18. NOVEMBER 2016
RUSSLAND
TEIL 1 Zusatzmaterial
Russland benutzt Anti-Extremismus-Gesetz als Vorwand, um Jehovas Zeugen strafrechtlich zu verfolgen — Was sagen Experten? (ausführliche Exklusivinterviews)
Dies ist der erste Artikel einer dreiteiligen Serie.
Russische Behörden versuchen, die inländische Rechtskörperschaft von Jehovas Zeugen wegen angeblicher „extremistischer Aktivitäten“ aufzulösen, wodurch ihre Tätigkeit innerhalb der Russischen Föderation tatsächlich verboten wäre. Jehovas Zeugen sind den entsprechenden Rechtsweg gegangen und haben sowohl gegen die Beschuldigungen als auch in Bezug auf die Rechtmäßigkeit der offiziellen Verwarnung ihres Verwaltungszentrums Einspruch eingelegt.
Es wurden Exklusivinterviews mit anerkannten Wissenschaftlern für Religion, Politik und Soziologie sowie Experten im Bereich für Osteuropäische Geschichte geführt, die sich zum Rechtsfall von Jehovas Zeugen sowie Russlands allgemeinem Vorgehen im Kampf gegen den „Extremismus“ äußern.
Sollten Ihrer Meinung nach friedliche Religionsgemeinschaften, wie Jehovas Zeugen, als „extremistisch“ eingestuft und in der Russischen Föderation verboten werden?
„Nein, meiner Ansicht nach ist es absurd und nicht nachvollziehbar, Jehovas Zeugen als ‚extremistisch‘ zu betrachten“ (Prof. William S. B. Bowring, Professor für Rechtswissenschaften, Direktor der Studiengänge LLM/MA für Menschenrechte, Birkbeck School of Law an der University of London, Rechtsanwalt der Anwaltskammern Middle Temple und Gray’s Inn, Vereinigtes Königreich).
„Ich habe mich mit dem Leben von Zeugen Jehovas in Russland beschäftigt und aufgrund meiner persönlichen Erfahrungen, bin ich überzeugt, dass es sich bei ihnen um eine absolut friedliche religiöse Organisation handelt, mit einer mehr als hundertjährigen Geschichte in der Russischen Föderation. Diese Gläubigen haben nichts mit Extremismus zu tun. Aus unverständlichen Gründen sieht das Gericht sie trotzdem als Extremisten, genauso wie verurteilte Terroristen, einfach nur weil sie sich friedlich versammeln, Gottesdienste abhalten, über die Bibel sprechen und Lieder zur Ehre Gottes singen“ (Dr. Jekaterina Elbakjan, Professorin für Soziologie und Management sozialer Prozesse an der Akademie für Arbeit und soziale Beziehungen in Moskau, Mitglied der Europäischen Vereinigung für Religionswissenschaft, Chefredakteurin der russischen Ausgabe des Westminster Dictionary of Theological Terms, Verfasserin von Religionsstudien, Autorin der Encyclopedia of Religions, Russland).
„Die Gerichtsverfahren gegen Jehovas Zeugen haben zwei Hauptmerkmale der Religionspolitik seit der Jahrtausendwende gezeigt: Erstens ist die Politik fremdenfeindlich und verbunden mit einer Ablehnung westlicher Einflüsse. Zweitens gründen sich die Beschuldigungen gegen Jehovas Zeugen auf anti-religiöse Vorurteile und Argumente, die in der Sowjetunion üblich waren. Diese Unzulänglichkeiten und die Art des Umgangs mit ‚nicht traditionellen‘ Gemeinschaften sind charakteristisch für die Gerichtsverfahren gegen Jehovas Zeugen“ (Dr. Roman Lunkin, Vorsitzender des Zentrums für Religions- und Gesellschaftswissenschaften am Europainstitut der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau, Direktor des Instituts für Religion und Recht, Russland).
„Das Problematischste an der russischen Religionspolitik ist die schrittweise Einführung eines anti-religiösen und unterdrückenden Staatsapparats, mit dem Ziel, die Aktivitäten von Gläubigen zu regulieren und einzuschränken. Ich meine damit nicht nur neue Gesetze gegen Extremismus und Proselytismus, sondern auch, dass Polizei und Behörden auf lokaler Ebene ihre Macht missbrauchen. Dieser Staatsapparat wird oft gegen friedliche und gesetzestreue Gruppen eingesetzt“ (Dr. Dmitri Uzlaner, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Schule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaft in Moskau, Chefredakteur von State, Religion and Church, Russland).
„Für Jehovas Zeugen ist Gott die höchste Autorität. Das passt den Behörden nicht — deswegen verbieten sie die Religionsgemeinschaft. Die Entscheidung über Jehovas Zeugen ist bereits gefallen. Es darf sie in Russland nicht geben. Die Gerichte geben dieser Entscheidung nur noch einen rechtlichen Anstrich“ (Dr. Ljudmyla Fylypowytsch, Professorin, Leiterin der Abteilung für Religionsgeschichte und Praktische Studien des Instituts für Philosophie der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine, Vizepräsidentin der Ukrainischen Vereinigung von Religionswissenschaftlern, Ukraine).
„Dieselben Methoden, die gegen Gruppen verwendet werden, die mit terroristischen Absichten Gewalt und religiösen Hass fördern, gegen eine friedliche religiöse Bewegung zu verwenden, die keine gewalttätige Vergangenheit hat und sich pazifistischen Ideen verpflichtet, ist nicht nur extrem, es gibt dafür auch keine vernünftige Begründung. Weltweit stehen die Regierungen wichtigeren Herausforderungen gegenüber, als die unpolitischen Zeugen Jehovas zu bekämpfen, die friedlich darauf warten, dass Gottes Königreich kommt“ (Dr. Ringo Ringvee, Berater für religiöse Angelegenheiten im estnischen Innenministerium, außerordentlicher Professor für Religionswissenschaften am Theologischen Institut der Estnischen Evangelisch-Lutherischen Kirche, Estland).
„Russland ist nicht das einzige Land mit Gesetzen gegen Extremismus. Der Begriff „Extremismus“ an sich ist schon sehr vage und subjektiv. Ich bin kein Rechtsanwalt, aber ich würde es bevorzugen, wenn solche Gesetze deutlich wären hinsichtlich der Verbindung von Extremismus und dem, was das Gesetz Großbritanniens als Anstiftung zur Gewalt definiert. De facto werden russische Gesetze gegen Meinungen verwendet, die — aus welchen Gründen auch immer — von der Regierung unerwünscht sind. Ihre Verwendung gegen Jehovas Zeugen fällt ganz klar in diese Kategorie. Es gibt keinen mir bekannten Fall, dass Jehovas Zeugen andere zur Gewalt angestiftet hätten. Ganz im Gegenteil“ (Sir Andrew Wood, Associate Fellow, Russland- und Eurasienprogramm, Chatham House, the Royal Institute of International Affairs, ehemaliger Britischer Botschafter in Russland (1995–2000), Vereinigtes Königreich).
„Weder mein Wissen noch die Erfahrungen, die ich im Umgang mit Zeugen Jehovas gesammelt habe, lassen mich glauben, dass es an dieser Religion irgendetwas Extremistisches gibt“ (Dr. James Christie, Professor für Dialogue Theology, Direktor, Ridd Institute for Religion and Global Policy, Lehrstuhl Master of Divinity, United Centre for Theological Studies, University of Winnipeg, Vorsitzender Project Ploughshares, Conrad Grebel University College, University of Waterloo, Kanada).
„In dieser Gesetzgebung gibt es mehrere Probleme, die sich auf Jehovas Zeugen auswirken. Es handelt sich dabei um eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Religionsfreiheit, wodurch die UN-Menschenrechtserklärung verletzt wird, insbesondere Artikel 18, der das Recht festlegt, sich allein oder in Gemeinschaft durch Ausübung zu seiner Religion zu bekennen. Außerdem ist der Begriff „extremistisch“ vage. Ursprünglich beschrieb er Organisationen, die terroristisch und gewalttätig handelten. Dieser Begriff trifft in keiner Weise auf Jehovas Zeugen zu, die entschieden gegen Krieg und jegliche Art von Gewalt sind. Mir ist bekannt, dass die russische Gesetzgebung diesen Begriff unter anderem als ‚Erregung nationaler, ethnischer oder religiöser Konflikte‘ definiert, aber auch diese Definition trifft auf keinen Fall auf Jehovas Zeugen zu. Sie sind eine internationale und alle Ethnien umfassende Organisation, zu der Menschen jeder Herkunft und Sprache gehören“ (Dr. George D. Chryssides, ehemaliger Leiter der Religionswissenschaften an der University of Wolverhampton, Ehrenamtlicher wissenschaftlicher Mitarbeiter für Neureligionen an der York St. John University und der University of Birmingham, Vereinigtes Königreich).
