besserte sich tatsächlich. Aber leider wurde am 13. Dezember 1981 das Kriegsrecht über Polen verhängt. Bewaffnete Polizisten und Militärpatrouillen bezogen überall im Land Posten. Alle Autos, die an ihnen vorbeifuhren, wurden kontrolliert. Öffentliche Versammlungen waren verboten. Was bedeutete das für die Brüder?

In den ersten paar Wochen zeigte es sich, daß die Zeugen, die ja für ihre christliche Neutralität bekannt waren, ohne Schwierigkeiten in Privatwohnungen zusammenkommen konnten. Trotz Reisebeschränkungen waren die Kreisaufseher in der Lage, die Versammlungen zu besuchen. Es gelangte weiterhin Literatur zu den Brüdern, wenn sie auch immer noch vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen hergestellt werden mußte.

Doch der Sommer 1982 kam rasch näher. Was sollte aus den Bezirkskongressen werden? Die Grenzen waren geschlossen, so daß niemand in ein anderes Land reisen konnte. Wegen der strikten Durchsetzung des Kriegsrechts war an Waldkongresse gar nicht zu denken. Was konnte man tun? Die Brüder wandten sich an die Besitzer von Sporthallen und fragten sie, ob sie die Hallen für Kongresse mieten könnten. Sie erhielten Zusagen. Die Nachricht wurde begeistert aufgenommen, und im ganzen Land fanden über 80 geistige Festmähler statt.

Im Jahre 1983 wurden weniger, aber dafür größere Bezirkskongresse abgehalten, überwiegend in gemieteten Sälen. Zum erstenmal durften Zeugen aus westeuropäischen Ländern dabeisein. Insgesamt kamen 114 166 Besucher, und 2 388 Personen wurden getauft.

Wäre es den Zeugen Jehovas in Polen möglich, große internationale Kongresse zu organisieren? Im Sommer 1984 baten die Brüder die Behörden um die Erlaubnis für die Benutzung vier großer Stadien im Jahre 1985. Es vergingen Monate, ohne daß eine Antwort kam. Mitte Februar 1985 war es immer noch ungewiß, ob die Genehmigung erteilt würde. Doch schließlich erhielten die Brüder eine Zusage. Die Zeit war begrenzt. Es wurde fieberhaft gearbeitet, um die vielen einzelnen Arbeiten zu erledigen, die für die vier dreitägigen Kongresse in Chorzów (Königshütte), Warschau, Wrocław (Breslau) und Posen nötig waren. Über 94 000 Besucher kamen, darunter Hunderte von Gästen aus dem Ausland. Wie sehr sie sich doch darüber freuten, daß sich 3 140 neue Diener Jehovas taufen ließen! Sie hörten dem Programm, zu dem Ansprachen von vier Mitgliedern der leitenden Körperschaft gehörten, gebannt und voller Dankbarkeit zu.

Das polnische Fernsehen drehte später zwei Dokumentarfilme über das Leben und die Tätigkeit der Zeugen Jehovas in Polen. In diesen Sendungen wurden auch Kongreßszenen gezeigt. Sie waren betitelt „Die gute Botschaft vom Königreich“ und „Bewahrer der Lauterkeit“ und wurden im ganzen Land ausgestrahlt.

An der theokratischen Ordnung festhalten

Das heißt jedoch nicht, daß nun gar kein Druck mehr von den Behörden ausgeübt wurde. Wenn auch der Durchschnittsverkündiger in seinem Predigtdienst von Haus zu Haus nicht behindert wurde, trugen doch die Brüder, die in verantwortlichen Stellungen dienten, eine schwere Last. Man darf nicht vergessen, daß die Organisation der Zeugen Jehovas immer noch nicht rechtlich anerkannt war; das Verbot war nie offiziell aufgehoben worden. Die Kongresse mußten von besonders ausgewählten Brüdern geplant werden, die als Privatpersonen die Genehmigung dafür erhalten hatten. Man versuchte, Teile des Kongreßprogramms zu zensieren. Aber die Brüder waren entschlossen, nichts ohne die Billigung der leitenden Körperschaft zu tun.

