Posttraumatische Belastungsstörungen — Worum handelt es sich?
Posttraumatische Belastungsstörungen — Worum handelt es sich?
VOR Jahren bezeichnete man die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) meist als Granatschock oder Kriegsneurose. Sie wurde vor allem in Verbindung mit Kriegsveteranen erforscht. * Das hat sich mittlerweile grundlegend geändert. Eine PTBS wird längst nicht mehr nur bei Soldaten diagnostiziert. Es reicht, irgendeine traumatische Situation durchgemacht zu haben.
Als Auslöser kommt alles mögliche in Betracht wie Krieg, ein Vergewaltigungsversuch oder ein Autounfall. Ein Informationsblatt des Nationalen Zentrums für PTBS in den Vereinigten Staaten enthält folgende Formulierung: „Die Diagnose kann nur dann auf PTBS lauten, wenn der Betreffende einer traumatischen Situation ausgesetzt war.“ Dieses Erlebnis „muß eine tatsächliche oder eine angedrohte PHYSISCHE Verletzung oder einen Angriff in irgendeiner Form einschließen“.
Jane, die im vorhergehenden Artikel erwähnt wurde, erzählt: „Heute weiß ich, daß bei plötzlich auftretender Angst bestimmte Hormone ausgeschüttet werden, die extrem gesteigerte Wachsamkeit bewirken. Ist die Gefahr vorüber, fällt der Hormonspiegel wieder auf den normalen Stand, doch wenn jemand an einer Posttraumatischen Belastungsstörung leidet, bleibt er erhöht.“ Die traumatische Situation war zwar vorüber, aber die Angst, die Jane in diesem Moment hatte, wollte sich anscheinend in ihrem Sinn einnisten, etwa so wie ein unerwünschter Mieter, der den Räumungsbefehl ignoriert.
Wer eine traumatische Situation erlebt hat und ähnliche Nachwirkungen an sich beobachtet, sollte sich unbedingt klarmachen, daß er nicht der einzige ist. In einem Buch über Vergewaltigung beschreibt Linda E. Ledray PTBS als „eine übliche Reaktion normaler Menschen, die eine furchterregende Situation durchlebt haben, in der sie keinerlei Kontrolle über das Geschehen hatten“.
PTBS als übliche Reaktion zu bezeichnen bedeutet jedoch nicht, daß diese Störung bei jedem auftreten wird, der ein traumatisches Erlebnis hatte. Ledray schreibt: „1992 wurde bei einer Untersuchung festgestellt, daß eine Woche nach einer Vergewaltigung 94 Prozent der untersuchten Opfer die typischen Symptome einer PTBS zeigten und daß dies 12 Wochen später noch bei 47 Prozent der Fall war. Bei 50 Prozent der Frauen, die 1993 vom Sexual Assault Resource Service [eine Organisation für Vergewaltigungsopfer] in Minneapolis betreut wurden, waren noch ein Jahr nach der Vergewaltigung die für eine PTBS-Diagnose erforderlichen Symptome zu beobachten.“
Diese Statistiken zeigen, daß PTBS viel weiter verbreitet ist, als gemeinhin angenommen wird. Zu den Betroffenen zählen die verschiedensten Menschen, die sehr unterschiedliche Erlebnisse hatten. Die Autoren Alexander C. McFarlane und Lars Weisaeth schreiben: „Aktuelle Studien zeigen, daß nicht nur Soldaten und Kriegsopfer, sondern auch Zivilisten in Friedenszeiten oft traumatische Erlebnisse haben und daß viele, die derartige, häufig auftretende traumatische Situationen erleben, PTBS entwickeln.“ In Einzelfällen haben sogar medizinische Eingriffe oder Herzinfarkte PTBS ausgelöst.
„Es hat sich gezeigt, daß PTBS ein verbreitetes Leiden ist“, erklären die obenzitierten Autoren. Weiter sagen sie: „Bei einer Befragung von 1 245 zufällig ausgewählten amerikanischen Jugendlichen stellte sich heraus, daß 23 Prozent bereits Opfer sexueller oder anderer körperlicher Gewalt geworden sind sowie Gewalttaten gegen andere erlebt haben. Jeder fünfte der betroffenen Jugendlichen entwickelte PTBS. Das hieße, daß gegenwärtig über 1 Million amerikanische Jugendliche an PTBS leiden.“
Sollte diese Statistik zutreffen, würde das bedeuten, daß bereits in einem einzigen Land etliche junge Leute von PTBS betroffen sind. Was kann getan werden, um nicht nur diesen Menschen, sondern auch den Millionen anderen Betroffenen weltweit zu helfen?
Wie kann geholfen werden?