„Meiner Meinung nach sind Russlands Anti-Extremismus-Gesetze und ihre Anwendung auf Jehovas Zeugen und andere religiöse Gruppen das schlimmste Beispiel für den Vorgang, Religion zu einem Sicherheitsproblem zu erklären. Ein Vorgang, der in abgeschwächter Form, auch in anderen europäischen Ländern beobachtet werden kann. Die beiden beunruhigendsten Merkmale dieser Gesetze: Sie erlauben dem Staat ein hohes Maß an Einmischung in die Glaubenslehre und interne Organisation der Glaubensgemeinschaften und sie sorgen zwischen den Religionen für ein Klima der Diskriminierung“ (Dr. Silvio Ferrari, Ehrenpräsident auf Lebenszeit des Internationalen Konsortiums für Recht und Religionswissenschaft, Co-Chefredakteur des Oxford Journal of Law and Religion, Mitbegründer des Europäischen Konsortiums für Staat-Kirche-Forschung, Professor für Recht, Religion und Kirchenrecht, Universität Mailand, Italien).
„Friedliche Gruppen wie Jehovas Zeugen aufgrund des Anti-Extremismus-Gesetzes zu verbieten, ist ein klarer Missbrauch dieses unklaren Gesetzes. Mit dem sehr weit gefassten Ansatz, den Staatsanwälte und Gerichte verfolgen, um ‚Extremismus‘ zu definieren, könnte jede Religion erfolgreich strafrechtlich verfolgt werden. Jehovas Zeugen zu verbieten, ohne dass von ihnen eine wesentliche Bedrohung und eine tatsächliche Gefahr ausgeht, was niemand ihnen unterstellt hat, verletzt die russische Verfassung und internationales Recht“ (Prof. Elizabeth A. Clark, Vizedirektorin, Regionale Beraterin, Central and Eastern Europe, International Center for Law and Religious Studies, Brigham Young University, Vereinigte Staaten).
„Wenn ‚Extremismus‘ grob als nichttraditionell oder unkonventionell definiert wird, dann eignet sich die Formbarkeit des Begriffes dafür, dass man ihn für eigene Zwecke ausnutzen kann. Wenn man soweit geht, diesen Begriff auch auf Jehovas Zeugen anzuwenden, dann scheint es nicht um eine tatsächliche Bedrohung zu gehen, sondern darum, was der Tradition entspricht. Jehovas Zeugen werden weitgehend immer noch so behandelt wie zur Zeit der Sowjetunion, sowohl in der Darstellung in den Medien als auch in der politischen Meinung“ (Dr. Zoe Knox, außerordentliche Professorin für Moderne Russische Geschichte, University of Leicester, Vereinigtes Königreich).
„Das Problem mit dem sogenannten Anti-Extremismus-Gesetz ist, dass es ganz offensichtlich dafür gemacht wurde, religiöse Minderheiten ins Visier zu nehmen, nicht Terroristen“ (Dr. Eric D. Patterson, Professor und Dekan, Robertson School of Government, Regent University, Vereinigte Staaten).
„Es ist absurd, Jehovas Zeugen als extremistisch zu bezeichnen, es sei denn, man definiert ‚extremistisch‘ als alles, was von der Norm abweicht. Sie so zu nennen widerspricht allem, was ich über die Theologie und Ideologie von Jehovas Zeugen weiß“ (Prof. Frank Ravitch, Professor für Rechtswissenschaften, Walter H. Stowers Chair of Law and Religion an der Michigan State University, Vereinigte Staaten).
„Politische Krisen und Konflikte neigen dazu, sich auf den Bereich der Religion auszuwirken. Die Gründe für den intensiveren Kampf gegen Extremismus in Russland sind politischer und nicht religiöser Art. Gegenwärtig sind Jehovas Zeugen in Russland ohne eigene Schuld zu Opfern geworden“ (Dr. Alar Kilp, Dozent für Vergleichende Politikwissenschaft, Institute of Government and Politics, an der Universität Tartu; Mitveranstalter von Religion and Politics in Russia and Eastern Europe, Center for EU-Russia Studies (CEURUS), Estland).
„Staatlicher Widerstand gegen Jehovas Zeugen hat in Russland eine lange Geschichte, die bis in die sowjetische Zeit zurückreicht. Sowjetische Zeugen Jehovas weigerten sich zu wählen, Militärdienst zu leisten, Staatsanleihen zu kaufen, der kommunistischen Partei beizutreten oder die offizielle Ideologie zu unterstützen. Auch als sie unter erheblichen Druck gesetzt wurden, ihren Glauben aufzugeben, trafen sie sich weiterhin in Privatwohnungen und hörten nicht auf, anderen zu predigen. Ihre Weigerung, die sowjetische Regierung zu befürworten, führte zu Jahrzehnten heftiger Verfolgung, bis hin zur Verbannung etlicher in entlegene Gegenden Sibiriens. Jahrzehntelang verhaftete und inhaftierte der sowjetische Staat Zeugen Jehovas und trennte sogar Kinder von ihren Familien. Zudem veröffentlichte der Staat reißerische Berichte, in denen Jehovas Zeugen als Verbrecher, Verräter und Abweichler dargestellt wurden. Obwohl die Sowjetunion vor mehr als zwanzig Jahren zerfallen ist, überrascht es nicht, dass ihr Vermächtnis anhaltender Feindseligkeit und Verfolgung bis heute wirksam ist“ (Dr. Emily B. Baran, Assistenzprofessorin für Russische und Osteuropäische Geschichte an der Middle Tennessee State University, Vereinigte Staaten).
„Russlands Maßnahmen wirken auf mich ziemlich extrem, besonders in solch dramatischen Zeiten, in denen offensichtlich sein sollte, wer und was wirklich ‚extremistisch‘ ist. Jehovas Zeugen sind eine Bewegung, die den Frieden fördert. Ihre Gedanken und ihre Handlungen sind völlig gewaltfrei“ (Dr. Giampero Leo, Vizepräsident, Regionaler Ausschuss für Menschenrechte, Region Piemont, Italien).
„Im Grunde ist das Gesetz zu weit gefasst. Die Formulierungen darin erlauben es, Personen im Wege des Gesetzesvollzugs zu verhaften oder zu bedrohen, wenn diese Glaubensansichten vertreten, die unpopulär sind oder dem Staat nicht passen. Typische Beispiele sind die Verhaftungen von Zeugen Jehovas, anderen Minderheiten und sogar Atheisten. Das Gesetz wird im Prinzip angewandt, um die von der Regierung unterstützten Ansichten der orthodoxen Kirche zu schützen und um Ansichten zu bestrafen, die als Alternative oder Bedrohung des orthodoxen Glaubens wahrgenommen werden“ (Melissa Hooper, Rechtsanwältin, Direktorin des International Law Scholarship Project/Pillar Project, Human Rights First, ehemalige Regionaldirektorin der American Bar Association Rule of Law Initiative in Moskau, Vereinigte Staaten).
„Viele Russen halten Jehovas Zeugen für ‚nicht christlich‘, ‚unpatriotisch‘ (wegen ihrer Wehrdienstverweigerung) und für eine ‚Bedrohung‘ und ähnliches, obwohl Jehovas Zeugen eine christliche Glaubensgemeinschaft sind und ihren Glauben auf die Bibel stützen. Nein, ich denke, die Bezeichnung ‚extremistisch‘ ist nicht korrekt“ (Dr. Basilius J. Groen, UNESCO-Professor für den interkulturellen und interreligiösen Dialog in Südosteuropa, Professor für Liturgiewissenschaft und Sakramenten-Theologie sowie Vorstand des Instituts für Liturgiewissenschaft,christliche Kunst und Hymnologie in Graz, Österreich).
„Es sollte Jehovas Zeugen möglich sein, ihren Glauben in Russland auszuüben, so wie sie es auch in anderen Ländern können. Das grundlegende Menschenrecht, sich zu einer Religion zu bekennen und ihr gemäß in der Öffentlichkeit zu handeln, wird von vielen Menschenrechtsabkommen und nationalen Gesetzen geschützt, wie dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, der Europäischen Menschenrechtskonvention und der russischen Verfassung. Dieses Recht sollte Jehovas Zeugen vollständig gewährt werden“ (Eric Rassbach, stellvertretender Chefsyndikus, The Becket Fund for Religious Liberty, Vereinigte Staaten).
„Ich bin überrascht und bestürzt, dass Jehovas Zeugen als ‚extremistisch‘ bezeichnet werden. Die Weise, in der es geschieht, macht den Eindruck einer bewussten Falschdarstellung der aufrichtigen Ziele der Mitglieder dieser Glaubensgemeinschaft. Das große Engagement von Jehovas Zeugen, ihren Glauben auszuüben und zu verbreiten, stellt wohl kaum eine Bedrohung für den russischen Staat dar. Sie zu verbieten, würde nichts zur Sicherheit oder öffentlichen Ordnung in Russland beitragen, wäre aber ein schwerer Schlag für Religionsfreiheit und Menschenrechte“ (Dr. Shawn F. Peters, Dozent für Religions- und Rechtswissenschaften, University of Wisconsin, Vereinigte Staaten).