Im Jahre 1984 ergab sich für die reisenden Aufseher ein Problem. Laut einer Verordnung des immer noch bestehenden Kriegsrechts mußten alle Männer zwischen 20 und 45 Jahren einer beruflichen Tätigkeit nachgehen. Auf der Grundlage dieses Gesetzes ließ man die reisenden Aufseher in die Woiwodschaftsministerien für Religion kommen. Dort überreichte man den Brüdern fertige Bescheinigungen mit ihrer Gebietszuteilung. Oberflächlich betrachtet, sah das nach einer Legalisierung ihrer Tätigkeit aus, aber die Bescheinigungen mußten von Zeit zu Zeit erneuert werden, und jede Veränderung des Gebiets oder der Zuteilung sollte gemeldet werden. Die Brüder lehnten das entschieden ab. Ihre Aufgabe als Hirten war theokratischer Natur und nicht von der Billigung weltlicher Behörden oder deren Regelung abhängig.

Geistige Nahrung im Überfluß

Heute haben Jehovas Zeugen in Polen ansprechende Veröffentlichungen, die sie bei ihrem persönlichen Studium und in ihrem Predigtdienst gebrauchen können. Aber der Weg bis dahin war mühsam. Jahrelang wurden ihre Druckmaschinen, sobald man sie entdeckte, beschlagnahmt. Dann wollten die Behörden unbedingt kontrollieren, was die Brüder in ihren „Bäckereien“, das heißt Druckereien, produzierten.

Doch die Brüder baten um die Genehmigung, Bücher, Broschüren und Zeitschriften aus dem Ausland einzuführen. Wie auch andere religiöse Schriften unterlagen sie nach dem Gesetz nicht der Zensur. Zunächst schien das ein unerreichbares Ziel zu sein, obwohl die Brüder den allgemeinbildenden Wert ihrer Literatur hervorhoben. Aber ihre Beharrlichkeit machte sich letztendlich bezahlt.

Im Jahre 1984 wurde die Erlaubnis gegeben, 60 000 Exemplare der Publikation Mein Buch mit biblischen Geschichten aus den Vereinigten Staaten einzuführen. Später wurde ihnen die Einfuhr einer noch größeren Zahl der Broschüren „Siehe! Ich mache alle Dinge neu“ und Der göttliche Name, der für immer bleiben wird bewilligt. Es dauerte etwas länger, bis das Buch Du kannst für immer im Paradies auf Erden leben eingeführt werden durfte, aber als dann eine viertel Million Exemplare eintrafen, herrschte große Freude. Danach wurden — meistens ohne größere Schwierigkeiten — Bücher und Broschüren vom Zweigbüro der Gesellschaft in Selters/Taunus geliefert. 1989 gehörte dazu das Buch Das Leben — Wie ist es entstanden? Durch Evolution oder durch Schöpfung? — ein passendes, wenn auch kontroverses Thema in atheistischen Ländern.

Mitte 1988 — fast ein Jahr bevor die Watch Tower Society rechtlicher Vertreter der Zeugen Jehovas in Polen wurde — trafen regelmäßig halbmonatlich Der Wachtturm und monatlich das Erwachet! im Vierfarbendruck ein. Gegenwärtig werden Hunderttausende von Exemplaren versandt, und die Zahl steigt ständig an. Im ganzen Land sind die Leute daran gewöhnt, daß Zeugen Jehovas ihnen auf den Straßen, an Bahnhöfen und an den Haustüren den Wachtturm und das Erwachet! anbieten. Wie in Dutzenden von anderen Sprachen erscheint Der Wachtturm auch in Polnisch simultan mit der englischen Ausgabe, und zwar seit dem 1. November 1989.

Diese vielen Veröffentlichungen, die sowohl in der Gestaltung als auch inhaltlich von hoher Qualität sind, haben zu einer Verbreitung der guten Botschaft von Gottes Königreich in nie gekanntem Ausmaß beigetragen. Die Zahl der Bibelstudien, die mit aufrichtigen Personen durchgeführt werden, ist auf über 80 000 angestiegen, so daß immer mehr Menschen auf den Weg gelangen, der zum ewigen Leben führt. Jesus Christus hat in diesem Land ganz offensichtlich die Tür weit geöffnet. (Vergleiche Offenbarung 3:7, 8.)

Die ersten Königreichssäle

In den schwierigen Verbotsjahren gab es natürlich keine Königreichssäle. Aber Anfang der 80er Jahre wurden die ersten eingerichtet. Sie waren nicht offiziell genehmigt worden und befanden sich in Gebäuden von Zeugen Jehovas. 1986 fand ein Seminar für Beauftragte von Versammlungen statt, die entweder schon einen Saal gebaut hatten oder gerade damit beschäftigt waren. Technische und rechtliche Fragen wurden im Detail besprochen.