Wer glaubt, daß er selbst oder einer seiner Bekannten an PTBS leidet, könnte die folgenden Vorschläge ausprobieren:
Ein geistiges Programm aufrechterhalten. „Ich besuchte immer die Zusammenkünfte im Königreichssaal“, erklärt Jane. „Selbst wenn ich mich nicht auf das Gesagte konzentrieren konnte, wußte ich doch, daß Jehova wünscht, daß ich da bin. Unsere Versammlung ist besonders liebevoll und versteht, jemand zu ermuntern. Die Liebe und Anteilnahme, die mir entgegengebracht wurden, haben mir in all dieser schweren Zeit sehr viel bedeutet.“ Sie erzählt weiter: „Was mir auch geholfen hat, war, in den Psalmen zu lesen. Irgendwie schienen die dort niedergeschriebenen Gebete bedrängter Menschen für mich zu sprechen. Wenn mir beim Beten die Worte fehlten, konnte ich einfach ‚Amen‘ sagen.“
Nicht mit ermutigendem Beistand sparen. Wer einen Angehörigen hat, der mit den schrecklichen Erinnerungen an ein traumatisches Erlebnis zu kämpfen hat, sollte verstehen, daß dieser nicht überreagiert oder gar absichtlich Schwierigkeiten macht. Auf Grund von Apathie, Furcht oder Zorn mag er nicht in der Lage sein, so auf Sprüche 17:17).
den gutgemeinten Beistand zu reagieren, wie man es sich wünschen würde. Man sollte jedoch keinesfalls aufgeben. Wie die Bibel sagt, ‘liebt ein wahrer Gefährte allezeit und ist ein Bruder, der für die Zeit der Bedrängnis geboren ist’ (Der Betroffene muß schädliche Bewältigungsstrategien erkennen und meiden. Dazu zählen Drogengebrauch und übermäßiger Alkoholkonsum. Obwohl Alkohol und Drogen kurzfristige Besserung verheißen mögen, tritt bald das Gegenteil ein. Sie tragen meist dazu bei, daß man sich zurückzieht und Menschen abweist, die einem helfen möchten. Außerdem können sie übersteigerten Arbeitseifer, unkontrollierten Zorn, übertriebenes Essen oder Hungern sowie andere Formen selbstzerstörerischen Verhaltens bewirken.
Man sollte ärztliche Hilfe suchen. Möglicherweise stellt sich heraus, daß der Hilfesuchende nicht wirklich an PTBS leidet, wenn es aber doch der Fall ist, gibt es wirksame Behandlungsmethoden. * Wer professionelle Hilfe in Anspruch nimmt, sollte gegenüber der betreffenden Person ehrlich sein und sich helfen lassen, die obengenannten Verhaltensweisen abzulegen.
Es ist gut, daran zu denken, daß körperliche Wunden oft recht schnell verheilen; wer jedoch an PTBS leidet, kann die verschiedensten physischen, mentalen und emotionalen Verletzungen erlitten haben. Im nächsten Artikel geht es darum, welchen Beitrag der Betroffene selbst sowie andere zum Heilungsprozeß leisten können und welche Hoffnung es für all diejenigen gibt, die an einer Posttraumatischen Belastungsstörung leiden.
[Fußnoten]
^ Abs. 2 Siehe die Artikel „Erkennt man sie nach der Rückkehr wieder?“ und „Er kam als Fremder zurück“ im Erwachet! vom 8. November 1982.
^ Abs. 15 Jehovas Zeugen empfehlen keine bestimmte Behandlungsmethode, weder medikamentös noch psychiatrisch.
[Kasten/Bild auf Seite 6]
Symptome der Posttraumatischen Belastungsstörung
Viele, die ein traumatisches Erlebnis hatten, durchleben das Trauma in Gedanken immer wieder. Sie können dies normalerweise weder kontrollieren noch verhindern. Die möglichen Folgen sind:
• Flashback — das Gefühl, die traumatische Situation wiederhole sich
• Angstträume, Alpträume
• Neigung zu heftigen Schreckreaktionen bei lauten Geräuschen oder wenn sich jemand unerwartet von hinten nähert
• Zittern und Schweißausbrüche
• Herzklopfen oder Atembeschwerden
• Innerer Aufruhr, wenn man etwas sieht, hört, fühlt, riecht oder schmeckt, was an die traumatische Situation erinnert
• Angst oder Furcht — das Gefühl, erneut in Gefahr zu sein
• Probleme, die Emotionen zu kontrollieren, da Erinnerungen unvermittelt Angst, Zorn oder inneren Aufruhr auslösen können
• Konzentrations- oder Denkschwierigkeiten
• Schlafstörungen
• Erregung und dauernde Wachsamkeit vor Gefahr
• Gefühl des Abgeschaltetseins oder der Empfindungslosigkeit
• Große Mühe, Zuneigung oder andere tiefe Gefühle zu empfinden
• Umgebung wird als fremd und unwirklich empfunden
• Verlust des Interesses an Dingen, die einem früher Freude gemacht haben
• Schwierigkeiten, sich an wesentliche Details der traumatischen Situation zu erinnern
• Gefühl des Abgeschnittenseins von der Umwelt und von persönlichen Erlebnissen
[Bilder auf Seite 5]
PTBS kann durch eine Vielzahl traumatischer Erlebnisse ausgelöst werden