„Die kurze Antwort ist: nein. Erstens: So eine Entscheidung zu treffen, basiert auf einer zu weiten Definition von Extremismus, die es versäumt, Gewalt oder ein bestimmtes Maß an Hass als nötige Bestandteile des Verstoßes festzulegen, und die stattdessen auf alle möglichen Meinungsäußerungen angewandt werden könnte. Zweitens: Vollständige Verbote von Organisationen würden erkennen lassen, dass die Regierung nicht in der Lage war, andere Maßnahmen zu finden, um die tatsächlich extremistischen Handlungen erfolgreich zu unterbinden. Eine Bestrafung, die am äußersten Ende des Spektrums der Möglichkeiten der Regierung angesiedelt ist, muss Anlass für eine unabhängige rechtliche Untersuchung sein, um zu prüfen, ob die Maßnahmen des Staates hinsichtlich der vermeintlichen Bedrohung angemessen und notwendig sind. Religiöse Gruppen, wie Jehovas Zeugen, als ‚extremistisch‘ abzustempeln oder zu verbieten ist nicht gerechtfertigt, aber das eben beschriebene Rechtsystem würde so ein Vorgehen ermöglichen“ (Prof. Robert C. Blitt, Professor für Rechtswissenschaften an der University of Tennessee, ehemaliger Spezialist für internationales Recht, United States Commission on International Religious Freedom (USCIRF), Vereinigte Staaten).
„Auf keinen Fall. Das wäre ein Fehler und passt nicht zu einer Politik zugunsten der Religionsfreiheit“ (Prof. Pasquale Ferrara, Privatdozent, Lehrstuhl für Diplomatie am Institut für Politikwissenschaften, Freie Internationale Universität für Soziale Studien (LUISS), Lehrstuhl für Internationale Beziehungen und Integration, Universitätsinstitut Sophia, Figline e Incisa Valdarno, Italien).
„Einige ihrer Glaubensansichten teile ich nicht, aber ich denke, Jehovas Zeugen als ‚extremistisch‘ im Sinne der russischen Behörden zu bezeichnen, ist falsch und unverhältnismäßig“ (Dr. Javier Martínez-Torrón, Professor für Rechtswissenschaften, Direktor, Fachbereich Recht und Religion, Universität Complutense Madrid, Spanien).
„Elemente innerhalb der russisch-orthodoxen Kirche machen gemeinsame Sache mit den russischen Ordnungskräften, um ihre eigenen Interessen voranzutreiben und um alles, was als Konkurrenz empfunden wird, zu unterdrücken“ (Dr. Jim Beckford, Mitglied der British Academy, emeritierter Professor der Soziologie an der University of Warwick, ehemaliger Präsident der Society for the Scientific Study of Religion (USA), Vereinigtes Königreich).
„Ein echter Russe, soweit er Christ ist, gehört der Russisch-orthodoxen Kirche an. Die Folge ist, dass Russen mit der ‚falschen‘ Religionsgemeinschaft aus der Gemeinschaft ausgeschlossen und isoliert werden. Die Bürgerrechte von Jehovas Zeugen werden in Russland daher empfindlich verletzt.“ (Dr. Gerhard Besier, emeritierter Professor für Europastudien an der Technischen Universität Dresden, Gastprofessor an der Stanford University, Direktor des Sigmund-Neumann-Instituts für Freiheits- und Demokratieforschung, Deutschland).
„Meinem Empfinden nach liegt die Ursache für die Feindseligkeit gegen Jehovas Zeugen nicht in ihren Glaubenslehren und Schriften, sondern vielmehr in ihrem erfolgreichen Missionieren. Paradoxerweise ist ihre Anzahl zum Teil deswegen angestiegen, weil sie ‚unter Verfolgung aufblühen‘. Zum Beispiel haben die Deportationen zur sowjetischen Zeit ihr Ziel verfehlt. Zwischen 1951 und 1952 wurden ungefähr 7 000 Zeugen Jehovas nach Zentralasien und Sibirien verbannt, was nur dazu führte, dass sich ihre Botschaft weiter verbreitete. Dass es sie überall im Land gibt, ist also sowohl das ungewollte Ergebnis der Arbeit des Kremls, als auch der Missionstätigkeit der Zeugen Jehovas. Genauso wie sie bereits die Unterdrückung in der Sowjetunion überstanden haben, kann man davon ausgehen, dass Jehovas Zeugen auch ein gegenwärtiges gesetzliches Verbot überstehen würden“ (Dr. Mark R. Elliott, Gründer und Verleger des East-West Church and Ministry Report, Asbury University, Kentucky, Vereinigte Staaten).
„Meines Wissens gibt es für das Konzept Extremismus keine soziologische Definition. Extremismus ist ein politisches Konzept, das in Demokratien verwendet wird, in denen es ein Zentrum, eine Linke und eine Rechte gibt. Aber es ist schwierig, den Begriff Extremismus auf eine Religion anzuwenden. Einige religiöse Gruppen haben eine intensivere Glaubensausübung als andere Gruppen (das heißt Praktiken, die es erfordern häufiger zu beten oder sich bestimmten Speise- oder Fastenvorschriften zu unterziehen) oder sie erwarten von ihren Gläubigen einen höheren moralischen Standard als andere. Die Praktiken von Jehovas Zeugen sind eher stark ausgeprägt, sie kommen öfter zu Gottesdiensten zusammen als die Mitglieder großer Glaubensgemeinschaften, aber solche häufigen Zusammenkünfte gibt es beispielsweise auch bei frommen Juden. Jehovas Zeugen fühlen sich gedrängt, ihre Glaubensansichten bekanntzumachen, indem sie auf der Straße oder von Haus zu Haus missionieren. Sie haben einen höheren Moralstandard als das typische Mitglied einer großen Kirche. Sie fühlen sich verpflichtet zu ehrlicher Arbeit und guter Nachbarschaft, zu Treue in der Ehe, Höflichkeit und dazu, anderen keinen Schaden zuzufügen. Sie verweigern den Wehrdienst, um keinen anderen Menschen im Kampf töten zu müssen. Die darin zum Ausdruck kommende Religiosität ist intensiver als die der traditionellen Kirchen, aber sie ist keinerlei Gefahr für die Gesellschaft. Jehovas Zeugen sind keine Fundamentalisten, da sie nicht die Macht ergreifen wollen, um eine Theokratie zu errichten (sie glauben, dass die Theokratie ausschließlich von Gott errichtet wird). Sie wollen keine von ihren Grundsätzen regierte Gesellschaft etablieren, wie es Radikalislamisten tun. Jehovas Zeugen sind einfach bibeltreue Menschen, die ihr Leben gemäß ihrer Interpretation der Bibel leben. Das ist ihre Entscheidung. Die einzige Aufgabe für die Gesellschaft ist, zu entscheiden, ob Jehovas Zeugen gefährlich sind oder nicht. Mein Antwort ist: nein. Jehovas Zeugen verhalten sich neutral und engagieren sich nicht politisch. Was noch wichtiger ist: Sie verüben keine Anschläge“ (Dr. Régis Dericquebourg, Soziologe und außerordentlicher Professor für Neue Religiöse Bewegungen, Antwerp FVG, Belgien).
„Nein, das denke ich nicht. Ich bin kein Zeuge Jehovas und ich unterstütze sie nicht. Auch bin ich mit einigen ihrer Glaubensansichten nicht einverstanden, aber ich halte sie nicht für extremistisch (natürlich hängt das davon ab, was man unter ‚Extremismus‘ versteht). Stattdessen denke ich, sie sollten — wie jeder andere auch — das Recht haben, ihre Überzeugung zum Ausdruck zu bringen“ (Dr. Thomas Bremer, ehemaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter am Jordan Center for the Advanced Study of Russia der New York University, Professor für Ökumene, Ostkirchenkunde und Friedensforschung an der Universität Münster, Deutschland).
„Die Anwendung der russischen Gesetzgebung auf Jehovas Zeugen führt zu einer ungerechtfertigten Einschränkung der Grundrechte und widerspricht dadurch den internationalen Normen für Menschenrechte, die individuelle und kollektive Religionsfreiheit schützen und Diskriminierung aufgrund der Religion verbieten. Diese Aussage stützt sich auf eine in den internationale Normen für Menschenrechte etablierten Methodik, gemäß der potentielle Fälle von Verletzung der Religionsfreiheit anhand folgender Kriterien untersucht werden müssen: 1. Ob das Recht, seine Religion auszuüben, eingeschränkt wurde und 2. ob die betreffende Einschränkung verhältnismäßig war und durch eine rechtmäßige Begründung gerechtfertigt wurde“ (Dr. Marco Ventura, Professor für Rechtswissenschaften und Religion an der Universität Siena, Direktor des Centrums für Religionswissenschaftliche Studien an der Bruno Kessler Stiftung, Forschungsmitarbeiter am Droit, religion, entreprise et société (DRES) der Universität Straßburg (Frankreich), Italien).
„Die Religionsfreiheit im Namen des Kampfes gegen Extremismus zu beschränken, ist ein bedauerlicher Vorwand. Es ist beunruhigend, dass auch im 21. Jahrhundert immer noch versucht wird, einer Gesellschaft eine derartige Gedankenkontrolle aufzuzwingen. Wir alle haben etwas Besseres verdient“ (Dr. Mark Juergensmeyer, Direktor des Orfalea Center for Global and International Studies an der University of California, Santa Barbara, Vereinigte Staaten).