Im Mai 1993 verfügten die Brüder über 644 eigene Königreichssäle. Weitere 257 waren gemietet, und zusätzliche 130 befanden sich im Bau.

Endlich die rechtliche Anerkennung!

Im Jahre 1949 war das Gesuch der Zeugen Jehovas um rechtliche Anerkennung von den Regierungsbehörden abgelehnt worden. In den Jahren darauf bemühten sich die Brüder wiederholt um die rechtliche Anerkennung, damit die Interessen der Zeugen Jehovas in Polen besser gewahrt werden konnten. Oft ließ man sie einfach im ungewissen.

Um die Einfuhr von Literatur zu erleichtern, wurde 1985 eine gerichtlich anerkannte Gesellschaft unter dem Namen Strażnica — Wydawnictwo Wyznania Świadków Jehowy w Polsce (Wachtturm — Verlag der Religion Jehovas Zeugen in Polen) eingetragen. Das war ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Legalisierung der Predigttätigkeit.

Im Jahre 1987 wurde dem Amt für religiöse Angelegenheiten ein weiterer Satzungsentwurf vorgelegt. Er war nach den Anweisungen der leitenden Körperschaft sorgfältig ausgearbeitet worden. Danach wurden zwei Jahre lang Briefe gewechselt und Unterredungen geführt. Zu der Abordnung von Brüdern, die mit den Beamten sprach, gehörten zwei, die schon den ersten Antrag von 1949 unterschrieben hatten. Man kann sich gut vorstellen, wie sie sich freuten, daß 40 Jahre später, am 12. Mai 1989, der Leiter des Amtes für religiöse Angelegenheiten die Satzung der Strażnica — Towarzystwo Biblijne i Traktatowe, Zarejestrowany Związek Wyznania Świadków Jehowy w Polsce (Wachtturm Bibel- und Traktatgesellschaft, eingetragene Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Polen) genehmigte. Die Nachricht ging durch alle Medien, und Jehovas Zeugen in der ganzen Welt jubelten.

Ursprünglich gehörten zum Vorstand Harald Abt, Zygfryd Adach, Stanisław Kardyga, Edward Kwiatosz, Franciszek Mielczarek, Antoni Tomaszewski und Adam Wojtyniak. Doch in den Jahren seit der Genehmigung der Satzung sind zwei der Brüder gestorben — Harald Abt * und Edward Kwiatosz, die Jehova bis zu ihrem Tod treu dienten. An ihre Stelle traten Wiesław Jaśko und Klaudiusz Skowron.

Die Anerkennung von seiten der Behörden war in Polen wichtig, aber sie ist im Vergleich zu der Anerkennung und Gunst Jehovas, dessen Souveränität bald vor der gesamten Schöpfung gerechtfertigt wird, natürlich zweitrangig (Offb. 4:11).

In größerem Ausmaß denn je

Kurz nach der rechtlichen Anerkennung fanden im Sommer 1989 in Warschau, Königshütte und Posen unter dem Motto „Gottergebenheit“ internationale Kongresse statt. Delegierte aus fast allen Erdteilen zählten sich zu den glücklichen Anwesenden; es kamen Tausende von Besuchern aus anderen osteuropäischen Ländern und auch fünf Brüder von der leitenden Körperschaft. Das Programm für die ausländischen Delegierten in Königshütte, Posen und Warschau wurde simultan in viele Sprachen übersetzt. Die Zahl von insgesamt 166 000 Anwesenden und 6 093 Täuflingen gab Anlaß zu großer Freude.

Vom 9. bis 12. August 1990 fand im Dziesięciolecia-Stadion in Warschau ein weiteres historisches Ereignis statt. Das größte Stadion der polnischen Hauptstadt war voll besetzt. Die Delegierten aus der Sowjetunion saßen auf der einen Seite und ihre polnischen Brüder und Gastgeber auf der anderen. Es war ein unvergeßliches Erlebnis, zu beobachten, wie jede Gruppe dem Programm in ihrer eigenen Sprache zuhörte.