Wie beurteilen Sie Russlands Herangehensweise an die berechtigte Herausforderung, den „Extremismus“ zu bekämpfen?
„Im Kampf gegen den Extremismus benutzt Russland selbst extremistische Methoden. Indem Verbote auferlegt werden, handelt man auf unnachgiebige, energische und radikale Weise. Die diskriminierenden Handlungen der Regierung können weder erklärt noch rechtfertigt oder verstanden werden. Diese Entscheidungen und Handlungen kann man nur fürchten“ (Dr. Ljudmyla Fylypowytsch, Ukraine).
„Niemand ist entschiedener gegen jede Form von Terrorismus oder befürwortet mehr als ich das Bedürfnis, für Sicherheit zu sorgen. Aber das Anti-Extremismus-Gesetz auf Jehovas Zeugen anzuwenden, also auf eine Glaubensgemeinschaft, die es immer unterlassen hat irgendwie zur Gewalt aufzufordern, zeigt wie gefährlich es ist, das Recht auf Sicherheit für wichtiger zu halten, als jedes andere Recht, einschließlich der Religionsfreiheit. Deswegen halte ich es für die Verantwortung aller, auch der Akademiker, diese Rechtsvorschriften und ihre Anwendung klar zu verurteilen, die so offensichtlich die Religionsfreiheit und das Recht auf Gleichbehandlung bedroht“ (Dr. Ferrari, Italien).
„Was bekämpft werden sollte, sind die Formen des Extremismus, die Menschenleben gefährden. Irgendetwas anderes zu bekämpfen, ist selbst eine Form von Extremismus; folglich ist Russlands aggressives strafrechtliches Vorgehen gegen eine friedliche Gruppe wie Jehovas Zeugen schlicht und einfach ‚extrem‘“ (Dr. Derek H. Davis, Rechtsanwalt, ehemaliger Leiter des J.M. Dawson Institute of Church-State Studies an der Baylor University, Vereinigte Staaten).
„Wie ich bereits erwähnt habe, ist der Begriff ‚extremistisch‘ vage und kann subjektiv ausgelegt werden. Ich würde die russischen Maßnahmen auf jeden Fall als unverhältnismäßig und unangebracht bezeichnen, und die russischen Behörden wurden vom EGMR [Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte] wegen Verletzung der Religionsfreiheit verurteilt. Sogenannte extremistische Gruppen wie der IS sind sicherlich eine ernste Bedrohung und es müssen Maßnahmen ergriffen werden, um ihre Aktivitäten einzuschränken. Auf gar keinen Fall aber sind Jehovas Zeugen ähnlich bedrohlich, und die Bedrohung durch terroristische Organisationen als Rechtfertigung heranzuziehen, um das Werk von Jehovas Zeugen einzuschränken, ist absolut unangemessen“ (Dr. Chryssides, Vereinigtes Königreich).
„Die kürzlich erfolgten Änderungen von Russlands Anti-Extremismus-Gesetz läuten das Ende der religiösen Vielfalt in Russland ein. Und wie das aktuelle Beispiel Jehovas Zeugen betreffend zeigt, werden die Änderungen genutzt, um Aktivitäten religiöser Minderheiten zu beenden. Aus historischer Sicht ähneln die derzeitigen Einschränkungen missionarischer Tätigkeiten denen aus der Sowjetzeit“ (Dr. Ringvee, Estland).
„Extremistische Tendenzen können sich bekanntlich nicht nur bei Gruppen, sondern auch bei Einzelpersonen zeigen. Extremismus ist an sich eine politische Aktivität, keine religiöse. In der Russischen Föderation gibt es gesetzliche Beschränkungen bezüglich dieser Art Aktivitäten von religiösen Organisationen. Falls Vorfälle extremistischer Art nachgewiesen werden, sollte der Täter natürlich bestraft werden — diese Vorgehensweise ist mit dem Recht im Einklang. Besteht das Risiko, den religiösen Bereich auf Grundlage extremistischer Aktivitäten als kriminell abzustempeln? Ja, ganz besonders da gesetzliche Bestimmungen selektiv angewandt und willkürlich interpretiert werden und in der Rechtsprechungspraxis auch unprofessionelle (falsche) Gutachten verwendet werden“ (Dr. William Schmidt, Chefredakteur von Eurasia: the spiritual traditions of the peoples, Professor für nationale und föderative Beziehungen an der Russischen Akademie für Volkswirtschaft und Öffentlichen Dienst beim Präsidenten der Russischen Föderation (RANEPA), Russland).
„Gesetze gegen den Extremismus anzuwenden, um die Wehrlosen zu beschützen, ist akzeptabel, sofern dabei mit Ausgeglichenheit vorgegangen wird. Solche Gesetze zu nutzen, um die Freiheit von nicht gewalttätigen religiösen Minderheiten (wie etwa Jehovas Zeugen) zu beschneiden, ist hingegen absolut inakzeptabel“ (Dr. Leo, Italien).
„Russlands staatliche Vorgehensweise wird seit spätestens 2012 im Allgemeinen immer konservativer, fast schon reaktionär. Gesetze werden schärfer, sie schränken verschiedene politische Rechte und sogar Grundrechte ein. Russlands heutige Anti-Extremismus-Gesetze sind so schwammig und vage, dass jeder beschuldigt werden kann, ein Extremist zu sein; man muss keinen terroristischen Angriff planen, um des Extremismus bezichtigt zu werden — es reicht, einen kleinen Beamten in sozialen Medien zu kritisieren oder an einer politischen Veranstaltung teilzunehmen. Die Gesetzgebung im religiösen Bereich ist nur ein Beispiel für diesen allgemeinen Trend“ (Dr. Uzlaner, Russland).
„Russlands Vorgehensweise bei der Reglementierung von Religion mutet ziemlich extrem an (wie auch die von Aserbaidschan), denn nicht viele europäische Staaten veröffentlichen Listen verbotener religiöser Bücher oder befassen sich politisch und rechtlich mit dem extremistischen Charakter religiöser Texte“ (Dr. Kilp, Estland).
„Seitdem das Anti-Extremismus-Gesetz 2002 verabschiedet wurde, entwickelte sich nach und nach ein ungesetzlicher Kampf gegen Extremismus basierend auf der Religion. Die Anti-Extremismus-Richtlinien sind von da an zu einer Waffe im Kampf gegen ‚nicht-traditionelle‘ Religiosität geworden. Der weit gefasste Begriff ‚Extremismus‘ ermöglicht es Richtern zu entscheiden, religiöse Literatur als extremistisch zu erklären — aus Gründen, die oft dem gesunden Menschenverstand widersprechen. Seit Mitte der 2000er-Jahre wurde das Anti-Extremismus-Gesetz auf nicht-orthodoxe und nicht-muslimische Personen in Russland in schier tragikomischer Art und Weise angewendet“ (Dr. Lunkin, Russland).
„Russland möchte die Verbreitung irgendwelcher religiösen Gruppen oder Ideen verhindern, ausgenommen der offiziell anerkannten Formen der vier traditionellen Religionen. Gruppen wie Jehovas Zeugen und alle evangelikalen oder missionierenden Protestanten sehen sich der Verfolgung auch ausgesetzt“ (Prof. Bowring, Vereinigtes Königreich).
„Russlands Kampf gegen Minderheiten wie Jehovas Zeugen ist vor allem diskriminierend. Er ist fester Bestandteil einer langen Tradition sozialer, politischer und religiöser Anfeindungen gegen nicht orthodoxe Minderheiten, die als Sündenböcke dienen. Frankreich ist bei der ‚Jagd auf Sekten‘ ebenfalls ganz vorn mit dabei. Frankreich wollte Jehovas Zeugen ruinieren, indem es sie besteuerte. Doch Jehovas Zeugen brachten den Fall vor den EGMR [Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte] in Straßburg und gewannen schließlich. Der EGMR verurteilte Frankreich dazu, dem Zweigbüro der Zeugen Jehovas in Frankreich enorme Entschädigungen und Zinsen zu zahlen, da der Staat sie diskriminiert hatte, indem er ihnen die rechtliche Anerkennung und die Steuerfreiheit für Spenden ihrer Mitglieder verweigert hatte“ (Dr. Dericquebourg, Belgien).
„Russland sollte gegen echten, also gewaltfördernden oder gewalttätigen Extremismus vorgehen. Aber die fraglichen Regelungen sind bei der Anwendung auf die meisten religiösen Gruppen drakonisch. Was sie so drakonisch macht, ist die Unverhältnismäßigkeit von Strafmaß und Vergehen. Ein zweiter Aspekt, weshalb man sie drakonisch nennen kann, ist, auf wen oder was die Regelungen abzielen. Ein Beispiel: Eine Strafe in Höhe von 15 000 Dollar kann für eine kleine Religionsgemeinschaft oder gemeinnützige Organisation vernichtend sein. Gemäß einer der Regelungen ist es erforderlich, seit 15 Jahren im Land registriert zu sein, bevor Religionsführer oder Missionare nach Russland geschickt werden dürfen“ (Dr. Patterson, Vereinigte Staaten).
„Die Herausforderungen bei der Bekämpfung von Kriminalität — darunter fallen auch Terrorismus und Extremismus, sofern damit gesellschaftsfeindliche und unmenschliche Taten gemeint sind — nehmen von Tag zu Tag an Bedeutung zu. Es ist allerdings eine Sache, echte Kriminalität zu bekämpfen, aber eine völlig andere, Begriffe des Strafgesetzbuches zu benutzen, um damit unverhohlen das Menschenrecht auf Gewissensfreiheit, einschließlich des Rechts auf Religionsfreiheit, zu beschneiden. Viele Experten in Russland, also Gelehrte und Juristen, werten die Anwendung des Begriffs ‚Extremismus‘ auf ausgewählte religiöse Minderheiten als verfassungswidrig und illegal. Und wenn Korruption aus verschiedensten Gründen Rechtsgrundsätze verdrängt, werden Rechte, wie Menschenrechte und Grundfreiheiten, bekanntlich missachtet“ (Dr. Elbakjan, Russland).
„Der strittigste Punkt des russischen Gesetzes im Kampf gegen den Extremismus ist der Begriff Extremismus an sich. Er ist kein rechtlicher, sondern ein politischer Begriff. Aus der Sicht der EMRK [Europäische Menschenrechtskonvention] kann ein Staat zum Beispiel die vom Gerichtshof garantierten Freiheiten, wie die Religionsfreiheit oder das Recht auf freie Meinungsäußerung, einschränken, wenn diese Maßnahme ‚notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer‘ usw. Das internationale Recht ermöglicht es einem Staat also bereits, bürgerliche Freiheiten einzuschränken, wenn er etwas zu Recht als Bedrohung identifiziert. Um die von der EMRK als legitim eingestuften Ziele zu erreichen, ist es daher nicht erforderlich, spezielle Gesetze gegen Extremismus zu erlassen. Besonders problematisch im russischen Gesetz ist das Fehlen einer eindeutigen Definition. Was bedeutet es, gemäß russischem Recht ‚extremistisch‘ zu sein? Nochmal: Es ist ein politischer Begriff, der es den Behörden erlaubt, die Freiheit all derer einzuschränken, die sie als unerwünscht erachten. So gesehen ist es eindeutig, dass Russlands Gesetze dem Geist und dem Wortlaut der EMRK widersprechen“ (Dr. Hocine Sadok, Dozent für öffentliches Recht, Direktor der Fakultät für Wirtschafts-, Sozial- und Rechtswissenschaften der Universität des Oberelsass, Frankreich).
„Bei der Aufgabe, den Terrorismus zu bekämpfen, ist eine genaue Abwägung von Regierungsinteressen und individuellen Freiheiten erforderlich, statt letztere einfach zu ignorieren. Genau bei dieser notwendigen Abwägung versagen Russlands Bemühungen gegen den Extremismus völlig. Das Vorgehen der Regierung beim Definieren und Bekämpfen des Extremismus dient vor allem ihren eigenen Interessen. Zwar kann die Gesetzgebung die Bevölkerung Russlands vor tatsächlichen Bedrohungen beschützen, sie ermöglicht der Regierung aber ebenfalls, Einzelpersonen oder Gruppen, die aus dem einen oder anderen Grund als unerwünscht oder als Bedrohung für Russlands traditionelle religiöse Werte angesehen werden, zu behindern oder ganz und gar mundtot zu machen. Warum kann Russland dieses Rechtssystem bewahren und ausbauen? Unter anderem wegen des Zusammenbruchs bedeutender demokratischer Prozesse innerhalb des Staates und des Versagens diverser externer Akteure (darunter Staaten und internationale Organisationen), diese beunruhigende Tatsache zu erkennen und ihr wirkungsvoll zu begegnen“ (Prof. Blitt, Vereinigte Staaten).
„Leider steht Russland wohl kurz davor, in Bezug auf Jehovas Zeugen einen ähnlichen Fehler zu begehen wie die Vereinigten Staaten in den 1940er-Jahren. Damals sahen viele Amerikaner sie zu Unrecht als ‚extrem‘ an, da Zeugen Jehovas es mit ihrer religiösen Überzeugung nicht vereinbaren konnten, das Treuegelöbnis abzulegen. Zunächst wurden die Zeugen Jehovas für ihr nicht konformes Verhalten bestraft, selbst vom Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten. Dies löste entsetzliche Gewalt gegen Zeugen Jehovas aus, doch später wurde die Gewissensfrage neu bewertet. Letztendlich kamen die meisten Amerikaner und amerikanischen Gerichte zu dem Schluss, dass religiöse Vielfalt — und Jehovas Zeugen sind Teil dieser Vielfalt — sich gut auf die Gesellschaft auswirkt“ (Eric Rassbach, Vereinigte Staaten).
„Eine Eigenheit russischer Rechtstexte ist der große Ermessensspielraum bei so umfassenden Kategorien wie ‚Extremismus/Extremist‘ und ‚extremistische Handlungen‘, ‚Verbreitung des Glaubens‘ und ‚Missionstätigkeit‘ und ‚Wahrheits- oder Überlegenheitsanspruch‘ von jemandes Religion oder Glaubenssystem. Da die amtlichen Dokumente keine einschränkenden und klaren Definitionen bieten und die Regelungen zum Vorbringen und Bewerten von Beweisen extrem weit sind (und zwar in einem solchen Ausmaß, dass die Definition von Extremismus im religiösen Kontext nicht einmal die Androhung oder Anwendung von Gewalt erfordert), wird Sicherheitsbeamten, Behördenmitarbeitern, Richtern und Experten ein großer Ermessensspielraum gewährt. Bezeichnenderweise haben russische Behörden die Aufforderung des UN-Menschenrechtsausschusses (Abschlussbericht vom 28. April 2015) ignoriert, ‚die unklare und offene Definition von „extremistischen Aktivitäten“ klarzustellen, indem sichergestellt wird, dass die Definition die Elemente Gewalt oder Hass als notwendig mit einschließt, und indem eindeutige, klar definierte Kriterien festgelegt werden, um zu beurteilen, ob Material extremistisch ist‘. Weiterhin haben sie die Aufforderung ignoriert, ‚alle notwendigen Schritte‘ zu unternehmen, ‚um der missbräuchlichen Anwendung des Gesetzes vorzubeugen‘, und die offizielle Liste extremistischer Materialien zu überarbeiten“ (Dr. Ventura, Italien).
„Russlands Anti-Extremismus Gesetz wurde im Jahr 2002 verabschiedet. 2007 wurde es dann erweitert und umfasst seitdem ebenfalls gewaltfreie Aktivitäten und Bewegungen, auch im religiösen Bereich. Russische Beamte stehen in der Gefahr, bei der Strafverfolgung zu weit zu gehen, indem sie friedliche Menschen belangen, die nur religiösen oder anderen Ansichten auf den Grund gehen möchten, die dem Staat nicht passen. Zum Beispiel werden Muslime, die ihren Glauben außerhalb der staatlich anerkannten Strukturen ausüben möchten, oft von russischen Gerichten verurteilt, weil sie angeblich gegen das übermäßig weitgehende Anti-Extremismus-Gesetze verstoßen. Bei echter Toleranz vonseiten des Staates und einer neuen rechtlichen Herangehensweise würde man Russlands bunte Vielfalt an Religionen und Ethnien durch reformierte Religions- und Extremismusgesetze fördern. Russland sollte damit aufhören, mit eiserner Faust zu versuchen, die Vielfalt in ein starres Korsett erzwungener Angepasstheit zu schnüren“ (Catherine Cosman, leitende Politikanalystin (Europa und Länder der Sowjetunion), United States Commission on International Religious Freedom (USCIRF), Vereinigte Staaten).
„Ein Großteil der ‚antiextremistischen‘ Religionspolitik ist auf die kulturelle Zentralisierung zurückzuführen, die auch mit aller Entschlossenheit von der russisch-orthodoxen Staatskirche betrieben wird“ (Dr. Besier, Deutschland).
„Russland wurde sicherlich mit Gewalt konfrontiert, die von religiösen Extremisten geschürt wurde. Nichtsdestoweniger hat das Land immer häufiger rechtliche Maßnahmen gegen Extremismus ergriffen, die sich weniger gegen Gruppen richten, die mit gewalttätigem Verhalten in Verbindung gebracht werden, sondern vielmehr unbeliebte religiöse Gruppen einschränken“ (Prof. Clark, Vereinigte Staaten).