Nur wenige Tage zuvor war der reibungslose Ablauf des Kongresses noch gefährdet gewesen. Sowjetische Behörden hatten die Ausreise ihrer Staatsbürger nach Polen eingeschränkt. Sowjetische Reiseveranstalter hatten die Zeugen davor gewarnt, daß sie an der Grenze abgewiesen würden. Aber im Vertrauen auf Jehova machten die Brüder weiterhin Pläne für den Besuch des Kongresses. Gerade noch rechtzeitig wurde der Termin für den Beginn der Reisebeschränkungen auf einen Zeitpunkt nach dem Kongreß verschoben. Ohne Zeit zu verlieren, strömten über 17 000 sowjetische Zeugen über die Grenze. Das reichhaltige Programm voll geistiger Delikatessen, an dem sie sich erfreuten, war ein großer Lohn für die Opfer, die sie auf sich genommen hatten, um dabeizusein.

Die Segnungen nahmen kein Ende. Im Jahr darauf, 1991, fanden erneut Kongresse statt, diesmal auf mehr Städte verteilt. Wieder war der Segen Jehovas deutlich zu erkennen. Sechs Tage bevor der Kongreß in Königshütte begann, hängten einige aus dem Team einer bekannten Rockgruppe, die bald in dem Stadion ein Konzert geben sollte, ein Plakat am Stadionturm auf. Darauf waren satanische Fratzen und Symbole abgebildet. Das Kongreßkomitee beschwerte sich mehrmals deswegen und bat darum, das Plakat zu entfernen, aber es nützte nichts. Die Brüder beteten inbrünstig zu Jehova. In der Nacht riß ein plötzlicher Windstoß das Plakat in Fetzen, und das Problem war gelöst.

Im selben Jahr waren 22 000 polnische Delegierte unter den Kongreßbesuchern in Ungarn, in der Ukraine und in der heutigen Tschechischen Republik — und zwar in den Städten Budapest, Lemberg und Prag. Sie freuten sich von ganzem Herzen über die Gelegenheit, mit Angehörigen der weltweiten Bruderschaft geistige Gemeinschaft zu pflegen.

Was könnte aber in Polen im Hinblick auf ein geeignetes Verwaltungszentrum getan werden, von wo aus die Versammlungen und das Predigen der guten Botschaft beaufsichtigt würden?

Ein Zweigbüro in Polen

Nach der Schließung des Büros in Lodz im Jahre 1950 befanden sich die Abteilungen, die normalerweise zu einem Zweigbüro gehören, fast 40 Jahre lang nicht unter einem Dach, sondern an verschiedenen Stellen. Als die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas legalisiert war, konnte das geändert werden. In der Prostastraße 17 in Marki bei Warschau wurde vorübergehend ein Büro eingerichtet, von dem aus das Werk geleitet wurde. Dann machte man sich auf die Suche nach einem Bauplatz für ein Zweigbüro.

Im Oktober 1989 wurde in dem kleinen Ort Nadarzyn, etwa 20 Kilometer südwestlich von Warschau, ein brauchbares Grundstück, auf dem ein verlassenes Motel stand, erworben. Das regionale Planungsbüro der Gesellschaft in Europa zeichnete die Baupläne, und bald darauf begann man mit der Konstruktion. Zeitweise arbeiteten 600 Freiwillige auf der Baustelle. So wurde innerhalb der überraschend kurzen Zeit von einem Jahr und acht Monaten ein Gebäudekomplex fertiggestellt, in dem die Bethelfamilie wohnen und arbeiten kann. Am 28. November 1992 wurden die neuen Gebäude offiziell ihrer Bestimmung übergeben.

Passanten, die beobachteten, wie fleißig und zügig die Brüder arbeiteten, staunten nur so. In der Zeitung Gazeta Stołeczna (Großstadtblatt) hieß es in dem Artikel „Auf Gottes Art und Weise“: „Die Arbeit ist in vollem Gange; niemand steht mit den Händen in den Taschen herum. Alle tragen bei der Arbeit einen Schutzhelm. Wenn Betonböden gegossen werden sollen, arbeiten die Zimmerleute am Tag zuvor so lange, bis die Schalung ganz und gar fertig ist. Es ist undenkbar, daß die Arbeit der Freiwilligen, die am folgenden Tag kommen, verzögert wird. ... Das Hauptziel der Zeugen besteht darin, jedem, der es wünscht, die gute Botschaft zu überbringen. Die Erbauer des Bethelheims vergessen ihre Mission nicht. Nach getaner Arbeit sieht man, daß sich einige von ihnen mit einer Bibel und ein paar Ausgaben des Wachtturms aufmachen, um Gottes Wort von Haus zu Haus zu predigen. Sie betrachten mit vielen Leuten in Nadarzyn und Umgebung regelmäßig die Bibel.“