„Russlands Rechtssystem ist in zweierlei Hinsicht fehlerhaft. Russlands recht ausführliche Verfassung, die unter anderem auch die Religionsfreiheit vorsieht, wird als höchstes Gesetz angesehen, und das Verfassungsgericht ist dafür verantwortlich, zu prüfen, ob bestimmte Taten oder Rechtsvorschriften mit der Verfassung vereinbar sind oder nicht. Diese Bestimmungen werden in der Praxis nicht völlig eingehalten. Russlands Gerichte richten sich in Wirklichkeit nach Regierungsanordnungen, die von staatlichen oder regionalen Behörden kommen. Diese Behörden müssen sich im Endeffekt nicht vor der Verfassung verantworten. Zum Zweiten können die russischen Gesetze sehr weit und flexibel ausgelegt werden. Russlands Extremismus-Gesetze enthalten keine eindeutige Definition von Extremismus. Die Gesetze können also mehr oder weniger nach dem Willen der jeweiligen Regierungsbehörde ausgelegt werden“ (Sir Andrew Wood, Vereinigtes Königreich).
„Russland hat jedes Recht und ist seinem Volk gegenüber sogar verpflichtet, tatsächlichen Extremismus zu bekämpfen. Aber unbeliebte religiöse Gruppierungen als extremistisch zu bezeichnen, wenn diese die körperliche Unversehrtheit anderer nicht gefährden, ist selbst ziemlich extrem. Ich denke, die aktuelle russische Regierung ist weniger beunruhigt über tatsächliche Extremisten, sofern sie diese kontrollieren kann. Ich denke, sie ist weit mehr über Gruppierungen beunruhigt, von denen sie befürchtet, sie nicht kontrollieren zu können. Da die Zeugen Jehovas zuallererst Gott gegenüber loyal sind, nutzt die aktuelle Regierung die Bezeichnung ‚extremistisch‘ meines Erachtens dazu, Zeugen Jehovas auszugrenzen. Ich denke auch, dass von der russisch-orthodoxen Kirche Einfluss genommen wird, um christliche Minderheiten, die missionieren, auszugrenzen“ (Prof. Ravitch, Vereinigte Staaten).
„Durch das russische Recht und die Vorgehensweise der Behörden werden vielen Einzelpersonen und Organisationen Grundrechte verwehrt, wie das Recht auf freie Meinungsäußerung. Selbst wenn eine Ansicht sachlich falsch ist, muss es erlaubt sein, sie zu äußern. Ein Verbot ist nur in sehr seltenen Fällen gerechtfertigt, wenn nämlich das Leben anderer Menschen oder die soziale Ordnung gefährdet wäre. Dies ist bei Jehovas Zeugen nicht der Fall“ (Dr. Bremer, Deutschland).
Das russische Gesetz schreibt vor, dass Gläubige für „extremistisch“ erklärt werden, wenn sie die Wahrhaftigkeit und Überlegenheit ihrer Religion publik machen. Sollte das die rechtliche Grundlage zur Feststellung von Extremismus bilden?
„Nein. Das ist irrational, unvernünftig und eine Verletzung des Menschenrechtsstandards, zu deren Einhaltung sich Russland vertraglich verpflichtet hat. Das schließt auch Artikel 9 der EMRK [Europäischen Menschenrechtskonvention] und Artikel 18 des IPbpR [Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte] ein“ (Prof. Bowring, Vereinigtes Königreich)
„Nein, ich kenne kein Prinzip des internationalen Rechts, das es erlaubt, Gläubige als Extremisten zu bezeichnen, nur weil sie von der Richtigkeit ihrer Religion überzeugt sind“ (Prof. Garrett Epps, Professor für Rechtswissenschaften, University of Baltimore School of Law, Korrespondent des Obersten Gerichtshofs, The Atlantic, Vereinigte Staaten).
„Erstens ist diese Idee offensichtlich absurd. Wenn das konsequent umgesetzt würde, resultierte daraus, dass alle Religionen nach russischem Gesetz verboten werden müssten. Jede Religion beansprucht die Richtige zu sein und alle Gläubigen sind davon überzeugt, dass ihr Glaube der einzig wahre ist. Welchen Wert hätte Religion sonst überhaupt? Dieses Gesetz ist ein rechtlicher Vorwand, der es dem russischen Staat ermöglicht, religiöse Minderheiten — insbesondere Jehovas Zeugen — zu diskriminieren“ (Dr. Baran, Vereinigte Staaten).
„Ich dachte, dass jeder an die Überlegenheit seiner eigenen Religion glaubt. Wenn das nicht so wäre, würde man doch zu einer anderen wechseln. Natürlich glauben Jehovas Zeugen, den alleinigen Wahrheitsanspruch zu besitzen, aber andere christliche Glaubensgemeinschaften und Religionen neigen genauso dazu, ähnliche Behauptungen über die Einzigartigkeit aufzustellen. Der Glaube an die Überlegenheit und Einzigartigkeit der eigenen Religion sollte im Rahmen der Religionsfreiheit, wie sie in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte definiert ist, anerkannt werden“ (Dr. Chryssides, Vereinigtes Königreich).
„Es ist schockierend, dass Fachleute etwas als ‚extremistisch‘ abstempeln, was den Kern der religiösen Betätigung und die Grundlage jeder Glaubensgemeinschaft bildet, welche in der Überzeugung lebt, die allein ihnen gehörende Wahrheit gefunden zu haben. Gläubige einer Gemeinschaft haben ihre eigene Auffassung von Wahrheit und damit auch von der Heiligen Schrift. Natürlich sind sie dadurch „inkompatibel mit anderen religiösen Gruppierungen‘“ (Dr. Lunkin, Russland).
„Natürlich ist diese Ansicht unerhört. Religiöse Menschen erwählen sich die Lehre ihrer Religion und leben danach, weil sie davon überzeugt sind, dass sie richtig ist und auch besser ist als andere Religionslehren. Russlands Haltung macht alle Religionen zum Gespött“ (Dr. Davis, Vereinigte Staaten).
„Mit nur einigen wenigen Ausnahmen sind alle Religionen davon überzeugt, dass ihre Vorstellung von Gott richtig ist. Niemand sagt: ‚Eine andere Religion ist besser und wahrer als unsere‘“ (Dr. Bremer, Deutschland).
„Ich betrachte diese Frage als rhetorisch, sie bedarf keiner Antwort. Natürlich wünscht sich jeder Gläubige, dass auch andere gerettet werden, statt in der Dunkelheit falscher Ideen umherzuirren. Genau aus diesem Grund sind Gläubige dazu geneigt, auf die Richtigkeit ihrer Religion zu bestehen“ (Dr. Aidar Sultanow, Russischer Rechtswissenschaftler und Menschenrechtler, Russland).
„Wie schon gesagt, Extremismus ist nicht die Idee von Religionssoziologie. Um die potentiellen Gefahren für die Öffentlichkeit oder die Landessicherheit einschätzen zu können, sollte man darauf achten, wie die Religionsgemeinschaft handelt und nicht, was sie glaubt. Wenn sie nicht gesetzwidrig handelt, kann sie auch nicht verurteilt werden. Eine Religionsgemeinschaft hat das Recht zu sagen, dass der eigene Glaube der beste ist. Nebenbei bemerkt sagen auch alle Politiker, sie wären die Besten, und keiner stuft sie dafür als Extremisten ein. Ich habe noch nie einen Politiker gesehen, der sagte, dass er lügt oder dass seine Partei schlechter als eine andere ist. Jede religiöse Gruppe denkt, die beste Auslegung der Heiligen Schrift zu haben. Die Regierung sollte sich lieber dafür interessieren, welche rechtswidrigen und gewalttätigen Angriffe diese Gruppe verübt oder verüben könnte“ (Dr. Dericquebourg, Belgien).
„Die jüngsten Änderungen, die das Verbreiten von Glaubensansichten einschränken, sind eindeutig unangemessen. Sie schränken empfindlich die Religionsfreiheit ein, denn die Gläubigen werden daran gehindert, zu glauben und auf friedliche und rücksichtsvolle Art und Weise anderen mitzuteilen, dass ihre Religion die einzig wahre ist“ (Dr. Ferrari, Italien).
„Das bloße Verkünden der Richtigkeit der eigenen religiösen Anschauung oder der Überlegenheit eines speziellen Glaubens sollte nicht per se dazu ausreichen, Extremismus zu bescheinigen. Die meisten Religionen fußen auf einem eigenen System von Wahrheitsbehauptungen, das ganz offensichtlich in direktem Konflikt mit fundamentalen Glaubensansichten anderer Religionen steht. Diesem Konflikt zum Trotz können solche Behauptungen in friedlicher Art und Weise vorgebracht werden, ohne dabei die Rechte und die Freiheit anderer zu stören oder die öffentliche Ordnung zu gefährden. Diese konkurrierenden Ansichten bilden das Herzstück einer dynamischen demokratischen Gesellschaft, vorausgesetzt sie werden ohne Drohungen oder Gewaltaufrufe oder das aktive Propagieren von extremen Formen des Hasses vorgetragen. Der IPbpR [Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte] verpflichtet die Regierungen dazu, ‚jedes Eintreten für ... religiösen Hass, durch das zu Diskriminierung, Feindseligkeit oder Gewalt aufgestachelt wird‘, zu verbieten. Diese Anforderung muss deutlich erfüllt sein, bevor dazu eine zwingende Verpflichtung besteht. Jede staatliche Entscheidung, die darauf beruht, muss zudem immer die Anforderung von Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit erfüllen — und das bevor Maßnahmen gerechtfertigt sind. Viele Beweise rund um den Einsatz des Anti-Extremismus-Gesetzes der russischen Regierung zeigen, dass sich recht wenig Gedanken um Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit gemacht wurden, ganz zu schweigen von dem Bemühen, die angeblich ‚extremistischen‘ Glaubensansichten zu verstehen“ (Prof. Blitt, Vereinigte Staaten).
„Hier geht es nicht nur um Religionsfreiheit, sondern auch um Redefreiheit. Nach diesem Gesetz können diese Einschränkungen gegen jede religiöse Gruppe eingesetzt werden, die der Regierung oder einer Religionsgemeinschaft, die politische Entscheidungsträger beeinflusst, nicht genehm ist. Eine ungewollte Konkurrenz von religiösen Ideen würde damit ausgeschlossen werden“ (Dr. Ringvee, Estland).
„Das Argument, dass das Publikmachen der Wahrheit und Überlegenheit von jemandes Religion Extremismus beweist, ist ein gutes Beispiel für die Verwirrung im Innern der russischen Extremismus-Gesetze. Mindestens eine der anerkannten traditionellen russischen Religionen stützt sich auf genau diese Behauptung“ (Sir Andrew Wood, Vereinigtes Königreich).
„Gemäß dem russischen Gesetz gilt die bloße Befürwortung einer Religion und die Aussage, sie sei die Wahrheit, als Hassrede oder Hetze. Die eigentliche Abgrenzung sollte aus Sicht der nationalen Sicherheit darin bestehen, dass eine religiöse Person oder Gruppe die Schädigung anderer befürwortet — mit anderen Worten, dass Leute sagen, ihre Religion verpflichtet sie dazu, Andersgläubige zu töten. Regierungen haben ein Sicherheitsinteresse und stellen damit Einschränkungen auf. Zu Anstiftung zur Gewalt zählt beispielsweise, wenn man ‚Feuer‘ in einem Kino ruft oder wenn eine religiösen Obrigkeit einen Mord in Auftrag gibt. Aber diese Anforderungen treffen nicht auf diejenigen zu, die im Visier des russischen Gesetzes stehen“ (Dr. Patterson, Vereinigte Staaten).
„Das russische Gesetz verletzt den Kerngedanken internationaler Religions- oder Glaubensfreiheit, da es die gewaltfreie Befürwortung der Überlegenheit einer Religion als einen vermeintlichen Teil von Extremismus einstuft. Diese Regelung ist ein Hauptgrund dafür, dass die USCIRF [US-Kommission für internationale Religionsfreiheit] dieses Gesetz als eine ‚Hauptbedrohung der Religionsfreiheit‘ sieht. Eine andere Regelung dieses Gesetzes, das ‚Anstiftung zur religiösen Unruhe‘ untersagt, dient zum Verbot missionarischer Aktivitäten — insbesondere Aktivitäten von Religionsgemeinschaften, die nicht in der Gunst des Staates stehen, so zum Beispiel Jehovas Zeugen“ (Catherine Cosman, Vereinigte Staaten).
„Soweit die Einschränkung auf der religiösen Behauptung von Wahrheit und Überlegenheit beruht — das bedeutet auf dem inneren Kirchenrecht (forum internum) und der Grundfreiheit, einen Glauben zu haben — kann solch eine Einschränkung unter keinen Umständen gerechtfertigt werden“ (Dr. Ventura, Italien).
„Alle Religionen stellen die Behauptung auf, die alleinige Wahrheit zu haben. Das ist an sich nicht gefährlich. Vielmehr sind alleinige Wahrheitsansprüche Teil des Wesens der meisten Religionen“ (Dr. Brian Grim, Präsident der Religious Freedom & Business Foundation, Gastprofessor an der St. Mary’s University in London, Berater der Tony Blair Faith Foundation, angestellter Wissenschaftler, Religious Liberty Project, Georgetown University, angeschlossener Wissenschaftler am Institute on Culture, Religion & World Affairs an der Boston University, Vereinigte Staaten).
„Religionsfreiheit umfasst das Recht der Gläubigen, öffentlich zu erklären, dass ihre Religion wahr ist und dass sie die beste oder einzig wahre ist. Das kann für andere unangenehm sein. Doch solange die Gläubigen ihre Sicht anderen nicht aufzwingen oder solange sie andere nicht nötigen, haben sie das Recht, die Wahrheit ihres eigenen Glaubens bekannt zu machen“ (Dr. Carolyn Evans, Dekanin, Harrison Moore Chair of Law, Melbourne Law School, Mitherausgeberin der Law and Religion in Historical and Theoretical Perspectives, Australien).
„Wäre das Verbreiten der Wahrhaftigkeit der eigenen Religion ‚extremistisch‘, dann wären die meisten Gläubigen schuldig“ (Dr. William Cavanaugh, Professor für Katholische Theologie am Center for World Catholicism and Intercultural Theology, DePaul University, Vereinigte Staaten).
„Die Wahrhaftigkeit des eigenen Glaubens zu verfechten ist kein Zeichen für ‚religiösen Extremismus‘, vielmehr eine Verpflichtung den eigenen Grundwerten gegenüber. Diese Grundwerte sollten — solange sie nicht intolerant gegenüber anderen Glaubensansichten und Religionen sind — durch die Zivilbehörden als ein grundsätzliches Menschenrecht gestärkt werden“ (Dr. John A. Bernbaum, Präsident, Russian-American Institute (Moskau), Vereinigte Staaten).
Welchen Ruf haben Jehovas Zeugen als Bürger unter Fachleuten und Wissenschaftlern?
„Meine Recherchen zu Jehovas Zeugen in verschiedenen Landesbelangen haben mich mit friedlichen, gesetzestreuen und engagierten Bürgern zusammengeführt. Sie drückten ein scharfes Bewusstsein und Achtung für die Mehrheit der Glaubensansichten aus und sind gleichzeitig sehr bestrebt, sowohl ihr Recht auf Religionsfreiheit zu stärken als auch ihr Recht diese zu äußern. Ihre Bemühungen, insbesondere auf rechtlichem Weg, haben spürbar die Religionsfreiheit und den Glauben einzelner als auch von Gruppen vieler kleiner, aber auch großer Religionen gefördert“ (Dr. Effie Fokas, Gründungsdirektorin (2008–2012) des Forum on Religion, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Hellenic Observatory der London School of Economics, gefördert durch Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahme, Pluralism and Religious Freedom in Orthodox Countries in Europe (PLUREL), Griechische Stiftung für Europa- und Außenpolitik, Griechenland).
„Ich kenne Jehovas Zeugen nicht nur als Gelehrte, die sich mit ihrer Geschichte, ihren Lehren und ihrer Umsetzung beschäftigt, sondern auch als Mensch im Alltag. Sie sind meine Nachbarn, Bekannten und Kollegen. In meinem Kreis ist ihr Ruf recht gut. Sie sind gesetzestreu. Sie kommen gut mit anderen aus, wie auch immer deren politische Ansichten oder religiöse Zugehörigkeit sein mögen. Sie beschränken sich nicht auf die Interessen und Bedürfnisse ihrer Glaubensgemeinschaft. Jehovas Zeugen nehmen nicht am politischen Leben des Landes teil; sie halten sich davon zurück, sich über Amtspersonen zu äußern oder sie zu beurteilen. Als Bürger sind ihnen dennoch Ereignisse im Land nicht gleichgültig. Ich glaube, dass sie einen maßgeblichen Beitrag zum Fortschritt der Gesellschaft leisten, das Wohlergehen steigern und die Stabilität fördern, denn sie vertreten universale traditionelle christliche Werte. Sie sind gute Familienmenschen, treu gegenüber ihrem Ehepartner, sie lieben ihre Eltern und haben ein Verantwortungsgefühl in der Kindererziehung“ (Dr. Fylypowytsch, Ukraine).
„Die Zeugen Jehovas, die ich in Großbritannien kenne, leisten ihren Beitrag zur Gesellschaft, indem sie ehrlicher Arbeit nachgehen und keine Steuern hinterziehen. Sie betrachten Gesetzestreue als eine religiöse Verpflichtung — mit Ausnahme weniger Situationen, in denen sie das Gesetz in Konflikt mit ihrem Verständnis von Gottes Gesetz sehen“ (Dr. Chryssides, Vereinigtes Königreich).
„Als Religionswissenschaftler habe ich mich mit verschiedenen Religionen beschäftigt. Meines Wissens nach sind Jehovas Zeugen keine kämpferische, sondern eine eher friedliche Religionsgemeinschaft, deren Mitglieder grundsätzlich weder über Politik diskutieren, noch daran teilnehmen, und sich nie in Staatsangelegenheiten einmischen. Diese Gläubigen leisten ihren Beitrag zur Gesellschaft, indem sie ehrlich in verschiedenen Geschäftsbereichen und Organisationen arbeiten, ehrlich ihre Steuern zur Unterstützung des Staates zahlen und Mitbürgern in Not beistehen, wie zum Beispiel nach Naturkatastrophen oder sozialen Katastrophen“ (Dr. Elbakjan, Russland).