Die Brüder in Polen sind Jehova dankbar, daß es ihnen möglich war, dieses Projekt fertigzustellen. Sie sind zuversichtlich, daß durch das neue Zweigbüro die theokratischen Aktivitäten in Polen erleichtert werden. Auch möchten sie der weltweiten Bruderschaft Dank sagen, die ihnen durch ihre Gebete und ihren praktischen Beistand geholfen hat, auszuharren und diesen Tag zu erleben.

Entschlossen, weiter auszuharren

Die Bemühungen sowohl religiöser als auch politischer Gegner, Jehovas Zeugen auszulöschen, sind fehlgeschlagen. Die Zeugen sind heute die drittgrößte Religionsgemeinschaft in Polen. Ein Großteil der Bevölkerung hat Verwandte oder Bekannte, die Zeugen Jehovas sind. In den letzten Jahren haben die Medien viel über die Zeugen gesagt und geschrieben. Die Darstellungen waren meistens sachlich, oft sogar positiv. Das war hauptsächlich auf die großen Kongresse zurückzuführen. Außerdem sind die Brüder jetzt geübter darin, den Medien wissenswerte Informationen zu geben.

Anfang 1991 wurden Krankenhaus-Verbindungskomitees gebildet. Mitglieder dieser Komitees haben in vielen polnischen Großstädten mit Medizinern wertvolle Gespräche geführt. Das hat in medizinischen Kreisen einen positiven Wandel in der Haltung gegenüber Jehovas Zeugen und ihrem Standpunkt zu Bluttransfusionen bewirkt. Über das Krankenhaus in Skwierzyna (Schwerin) berichtete die Zeitung Ziemia Gorzowska: „Das medizinische Personal ist mit ihren Prinzipien vertraut; niemandem wird mehr gegen seinen Willen Blut übertragen.“

Vor einigen Jahren saßen Hunderte von Zeugen Jehovas wegen ihrer christlichen Neutralität im Gefängnis. Jetzt sind Jehovas Zeugen in Polen jedoch als getaufte Prediger, ja als ordinierte Diener Gottes vom Militärdienst befreit. Die Regierung gewährt diese Befreiung, gestützt auf eine Bescheinigung, die die Gesellschaft Brüdern ausstellt, wenn sie die Voraussetzungen dafür erfüllen. Gegenwärtig sind zwar keine Zeugen wegen der Neutralitätsfrage in Haft, aber sie haben die Häftlinge, die sie in der Vergangenheit kennenlernten und die aufrichtiges Interesse an Gottes Wort gezeigt haben, nicht vergessen. Sie besuchen sie weiter und helfen ihnen, ihr Leben nach dem Willen Gottes auszurichten.

Es war ein Anlaß zu großer Freude, daß 1993 in Polen eine Höchstzahl von 113 551 Verkündigern erreicht wurde. Die Zehntausende von Zeugen haben unzählige Gründe, Jehova dankbar zu sein. Sie haben beobachtet, wie die Wahrheit von Generation zu Generation weitergegeben wurde, und so können einige polnische Familien heute mit Stolz auf fünf Generationen zurückblicken, die für die Wahrheit eingetreten sind. Sie haben die Liebe und Güte einer engverbundenen internationalen christlichen Bruderschaft persönlich verspürt. Mit eigenen Augen haben sie beobachtet, wie Jehova ihnen in äußerst schwierigen Zeiten beigestanden und ihnen die Kraft gegeben hat, auf der Seite des messianischen himmlischen Königreiches Gottes zu bleiben. Sie haben, geläutert durch zahllose Prüfungen und Verfolgungen, erlebt, wie ihr Glaube gestärkt und ihr Vertrauen zu ihrem Schöpfer vertieft worden ist (Jak. 1:2-4).

Statt sich stolz mit ihren Erlebnissen zu brüsten, stimmen sie in Demut und Dankbarkeit gegenüber der liebevollen Fürsorge Jehovas der folgenden göttlichen Verheißung voll und ganz zu: „Welche Waffe es auch immer sei, die gegen dich gebildet sein wird, sie wird keinen Erfolg haben“ (Jes. 54:17).

[Fußnoten]

^ Abs. 112 Die Bezeichnung Katholische Aktion bezieht sich auf Gruppen katholischer Laien, die unter der Leitung eines Bischofs die religiösen, sozialen und politischen Ziele der römisch-katholischen Kirche fördern sollten.

^ Abs. 314 Die Lebensbeschreibung von Bruder und Schwester Abt ist im Wachtturm vom 15. Juli 1980 zu finden.

[Übersicht auf Seite 252]

(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)

Verkündiger

125 000

100 000

75 000

50 000

25 000

0

1981 1983 1985 1987 1989 1993

Stunden (Millionen)

20

16

12

8

4

0

1981 1983 1985 1987 1989 1993

[Karte auf Seite 170]

(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)

Danzig

Konitz

Landsberg

Bromberg

Białystok

Nadarzyn

Posen

Warschau

Lodz

Breslau

Lublin

Kielce

Kattowitz

Krakau

[Bilder auf Seite 183]

Hier in Krakau bot Franciszek Puchała jedem, der anhand der Bibel bestimmte grundlegende Kirchenlehren nachweisen könnte, eine beachtliche Belohnung an

[Bilder auf Seite 191]

Wilhelm und Amelia Scheider, bald nachdem sie 1929 in Polen den Betheldienst aufgenommen hatten

[Bilder auf Seite 193]

Jan Śmieszko, der in diesem Gerichtsgebäude in Konitz der Gotteslästerung angeklagt wurde; der Priester, der gegen ihn aussagte, gestand seine Niederlage ein

[Bild auf Seite 197]

Eine zur Tätigkeit gerüstete Gruppe von Zeugen in Südpolen (1933)

[Bild auf Seite 199]

Als „Złoty Wiek“ (Das Goldene Zeitalter) verboten war, änderten die Brüder den Namen auf „Nowy Dzień“ (Neuer Tag) ab

[Bilder auf Seite 202]

Einige, die ihren Glauben in Gefängnissen und Konzentrationslagern unter Beweis gestellt haben: 1. Paulina Woelfle (5 Jahre); 2. Jan Otrẹbski (4 Jahre); 3. Harald und Elsa Abt (er 14 Jahre, sie 7); 4. Franz Schipp (3 Jahre)

[Bilder auf Seite 207]

1940 nahm Jan Sadowski (damals und heute) die Gelegenheit wahr, einer großen Menschenmenge auf diesem Friedhof ausführlich Zeugnis zu geben

[Bild auf Seite 215]

5 300 begeisterte polnische Zeugen versammelten sich 1946 zu einem Nachkriegskongreß in Kattowitz

[Bilder auf Seite 216]

Das Zweigbüro in Lodz (1948) und die Bethelfamilie, die dort diente

[Bild auf Seite 217]

Drei Jahre nachdem dieses Foto aufgenommen worden war, starb Henryka Żur einen Märtyrertod, weil sie sich nicht bekreuzigen wollte

[Bild auf Seite 223]

Die Missionare Paweł Muhaluk (links) und Stefan Behunick wurden aus Polen ausgewiesen

[Bilder auf Seite 227]

In diesem Warschauer Gerichtsgebäude wurden Zeugen Jehovas 1951 zu hohen Strafen verurteilt. Von rechts nach links in der vorderen Reihe: Wilhelm Scheider, Edward Kwiatosz, Harald Abt, Wladyslaw Sukiennik und ein Wärter

[Bilder auf Seite 235]

Von Zeugen hergestellte Druckmaschinen, mit denen sie unter Verbot biblische Schriften druckten, und eine Gruppe von Schwestern, die jahrelang ihre Freiheit und ihr Leben riskierten, um diese Literatur zu drucken und zu verteilen

[Bilder auf Seite 238]

Hier, in der Universität Thorn, widerlegten Jan W. Rynkiewicz und zwei andere Brüder vor der Öffentlichkeit verleumderische Vorwürfe gegen die Zeugen

[Bild auf Seite 240]

Ein „Waldkongreß“ im Jahre 1981

[Bild auf Seite 251]

Polnisches Zweigkomitee im Jahre 1992