„Ich habe viele Zeugen Jehovas über die Jahre hinweg getroffen. Eine meiner besten Studentinnen in meinem Masterstudiengang für Menschenrechte war eine junge Zeugin Jehovas, die eine ausgezeichnete Abschlussarbeit über Religionsfreiheit in Russland geschrieben hat. Meiner Erfahrung nach sind Zeugen Jehovas Beispiele in Höflichkeit und gutem Benehmen. Und sie nehmen es mir nicht übel, dass ich mit ihrem Glauben nicht einig gehe“ (Prof. Bowring, Vereinigtes Königreich).
„Nachdem ich 60 Jahre lang viele Zeugen Jehovas vertreten habe, kann ich sagen — obwohl ich ihre Ansichten über die Bibel nicht teile —, dass sie in meinen Augen immer Menschen mit außergewöhnlich hoher Moral, striktem Glauben und friedlichem Aktivismus waren“ (Bruno Segre, Rechtsanwalt, Journalist, Chefredakteur von L’INCONTRO, Ehrenpräsident des Turiner Rat für Laien, Ehrenpräsident der Freidenkerorganisation Italiens Giordano Bruno, Italien).
„Ich habe mehrere Jahre lang Gottesdienste von Jehovas Zeugen besucht, um meine Doktorarbeit und Artikel in wissenschaftlichen Zeitschriften über sie zu schreiben. Ich kann sagen, dass die Zeugen Jehovas gute und ehrliche Staatsbürger sind. Sie beteiligen sich nicht an politischen Bewegungen ihres Landes, zahlen aber ihre Steuern. Mitunter engagieren sie sich als freiwillige Feuerwehrleute im Gemeinwesen, sie helfen Opfern von Naturkatastrophen, wie beispielsweise bei der Flut in Orange und Bollène in Frankreich, ohne dabei nach neuen Anhängern unter den Leuten zu suchen. Sie wollen nur den Menschen helfen. Jehovas Zeugen unterstützen die Erforschung von Alternativen zu Bluttransfusionen, was auch anderen zugutekommt, die keine Zeugen Jehovas sind“ (Dr. Dericquebourg, Belgien).
„Jehovas Zeugen haben den Ruf, gewissenhafte und gesetzestreue Bürger zu sein“ (Dr. Knox, Vereinigtes Königreich).
„Ich habe große Achtung vor Jehovas Zeugen. Sie sind engagiert, friedlich, sie haben den aufrichtigen Wunsch, Gott zu ehren, und sie leisten treue Dienste. Ich kenne Arbeitgeber, die Zeugen Jehovas als zukünftige Arbeitnehmer suchen, weil sie ehrlich sind und eine gute Arbeitsmoral besitzen“ (Dr. Davis, Vereinigte Staaten).
„Wenn ich mir die Situation der Zeugen Jehovas in Estland anschaue, hat sich die öffentliche Wahrnehmung in den letzten Jahrzehnten klar geändert, da die negativen Klischees verschwunden sind. In einer säkularen und doch multireligiösen Gesellschaft werden Jehovas Zeugen als eine von vielen Religionsgemeinschaften wahrgenommen“ (Dr. Ringvee, Estland).
„Jehovas Zeugen agieren friedlich als Teil der Gesellschaft” (Prof. Clark, Vereinigte Staaten).
„Bedauerlicherweise basiert die Verfolgung von Jehovas Zeugen auf einer einfachen, grundlegenden Logik: Sie werden von einem gewissen Teil der Gesellschaft nicht gemocht, der oft nichts über die Lehren und Gewohnheiten von Jehovas Zeugen weiß. Auch vor dem Hintergrund von Durchsuchungen und Überprüfungen, dem Beschlagnahmen ihrer Bücher und Zeitschriften, die als extremistisch eingestuft wurden, bewegen sich Jehovas Zeugen in Russland innerhalb des gesetzlichen Rahmens“ (Dr. Lunkin, Russland).
„Jehovas Zeugen sind in den Augen derjenigen, die noch nicht viel mit ihnen zu tun hatten, vielleicht nur für ihre Missionstätigkeit von Haus-zu-Haus bekannt, was zugegebenermaßen manchmal als Belästigung wahrgenommen wird. Bei diesem Gedanken erinnere ich aber sofort daran, dass das Recht der Zeugen Jehovas, an eure Tür zu klopfen, Teil des Lebens in einer demokratischen Gesellschaft ist. Wir schulden den Zeugen Jehovas unseren Dank für die rechtmäßige Verteidigung ihrer Rechte vor unseren Gerichten, was zum weitreichenderen Schutz der Redefreiheit geführt hat“ (Dr. Baran, Vereinigte Staaten).
„Ich kenne Jehovas Zeugen hauptsächlich in den USA. Sie haben einiges zur Gesellschaft beigesteuert. Beispielsweise haben sie zum Verständnis des ersten Zusatzartikels zur Verfassung der Vereinigten Staaten beigetragen. Sie sind für Bürgerechte in berühmten Fällen wie Barnette eingetreten. Ironischerweise könnte genau dieses Eintreten für Bürgerrechte das sein, wovor Russland Angst hat“ (Prof. Ravitch, Vereinigte Staaten).
„Durch meine Studien der amerikanischen Rechtsgeschichte habe ich die bedeutenden Beiträge von Jehovas Zeugen zur Sicherung verfassungsrechtlicher Schutzmaßnahmen bürgerlicher Freiheiten schätzen gelernt. Ihre Entschlossenheit, ihren Glauben frei auszuüben, hat zu einer Erweiterung der Schutzmaßnahmen im Hinblick auf den ersten Zusatzartikel der Verfassung der Vereinigten Staaten geführt. Ähnlich wichtige Verdienste haben sie in anderen Ländern geleistet. Davon profitieren nicht nur sie selbst, sondern auch Mitglieder unzähliger anderer Konfessionen“ (Dr. Peters, Vereinigte Staaten).
„In meinem Heimatland Estland haben Jehovas Zeugen als Bürger einen guten Ruf. Sie leisten ihren Beitrag zur Gesellschaft und zahlen ihre Steuern. Sie gehören zu den gesetzestreuen Bürgern. Sie beteiligen sich nicht am Militärdienst, aber wenn es einen Ersatzdienst (Arbeit in Schulen, Krankenhäusern etc.) gibt, leisten sie ihren Beitrag dort“ (Dr. Ain Riistan, Lehrbeauftragter für Neues Testament am Institut für Theologie und Religionswissenschaften der Universität Tartu, außerordentlicher Professor für Theologie der Freikirchen und Religionsgeschichte am Theologischen Seminar Tartu, Estland).
„Ich persönlich pflege freundschaftliche Beziehungen zu einigen Zeugen Jehovas in Griechenland. Meine ehemaligen Nachbarn in Thessaloniki — dort habe ich früher gewohnt — sind Zeugen Jehovas. Wo auch immer ich bin, lege ich Einspruch gegen die ungerechte Verfolgung von Zeugen Jehovas ein. Das mache ich aus Prinzip, und weil sie in der Regel ehrliche Christen, fleißige und treue Menschen sind“ (Dr. Groen, Österreich).
„Meine begrenzten Erfahrungen mit Jehovas Zeugen, meist in Spanien, zeigen, dass sie gute, engagierte und ehrliche Menschen sind, kompromisslos in ihren Lehren. Das ist nicht zwangsläufig etwas Schlechtes, vorausgesetzt man kann rational über sie diskutieren“ (Dr. Martínez-Torrón, Spanien).
„Gläubige Menschen, wie Jehovas Zeugen, sind engagierte Bürger in den Ländern, in denen sie leben. Man braucht von dieser Glaubensgemeinschaft nichts zu befürchten. Ihre Diskriminierung ist eindeutig ungerechtfertigt“ (Dr. Bernbaum, Vereinigte Staaten).
„Was ich bei Jehovas Zeugen bewundere, ist ihre Gewaltlosigkeit und ihren Widerstand gegen Bilderverehrung in der Form des Nationalismus und des Fahnengrußes“ (Dr. Cavanaugh, Vereinigte Staaten).
„In der deutschen Gesellschaft habe ich sie nie anders wahrgenommen als normale, treue und unauffällige Bürger, nicht anders als die meisten anderen Leute sind“ (Dr. Bremer, Deutschland).
„Die ungerechtfertigte und unverhältnismäßige Einmischung in das Leben von Jehovas Zeugen in Russland entbehrt jeglicher Grundlage, da Jehovas Zeugen in Europa und weltweit nachweislich eine friedliche Gemeinschaft sind, die sich für das Allgemeinwohl stark macht. Wie unabhängige Studien der Geschichte und Sozialwissenschaft bestätigen, stehen Jehovas Zeugen in dem wohlverdienten Ruf, aus Bürgern gesetzestreue, friedliche und loyale Bürger zu machen, die in vielerlei Weise zum Wachstum, Zusammenhalt und Erfolg einer Gesellschaft beitragen. Ihre Freiheit ist im Kampf gegen Extremismus in Russland und anderswo sehr wertvoll“ (Dr. Ventura, Italien).
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